Verkehrssicherungspflicht für Bahnübergang

Gericht

OLG Hamm


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

30. 06. 1992


Aktenzeichen

9 U 90/91


Leitsatz des Gerichts

Zur Haftung des Bahnunternehmers und des für die Straße Verkehrssicherungspflichtigen, wenn es dadurch zu einer Kollision auf dem Bahnübergang kam, daß die Blinkanlage durch Laub verdeckt war.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Am 11. 7. 1988 gegen 9.30 Uhr befuhr die Mutter des Kl., Frau St, mit ihrem Pkw die v.-G.-Straße in H. Diese Straße wird von einer Gleisanlage der Bekl. zu 1) gekreuzt, die täglich von etwa sechs Zugfahrten von und zu einem Werksgelände benutzt wird. Frau St wollte diesen Bahnübergang überqueren. Zur gleichen Zeit näherte sich von rechts eine Lokomotive der Bekl. zu 1) mit ca. 50 km/h, erfaßte auf dem Bahnübergang den Pkw und schleuderte ihn in eine angrenzende Böschung. Die Mutter des Kl. erlitt tödliche Verletzungen.

Auf den Bahnübergang wird durch Baken in Entfernungen von 150m, 110m und 60m hingewiesen. Unmittelbar vor dem Bahnübergang ist beiderseits der v.-G.-Straße eine Blinklichtanlage, gekoppelt mit einem Andreaskreuz, angebracht. Seitlich versetzt vor der Blinkanlage steht am linken Rand der Straße eine Rotbuche, deren Zweige zum Unfallzeitpunkt in den Straßenraum und in das Sichtfeld der Frau St auf die LZA ragten. Die Sicht auf die rechte LZA wurde durch Buschwerk beeinträchtigt.

Der Kl. verlangt von der Bekl. zu 1) und von der für die Straße verkehrssicherungspflichtigen Bekl. zu 2) Schadensersatz wegen entgangenen Unterhalts. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Bekl. sind verpflichtet, dem Kl. 2/3 des ihm entstandenen Unterhaltsschadens wegen der Tötung seiner Mutter bei dem Unfall vom 11. 7. 1988 zu ersetzen. Der Anspruch gegen die Bekl. zu 1) ergibt sich aus §§ 1 I, 5 II 1 HaftpflG, gegen die Bekl. zu 2) aus Art. 34 GG, §§ 839 I, 844 I BGB, und zwar aufgrund der Verletzung der der Bekl. zu 2) nach §§ 9, 9a, 43 NRWStrWG als Amtspflicht obliegenden Verkehrssicherungspflicht.

I. 1. Die Bekl. zu 1) haftet nach § 1 I 1 HaftpflG als Bahnunternehmerin, weil bei dem Betrieb der Schienenbahn die Mutter des Kl. getötet worden ist. Sie ist deshalb zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet, der sich nach § 5 II HaftpflG auch auf den dem Kl. entstandenen Unterhaltsschaden erstreckt und dem Kl. einen eigenen Anspruch gewährt. Die Ersatzpflicht ist nicht nach § 1 II 2 HaftpflG ausgeschlossen, da der Unfall nicht durch ein für die Bekl. zu 1) unabwendbares Ereignis verursacht worden ist. Ein unabwendbares Ereignis liegt i.S. des § 1 II 2, 3 HaftpflG dann vor, wenn der Unfall weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeuges, der Anlage der Schienenbahn oder auf einem Versagen ihrer Vorrichtungen beruht, sondern wenn er durch das Verhalten des Geschädigten oder eines Dritten verursacht worden ist und sowohl der Betriebsunternehmer als auch die bei ihm beschäftigten Personen jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet haben.

