Anerkennung von Bildungsabschlüssen der ehemaligen DDR

Gericht

BVerwG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

10. 12. 1997


Aktenzeichen

6 C 10/97 (Frankfurt/Oder)


Leitsatz des Gerichts

  1. Art. 37 I 2 EinigungsV stellt eine unmittelbare bundesrechtliche Anspruchsgrundlage für die Feststellung der "Gleichwertigkeit" z.B. von Fachschulabschlüssen der ehemaligen DDR mit einem Abschluß dar, der an einer Vorläufereinrichtung von Fachhochschulen in den alten Bundesländern erworben wurde; gegen die Kompetenz des Bundes zur Vereinbarung dieser Regelung bestehen keine Bedenken (vgl. BVerfGE 84, 133 (148) = NJW 1991, 1667).

  2. Bei der Auslegung von Art. 37 EinigungsV ist zu beachten, daß es sich um eine staatsvertragliche Regelung handelt, in die die beiderseitigen Interessen der Vertragschließenden eingegangen sind und die die Zusammenführung der Bevölkerung der alten Bundesländer und des Beitrittsgebiets sowie die Angleichung der Lebensverhältnisse in der nunmehr gemeinsamen Bundesrepublik Deutschland zum Ziel hatte.

  3. Für die Feststellung der "Gleichwertigkeit" i.S. von Art. 37 I 2 EinigungsV genügt die Feststellung der "Niveaugleichheit" des fraglichen Abschlusses; diese setzt in erster Linie die formelle und funktionale Gleichheit der Ausbildung in dem betroffenen Berufsfeld und inhaltlich eine fachliche Annäherung voraus; eine besondere Ausrichtung der Ausbildung auf das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der ehemaligen DDR steht, wenn nicht spezielle Vorschriften etwas anderes vorsehen, der Feststellung der "Gleichwertigkeit" nicht entgegen.

  4. Die Feststellung der "Gleichwertigkeit" bildet i.V. mit Art. 3 I GG zugleich die Grundlage für eine entsprechende Nachdiplomierung.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. schloß 1983 eine dreijährige Fachschulausbildung in der Fachrichtung "Sozialistische Betriebswirtschaft des Gesundheits- und Sozialwesens" an der Fachschule für Gesundheits- und Sozialwesen "Prof. Dr. Karl Gelbke" Potsdam mit dem Zeugnis über den "Fachschulabschluß" vom 31. 8. 1983 ab; damit erwarb sie die Berechtigung, die Berufsbezeichnung "Ökonom" zu führen. Anschließend war sie in der ehemaligen DDR in verschiedenen Betrieben auf dem Gebiet des Rechnungs- und Finanzwesens tätig. Auf ihren Antrag vom September 1988 erhielt sie im Oktober 1989 die Genehmigung zur Ausreise aus der DDR. Ein Antrag der Kl. vom Februar 1990 beim Ministerium für Wissenschaft und Kunst des Landes Baden-Württemberg, ihren Fachschulabschluß einem Abschluß als "Diplom-Betriebswirtin (FH)" in der Bundesrepublik gleichzustellen, wurde mit Bescheid vom 28. 5. 1990 mit der Begründung abgelehnt, dem stünden die unterschiedlichen Wirtschaftssysteme sowie die damit verbundenen unterschiedlichen Studieninhalte entgegen. Nach Beratung durch die Otto-Benecke-Stiftung und mit deren Förderung absolvierte die Kl. sodann ein einjähriges Vollzeit-Ergänzungsstudium im Fach Betriebswirtschaft an der Export-Akademie Baden-Württemberg, einer Einrichtung der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft R. Dieses schloß sie im März 1992 mit der Gesamtnote 2,5 ab; in dem ihr erteilten Zertifikat vom 19. 3. 1992 wird u.a. festgestellt, daß die Prüfungen gemäß dem Anforderungsprofil der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft R. erfolgt seien. In der Folgezeit war die Kl. in H. als Prüfungsassistentin und Steuersachbearbeiterin tätig. Im August 1992 beantragte sie beim Bekl. die Anerkennung ihres Fachschulabschlusses als Fachhochschulabschluß "Diplom-Betriebswirtin (FH)". Dies lehnte der Bekl. ab. Im Mai 1994 beantragte die Kl. erneut die Anerkennung ihres Fachschulabschlusses als Fachhochschulabschluß und wies dabei darauf hin, daß bisher ihr einjähriges Zusatzstudium an der Export-Akademie Baden-Württemberg nicht berücksichtigt worden sei. Gegen den ablehnenden Bescheid des Bekl. vom 9. 6. 1994 erhob die Kl. Klage mit dem Antrag, den Bekl. zu verpflichten, ihr die Berechtigung zur Führung der Bezeichnung "Diplom-Betriebswirtin (FH)" zuzuerkennen. Das VG wies die Klage ab. Nachdem auch die Berufung zurückgewiesen wurde, hat die Kl. Revision eingelegt.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Die zulässige Revision ist mit der Maßgabe begründet, daß unter Abänderung der Urteile des OVG sowie des VG und unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids des Bekl. dieser zu verpflichten ist, zum einen die Gleichwertigkeit des Fachschulabschlusses der Kl. mit einem Abschluß festzustellen, der an einer Vorläufereinrichtung von Fachhochschulen in den alten Bundesländern erworben wurde (1), und zum anderen der Kl. die Berechtigung zur Führung der Bezeichnung "Diplom-Betriebswirtin (FH)" zuzuerkennen (2).

