Einheit der Kreuzung trotz breiten Mittelstreifens
Gericht
OLG Köln
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
16. 09. 1996
Aktenzeichen
8 U 17/96
Ein Kraftfahrer muss besonders auf den Querverkehr achten und mit Anhaltsbereitschaft fahren, wenn er beim Umschalten von Grün auf Gelb in einer weitläufige, unübersichtliche Kreuzung mit getrennten Richtungsfahrbahnen einfährt. Den Kraftfahrer trifft eine Mithaftung von einem Drittel, wenn ein anderer Kraftfahrer des Querverkehrs unter Missachtung des Nachzüglervorrangs mit fliegendem Start in die Kreuzung hinein fährt.
Der Bekl. fuhr mit seinem Lkw beim Umschalten von Grün auf Gelb auf der L.-Straße in K. in die Kreuzung mit dem sog. Parkgürtel ein, dessen Richtungsfahrbahnen durch einen ca. 20 m breiten Mittelstreifen getrennt sind. Auf der jenseitigen Richtungsfahrbahn kollidierte er mit dem Pkw des Kl., der beim Umschalten auf Grün mit fliegendem Start in die Kreuzung einfuhr.
Auf den in Höhe von 19240,51 DM geltend gemachten Schaden des Kl. zahlte der Haftpflichtversicherer des Bekl. 10000 DM. Die auf vollen Ersatz des materiellen Schadens gerichtete Klage hatte in 1. und 2. Instanz keinen Erfolg.
a) Zutreffend hat das LG angenommen, daß der Bekl. den Unfall nicht dadurch verschuldet hat, daß er - wie der Kl. meint - unter Verstoß gegen das Zeichen 205 dem Kl. die Vorfahrt nahm.
Das auf der L.-Straße im Bereich des Mittelstreifens des Parkgürtels in Fahrtrichtung des Bekl. unmittelbar vor der von dem Kl. befahrenen Fahrbahn befindliche Zeichen 205 war durch die in der L.-Straße befindliche Lichtzeichenanlage, die der Lkw vor der Einfahrt in die Kreuzung passierte, nach § 37 I StVO außer Kraft gesetzt. Nach dieser Bestimmung gehen Lichtzeichen vorrangregelnden Verkehrsschildern vor. Der Senat verkennt nicht, daß sich die Ampel - unstreitig - mehr als 40 m von dem Verkehrszeichen entfernt jenseits der in Richtung Ehrenfeld führenden Fahrbahn des Parkgürtels befand und daß der Ampel ausweislich der polizeilichen Skizze ein Zeichen 205 unmittelbar räumlich zugeordnet war, während das hier in Rede stehende weitere Zeichen 205 in dem Straßenstück, das den Mittelstreifen des Parkgürtels durchschneidet, weder zu der erwähnten noch einer sonstigen Ampel in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang steht. Die Rechtsfolge des § 37 I StVO erfaßt indes nicht nur diejenigen Verkehrsschilder, die in unmittelbarer räumlicher Nähe der Lichtzeichenanlage angebracht sind. Maßgebend ist vielmehr der für jeden Verkehrsteilnehmer erkennbare Sinn der Lichtzeichenanlage, für einen reibungslosen Verkehrsfluß zu sorgen. Deshalb kann der Verkehrsteilnehmer, der bei Grün in eine Kreuzung einfährt, regelmäßig davon ausgehen, daß er die Kreuzung zügig durchfahren darf und muß. Dementsprechend durfte der Bekl., für den die in der L.-Straße vor der Kreuzung befindliche Ampel Grün zeigte, grundsätzlich darauf vertrauen, daß er den gesamten Kreuzungsbereich einschließlich der in Richtung M.-Gürtel führenden Fahrbahn des Parkgürtels zügig durchfahren dürfe und müsse.
Der Kl. macht demgegenüber geltend, die L.-Straße bilde mit den beiden Richtungsfahrbahnen des Parkgürtels je eine gesonderte Kreuzung, so daß die Ampel in der L.-Straße in Fahrtrichtung des Lkw nur für die erste, das an der Ecke vor der Gegenfahrbahn des Parkgürtels befindliche Zeichen 205 dagegen für die zweite Kreuzung gelte. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
Richtig ist lediglich, daß jede Lichtzeichenanlage nur die Kreuzung regelt, an der sie angebracht ist (Jagusch/Hentschel, StraßenverkehrsR, 33. Aufl., § 37 StVO Rdnr. 38 m.w. Nachw.). Dem Bekl. fiele daher ein Verstoß gegen das Zeichen 205 zur Last, wenn es sich nicht um eine, sondern um zwei - nacheinander zu überquerende - Kreuzungen handelte. Dies ist aber nicht der Fall.