a) Im vorliegenden Fall hat die Bekl. die ihr obliegende Pflicht zur Sicherung des Bahnüberganges verletzt. Sie hatte zwar den Bahnübergang i.S. des § 11 III EBO in zulässiger Weise durch Blinklichter "technisch" gesichert.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster Instanz geht auch der Senat davon aus, daß die LZA wie auch die akustische Warnanlage zum Zeitpunkt des Unfalls störungsfrei in Betrieb war. Die Bekl. zu 1) war zu weiteren technischen Sicherungsmaßnahmen - auch wenn hier auf Halbschranken und Schranken verzichtet wurde - nicht verpflichtet (vgl. Finger, EisenbahnG, 6. Aufl. (1970), § 11 EBO Anm. 1). Dies gilt unabhängig davon, daß sich bei dem vorliegenden Bahnübergang nach Auffassung des Senats die Installation von Schranken oder Halbschranken wegen der örtlichen Verhältnisse, des allein auf den Übergang eingegrenzten Sichtfeldes, der Nähe der Wohnbebauung und der Einbindung des Gleiskörpers in das Stadtgebiet eine weitergehende technische Sicherung aufdrängen mußte. Die Bekl. zu 1) hatte die Anlage aber gerade wegen dieser Umstände besonders sorgfältig zu überwachen. Dies betraf nicht nur die technische Funktionsfähigkeit der Anlage selbst, dazu gehörte auch die Überwachung des Bahnübergangs im Hinblick auf die Kontrolle der Erkennbarkeit der LZA für den Fahrverkehr, zu dessen Schutz sie diente.

Die Sicht auf die LZA war hier jedoch wesentlich und unfallursächlich beeinträchtigt.

Unstreitig war das am rechten Fahrbahnrand aufgestellte Blinklicht bei Annäherung aus Fahrtrichtung der Frau St nicht einsehbar. Dies ergibt sich aus den vorliegenden Lichtbildern vom Zustand des am rechten Fahrbahnrand stehenden Bewuchses. Selbst bei Annäherung bis auf weniger als 20m war das rechte Blinklicht teilweise verdeckt, und zwar so, daß insb. die Sicht auf den Leuchtkörper selbst eingeschränkt war. Erst 10m vor dem Übergang lag für einen Kraftfahrer freie Sicht vor. Infolgedessen fiel die Warnfunktion, die die rechts aufgestellte Anlage bewirken sollte, bei der Annäherung nahezu weg.

Die auf der linken Seite aufgestellte Warnblinkanlage war ebenfalls nicht in der Weise erkennbar, daß sie den Sicherungsanforderungen genügte. Hierzu hat das von dem Senat ergänzend eingeholte, mündlich erstattete Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. Sch ergeben, daß die von links in den Fahrbahnbereich der v.-G.-Straße ragende Belaubung eines Baumes das Blinklicht in der Mitte der Tafel aus der Sicht eines sich nähernden Fahrzeugführers 30m vor dem Bahnübergang vollständig abdeckte... Die Sicht auf die Blinkanlage wurde auch bei einem Abstand von nur 20m nach den Darlegungen des Sachverständigen nicht besser. Die freie Sicht auf beide Anlagen rechts und links des Bahnüberganges in einem Abstand von ca. 10m konnte die beabsichtigte und gebotene Funktion der Warnung vor dem querenden Zug nicht mehr erfüllen. Dafür sind folgende von dem Sachverständigen überzeugend dargelegte Erwägungen maßgebend:

Die Lokomotive fuhr nach Rückrechnung der Bremsverzögerung und der Endstellung mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h, die auf dieser Strecke auch zugelassen war. Wegen der auf den engen Bereich des Bahnübergangs beschränkten Einsichtsmöglichkeit der Frau St konnte sie die Lok selbst nicht kommen sehen. Sie tauchte also plötzlich auf. Frau St fuhr mit einer Geschwindigkeit von mindestens 30 km/h und war infolgedessen mindestens 230m von dem Übergang entfernt, als das Blinklicht anging. Die rechte LZA war wegen des Bewuchses nicht erkennbar und, wie dargelegt, auch nicht das linke Blinklicht, das bis zur Annäherung auf 30m in ihrem Sichtfeld lag und bis zu dieser Position hätte wahrgenommen werden müssen, um rechtzeitig zu reagieren. Ohne Sichtbehinderung waren beide Anlagen erst in einem Abstand des Kfz von 10m zum Bahnkörper einwandfrei zu sehen. Der Bereich, der von einem Kraftfahrer fixiert wird, und auf den er sein Fahrverhalten einrichtet, entspricht der Strecke, die er in 3 bis 5 Sek. zurücklegt. Dies bedeutete bei einer hier anzunehmenden Geschwindigkeit von 10m pro Sekunde (= 36 km/h), daß die Ampel wesentlich früher erkennbar sein mußte, als 10m vor dem eigentlichen Übergang. Ihre wesentliche Warnfunktion erfüllt die LZA demnach bei einem Abstand von 30 bis 40 m. In diesem Bereich wäre dann bei einer scharfen Bremsung der Unfall noch vermieden worden. Frau St hat aber nicht stark gebremst, weil Blockierspuren nach dem Unfall nicht sichtbar waren. Eine plötzliche Angleichbremsung aus einer Entfernung von 15m, die hier nach den übrigen Feststellungen allenfalls denkbar ist, konnte den Unfall nicht mehr verhindern.

Daraus folgt, daß die Kraftfahrerin das Blinken bei Annäherung an den Übergang nicht gesehen hat. Für sie muß die Lok plötzlich und völlig unvorbereitet aufgetaucht sein. Daß sie trotz wahrgenommenem Blinklicht die Bahngleise überqueren wollte, ist vernünftigerweise auszuschließen. Jeder Kraftfahrer weiß, daß er ein hohes Risiko bei einem solchen Verhalten eingeht, weil im Falle einer Kollision wegen der enormen Aufprallenergie schwerste Unfallfolgen sicher zu erwarten sind. Gerade dann, wenn die Bahnstrecke rechts und links des Überganges nicht einsichtig ist, wird das Risiko eines Unfalls nicht übernommen.

Andererseits ist zu berücksichtigen, daß Frau St die Örtlichkeit kannte und wußte, daß ein mit Blinklicht gesicherter Bahnübergang vorlag. Sie muß demnach, wie auch der Beifahrer für sich in erster Instanz bekundet hat, das Blinklicht nicht gesehen haben. Die festgestellte Einsichtsmöglichkeit bei einer Annäherung bis auf 10 m trat jedenfalls zu spät ein, da die Mutter des Kl. in dieser Situation ihr Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig zum Anhalten bringen konnte. Da aber keine Bremsspuren feststellbar waren, ist anzunehmen, daß ihr das Blinklicht vor dem Unfall auch nicht aus dieser Entfernung aufgefallen ist, weil es, wie sich aus den Darlegungen des Sachverständigen ergibt, nicht mehr in dem von ihr primär beobachteten Sichtfeld lag.

Die dargelegte Abdeckung der linken LZA war darüber hinaus auch aus zwei weiteren Gründen besonders heimtückisch. Aus den vorliegenden, von dem Sachverständigen ausgewerteten Fotos, ergibt sich, daß die besonders wichtige, linke LZA nicht vollständig durch Laub verdeckt war, sondern nur teilweise und zwar vor allem in dem mittleren Bereich, in dem sich die Leuchte befindet. Der untere Bereich der Tafel mit dem weißen Rahmenanstrich war dagegen sichtbar. Dies konnte für den sich nähernden Kraftfahrer, der zwar die Tafel, nicht aber das Blinklicht sah, leicht den falschen Eindruck erwecken, daß eben keine Zugfahrt angezeigt würde. Für Frau St muß diese falsche Erwartung deshalb besonders naheliegend gewesen sein, weil sie mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut war und weil sie wußte, daß nur wenige Züge dort durchfahren. Deshalb war ihr auch das Zuwachsen des linken Blinklichts bis zu dem Zeitpunkt des Unfalls noch nicht aufgefallen.

Der weitere Grund besteht darin, daß die Blinkleuchte durch rotblättriges Laub verdeckt war, welches das darunterliegende rote Blinklicht in stärkerem Maße als grünes Laub absorbierte und kaum reflektierendes Licht, wie das etwa bei einer grünen Belaubung der Fall ist, freigab.

Alle Umstände zusammengenommen haben nach Überzeugung des Senats bewirkt, daß Frau St arglos in den Bereich des Bahnüberganges gefahren ist. Wäre die LZA - wie erforderlich - deutlich zu sehen gewesen, hätte die Fahrzeugführerin rechtzeitig gebremst und den Zug abgewartet. Die unzureichende Einsichtsmöglichkeit auf die technische Sicherung war daher unfallursächlich.

b) Die Bekl. zu 1) hat auch schuldhaft gehandelt. Bei derart eng begrenzten Einsichtsmöglichkeiten auf eine kreuzende Eisenbahn mußte die Bekl. zu 1) besonders auf die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Sicherungsanlage nicht nur in technischer Hinsicht sondern auch in ihrer Wirkungsweise achten. Sie mußte wissen, daß rechts und links der Fahrbahn Bäume und Sträucher standen, deren Wachstum geeignet war, der technischen Sicherung die Wirkung zu nehmen oder sie auch nur zu beeinträchtigen. Das Maß der Verdeckung der rechten Blinkanlage zeigt, daß sie diese Möglichkeit nicht bedacht und schon längere Zeit vernachlässigt hatte. Es war auch nicht jenseits aller Erwartung, daß der Laubaustrieb des rotblättrigen Baumes dazu führte, daß die linke Blinkanlage verdeckt würde. Vielmehr war nach der Größe des Baumes, seiner Position und seines Wachstums bei aufmerksamer und sorgfältiger Überwachung vorhersehbar, daß Zweige in das Sichtfeld ragen würden. Dabei war auch die von der Farbe des Laubes ausgehende Besonderheit abzusehen.

Die Bekl. zu 1) konnte sich auch nicht ausschließlich auf die Warnfunktion der aufgestellten Andreaskreuze verlassen. Diese allein waren hier unzureichend, weil es der technischen Sicherung nach § 11 III EBO bedurfte. Der Bekl. zu 1) ist besonders vorzuwerfen, daß sie nach dem hier vorliegenden Umfang der technischen Sicherung - unter Verzicht auf Schranken - die dann ganz besonders wichtige ständige Überwachung der Anlage und ihrer Warnfunktion unterlassen hat. Dabei lag es auf der Hand, daß es bei Beeinträchtigungen der technischen Warnung wegen der allein auf den Bahnübergangsbereich eingeschränkten Sichtmöglichkeit zu Unfällen mit schweren Folgen kommen konnte.

Das gleicht gilt im Hinblick auf die Bewertung der Warnfunktion durch akustische Signale. Diese Signale sind primär nicht zum Schutz der Kraftfahrer, die aus vielerlei Gründen leicht das Läuten überhören können, ausgelegt; ihre Bedeutung besteht insb. im Hinblick auf eine zusätzliche Warnung von Fußgängern, Zweiradfahrer aber auch Kraftfahrern, denen zur Verhinderung groben Eigenverschuldens die unmittelbar bevorstehende Annäherung des Schienenfahrzeuges angezeigt werden soll.

2. Auch die Bekl. zu 2) hat die ihr obliegenden objektiven Sorgfaltspflichten schuldhaft verletzt.

a) Die Bekl. zu 2) ist für die von Frau St befahrene Straße als Straßenbaulastträger verkehrssicherungspflichtig. Danach hat die Bekl. zu 2) für die Sicherheit des Straßenverkehrs und die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu sorgen und muß die Straße in einem verkehrssicheren Zustand erhalten. Dies umfaßt auch den Schutz der Benutzer vor Gefahren, die durch Straßenbäume oder in den Straßenraum ragenden Bewuchs verursacht werden können. Grundsätzlich sind daher die Sichtbeeinträchtigungen durch in den Straßenraum ragende Bäume zu verhindern bzw. zu beseitigen (BGH, NJW 1980, 2194ff.). Darüber hinaus gilt allgemein, daß aufgestellte Verkehrsschilder und Warneinrichtungen zum Schutze des Verkehrs für diesen stets deutlich sichtbar bleiben müssen, damit sie ihren Zweck erfüllen können. Die Bekl. zu 2) ist daher grundsätzlich gehalten, etwa sichtbehindernde Äste und Zweige zu entfernen (OLG Bamberg, VersR 1970, 910ff.).

b) Ohne Erfolg beruft sich die Bekl. zu 2) darauf, sie sei neben der Bekl. zu 1) für die Verkehrssicherung am Bahnübergang nicht zuständig. Diese Auffassung wird auch nicht durch § 14 EKrG und dessen Systematik im Hinblick auf die jeweilige Art der Sicherung gestützt. Nach § 14 I EKrG hat an Eisenbahnkreuzungen der Eisenbahnunternehmer die Anlagen in Betrieb zu halten und zu unterhalten, die i.S. des § 11 EBO Eisenbahnanlagen sind. Soweit es sich um Straßenanlagen handelt, hat der Träger der Straßenbaulast diese Pflicht auf seine Kosten zu erfüllen.

Zutreffend weist die Bekl. zu 2) auch darauf hin, daß die Sichtflächen rechts und links der Bahnstrecke zu den Straßenanlagen gehören, die in den Zuständigkeitsbereich des Straßenbaulastträgers fallen, wenn keine technische Sicherung des Bahnüberganges vorliegt, § 11 II EBO. Daraus kann im Gegensatz zur Auffassung der Bekl. zu 2) jedoch nicht geschlossen werden, die Gemeinde treffe dann keine Pflicht zur Verkehrssicherung, wenn die Wirkung einer technisch intakten Sicherungsanlage der Bahn gestört ist, weil es bei solchen Sicherungsanlagen nicht des Freihaltens einer Sichtfläche i.S. des § 11 II EBO bedarf. Der Senat hat bereits in einer früheren Entscheidung ausgeführt (vgl. VersR 1982, 558f.), daß das EKrG die Verwaltungszuständigkeit der beteiligten Baulastträger, insb. die Verteilung der Kostentragungspflicht regele, nicht dagegen Verkehrssicherungspflichten selbständig begründe oder ausschließe. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest (a.A. Marschall/Schweinsberg, EisenbahnbenutzungsR, 4. Aufl., § 14 Anm. 3 S. 157).

§ 14 EKrG enthält nämlich keine Regelungen über die Verteilung von Verkehrssicherungspflichten. Die Haftung für die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht beruht auf anderen, von diesem Gesetz unabhängigen Grundlagen. Grundsätzlich ist nämlich derjenige, der den Verkehr an bestimmten Örtlichkeiten eröffnet, für die verkehrssichere Beschaffenheit des Bereichs verantwortlich. Ihn trifft die Pflicht, bei Gefahrenquellen die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zum Schutze anderer zu treffen und vermeidbare Gefahrenlagen zu neutralisieren.

Ebenso wie die Bekl. zu 1) haftet danach auch die Bekl. zu 2) im Interesse der Sicherung des Straßenverkehrs und hat bedrohliche Umstände an Bahnübergängen zu beseitigen. Sie hatte im vorliegenden Fall in eigener Verantwortung dafür zu sorgen, daß die von der Bekl. zu 1) betriebene Warnanlage uneingeschränkt zu sehen war. Die Bekl. zu 2) konnte sich nicht darauf verlassen, die Bekl. zu 1) werde jederzeit für die Sicherheit der Anlage sorgen und den Bahnübergang insgesamt umfassend - auch im Hinblick auf die hier wirksamen Ursachen des Unfalls -überwachen. Allein die Zulassung des Straßenverkehrs in diesem Bereich begründet danach ihre Pflicht zur Kontrolle des Bahnübergangs und zur Gefahrenabwehr.

c) Im Hinblick auf die Feststellung des der Bekl. zu 2) vorwerfbaren Verhaltens gelten im übrigen die dargelegten Erwägungen zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme, wie sie zur Haftung der Bekl. zu 1) ausgeführt sind.

3. Die Bekl. haften dem Kl. als Gesamtschuldner im Umfang von 2/3 des ihm entstandenen Unterhaltsschadens, §§ 844 II, 254 I BGB; §§ 1, 5 I 2 HaftpflG.

a) Der Schadensersatzanspruch des Kl. ist um den der getöteten Frau St zuzurechnenden Eigenverantwortungsanteil vermindert, § 254 I BGB, § 1 II HaftpflG. Unabwendbarkeit i.S. des § 7 II StVG liegt nicht vor. Frau St hat durch eigenes Verschulden dazu beigetragen, daß es zu dem Unfall gekommen ist. Denn bei der Einhaltung der in ihrer Lage gebotenen Vorsicht hatte sie die LZA besonders aufmerksam zu beobachten. Ihr mußte auffallen, daß die rechte, vor allem aber die linke Blinkanlage teilweise verdeckt war. Demgemäß mußte sie ihre Fahrgeschwindigkeit so einstellen, daß sie zu dem Zeitpunkt, als der Blick auf die Rotlicht zeigende Ampel frei war, sofort anhalten konnte. Dies war in einem Abstand von 10 bis 15m jedenfalls möglich. Hätte sie auf die jedenfalls links erkennbare LZA geachtet und festgestellt, daß diese im mittleren Bereich der Tafel verdeckt war, hätte sie, wie sich aus den Darlegungen des Sachverständigen Sch ergibt, entsprechend reagieren können.

Dazu war sie auch verpflichtet. Nach § 19 I StVO, § 11 II EBO hat der Eisenbahnverkehr Vorrang vor dem Straßenverkehr. Dies war auch durch die entsprechenden Warnbaken und das jedenfalls auf der linken Seite deutlich erkennbare Andreaskreuz angezeigt (§ 19 I Nr. 1 StVO).

b) Der Senat teilt auch die Auffassung des LG, daß sich der Verkehrsteilnehmer bei unbeschrankten Bahnübergängen gem. § 19 I 2 StVO nur mit mäßiger Geschwindigkeit dem Gleiskörper nähern darf und die Vorsicht um so größer sein muß, je unübersichtlicher die Strecke ist. Dem LG konnte jedoch bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge im Rahmen von § 254 I BGB, § 1 II HaftpflG nicht gefolgt werden. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge ergibt vielmehr, daß die Schadensteilung im Verhältnis 2:1 zugunsten des Kl. gerechtfertigt ist.

Dafür ist maßgebend, daß im vorliegenden Fall die erste Ursache für den Unfall darin liegt, daß Frau St aus den dargelegten Gründen das Warnblinklicht leicht übersehen konnte. Sie wurde durch den Augenschein - bei sicherlich oberflächlicher Betrachtung der LZA - getäuscht. Die häufige Benutzung des in der Nähe ihrer Wohnung liegenden Bahnüberganges ohne querenden Schienenverkehr und die arglose Annahme, durch erkennbares Rotlicht rechtzeitig gewarnt zu werden, ließen die konkreten, im Verantwortungsbereich der Bekl. liegenden Umstände für die Mutter des Kl. zu einer Falle werden, deren Gefahren bei gehöriger Sorgfalt zwar noch beherrschbar gewesen wären, aber eben auch die hier an den Tag gelegte Sorglosigkeit erst auslösten.

Auf Grund der den Kraftfahrern an Bahnübergängen nach § 19 StVO obliegenden Sorgfaltspflichten ist es in der Regel auch gerechtfertigt, bei Unfällen an ungesicherten oder schlecht übersehbaren Bahnübergängen dem Kraftfahrer den wesentlichen oder gar alleinigen Verantwortungsanteil zuzumessen (vgl. etwa OLG Celle, VersR 1984, 790; OLG Nürnberg, VersR 1985, 891; OLG Frankfurt, VersR 1986, 998). Dies kann aber dann nicht gelten, wenn nach dem äußeren Eindruck der Kraftfahrer bei der Annäherung dazu verleitet wird anzunehmen, es komme kein Schienenfahrzeug, weil er an der vorhandenen Blinkanlage ein Rotlicht nicht gesehen hat.

c) Die Bekl. haften in Höhe der auf sie entfallenden einheitlichen Quote als Gesamtschuldner. Zwar sind die Bekl. Nebentäter im Hinblick auf die Verursachung des Unfalls. Die in ihren Verantwortungsbereich fallende Gefahr haben sie jeweils selbständig gesetzt, indem die freie Sicht auf die Blinkanlage nicht gewährleistet war. Der jeweilige Verursachungsbeitrag der Bekl. zu 1) und der Bekl. zu 2) wiegt im Verhältnis zu dem der Mutter des Kl. gleich schwer. Dies ergibt sich daraus, daß die den Bekl. vorwerfbare Pflichtverletzung inhaltlich gleich ist und sich jeweils in derselben Gefahrenlage manifestiert hat. In einem solchen Fall handelt es sich um eine faktische Haftungseinheit der Bekl. Die von den Bekl. unabhängig voneinander gesetzte Schadensursache ist jeweils dieselbe, die zusammen mit dem Mitverursachungsbeitrag der Mutter des Kl. den Unfall ausgelöst hat. In diesem Falle ist es nicht gerechtfertigt, im Wege der Gesamtabwägung der Einzelbeiträge bei der Verursachung des Schadens den Geschädigten über die Quote hinaus besser zu stellen, weil auf der Geschädigtenseite mehrere Personen für ein und denselben Schadensfall verantwortlich sind (vgl. insgesamt dazu Steffen, DAR 1990, 41ff. m.w. Nachw. unter Bezug auf die Rspr. des BGH). Nur dann, wenn sich die von mehreren gesetzten Gefahren auf ihrem Weg zum Schaden addiert haben, die nebentäterschaftliche Beteiligung an der Schadensursache also zu einer besonderen Gefährlichkeit geführt hat, ist es nach dieser Auffassung, der sich der Senat anschließt, gerechtfertigt, die Beteiligung nicht in einer Zurechnungseinheit zusammenzufassen und den Geschädigten durch einen im Ergebnis höheren Anspruch, als er ihn im Falle der Einzelabwägung hätte, zu begünstigen. Dies ist aber in Fällen wie dem vorliegenden, in denen mehrere Personen die Pflicht zur Beseitigung einer bestehenden Gefahr verletzt haben, nicht geboten (vgl. Steffen, DAR 1990, 41ff.).

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

HaftpflG §§ 1, 5; BGB §§ 839, 254; EKrG § 14; EBO § 11; StVO § 19