Nötigung durch massive Geschwindigkeitsreduzierung

Gericht

BayObLG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

06. 07. 2001


Aktenzeichen

1 St RR 57/2001


Leitsatz des Gerichts

Ein Autofahrer macht sich bereits dann strafbar, wenn er ohne verkehrsbedingten Grund mit einer unangemessen langsamen Geschwindigkeit den nachfolgenden Fahrer verkehrserzieherisch maßregelt.

Tatbestand

Der Angeklagte fuhr am 14. 3. 2000 etwa gegen 7.15 Uhr mit seinem Pkw auf der Autobahn A 8 von der Anschlussstelle Bad Aibling herkommend zunächst die Anhöhe Irschenberg in Richtung München hinauf. An dieser Stelle befindet sich ein Überholverbot für Lkw. In Missachtung dieses Überholverbots zog der Zeuge W mit dem belgischen Sattelzug auf die Überholspur und überholte einen vor ihm befindlichen Tanklastzug, scherte dann noch im Steigungsstück wieder auf die rechte Spur ein. Der Angeklagte überholte nun den Sattelzug des Zeugen W und scherte etwa im nächsten Kilometer nach dem Kilometer 41,4 auf die rechte Fahrspur ein. Bis zu diesem Zeitpunkt kam es zu keinen Auffälligkeiten zwischen den beiden Kraftfahrzeugführern, so nicht zu Hupen, Anblinken oder sonstiger Beeinträchtigung der Fahrt. Die Geschwindigkeit von Pkw und Lkw betrug zu der Zeit der Fahrt unmittelbar nach dem Wiedereinscheren 92 km/h.

Der Angeklagte verringerte nunmehr seine Geschwindigkeit auf einer Wegstrecke von 99 m auf die neue Geschwindigkeit von 87 km/h. Der Zeuge W fuhr zunächst näher auf den Pkw auf und betätigte die Lichthupe. Durch Wegnehmen von Gas verzögerte auch der Zeuge W die Geschwindigkeit seines Lkw. Im Verlaufe der nächsten 169 m verringerte der Angeklagte erneut die Geschwindigkeit auf nunmehr 80 km/h. Für beide geschilderten Vorgänge, aber auch für den nachstehenden Vorgang bis zum Anhalten der Kraftfahrzeuge gab es keinerlei verkehrsbedingten Anlass.

So war der Angeklagte nicht etwa durch vorausfahrende Fahrzeuge gezwungen, die Geschwindigkeit zu reduzieren. Dem Lkw-Fahrer W gelang ebenfalls die Verzögerung seines Kraftfahrzeugs durch Betätigen der Motorbremse. Im nachfolgenden Wegestück ca. 200 m setzte der Angeklagte die Geschwindigkeit nunmehr von 80 km/h auf 58 km/h herab. Der Lkw-Fahrer W musste hier eine deutliche Bremsung mit einer Bremsverzögerung von 3,06 m/s² vornehmen, um einen Auffahrunfall zu verhindern. Im Wegestück der nächsten 249 m verringerte der Angeklagte die Geschwindigkeit weiterhin auf 43 km/h, was den Lkw-Fahrer W zu einer leichten Bremsung zur Unfallvermeidung zwang. Nach zunächst weiteren Wegstrecken von 284 m mit einer Geschwindigkeit von 42 km/h wurde letztlich wieder auf 65 km/h erhöht. Der Angeklagte wollte den Fahrer des Sattelzugs verkehrserzieherisch maßregeln, weil der Fahrer W zuvor im Überholverbot einen anderen Lkw überholt hatte. Weiter ärgerte sich der Angeklagte darüber, dass der Zeuge W ihm nach dem Wiedereinscheren auf die rechte Fahrspur so nahe auffuhr und auch noch mit der Lichthupe blinkte. Dies war der Grund, warum der Angeklagte dann den Zeugen W zum Reduzieren der Geschwindigkeit veranlassen wollte.

Das AG verurteilte den Angeklagten wegen einer im Straßenverkehr begangenen Nötigung zur Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 65 DM und verhängte gleichzeitig ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten.

Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hatte vorläufig Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

... Nach den - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen kommt eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines Vergehens der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB in Betracht.

a) Auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 1. 1995 (BVerfGE 92, 1), in der die erweitemde Auslegung des Gewaltbegriffs im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG bewertet worden ist, ist daran festzuhalten, dass für die Fälle des so genannten 'Ausbremsens', das heißt diejenigen Sachverhalte, in denen ein vorausfahrendes Fahrzeug das Nachfolgende zu einer (Voll-) Bremsung zwingt, eine Strafbarkeit wegen Nötigung in Betracht kommt. Das OLG Stuttgart (DAR 1995, 261 = NZV 1995, 285) hat hierzu die Auffassung vertreten, die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei 'nach ihrem Sinngehalt auf den Bereich der Sitzblockaden beschränkt'. Es bestünden deshalb keine verfassungsrechtlichen und auch keine einfachrechtlichen Gründe, von der bisherigen Auslegung des Gewaltbegriffs im fließenden Verkehr abzuweichen. Dem Einsatz eines Fahrzeugs im Straßenverkehr könne das Moment der Kraftentfaltung nicht abgesprochen werden (vgl. hierzu auch Berz NZV 1995, 297 f.). Diese Kraftentfaltung wirke sich zwar nicht unmittelbar am Opfer, sondern auf dieses nur über eine psychisch determinierte Kausalkette aus; sie habe aber die der unmittelbaren Krafteinwirkung entsprechende Zwangswirkung.

Auch der BGH hat das 'Ausbremsen' für Nötigung gehalten, wobei der von ihm zu entscheidende Fall allerdings die Besonderheit aufwies, dass der Täter das folgende Fahrzeug sogar zum Anhalten gezwungen hatte (BGHR StGB § 240 Abs. 1 Gewalt 3 im Straßenverkehr = DAR 1995, 296/298 = NZV 1995, 325/326 = NJW 1995, 3131/3133). Das Verhalten des Täters habe sich, so der BGH, nicht auf seine bloße Anwesenheit beschränkt, von seinem plötzlich abgebremsten Fahrzeug sei nicht nur eine psychische Zwangswirkung ausgegangen, vielmehr habe der Täter auf die Entschlussfreiheit des nachfolgenden Fahrzeugs (jedenfalls auch) durch die Errichtung eines physischen Hindernisses eingewirkt. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass beim Blockieren eines Bewegungsablaufs eine Nötigung nicht deshalb ausscheidet, weil das Opfer selbst den Erfolg durch Stoppen der eigenen Bewegung verhindert und es deshalb nicht zu der vom Täter bezweckten körperlichen Einwirkung kommt (vgl. SK-Rudolphi [Stand: April 1996] § 105 Rn. 6).

Eine Nötigung liegt deshalb nach Auffassung des Senats nicht nur in den von der Rechtsprechung anerkannten Fällen vor, in denen der Täter den Nachfolgenden zu einer so genannten 'Vollbremsung' zwingt oder bis zum Stillstand herunterbremst, mit der Folge, dass der Nachfolgende zum Anhalten gezwungen wird, sondern auch bereits dann, wenn der Täter seine Geschwindigkeit ohne verkehrsbedingten Grund massiv reduziert, um den Fahrer des nachfolgenden Fahrzeugs zu einer unangemessen niedrigen Geschwindigkeit zu zwingen, und der Nachfolgende das ihm vom Täter aufgezwungene Verhalten nicht durch Ausweichen oder Überholen vermeiden kann.

b) So liegt es auch bei dem vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt. Auch hier hat der Angeklagte auf die Entschlussfreiheit des Führers des nachfolgenden Sattelzuges durch Errichtung eines physischen Hindernisses und nicht nur durch psychische Zwangswirkung eingewirkt. Der auf dem rechten Fahrstreifen der Bundesautobahn fahrende Zeuge W war durch das - nicht verkehrsbedingte - Verhalten des Angeklagten gezwungen, zur Vermeidung eines Auffahrunfalls seine Geschwindigkeit dem vorausfahrenden, über eine Strecke von einem Kilometer ständig langsamer werdenden Pkw anzupassen und sie von 92 km/h bis auf 42 km/h zu reduzieren, wobei das Herabsetzen der Geschwindigkeit teilweise nur durch eine deutliche Bremsung möglich war.

Den Feststellungen des AG lässt sich jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, ob sich dieses Geschehen auf einer Strecke mit einem 'Überholverbot für Lkw' abspielte und es dem Zeugen W daher jedenfalls aus rechtlichen Gründen nicht möglich war, dem ihm aufgezwungenen Fahrverhalten durch ein Ausweichen mit seinem Sattelzug auf den mittleren Fahrstreifen und ein Überholen des Angeklagten zu entgehen. Da diese entscheidungserhebliche - Frage bisher nicht geklärt ist, kann das angefochtene Urteil aus diesem Grunde keinen Bestand haben.

Soweit der Zeuge das ihm vom Angeklagten aufgezwungene Verhalten nicht vermeiden konnte, wäre das nicht verkehrsbedingte Verhalten des Angeklagten, der den Zeugen lediglich disziplinieren wollte, als schikanös und damit auch verwerflich i. S. v. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen ...

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

StGB § 240 Abs. 1