Sturz im Linienbus
Gericht
OLG Frankfurt
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
15. 04. 2002
Aktenzeichen
1 U 75/01
Bei einem Sturz hat ein Fahrgast jedenfalls dann keinen Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld, wenn er mit einer Bewegung des Busses rechnen musste. Ein Fahrgast muss dafür Sorge tragen, dass er durch typische und zu erwartende Fahrzeugbewegungen nicht zu Fall kommt; beispielsweise indem er sich an geeigneter Stelle festhält.
Die Kl. fuhr am 19. 4. 2000 mit der Linie 1 der SG von G nach R, wobei sie während der Fahrt auf dem Sitzplatz direkt hinter dem Busfahrer saß. Unmittelbar hinter dem Ortseingang R bog der Bus nach rechts ab in Richtung der Haltestelle H-Straße. Die H-Straße weist auch im Bereich der Haltestelle eine Steigung auf. Die Haltestelle H-Straße befindet sich unmittelbar am Anfang der H-Straße. Als der Bus die Haltestelle erreicht hatte, kam die Kl. in dem Bus zu Fall, wobei die Einzelheiten des Unfallhergangs zwischen den Parteien streitig sind. