Kein Zusatzhinweis bei baustellenbedingter Änderung der Vorfahrt

Gericht

Brandenburgisches OLG


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

12. 03. 2002


Aktenzeichen

2 U 20/01


Leitsatz des Gerichts

Nur wenn der Umfang des Verkehrsaufkommens, die Unübersichtlichkeit der Verkehrswege oder die Schnelligkeit des Verkehrs die Annahme nahe legen, die Aufmerksamkeit eines durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers könne so stark in Anspruch genommen sein, dass er eine Änderung einer seit langem bestehenden Verkehrsregel (hier: baustellenbedingte Änderung der Vorfahrtregelung) nicht erfasst, muss die Verkehrsbehörde zusätzliche Schritte zur Warnung vor der Änderung unternehmen.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. nimmt die Bekl. auf Zahlung von Schadensersatz, Schmerzensgeld und Schmerzensgeldrente sowie auf Feststellung der weiteren Ersatzpflicht auf Grund eines Unfalles in Anspruch, den er am 14. 9. 1997 in K erlitten hat. Der Kl. meint, die Bekl. hafteten aus dem Gesichtspunkt der Verletzung von Amtspflichten. Zum Unfallhergang behauptet der Kl., er habe sich vorsichtig in die Kreuzung hineingetastet. Den sich von links her nähernden Bus habe er nicht sehen können, und zwar einerseits wegen der Bäume, die teilweise die Sicht verdeckt hätten, und andererseits wegen der Geländeerhöhung der schräg verlaufenden Straßen im Kreuzungsbereich.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

Die zulässige Berufung des Kl. ist insgesamt unbegründet. Dem Kl. stehen keine Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Bekl. wegen der vorgenommenen Verkehrsregelung in K zu. Die Bekl. haben die ihnen obliegenden Amtspflichten nicht verletzt (§ 839 BGB i.V.m.Art. 34 GG).

Der Bekl. zu 3) war als Straßenverkehrsbehörde für die Verkehrsregelung gemäß §§ 44, 45 StVO i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 3 StVRZV zuständig. Dies gilt auch in Umleitungsbereichen, wie sich aus § 34 III BbgStrG ergibt. Die Straßenverkehrsbehörde trifft die Amtspflicht, Verkehrszeichen so anzuordnen, dass sie für einen mit den Verkehrsvorschriften vertrauten, durchschnittlich aufmerksamen Verkehrsteilnehmer auch bei schneller Fahrt durch einen raschen und beiläufigen Blick deutlich erkennbar sind. Diese Amtspflicht besteht allen Wegbenutzern gegenüber, die die Straße nach der Art ihrer Verkehrsöffnung benutzen dürfen (vgl. Kodal/Krämer, Straßenverkehrsrecht, 6. Aufl., Kap. 42 Rz. 18). Diese Amtspflicht hat der Bekl. zu 3) nicht verletzt:

Die eigentliche Änderung der bislang bestehenden Vorfahrtsregelung ist ordnungsgemäß durch die dafür vorgesehenen Zeichen 205 und 306 gemäß §§ 41, 42 StVO angeordnet und beschildert worden. Die Behauptung des Kl., wonach das aus seiner Fahrtrichtung angebrachte Zeichen 205 nicht in ordnungsgemäßer Höhe befestigt worden sei, ist nicht zutreffend.

Der Bekl. zu 3) war auch nicht verpflichtet, durch eine besondere Beschilderung oder Linienmarkierung auf der Straße gesondert auf die geänderte Vorfahrt hinzuweisen. Zu dieser Problematik führt der BGH in st.Rspr., der sich der Senat anschließt, aus, dass Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen so angebracht und aufgestellt werden müssen, dass keine neuen Gefahren entstehen. Die Behörden dürfen sich dabei auf das zumutbare Maß beschränken. Sie haben regelmäßig keine weiteren Pflichten, wenn die Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Benutzung der Straße und Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit etwaige Schäden selbst abwenden können. Kein Straßenbenutzer darf sich darauf verlassen, dass die Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen ständig unverändert bleiben, wie auch kein Kraftfahrer darauf vertrauen darf, dass er die Vorfahrt auf einer Straße an jeder Kreuzung behält. Kraftfahrer müssen sich vielmehr an jeder Kreuzung oder Einmündung über die dort geltende Vorfahrtsregelung vergewissern. Andererseits muss die zuständige Behörde in gewissem Umfang damit rechnen, dass sich Verkehrsteilnehmer verkehrswidrig verhalten. Die Erfahrung lehrt, dass es Verkehrslagen gibt, in denen es häufig nicht nur zu einem Fehlverhalten, sondern auch zu fahrlässigen Verkehrsverstößen kommt. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass es nach einer Änderung der Vorfahrtregelung auf einer innerstädtischen Ausfallstraße häufiger als sonst zu Verkehrsunfällen durch Zusammenstöße kommt. Gerade im Stadtverkehr prägen sich Vorfahrtsbeschilderungen einer Straße, insbesondere von Durchgangsstraßen einem Kraftfahrer, der sie Tag für Tag benutzt, so stark ein, dass die Vorfahrtsgewährung für ihn wie mancher Handgriff beim Autofahren zur Routine werden kann (BGH, NJW 1970, 1126f.). Entsprechend diesen Grundsätzen enthält die Verwaltungsvorschrift IV zu § 41 StVO die Regelung, dass bei Änderungen von Verkehrsregeln, deren Missachtung besonders gefährlich ist, zum Beispiel bei Änderung der Vorfahrt, eine gesonderte Warnung vorzunehmen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die zuständige Behörde verpflichtet ist, bei jeder Vorfahrtsänderung entsprechende Warnhinweise vorzunehmen. Die Vorschrift billigt vielmehr einen Ermessensspielraum zu, ob im konkreten Fall eine besondere Gefahrenlage gegeben ist, die allerdings bei Änderung von Vorfahrtsregelungen naheliegen kann (so auch OLG Frankfurt a.M., VM 1984, 30/31; OLG Stuttgart, VersR 1989, 627). Demnach kann die Straßenverkehrsbehörde im Regelfall davon ausgehen, dass der aufmerksame Verkehrsteilnehmer die Veränderung der Verkehrsregel wahrnimmt und befolgt. Wenn aber der Umfang des Verkehrsaufkommens, die Unübersichtlichkeit der Verkehrswege oder die Schnelligkeit des Verkehrs die Annahme nahelegen, die Aufmerksamkeit eines durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers könne so stark in Anspruch genommen sein, dass er eine Änderung einer seit langem bestehenden Verkehrsregel nicht erfasst, darf sich die Verkehrsbehörde nicht damit begenügen, die neue Verkehrsregel lediglich anzuordnen, sondern muss zusätzliche Schritte unternehmen, um auf die Veränderung aufmerksam zu machen.