1. Das angefochtene Urteil, mit dem das BerGer. das klagabweisende Urteil des VG bestätigt hat, verletzt Bundesrecht, Art. 37 I 2 EinigungsV sowie Art. 3 I GG. Nach diesen Vorschriften hat die Kl. zunächst einen Anspruch auf Feststellung der "Gleichwertigkeit" ihres an der Fachschule für Gesundheits- und Sozialwesen "Prof. Dr. Karl Gelbke" Potsdam erworbenen Abschlusses mit einem Abschluß, der an einer Vorläufereinrichtung von Fachhochschulen in den alten Bundesländern erworben wurde. Soweit das BerGer. - in Übereinstimmung mit dem VG - ausdrücklich und näher begründet zwar die Niveaugleichheit des Abschlusses der Kl. mit entsprechenden Abschlüssen in den alten Bundesländern bejaht, jedoch gemeint hat, dies genüge nicht zur Feststellung der Gleichwertigkeit i.S. von Art. 37 I 2 EinigungsV, kann ihm aus den nachfolgend dargelegten Gründen nicht gefolgt werden.

a) Zunächst steht die Bestandskraft des früheren ablehnenden Bescheids des baden-württembergischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 28. 5. 1990 einer stattgebenden Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht entgegen. Mit Art. 37 I 2 EinigungsV ist auf staatsvertraglicher und nicht abänderbarer Grundlage eine eigenständige und abschließende bundesrechtliche Anspruchsgrundlage geschaffen worden (vgl. zum abschließenden Charakter etwa des Art. 38 II 3 EinigungsV: BVerwG, Buchholz 111 Art. 38 EV Nr. 1 = LKV 1992, 235). Die Regelung gilt unmittelbar und hat für ihren sachlichen Geltungsbereich die inzwischen aufgehobene bundesrechtliche Regelung des § 92 II, III des Bundesvertriebenengesetzes (= BVFG - i.d.F. der Bekanntmachung v. 3. 9. 1971, BGBl I, 1565) zunächst gleichwertig ergänzt und nach deren Aufhebung durch Art. 1 Nr. 30 des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes vom 21. 12. 1992 (BGBl I, 2094) vollständig ersetzt. Sie begründet einen eigenständigen Anspruch, über den mit dem Bescheid vom 28. 5. 1990 nicht entschieden worden ist, auch nicht entschieden werden konnte. Entscheidungen, die auf einer anderen materiellen Rechtsgrundlage ergangen sind, werden weder durch die Entscheidung nach Art. 37 I 2 EinigungsV tangiert (Senat, BVerwG, Buchholz 111 Art. 37 EinigungsV Nr. 1), noch können sie ihrerseits eine Entscheidung auf der Grundlage des Einigungsvertrages hindern.

b) Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Feststellung der "Gleichwertigkeit" des Abschlusses der Kl. mit einem entsprechenden Abschluß in den alten Bundesländern ist Art. 37 I 2 EinigungsV. Gegen die Gültigkeit dieser Anspruchsgrundlage bestehen auch unter dem Gesichtspunkt der Bundeskompetenz keine durchgreifenden bundesverfassungsrechtlichen Bedenken. Die Kompetenz des Bundes zu den im Falle des Beitritts unaufschiebbaren gesetzlichen Regelungen ergab sich auch für diese Regelung "aus der Natur der Sache" des Art. 23 S. 2 GG (vgl. BVerfGE 84, 133 (148) = NJW 1991, 1667; vgl. im übrigen auch Urt. des Senats v. 10. 12. 1997, LKV 1998, 451 (in diesem Heft)).

Nach Art. 37 I 2 EinigungsV stehen in dem in Art. 3 EinigungsV genannten Gebiet oder in den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin (West) abgelegte Prüfungen oder erworbene Befähigungsnachweise einander gleich und verleihen die gleichen Berechtigungen, "wenn sie gleichwertig sind". Als unbestimmter Rechtsbegriff bedarf der in dieser Regelung enthaltene Begriff "gleichwertig" der rechtlichen Konkretisierung. Die Bestimmung seines Inhalts unterliegt der vollständigen gerichtlichen Nachprüfung, die nicht durch einen behördlichen Beurteilungsspielraum eingeschränkt wird. Dies ist für andere Regelungen, in denen in vergleichbarer Weise an den Begriff "gleichwertig" angeknüpft wird, in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. zu § 92 BVFG: BVerwGE 55, 104; zu § 2 BAföG: BVerwGE 92, 340 (348f.) = NVwZ-RR 1994, 95). Die Verwaltungsgerichte sind danach befugt, den Begriff "gleichwertig" anders auszufüllen, als dies in den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz - KMK - vom 10./11. 10. 1991 (Nr. 1965.1) und vom 6./7. 5. 1993 (Nr. 438) zum Ausdruck gekommen ist. Deshalb ist auch die Auffassung des OVG Weimar in seinem Urteil vom 13. 12. 1995 (bestätigt durch Urt. des Senats ebenfalls v. 10. 12. 1997, LKV 1998, 451 (in diesem Heft)) nicht zu beanstanden, das zu dem Ergebnis gelangt ist, daß - abweichend von der Beurteilung der Kultusministerkonferenz - für die Feststellung der "Gleichwertigkeit" i.S. von Art. 37 I 2 EinigungsV die "Niveaugleichheit" des Abschlusses in der ehemaligen DDR ausreicht. Diese Feststellung setzt keine inhaltlich voll gleichwertigen, sondern lediglich fachlich einander angenäherte Ausbildungen voraus und wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der auf den Abschluß hinführende Studiengang "in besonderer Weise auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche System der DDR bezogen" war. Dafür sprechen folgende Überlegungen:

aa) Wie das BerGer. insoweit zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich der Maßstab für die Bestimmung dessen, was unter Gleichwertigkeit zu verstehen ist, unmittelbar aus dem Einigungsvertrag. In besonderem Maße sind die Ziele zu beachten, die der Einigungsvertrag verfolgt. Dabei darf die besondere historische Situation nicht aus dem Blick geraten, die mit dem Vertrag bewältigt werden sollte. Denn bei der Auslegung der mit einem Staats vertrag geschaffenen Regelung ist - anders als bei einem (einseitig) erlasssenen Gesetz - die beiderseitige Interessenlage zu berücksichtigen. Diese stellt sich wie folgt dar:

Im Bildungsbereich standen die Vertragschließenden vor der Aufgabe, mit den Regelungen des Einigungsvertrages die Zusammenführung der Bevölkerung der alten Bundesländer und der Bevölkerung des Beitrittsgebiets in dem nunmehr gemeinsamen Staats- und Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland für die Zukunft anzubahnen und dafür Mittel und Wege bereitzustellen. Gleichzeitig ging es bei den für diesen Bereich getroffenen Regelungen auch darum, negative wirtschaftliche und berufliche Folgen des Zusammenbruchs des Staats- und Wirtschaftssystems der ehemaligen DDR für die Berufstätigen - soweit notwendig und möglich - zu begrenzen. Für die Vertragschließenden war absehbar, daß der Beitritt zu einem marktwirtschaftlich - im Sinne der sozialen Marktwirtschaft - orientierten Staatssystem für eine große Zahl von Menschen der ehemaligen DDR zwangsläufig und in vielfältiger Hinsicht berufliche Neuorientierungen erfordern würde. Dies mochte freiwillig geschehen, um neue, sich bietende Chancen zu ergreifen, dies konnte aber auch erzwungen sein, weil Arbeitsplätze einigungsbedingt verlorengingen oder alsbald verlorenzugehen drohten. Dies betraf alle Altersschichten, junge und alte Menschen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Berufsanfänger handelte oder um Berufstätige mit jahre- oder gar jahrzehntelanger Berufserfahrung in ihrem Fach.

Bei Abschluß des Einigungsvertrages war ebenso absehbar, daß diese Vielschichtigkeit und die Dimension des Neuanfangs sich in einer hohen Zahl beruflich motivierter Abwanderungen aus dem Beitrittsgebiet in die alten Bundesländer niederschlagen und außerdem die Gefahr einer hohen Arbeitslosenquote im Beitrittsgebiet mit sich bringen würden. Entsprechend vielgestaltig mußten die Wirkungen der in Art. 37 I 2 und 3 EinigungsV vorgesehenen Anerkennungsentscheidung sein. Dies übersieht das BerGer., wenn es in so nicht zutreffender Anknüpfung an die Rechtsprechung zu § 92 BVFG (vgl. BVerwG 55, 104 (110)) meint, das Anerkennungsverfahren sei "ein Mittel, um für alle - insbesondere junge - Menschen die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu fördern und zu sichern". Für viele, insbesondere für die älteren Menschen, ging es nämlich um einen Wettbewerb mit ungleichen Startchancen. Die Anerkennung mußte daher mehr bewirken als nur die optimale "Einpassung" der in der ehemaligen DDR erworbenen Abschlüsse in das gestufte System der bundesdeutschen Bildungs- und Ausbildungslandschaft zwecks Herstellung einer nur formalen Chancengleichheit im beruflichen Wettbewerb. Ein solcher - diese Anforderung mißachtender - Vertragswille ist dem Einigungsvertrag nicht zu entnehmen und auch den Vertragschließenden nicht zu unterstellen.

Erst recht war der Einigungsvertrag nicht auf einen mittelbaren Zwang zur - vorhergehenden - Nachholung von Bildungsabschlüssen für den erst anschließend aufzunehmenden Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt angelegt; denn es standen unübersehbar in großer Zahl fortgeschrittene berufliche Lebensläufe auf dem Spiel, die aus den genannten Gründen unversehens in Frage gestellt waren. Hier galt es, die systembedingten Nachteile beim Start in den Wettbewerb soweit irgend vertretbar auszugleichen. Das hat im Vertragstext seinen Niederschlag gefunden: Die Vertragsparteien haben es nicht einfach bei der Regelung belassen, daß die in der DDR erworbenen oder staatlich anerkannten schulischen, beruflichen und akademischen Abschlüsse oder Befähigungsnachweise im Beitrittsgebiet weitergelten sollten (Art. 37 I EinigungsV), sondern sie haben zusätzlich Gleichstellungsregelungen getroffen. So wurden Prüfungszeugnisse nach der Systematik der Ausbildungsberufe und der Systematik der Facharbeiterberufe sowie Abschlußprüfungen und Gesellenprüfungen in anerkannten Ausbildungsberufen, ungeachtet aller möglichen Unterschiede, unmittelbar durch den Einigungsvertrag " einander gleichgestellt" (Art. 37 III EinigungsV). Auch der hier in seiner Auslegung umstrittene Art. 37 I 2 EinigungsV spricht davon, daß Prüfungen und Befähigungsnachweise, wenn sie gleichwertig sind, " einander gleichstehen". Das Ziel einer bloßen "Einpassung" in das Bildungs- und Ausbildungssystem der alten Bundesländer zur Gewinnung eines einheitlichen Maßstabes für Bewertungen der Abschlüsse als solcher läßt sich daher auch aus dem Wortlaut des Art. 37 EinigungsV nicht ableiten.

Erst der Blick auf die gegenseitige (gemeinsame) Interessenlage erhellt auch, was die Denkschrift zum Einigungsvertrag in der Begründung des Art. 37 EinigungsV (BT-Dr 11/7760, S. 355 (374f.)) sagen will. Darin heißt es:

"Die Vereinigung der beiden Staaten in Deutschland macht auch Regelungen erforderlich, die Freizügigkeit und Durchlässigkeit zwischen Bildungssystemen und Bildungsgängen ermöglichen, die Mobilität in jeder Richtung fördern und die Gleichheit der Lebensverhältnisse auf längere Sicht garantieren. Dies setzt in ganz besonderem Maße die gegenseitige Anerkennung und Gleichstellung von Abschlüssen und Befähigungsnachweisen voraus. Art. 37 sieht die dazu notwendigen Regelungen vor ...

Demokratie und soziale Marktwirtschaft machen in dem beitretenden Gebiet Weiterbildung in einer völlig neuen Dimension erforderlich. Sie ist das Instrument, um die Bildungsinhalte, die für die aktive Gestaltung der neuen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung erforderlich sind, möglichst rasch an möglichst viele Bürger heranzutragen. Weiterbildungsmaßnahmen müssen dazu beitragen, das gegenseitige Kennenlernen zu fördern sowie die gemeinsame Gestaltung der Zukunft in einem vereinigten Deutschland zu ermöglichen."

Die Betonung der Gegenseitigkeit und der Verweis auf das auch durch Art. 106 III 4 Nr. 2 GG vorgegebene Ziel der Herstellung einer Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im nunmehr gemeinsamen Bundesgebiet verdeutlichen, daß es nicht um eine bloße "Eingliederung", sondern um eine Zusammenführung mit langfristigen Zielsetzungen ging. Darüber hinaus kommt die Erkenntnis zum Ausdruck, daß der gemeinsame Neuanfang notwendig ist und in großer Zahl von der Grundlage von in der DDR erworbenen Ausbildungen ausgehen muß, die - gesehen mit speziellem Blick auf die neue Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung - mit ihren Bildungs- und Ausbildungsinhalten in der einen oder anderen Hinsicht mehr oder weniger Defizite aufweisen, die erst durch Weiterbildung überwunden werden können. Über das Niveau der bisherigen Ausbildungen besagt dies freilich noch nichts. Jedoch wird erkennbar, daß in den geschilderten Dimensionen eine Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit zu Zwecken der Weiterbildung vor einer Anerkennung und Gleichstellung von Abschlüssen nicht gewollt war.

In dieser Situation, in der der Einigungsvertrag geschlossen wurde und in die er hineinwirken sollte, war kein Platz für eine "absolute Chancengleichheit" (so aber KMK-Beschluß v. 6./7. 5. 1993, 1. Allgemeine Grundsätze, 4. Abs.). Wenn Defizite in der bisherigen Ausbildung zunächst durch Weiterbildung aufgeholt werden müßten, wenn eine Vielzahl älterer Arbeitsloser sich vorab einer Zusatzausbildung mit abschließender Prüfung unterziehen müßte, um auf dem enger werdenden Arbeitsmarkt mit jüngeren, systemkonform ausgebildeten Wettbewerbern konkurrieren zu können, könnte von einer realistischen "Chancengleichheit" ohnehin kaum die Rede sein. Ein Wettbewerb mit unterschiedlichen Startvorgaben eröffnet nicht schon allein mit Blick auf die künftig gleichen Wettbewerbsregeln Chancengleichheit. "Absolute Chancengleichheit" gar, was immer man darunter an Verbesserung gegenüber einer "einfachen" Chancengleichheit verstehen mag, insbesondere Gleichheit in bezug auf die Realisierung von Chancen in einem gemeinsamen Neuanfang, kann nicht durch einen formellen Akt, wie ihn die Feststellung der Gleichwertigkeit nach "objektiven Maßstäben" darstellt, hergestellt werden. In der beim Abschluß des Einigungsvertrages vorhersehbaren Situation mußte und muß Chancengleichheit vielmehr erst individuell und aus der beruflichen Tätigkeit heraus erarbeitet werden. Dies wiederum war und ist ohne vorhergehende Ausgleichung übergangsweise fortwirkender, systembedingter Benachteiligungen praktisch nicht zu erreichen. Zur bildungs- und ausbildungsmäßigen Zusammenführung in der nunmehr gemeinsamen Bundesrepublik Deutschland bedurfte und bedarf es daher einer "Gleichstellung" von Abschlüssen in anderer Weise. Es muß genügen, ein "Ausbildungsniveau" zu bescheinigen, das auch bei der Aufnahme neuer beruflicher Betätigung im weiteren fachlichen Feld, in dem der Abschluß erworben wurde, nach entsprechenden individuellen Bemühungen um die Beseitigung vorhandener Defizite eine Einarbeitung in die beruflichen Anforderungen erwarten läßt.

Etwas anderes mag für Abschlüsse gelten, die unmittelbar zu Berufen befähigen, deren Ausbildungsvoraussetzungen zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter - wie z.B. Volksgesundheit oder Volksbildung - durch den Staat reglementiert sind. Hier bedurfte es entsprechender spezialgesetzlicher Sonderregelungen, die in und mit dem Einigungsvertrag gesondert getroffen worden sind. Im übrigen aber, für die Qualifikation zu den meisten Berufen, die in der freien Wirtschaft ausgeübt werden, kam und kommt es auf konkrete Aussagen zur inhaltlichen Gleichwertigkeit mit Abschlüssen in den alten Bundesländern erfahrungsgemäß nicht an. Denn wenn es in der freien Wirtschaft dem Arbeitgeber im Einzelfall um bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten geht, die er bei der Einstellung als sofort vorhanden voraussetzt, so wird er sich nicht mit der Bescheinigung der inhaltlichen Gleichwertigkeit einer entsprechenden Ausbildung begnügen, sondern sich selbst zuvor konkret davon überzeugen, daß der Bewerber diese Voraussetzungen individuell erfüllt. Ein Zertifikat über einen in der ehemaligen DDR erlangten Abschluß wird unabhängig von seinem konkreten Inhalt diese Überzeugung häufig nicht vermitteln können. Hingegen kann eine Bescheinigung der Gleichwertigkeit des mit einem solchen Abschluß innerhalb des weiteren Betätigungsfeldes erlangten fachlichen Niveaus hilfreich sein, die Erwartung von der Einarbeitungsfähigkeit in den neuen Beruf zu begründen.

bb) Bezeichnend für die Fehleinschätzung der einschlägigen Regelungen im Einigungsvertrag durch die Kultusministerkonferenz (1. Allgemeine Grundsätze, 4. Abs.) ist ferner, daß sie in diesem Zusammenhang von einer "Eingliederung" spricht, obwohl es den Vertragsparteien - wie dargelegt - um eine Zusammenführung in einer nunmehr gemeinsamen Bundesrepublik Deutschland ging. Andererseits hat die KMK (1. Allgemeine Grundsätze, 4. Abs.) zu Recht hervorgehoben, Maßstab für die Bewertung seien der "Eingliederungsgedanke" (richtig: Zusammenführungsgedanke) sowie die "Erwägung, daß an die in der ehemaligen DDR erworbenen Abschlüsse grundsätzlich keine höheren Anforderungen gestellt werden können, als dies im internationalen, insbesondere europäischen Bereich der Fall ist". Die Bewertung der Abschlüsse solle dazu beitragen, "den deutsch-deutschen Integrationsprozeß zu fördern und zu erleichtern", deshalb sei "ein großzügiger Maßstab anzulegen". Dies ist zwar im Ansatz richtig, weil es den Zielen des Eingigungsvertrages entspricht. Die "Großzügigkeit" kann jedoch nicht so gemeint sein, daß Kenntnisse und Fähigkeiten bescheinigt werden sollen, die in Wahrheit nicht vorhanden sind. Deshalb bedeutet eine "großzügige" Feststellung der Gleichwertigkeit etwas anderes; sie beschränkt sich auf eine prognostische Aussage über die Fähigkeit zur selbständigen Einarbeitung in entsprechende Berufe. Diese Aussage wiederum ist auf der Grundlage eines Niveauvergleichs mit Abschlüssen auf dem Betätigungsfeld zu treffen, dem sich der in der früheren DDR erlangte Abschluß zuordnen läßt.

cc) Bei dieser Sicht der Regelung des Einigungsvertrages ist - entgegen der Auffassung des Bekl. sowie auch der Vorinstanzen - kein Raum für eine unterschiedliche Bewertung der verschiedenen Abschlüsse allein danach, in welchem - geringeren oder besonderen - Maß sie auf das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der DDR ausgerichtet waren. Insoweit stimmt der Senat der Auffassung des OVG Weimar in dem bereits angeführten Urteil vom 13. 12. 1995 zu, daß der Einigungsvertrag im Rahmen der Regelung des Art. 37 I 2 hinsichtlich der Feststellung der Gleichwertigkeit von Abschlüssen in der ehemaligen DDR keine Sperre für systemnahe Studiengänge vorsieht. Soweit der Einigungsvertrag diesen Gesichtspunkt - ausnahmsweise - berücksichtigt wissen will, hat er spezielle Regelungen getroffen (vgl. etwa Anl. I Kap. III Sachgeb. A: Rechtspflege, Abschn. III Nr. 8y gg, wonach das an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche erworbene rechtswissenschaftliche Diplom ausdrücklich von der Gleichstellung mit der ersten Staatsprüfung gem. §§ 5 und 6 DRiG ausgeschlossen wird). Eine solche spezielle Regelung läßt sich für den Studiengang der Kl. an der Fachschule für Gesundheits- und Sozialwesen "Prof. Dr. Karl Gelbke" Potsdam nicht feststellen.

dd) Einer Auslegung des Art. 37 I 2 EinigungsV mit dem dargelegten Inhalt steht die Rechtsprechung zum Gleichwertigkeitsbegriff des § 92 II, III BVFG nicht entgegen. Allerdings kann diese vom "Eingliederungs"-Gedanken geprägte Rechtsprechung nur bedingt auf die Regelungen des Einigungsvertrages übertragen werden, bei denen es - wie dargelegt - nicht um individuelle "Eingliederung" in das Berufs- und Wirtschaftsleben der Bundesrepublik alten Zuschnitts, sondern um die "Zusammenführung" der Bevölkerung der alten Bundesländer und der Bevölkerung der ehemaligen DDR in einer gemeinsamen Bundesrepublik Deutschland geht. Abgesehen davon wäre aber auch nach dieser Rechtsprechung für Abschlüsse der hier in Rede stehenden Art die Gleichwertigkeit nicht nach dem Maßstab des Kriteriums der unmittelbaren Berufsbefähigung zu bestimmen gewesen, wie dies die Kultusministerkonferenz im Rahmen des Art. 37 I 2 EinigungsV für erforderlich hält. Denn bei den Abschlüssen, die an den höheren Wirtschaftsfachschulen oder an den Fachhochschulen im Fach Betriebswirtschaft erworben wurden bzw. werden, handelt es sich nicht um solche, die eine rechtliche Voraussetzung für den unmittelbaren Zugang zu einem bestimmten Beruf darstellen. Es handelt sich lediglich um eine für eine unreglementierte berufliche Betätigung in der freien Wirtschaft nützliche Ausbildung. Ohne Hinzutreten weiterer Abschlüsse (z.B. die Prüfung zum Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) vermitteln sie keinen selbständigen Zugang zu einem Beruf, der ohne diese Ausbildung versperrt wäre. Für die Prüfung der Vergleichbarkeit mit in diesem Sinne "nur" nützlichen Abschlüssen galt das Kriterium der unmittelbaren Berufsbefähigung nach der bisherigen Rechtsprechung nicht:

Nach der Auffassung des 8. Senats des BVerwG war auch die Anerkennung nach § 92 II, III BVFG nur ein "Mittel für die Eingliederung, nicht deren Ziel". Mit Blick auf den Eingliederungszweck sollte Maßstab der Anerkennung die Fähigkeit zur selbständigen Einarbeitung innerhalb angemessener Zeit in die neuen beruflichen Anforderungen sein. Als Element der Kontrolle über den Erfolg der notwendigen Einarbeitung sah der 8. Senat den Markt an, "der unzureichende Leistungen meide" (BVerwGE 55, 104 (110f.)).

Diese Grundsätze sind später nicht grundlegend geändert worden. Strengere Anforderungen sind lediglich als "Modifizierung" für Prüfungen gemacht worden, die auf gesetzlicher Grundlage geregelte Ausbildungen abschlossen und von Gesetzes wegen den Zugang zu bestimmten Berufen unmittelbar eröffneten. Dieser strengere Maßstab galt nach der Rechtsprechung des 8. Senats z.B. für die Anerkennung als mit der zweiten juristischen Staatsprüfung gleichwertig (BVerwGE 72, 141 (143) = NJW 1986, 1511) oder nach einer Entscheidung des 9. Senats für die Prüfung der Gleichwertigkeit mit der durch die zahnärztliche Prüfung bescheinigten Verwendbarkeit als Zahnarzt (BVerwG, Buchholz 412.3 § 92 BVFG Nr. 6). Auch der zuletzt zuständig gewesene 9. Senat hat diesen strengeren Maßstab keineswegs generalisiert; vielmehr hat er in anderen Fällen die Befähigung genügen lassen, "sich in angemessener Zeit, gegebenenfalls unter Anleitung, in dem erforderlichen Umfang in die Hauptgebiete" (des neuen Berufsfeldes) "einzuarbeiten" (vgl. dazu BVerwGE 90, 271 (274f.) = NJW 1993, 276). Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Vertragsparteien des Einigungsvertrages hinter diesen Stand der Rechtsprechung, der auch für Übersiedler aus der früheren DDR gegolten hatte, hätten zurückfallen sollen. Die mit dem Einigungsvertrag geregelte Interessenlage wie auch der Gegenseitigkeitsgedanke mit dem Ziel der Zusammenführung in einer nunmehr gemeinsamen Bundesrepublik sprechen vielmehr für das Gegenteil. Auch die Kultusminsterkonferenz scheint einen nahen sachlichen Zusammenhang beider Regelungsbereiche wenigstens insofern gesehen zu haben, als in den schon genannten Beschlüssen Nr. 1965.1 und 438 unter anderem auch "der der bisherigen Bewertungspraxis des Pädagogischen Zentrums Berlin zugrundeliegende Eingliederungsgedanke" herangezogen wird, womit anscheinend der Eingliederungsgedanke des Bundesvertriebenengesetzes gemeint ist. Zwar ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ztureffend darauf hingewiesen worden, daß die im Einigungsvertrag getroffene Regelung eine ganz andere quantitative Dimension gehabt habe, die vom Gesellschafts- und Wirtschaftssystem viel schwieriger aufzufangen gewesen sei als die früher geringere Zahl der Fälle von Vertriebenen. Gerade dies aber hat sich auch für die Betroffenen in einer unversehens auftretenden und oftmals schicksalhaft verschärften Wettbewerbssituation ausgewirkt. Aus der Sicht des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems hingegen handelt es sich nur um eine Übergangserscheinung, deren Probleme sich voraussichtlich mit der Zeit erledigen werden. Hinzu kommt, daß in dieser Übergangssituation einfache Maßstäbe benötigt wurden und werden, die in der Vielzahl der Fälle rasche Entscheidungen ohne großen Ermittlungsaufwand ermöglichen. Dazu ist der bloße "Niveauvergleich" eher geeignet als die aufwendige Ermittlung und Bewertung einzelner Ausbildungsinhalte.

ee) Nach alledem muß es für die Anerkennung der "Gleichwertigkeit" nach Art. 37 I 2 EinigungsV genügen, wenn "Niveaugleichheit" des in der ehemaligen DDR erworbenen Abschlusses, d.h. wenn ein Ausbildungsniveau festgestellt wird, das auch bei der Aufnahme neuer beruflicher Betätigung im weiteren fachlichen Feld, in dem der Abschluß erworben wurde, nach geeigneten individuellen Bemühungen um die Beseitigung vorhandener Defizite eine erfolgreiche selbständige Einarbeitung - ggf. unter Anleitung - in die beruflichen Anforderungen erwarten läßt. Diese Voraussetzungen sind identisch mit denen, unter denen auch der Bekl. nach den Feststellungen des BerGer. die "Niveaugleichheit" mit bestimmten Abschlüssen feststellt:

• Es muß sich um einander fachlich angenäherte Ausbildungen handeln;

• die Bildungseinrichtungen müssen bzw. mußten die gleichen oder zumindest etwa gleichgewichtige Zulassungsvoraussetzungen fordern;

• der Umfang der absolvierten Ausbildung muß bzw. mußte einen ähnlich weitgefaßten Rahmen haben;

• das Ausbildungsangebot muß bzw. mußte niveaugleich strukturiert sein,

• und die Art der Prüfungen sowie der Studienabschluß bzw. der Bildungsabschluß müssen in einem vergleichbaren Verfahren erworben worden sein bzw. erworben werden.

Dabei ist kein strenger, sondern ein eher "großzügiger" Maßstab anzulegen (s. oben zu bb). "Niveaugleichheit" bedeutet hiernach in erster Linie eine formelle und funktionale Gleichheit; inhaltlich setzt sie nur eine fachliche Annäherung voraus. Strengere Anforderungen sind - soweit nicht Sonderregelungen greifen - nur für den Vergleich mit Abschlüssen zu stellen, die einen unmittelbaren Zugang zu einem nach seinen Ausbildungsvoraussetzungen reglementierten Beruf vermitteln. In sonstiger Weise berufsqualifizierende Abschlüsse, zu denen auch der von der Kl. erworbene Abschluß zählt, fallen nicht hierunter.

c) Auf den Fall der Kl. bezogen folgt hieraus, daß sie aus Art. 37 I 2 EinigungsV einen Anspruch auf Feststellung der "Gleichwertigkeit" des von ihr an der Fachschule für Gesundheits- und Sozialwesen "Prof. Dr. Karl Gelbke" Potsdam erworbenen Abschlusses mit einem Abschluß hat, der an einer Vorläufereinrichtung von Fachhochschulen in den alten Bundesländern erworben wurde. Wie das BerGer. im angefochtenen Urteil nämlich ausgeführt und der Bekl. nicht in Abrede gestellt hat (vgl. auch das Urt. des erstinstanzlichen VG v. 29. 11. 1995, S. 5), hat das "Niveau" der Fachschulausbildung der DDR konkret in dem von der Kl. studierten Fach "Sozialistische Betriebswirtschaft des Gesundheits- und Sozialwesens" durchaus nicht das einer Ausbildung an höheren Wirtschaftsfachschulen als Vorgängereinrichtungen der Fachhochschulen unterschritten, so daß "Niveaugleichheit" gegeben sei. An die zu dieser Annahme führenden Feststellungen des BerGer. ist das RevGer. gebunden (§ 137 II VwGO).

2. Die Revision ist auch insoweit begründet, wie die Kl. die Verpflichtung des Bekl. begehrt, ihr die Berechtigung zur Führung des Diplomgrades "Diplom-Betriebswirtin (FH)" zuzuerkennen.
Auch dieser Anspruch der Kl. folgt unmittelbar aus Art. 37 I 2 EinigungsV, wonach die in den alten und die in den neuen Bundesländern abgelegten Prüfungen oder erworbenen Befähigungen einander gleichstehen "und die gleichen Berechtigungen (verleihen), wenn sie gleichwertig sind". Zu dieser Regelung hat die Kultusministerkonferenz die Beschlüsse vom 10./11. 10. 1991, vom 26./27. 3. 1992 (Nr. 1965.1) sowie vom 6./7. 5. 1993 (Nr. 438) gefaßt, die u.a. die durch Art. 3 I GG gebotene gleichmäßige Anwendung der Regelung im gesamten Bundesgebiet sichern sollen. Da es sich bei Art. 37 I 2 EinigungsV um Bundesrecht handelt, gehört es auch hinsichtlich der Frage der Nachdiplomierung zu den Aufgaben des RevGer., seine richtige Auslegung und Anwendung durch die von den Ländern gem. Art. 37 I 3 EinigungsV bestimmte "zuständige Stelle" zu überprüfen.

In Umsetzung des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 10./11. 10. 1991 zur Auslegung von Art. 37 I 2 EinigungsV für das Land Brandenburg sieht die Verwaltungsvorschrift - VV - des Ministers für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg vom 8. 1. 1992 (ABl S. 101) in § 2 I 2 vor, daß die in den Anlagen I bis IV aufgeführten, in der ehemaligen DDR erworbenen Abschlüsse den Abschlüssen in den alten Bundesländern nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen gleichstehen. Einschlägig für den von der Kl. geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung der Berechtigung zur Führung des Diplomgrades "Diplom-Betriebswirtin (FH)" (sog. Nachdiplomierung) ist insoweit die Regelung des § 2 V 1 und 3 i.V. mit § 3 III VV und der Anl. IV. Während § 2 V 1 - als notwendige Vorstufe einer "Nachdiplomierung" - die Gleichstellung der in der Anl. IV aufgeführten DDR-Abschlüsse mit den an Vorläufereinrichtungen von Fachhochschulen in den alten Bundesländern erworbenen Abschlüssen bestimmt, sieht § 3 III 1 vor, daß denjenigen, die in der ehemaligen DDR einen der in § 2 V i.V. mit der Anlage IV bezeichneten (und damit gleichgestellten) Fach- oder Ingenieurschulabschlüsse bis zum 31. 12. 1990 erworben haben, die Berechtigung zur Führung des sich aus der Anlage IV ergebenden Grades mit dem Zusatz "Fachhochschule" ("FH") zuerkannt wird. Dies gilt allerdings nur unter der - zusätzlichen - Voraussetzung, daß die Bewerber mindestens drei Jahre "einschlägig berufstätig waren" (vgl. hierzu auch bereits den Beschluß der KMK Nr. 1965.1, unter IV (3)); insoweit stellt § 3 III 2 VV ergänzend klar, daß eine Berufstätigkeit "in der Regel" dann "einschlägig" in diesem Sinne sei, wenn der Absolvent nach dem Erwerb seines Abschlusses "im entsprechenden Berufsfeld" tätig war. Diese Regelungen der Verwaltungsvorschrift stellen eine im Grundsatz zutreffende Interpretation des Art. 37 I 2 EinigungsV dar, auf deren Grundlage zu prüfen ist, ob ein Anspruch auf Nachdiplomierung besteht.

Dies ist bei der Kl. der Fall. Wie nämlich oben unter 1 dargelegt wurde, hat sie zunächst einen Anspruch auf die Feststellung, daß der von ihr an der Fachschule für Gesundheits- und Sozialwesen "Prof. Dr. Karl Gelbke" Potsdam erworbene Abschluß mit einem an einer Vorläufereinrichtung der Fachhochschulen (in den alten Bundesländern) erworbenen Abschluß i.S. von Art. 37 I 2 EinigungsV "gleichwertig" ist. Auch hat sie diesen Abschluß vor dem 31. 12. 1990 erworben. Bei den in der Anlage IV bereits ausdrücklich als gleichwertig anerkannten wirtschaftswissenschaftlichen Abschlüssen in den drei Fachrichtungen "Organisation und Datenverarbeitung in der Ökonomie", "Rechnungsführung und Statistik" sowie "Datenverarbeitung in der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft" besteht kein Zweifel daran, daß die Inhaber dieser Abschlüsse gem. § 3 III 1 VV einen Anspruch auf Nachdiplomierung haben, wenn sie diesen Abschluß vor dem 31. 12. 1990 erworben haben und die zusätzliche Voraussetzung einer mindestens dreijährigen einschlägigen Berufstätigkeit erfüllen. Nach dem oben dargelegten Verständnis der Regelung des Art. 37 I 2 EinigungsV kann dann aber nichts anderes für diejenigen Abschlüsse gelten, die - als jedenfalls "niveaugleich" - ebenfalls den an Vorläufereinrichtungen von Fachhochschulen in den alten Bundesländern erworbenen Abschlüssen "gleichwertig" i.S. von Art. 37 I 2 EinigungsV sind und deshalb gleichermaßen in die Anlage IV zu § 2 V 1 und 3 sowie zu § 3 III 1 VV hätten aufgenommen werden müssen. Dann aber haben die Inhaber dieser Abschlüsse gleichermaßen einen Anspruch auf Nachdiplomierung gem. § 3 III 1 VV, wenn sie die zusätzliche Voraussetzung einer mindestens dreijährigen einschlägigen Berufstätigkeit erfüllen.

Letzteres steht bei der Kl. aufgrund der vom VG getroffenen und vom BerGer. bestätigten tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich der Zeiten ihrer einschlägigen Berufstätigkeit nach ihrem bereits im Jahr 1983 erworbenen Fachschulabschluß in der Fachrichtung "Sozialistische Betriebswirtschaft des Gesundheits- und Sozialwesens" außer Frage. Insoweit hat der Vertreter des Bekl. in der Revisionsverhandlung außerdem ausdrücklich erklärt, daß er bei der Kl. die Voraussetzung einer mindestens dreijährigen einschlägigen Berufstätigkeit sowohl hinsichtlich ihrer Berufstätigkeit in der ehemaligen DDR (nach ihrem Abschluß im Jahr 1983 bis zu ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1989) als auch bezüglich ihrer seitherigen beruflichen Tätigkeit im Gebiet der alten Bundesländer als erfüllt ansieht. Es bedarf unter diesen Umständen nicht der Entscheidung, ob die in § 3 III 1 VV vorausgesetzte mindestens dreijährige einschlägige Berufstätigkeit (noch) in der ehemaligen DDR oder (schon) im Gebiet der alten Bundesländer absolviert worden sein muß oder ob es nicht vielmehr bereits ausreicht, daß jedenfalls insgesamt drei Jahre einschlägiger Berufstätigkeit nachgewiesen sind, gleichgültig, wann und wo diese nach Erwerb des Abschlusses ausgeübt worden ist.

Nach alledem hat die Kl. aus Art. 37 I 2 EinigungsV i.V. mit § 2 V 1 und 3 sowie § 3 III 1 und der Anlage IV der VV der Bekl. vom 8. 1. 1992 einen Anspruch darauf, daß ihr die Berechtigung zur Führung des sich aus der Anlage IV zu § 3 III 1 VV ergebenden Grades mit dem Zusatz "Fachhochschule" ("FH") zuerkannt wird. Zwar sieht die Anlage IV bisher für das Fachgebiet "Wirtschaftswissenschaften" ausschließlich den Grad eines "Diplom-Informatikers", abgekürzt "Dipl.-Inform. (FH)", vor. Dies ist ersichtlich die Konsequenz der - wie dargelegt rechtsfehlerhaften - Auffassung des Bekl., daß im Fachgebiet Wirtschaftswissenschaften allein die Abschlüsse in den bisher in der Anlage IV vorgesehenen drei Fachrichtungen "Organisation und Datenverarbeitung in der Ökonomie", "Rechnungsführung und Statistik" sowie "Datenverarbeitung in der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft" als "gleichwertig" i.S. von Art. 37 I 2 EinigungsV angesehen werden könnten, während bei allen anderen wirtschaftswissenschaftlichen Abschlüssen wegen ihrer besonderen Ausrichtung auf das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der ehemaligen DDR in Ermangelung inhaltlicher Entsprechung eine "Gleichwertigkeit" mit Abschlüssen wegen ihrer besonderen Ausrichtung auf das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der ehemaligen DDR in Ermangelung inhaltlicher Entsprechung eine "Gleichwertigkeit" mit Abschlüssen an Vorläufereinrichtungen von Fachhochschulen in den alten Bundesländern nicht festgestellt werden könne. Sind aber - wie dargelegt - auch die Fachschulabschlüsse in den anderen wirtschaftswissenschaftlichen Fachrichtungen, ihre "Niveaugleichheit" vorausgesetzt, als "gleichwertig" anzuerkennen, und ist für diese Fachrichtungen der Grad eines "Betriebswirts (FH)" üblich und sachgerecht, so hätte in der Anlage IV zu § 2 V 1 und 3 sowie zu § 3 III 1 VV - neben dem Grad eines "Diplom-Informatikers" - auch dieser Grad eines "Betriebswirts (FH)" aufgeführt werden müssen. Danach hat die Kl. aus Art. 37 I 2 EinigungsV i.V. mit § 2 V 1 und § 3 III 1 sowie der Anlage IV der VV vom 8. 1. 1992 einen Anspruch auf Zuerkennung der Berechtigung, den Grad einer "Diplom-Betriebswirtin (FH)" zu führen. Da die Sache auch insoweit spruchreif ist, muß die Klage mit dem Ziel, den Bekl. zu verpflichten, der Kl. die fragliche Berechtigung zuzuerkennen, Erfolg haben.

Ist dem Begehren der Kl. bereits aus diesem Grund stattzugeben, bedarf es nicht mehr der Entscheidung, ob sie einen Anspruch auf Nachdiplomierung auch daraus herleiten könnte, daß sie nach ihrer Übersiedlung in das Gebiet der alten Bundesländer im Jahr 1989 an der Export-Akademie Baden-Württemberg, einer Einrichtung der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft R., ein speziell für Aus- und Übersiedler eingerichtetes einjähriges Vollzeitstudium als Ergänzungsstudium zu ihrer bisherigen Fachschulausbildung absolviert und mit einer Hochschulprüfung abgeschlossen hat. Insoweit ist indessen klarzustellen: Die Regelung des § 2 V 2 VV kann entgegen der Auffassung des BerGer. nicht ausschließen, daß auch diejenigen Bewerber um eine Nachdiplomierung, die - wie die Kl. - auf der Grundlage eines "gleichwertigen" Abschlusses eine mindestens einjährige Zusatzausbildung an einer Hochschule nicht in der ehemaligen DDR, sondern im Gebiet der alten Bundesländer absolviert haben, daraufhin gleichermaßen einen Anspruch auf Nachdiplomierung haben, der ihnen im Rahmen einer Einzelfallentscheidung gem. § 2 VII VV zuzuerkennen wäre. Anspruchsgrundlage für jeglichen Anspruch auf Nachdiplomierung ist nämlich - wie oben dargelegt - nicht die Verwaltungsvorschrift des Bekl., sondern unmittelbar die bundesrechtliche Regelung in Art. 37 I 2 EinigungsV ("und verleihen die gleichen Berechtigungen"; vgl. hierzu auch bereits den Beschluß der Kultusministerkonferenz Nr. 1965.1, unter IV (2)). Die Bundesländer haben diese Regelung zwar im Rahmen des ihnen obliegenden Vollzugs zu interpretieren; sie dürfen sie aber nicht inhaltlich einschränken und müssen bei ihrer Anwendung insbesondere das bundesverfassungsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung, Art. 3 I GG, beachten. Insoweit sind sie auch nicht frei darin, die von ihnen für eine Nachdiplomierung generell für erforderlich gehaltene mindestens einjährige Zusatzausbildung an einer Hochschule wesentlich unterschiedlich zu bewerten, je nachdem, ob diese Zusatzausbildung in der ehemaligen DDR oder im Gebiet der alten Bundesländer absolviert worden ist. Genügt für eine Nachdiplomierung eine solche Zusatzausbildung in der ehemaligen DDR, so kann für eine entsprechende Zusatzausbildung im Gebiet der alten Bundesländer nichts anderes gelten.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

GG Art. 3 I; EinigungsV Art. 37 I 2, 3; BVFG § 92