Die von dem Kl. ins Feld geführte (zutreffende) Definition, wonach unter einer Kreuzung nur die Schnittfläche zweier oder mehrerer sich schneidender Fahrbahnen verschiedener Straßen zu verstehen ist, die sich jenseits, u.U. seitlich versetzt, fortsetzen, sagt nichts darüber aus, ob die Schnittfläche beide durch einen Mittelstreifen getrennten Fahrbahnen einer Straße umfaßt oder nicht.
In Fällen, in denen die beiden durch einen Mittelstreifen voneinander getrennten Fahrbahnen einer Straße von einer anderen Straße gekreuzt werden, geht der BGH grundsätzlich vom Vorliegen einer (einzigen) Kreuzung aus, die in ihrer Gesamtheit durch die vorhandene Lichtzeichenanlage geregelt wird (vgl. BGH, NJW 1971, 1407; 1977, 1394).
Aus der von dem Kl. zitierten Rechtsprechung und Literatur ergibt sich nichts anderes. Im Gegenteil: Der von dem Kl. erwähnten Entscheidung des OLG Hamburg (DAR 1973, 82) lag ein Fall zugrunde, in dem der Grünstreifen - wie hier - 20 m breit war, die beiden Fahrbahnen (Einbahnstraßen) aber sogar unterschiedliche Straßennamen trugen. Gleichwohl hat das OLG Hamburg das Vorliegen zweier Kreuzungen verneint und entschieden, daß - wie im Streitfall - die in der die beiden Fahrbahnen kreuzenden Straße an der Ecke vor der ersten zu querenden Fahrbahn befindliche Ampel (auch) das an der Ecke vor der zweiten zu querenden Fahrbahn befindliche Zeichen 205 außer Kraft setzt. Hierzu hat es ausgeführt: Ob ein Straßenzug mehrere dicht beieinander liegende Straßen im Rahmen einer einzigen Kreuzung quere, könne nur nach den jeweiligen örtlichen Verhältnissen entschieden werden. Dafür sei zunächst von Bedeutung, daß der eine Straßenzug Einbahnstraße in Richtung stadtauswärts, die andere Einbahnstraße in Richtung stadteinwärts sei. Diese Regelung des Verkehrsflusses deute schon darauf hin, daß tatsächlich eine einzige Straße mit zwei getrennten Fahrbahnen in gegenteiliger Fahrtrichtung gekreuzt werde. Hinzu komme, daß diese beiden Fahrbahnen dicht beieinander lägen und an dieser Stelle nicht durch eine Bebauung, sondern nur durch einen Grünstreifen voneinander getrennt seien. Daraus ergebe sich für den Fahrzeugführer, der diesen Straßenzug kreuze, der Eindruck, daß er eine einzige große Kreuzung mit zwei verschiedenen Fahrbahnen eines querenden Straßenzuges vor sich habe. Dieser Eindruck werde noch dadurch verstärkt, daß der Kraftfahrer vor der Einfahrt in diese große Kreuzung eine Lichtzeichenanlage vorfinde. Gegenüber diesen Tatsachen trete der Umstand, daß das Zeichen 205 nicht unmittelbar an der Lichtzeichenanlage angebracht sei, zurück. Deshalb könne der Kraftfahrer, der den Straßenzug mit den beiden Fahrbahnen quere, darauf vertrauen, daß die in Betrieb befindliche Lichtzeichenanlage für den gesamten Kreuzungsbereich gelte und demzufolge das Zeichen 205 an der Ecke vor der zweiten Fahrbahn durch die Lichtzeichenanlage gemäß § 37 I StVO außer Kraft gesetzt sei.
Dieser überzeugenden Argumentation schließt sich der Senat an. Sie gilt auch für den hier zu beurteilenden Sachverhalt. Das auf dem Mittelstreifen des Parkgürtels befindliche U-Bahn-Gebäude (U-Bahn-Eingang) ändert nichts daran, daß der Parkgürtel aus der Sicht der Verkehrsteilnehmer bei objektiver Betrachtungsweise eine einzige Straße mit mehreren Fahrbahnen darstellt und daß der Bereich, in dem der Straßenzug L.-Straße/G.-Straße den Parkgürtel kreuzt, als eine einzige Kreuzung begriffen wird.