Unter Anwendung dieser Grundsätze war der Bekl. zu 3) jedoch nicht gehalten, besondere Maßnahmen zu ergreifen: Die Umleitung erfolgte wegen Bauarbeiten auf der Hauptverkehrsstraße Z-Damm. Wegen des großen Umfangs der Bauarbeiten und der Hinweise zu Beginn der Baustelle noch auf Berliner Gebiet konnte der Bekl. zu 3) davon ausgehen, dass der größte Teil der Verkehrsteilnehmer wusste, dass es auf Grund von Bauarbeiten zu einem Umleitungsverkehrs in dem fraglichen Gebiet kam. Auch dem Kl. war dies durchaus bewusst, da er zunächst diese Baustelle passiert hatte, wenn er auch nicht direkt auf die Umleitungsstrecke gefahren war, wie seine Anhörung im Senatstermin vom 12. 2. 2002 ergeben hat. Des weiteren handelte es sich bei der K-K-Straße und bei der G-S-Allee um reine Anwohnerstraßen, wobei die K-K-Straße noch dazu eine Sackgasse war. Auch wenn beide Straßen gelegentlich für die Umfahrung des Z-Dammes genutzt wurden, war schon auf Grund des baulichen Zustandes klar, dass es sich um die Erschließungsstraßen des Wohngebietes handelte und nicht etwa um Durchgangsstraßen. Hinzu kommt, dass die vom Kl. befahrene K-K-Straße vor der Einrichtung der Umleitungsstrecke nicht etwa als Vorfahrtsstraße ausgestaltet war, sondern dass die allgemeine Regelung nach § 8 I 1 StVO (rechts vor links) galt. Das bedeutet, dass auch vor der Veränderung der bestehenden Regelung an der fraglichen Kreuzung die Verkehrsteilnehmer aus der Fahrtrichtung des Kl. nicht etwa im Vertrauen auf eine bestehende Vorfahrtsregelung die Kreuzung zügig passieren konnten, sondern auf von rechts kommenden Verkehr zu achten hatten. Schließlich war die Kreuzung dadurch unübersichtlich, dass die Straßen nicht rechtwinklig aufeinander treffen und deshalb sowie auf Grund des Bewuchses am Straßenrand die Sicht aus Fahrtrichtung des Kl. nach links eingeschränkt war. Angesichts dieser Tatsachen brauchte der Bekl. zu 3) nicht davon auszugehen, dass eine besonders gefährliche Lage durch die Vorfahrtsänderung gegeben war. Er durfte davon ausgehen, dass die Nutzer der Straße durch das Vorhandensein einer größeren Baustelle in unmittelbarer Nähe mit erhöhtem Verkehr auf den Nebenstraßen rechnen mussten, weil diese ersichtlich als Umleitungsstrecke dienten. Außerdem war zu Beginn der Umleitungsstrecke ein Hinweis auf geänderte Vorfahrt aufgestellt worden, so dass der Bekl. zu 3) auch insoweit von einer erhöhten Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer ausgehen durfte, wenn er auch damit rechnen musste, dass gelegentlich die Straße von solchen Personen genutzt wurde, die diese nicht als Umleitungsstrecke befuhren. Zudem konnte der Bekl. zu 3) davon ausgehen, dass auf Grund der ohnehin an der Kreuzung zu beachtenden Vorfahrt Verkehrsteilnehmer sich der Kreuzung langsam nähern und deshalb auch die geänderte Beschilderung wahrnehmen würden. Es handelte sich nicht etwa um eine altbekannte Vorfahrtsstraße, bei der besondere Aufmerksamkeit vom Geradeausfahrenden nicht verlangt wird. Schließlich waren die Verkehrsteilnehmer auch zuvor bereits verpflichtet, selbst bei Vorrang vor dem von links kommenden Verkehr sich zumindest darüber zu vergewissern, ob Verkehrsteilnehmer von links herannahten und ob diese Vorfahrt gewähren würden. Blindlings in die Kreuzung einfahren, zumal diese unübersichtlich war, durfte auch vor der Vorfahrtsregelung niemand. Die Straßenverkehrsbehörde konnte deshalb ohne Verschulden annehmen, dass jeder vernünftige Autofahrer auf Grund der ohnehin bestehenden Verpflichtungen im Kreuzungsbereich in der Lage war, die geänderte Vorfahrt auch ohne besonderen Hinweis wahrzunehmen. Eine besondere Gefährlichkeit, die zusätzliche Absicherungen verlangt hätte, ging von der Änderung der Vorfahrtsregelung nicht aus.

Aus den genannten Gründen scheidet eine Haftung der Bekl. zu 1) und 2) ohnehin aus. Überdies traf das beklagte Land schon deshalb keine Verpflichtung zur Aufstellung von Warnhinweisen, weil es hinsichtlich der Kreuzung K-K-Straße/G-S-Allee in K keine Zuständigkeiten hatte und zwar weder zur Verkehrsregelung noch zur Verkehrssicherung, da es sich um Gemeindestraßen handelt, für die gemäß § 9 VI 3 BbgStrG allein die Bekl. zu 2) verkehrssicherungspflichtig ist. Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die Umleitung durch das beklagte Land auf Grund von Bauarbeiten an einer Landesstraße angeordnet worden ist. Regelungen hinsichtlich von Umleitungsstrecken sind in § 34 BbgStrG getroffen. Wie sich aus dessen Abs. 3 ergibt, hat die für die Bauarbeiten an einer bestimmten Strecke zuständige Straßenbaubehörde (hier das beklagte Land) bestimmte Pflichten auch im Hinblick auf die Umleitungsstrecke über Straßen, auf die sich seine Zuständigkeit normalerweise nicht erstreckt. Es handelt sich dabei um Unterrichtungspflichten, Pflichten zur Mitwirkung an der Planung und zu Anhörungen. Es fehlt jedoch an einer Regelung, die die Verkehrssicherungspflicht oder die Verkehrsregelungspflicht auf eine andere als die im allgemeinen zuständige Behörde übertragen würde. Mangels ausdrücklicher Regelung verbleibt es deshalb bei den allgemeinen Zuständigkeiten, wie sie sich aus § 34 III BbgStrG entnehmen lassen. Die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Planung, die das bekl. Land auch wahrgenommen hat, wie sich insbesondere den Ausführungen der Vertreterin des Brandenburgischen Straßenbauamtes P im Termin vom 12. 4. 2000 vor dem LG ergibt, führt nicht zu einer Haftung gegenüber Straßennutzern. Die Mitwirkungspflichten aus § 34 BbgStrG bestehen ausschließlich zu Gunsten des betroff. Straßenbaulastträgers der Umleitungsstrecke und entfalten keine Außenwirkung. Es geht allein um die internen Verteilung des Aufwands auf der Kosten für die in Anspruch genommene Umleitungsstrecke, nicht jedoch um Regelungen zu Gunsten der Verkehrsteilnehmer. Durch die Mitwirkung an dem Regelungsplan entstehen deshalb auch keine Amtshaftungsansprüche gegenüber dem beklagten Land.

Auch die Verletzung einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht aus § 823 BGB durch das bekl. Land scheidet aus, da dieses keine Gefahrenquelle geschaffen hat.

Zwar hat das Land in Wahrnehmung seiner Verpflichtung aus der Anordnung der Umleitung mit den Bekl. zu 2) und 3) zusammengewirkt und vorbereitende Maßnahmen getroffen, um die Umleitungsstrecke vorzubereiten. Dabei haben seine Vertreter nicht nur die Örtlichkeiten besichtigt und Beteiligte wie auch die Polizei hinzugezogen, sondern auch den Ausführungsplan bei einem Ingenieurbüro in Auftrag gegeben. Die Letztverantwortung für die Genehmigung des Verkehrsregelungsplans lag jedoch allein beim Bekl. zu 3) im Rahmen seiner Zuständigkeit als Verkehrsregelungsbehörde. Das Land trägt insoweit nach außen keine Verantwortung. Schließlich hätte das bekl. Land auch selbst bei Bejahung einer Zuständigkeit nicht schuldhaft gehandelt, da die Anhörung sämtlicher Betroff. einschließlich der Verkehrspolizei und die Einschaltung zweier unabhängiger Ingenieurbüros keinen Anhaltspunkt dafür erbracht hatte, dass Hinweisschilder gegebenenfalls erforderlich sein könnten. Ein Anspruch gegen das bekl. Land besteht deshalb aus keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt.

Auch die Bekl. zu 2) trifft als Trägerin der Verkehrssicherungspflicht nach § 9 VI 3 BbgStrG keine Zuständigkeit im Rahmen der Verkehrsregelung. Die Bekl. zu 2) war auch nicht verpflichtet oder berechtigt, die Anordnungen der Straßenverkehrsbehörde auf Richtigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen (Senatsurteil vom 7. 9. 1999 - 2 U 213/98; Kodal/Krämer, 6. Aufl., Kap. 42 Rz. 19; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 45 StVO Rz. 42). Allerdings kann eine Ausnahme, nämlich eine Hinweispflicht an die Straßenverkehrsbehörde, dann bestehen, wenn eine erkennbare akute Gefahrensituation vorliegt. Eine derartige Ausnahme kann vorliegen, wenn etwa sich widersprechende Vorfahrtsregelungen getroffen werden, so dass zwei scheinbar vorfahrtsberechtigte Straßen aufeinandertreffen. Eine Hinwirkungspflicht auf eine Änderung der Verkehrsregelung im Einzelfall kann jedoch nur dann vorliegen, wenn der Verkehrssicherungspflichtige von einer unzulänglichen Beschilderung ausgehende Gefahren erkennt oder eine derartige Verkehrsgefährdung so offensichtlich ist, dass sich die Notwendigkeit alsbaldiger Maßnahmen geradezu aufdrängt (BGH, Entscheidung vom 15. 6. 2000, III ZR 302/99). Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Eine offensichtliche Verkehrsgefährdung in diesem Sinne war nicht gegeben.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht