KfZ-Haftplicht bei Autounfall unter Alkohol

Gericht

OLG Oldenburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

26. 06. 1997


Aktenzeichen

8 U 210/96


Leitsatz des Gerichts

Zu den Voraussetzungen und der Bemessung des Mitverschuldens eines verletzten Kraftfahrzeuginsassen wegen seiner Kenntnis von vorausgegangenem Alkoholgenuss des Fahrzeugführers.

Tatbestand

Aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, ob die klagende Berufsgenossenschaft vollständigen Ersatz oder - wegen Mitverschuldens ihres Mitglieds W an seinen Verletzungen - nur zwei Drittel ihrer Aufwendungen verlangen kann. W war am 29. 5. 1991 nach Arbeitsschluss kurz vor 17.00 Uhr als Mitinsasse im Pkw seines Arbeitskollegen R, der das Fahrzeug lenkte, auf der Heimfahrt. Zwischen W und I geriet das Fahrzeug ins Schleudern und prallte gegen mehrere Bäume. Bei diesem Unfall wurde W schwer verletzt. Beim Fahrzeugführer R wurde zum Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 1,13‰ festgestellt. Die unfallbedingten Verletzungsfolgen von W und die damit zusammenhängenden Heilbehandlungsaufwendungen der Kl. für ihr Mitglied in einer Größenordnung von zwischenzeitlich mehreren hunderttausend DM sind zwischen den Parteien unstreitig. Die Bekl. erstattete als Haftpflichtversicherin des Unfallfahrzeugs zwei Drittel dieser Aufwendungen. Die Erstattung des letzten Drittels lehnt die Bekl. unter Hinweis auf ein entsprechendes Mitverschulden Ws ab. Mit der Klage macht die Kl. dieses Drittel unter Beschränkung auf einen Teilbetrag von 61 000,- DM geltend.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass W kein Mitverschulden am Unfall treffe. W habe sich nicht aufdrängen müssen, dass R fahruntüchtig gewesen sei. Jener habe zuvor zwei Flaschen Bier getrunken, wovon W nichts gewusst habe. Alkoholgenuss sei für den Unfall auch nicht kausal gewesen. R habe die verrutschte und unter dem Gaspedal festgeklemmte Fußmatte zurückziehen wollen und sich deshalb kurz nach unten gebeugt.

Die Bekl. hat vorgetragen, die bei zur Unfallzeit festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1,13‰ rühre daher, dass dieser gemeinsam mit Arbeitskollegen vor Fahrtantritt zwei Kisten Bier geleert habe. Dass R in großem Umfang Bier getrunken habe, sei für W erkennbar gewesen, da dieser bis zum Trinkende ständig mit R zusammen gewesen sei.

Die Zivilkammer LG hat der Klage nach Beweiserhebung stattgegeben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Bekl.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Kl. hat über die von der Bekl. zu zwei Dritteln erstatteten Aufwendungen hinaus keine weitergehende Ansprüche, weil ihr Mitglied W, dessen Ansprüche auf sie übergegangen sind, seine Verletzungen zu einem Drittel mitverschuldet hat.

Vertraut sich ein Mitfahrer einem Fahrzeugführer an, obwohl er dessen alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen können, trifft ihn an seinen Verletzungen, die er durch einen anschließenden alkoholbedingten Unfall erleidet, ein Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB (BGH, NJW 1988, 2365, 2366 mit weit. Nachw. ). So liegt der Fall hier. Unstreitig hatte der Fahrzeugführer R zum Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 1,13‰. Bei gehöriger Sorgfalt hätte das Mitglied der Kl. die dadurch bedingte Fahruntüchtigkeit erkennen und rechtzeitig von seiner Mitfahrt Abstand nehmen können.

R hat als Zeuge vor dem Senat ebenso wie schon vor dem LG eingeräumt, nach der Arbeitsschicht auf dem Parkplatz gemeinsam mit Arbeitskollegen aus zwei Kisten so viel Bier getrunken zu haben, dass seine Blutalkoholkonzentration schließlich 1,13‰ betrug. Nach seiner Aussage hatte er zuvor im Betrieb keinen Alkohol zu sich genommen. Seinen Bierkonsum auf dem Parkplatz hat er auf insgesamt vier oder fünf 0,33-Liter-Flaschen geschätzt. W sei eine oder anderthalb Stunden dabeigewesen.

R hat nach dem Eindruck des Senats versucht, die Ereignisse auf dem Parkplatz trotz der seitdem vergangenen Zeit von nahezu sechs Jahren wahrheitsgemäß wiederzugeben. Erinnerungslücken - auch wegen seines damals genossenen Alkohols - sind dabei unausweichlich. In Anbetracht der festgestellten Blutalkoholkonzentration von 1,13‰ stellen vier oder fünf 0,33-Liter-Flaschen die Mindest-Trinkmenge dar. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Blutalkoholkonzentration allein durch das Trinken auf dem Parkplatz zustande gekommen ist, - R mithin nicht bereits zuvor alkoholische Getränke zu sich genommen hatte. Auch die Zeugen A, H und D haben das Alkoholverbot im Betrieb hervorgehoben. Mag dieses Alkoholverbot nach der Aussage des Zeugen D "schon mal“ übertreten worden sein, so wird es doch - wie der Zeuge H bekundet hat - normalerweise eingehalten. Vorliegend gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass R am fraglichen 29. 5. 1991 trotz des Alkoholverbots bereits zuvor im Betrieb alkoholische Getränke zu sich genommen hatte. Als er sich während des ca. zwei Stunden dauernden Beisammenseins eine Blutalkoholkonzentration von 1,13‰ antrank, war W mindestens eine Stunde lang mit dabei. Der Senat ist davon überzeugt, dass ihm in dieser Zeit der Alkoholkonsum Rs nicht entgangen war. Denn die Zeugen A, H, und D haben wahrgenommen, dass R mitgetrunken hatte. Ebenso hat der Zeuge P, dessen Aussagen vor dem LG und der Polizei der Senat im Einverständnis mit den Parteien urkundenbeweislich verwertet hat, bemerkt, dass R vier Flaschen und der nachher schwerverletzte W vier bis fünf Flaschen Bier getrunken hatte. Vor der Polizei hat sich der Zeuge P, der ebenso wie W Mitinsasse im Pkw Rs war, zu dessen anschließender Fahrweise dahin geäußert, dass R vor dem Unfall bereits einmal kurz nach rechts auf den Seitenstreifen geraten sei, wobei noch nichts passierte. Erst danach - als R beabsichtigt habe, ein vorausfahrendes Fahrzeug zu überholen -, sei der Pkw außer Kontrolle geraten, habe angefangen zu schleudern, sei nach links von der Fahrbahn abgekommen, gegen einen Baum gestoßen, habe sich mehrmals überschlagen und sei dann nochmals gegen einen Baum gestoßen.

Durch diese Aussage ist die Behauptung der Kl. widerlegt, Rs Alkoholgenuss sei für den Unfall nicht kausal gewesen, weil er sich nur kurz nach unten gebeugt habe, um die verrutschte, unter dem Gaspedal festgeklemmte Fußmatte zurückzuziehen und dadurch von der Straße abgekommen sei. Abgesehen davon, dass W wegen des beobachteten Alkoholkonsums Rs schon vor Fahrtantritt von seinen Mitfahrplänen hätte Abstand nehmen müssen (vgl. OLG Oldenburg, r + s 1988, 133), hätte er darüber hinaus sogleich nach dem ersten kurzen Abkommen von der Fahrbahn zum Anhalten auffordern müssen, um dessen Pkw zu verlassen. Dass er dies vergeblich getan habe, behauptet die Kl. nicht.

Mithin hat W seine schweren Unfallverletzungen dadurch, dass er sich wissentlich dem alkoholbedingt fahruntüchtigen R anvertraut hat, mitverschuldet. Sein Mitverschulden ist allerdings geringer zu bewerten als jenes Rs, der in erster Linie die Pflicht hatte, sich nach dem gemeinschaftlichen Trinken vor Fahrtantritt über seine Fahrtüchtigkeit Rechenschaft abzulegen. Demnach hat die Kl. für ihr Mitglied W ein Drittel der diesem entstandenen und noch entstehenden Aufwendungen selbst zu tragen.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

BGB § 254