Unter den genannten Umständen hat der Bekl. nicht gegen das Zeichen 205 verstoßen.
b) Er hat auch nicht die in der L.-Straße vor der Kreuzung befindliche Ampel passiert, während diese Rotlicht zeigte. Die erstinstanzliche Beweisaufnahme hat für ein derartiges Verhalten des Bekl. keinen Anhaltspunkt ergeben ...
c) Dem Bekl. fällt indes ein unfallursächlicher und schuldhafter Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht (§ 1 StVO) zur Last. Denn er hätte - unabhängig von dem Zeichen 205 - auf den Querverkehr achten und ihm Vorrang einräumen müssen. Denjenigen, für den bei einer Kreuzung die Ampel Grünlicht zeigt, entbindet das Grünlicht - wie in § 37 II Nr. 1 StVO ausdrücklich geregelt - nicht von der Sorgfaltspflicht (Jagusch/Hentschel, § 37 StVO Rdnr. 45). Eine unübersichtliche Kreuzung darf insbesondere von Nachzüglern auch bei Grün nur vorsichtig mit Anhaltebereitschaft durchfahren werden (Jagusch/Hentschel, aaO). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Im Streitfall war die Kreuzung wegen ihrer Breite und wegen der Sichtbehinderung durch den U-Bahn-Eingang unübersichtlich; der Bekl. passierte mit dem Lkw nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme, insbesondere der Aussage des Zeugen H, die Ampel in deren später Grünphase, als sie gerade auf Gelb umschlug. Auch dann, wenn die Ampel ungewöhnlich weit vor der kreuzenden Fahrbahn (hier: vor der Fahrbahn in Richtung M.-Gürtel) steht, muß der bei Grün bzw. Gelb noch Durchfahrende bei Anfahren des Querverkehrs, den er beachten muß, vor der Kreuzung warten und darf die Kreuzung nicht vor diesem durchfahren (Jagusch/Hentschel, aaO). Gegen diese Grundsätze hat der Bekl. verstoßen, und zwar unabhängig davon, ob er, wie der Kl. nunmehr behauptet, nach links abbiegen oder ob er geradeaus fahren wollte.
d) Aus den vom LG angegebenen Gründen trifft indes den Kl. an dem Unfall ein Mitverschulden. Entgegen § 36 I 2 StVO, wonach Verkehrszeichen den Verkehrsteilnehmer nicht von seiner Sorgfaltspflicht entbinden, hat der Kl. den Nachzüglervorrang nicht beachtet, sondern ist trotz der Unübersichtlichkeit der Kreuzung bei beginnender Grünphase gleichsam mit fliegendem Start weitergefahren.
In tatsächlicher Hinsicht folgt der Senat der überzeugenden Beweiswürdigung des LG. Das Argument des Kl., ein Abbremsen habe sich verboten, weil dadurch ein Auffahrunfall hätte verschuldet werden können, ist nicht stichhaltig; denn bei beginnender Grünphase muß jeder Verkehrsteilnehmer damit rechnen, daß der Vorausfahrende im Interesse der Nachzügler aus dem Querverkehr seine Geschwindigkeit vermindert und erforderlichenfalls sogar anhält. Der Kl. hat den Unfall auch dann schuldhaft mitverursacht, wenn der Bekl. nach links abbiegen wollte; denn die Sorgfaltspflicht gegenüber Nachzüglern schützt auch Linksabbieger (vgl. BGH, NJW 1971, 1407f.).
Beide Fahrer haben den Unfall somit fahrlässig verursacht.
e) Wenn man die Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Unfallbeteiligten gem. § 254 BGB gegeneinander abwägt, überwiegt der Beitrag des Kl. nach Auffassung des Senats nicht derart, daß der Kl. verpflichtet wäre, den gesamten Schaden allein zu tragen. Vielmehr haftet der Bekl. in Höhe eines Drittels des materiellen Schadens, während der Kl. zwei Drittel zu tragen hat, und zwar unabhängig davon, ob der Bekl. nach links abbiegen oder aber geradeaus fahren wollte.
Achtet weder der bei Grün Anfahrende noch der in der Kreuzung verbliebene Nachzügler auf den Querverkehr, so haftet in der Regel wegen des Vorrechts des Nachzüglers der bei Grün Anfahrende höher. Dies gilt auch dann, wenn es sich um einen "fliegenden Start" handelt (Jagusch/Hentschel, § 37 StVO Rdnr. 45). In vergleichbaren Fällen hat auch der BGH eine Haftungsverteilung von einem Drittel zu Lasten des Nachzüglers und zwei Dritteln zu Lasten des anderen nicht für unangemessen gehalten (vgl. BGH, NJW 1971, 1407 (1408); 1977, 1394 (1396)).
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen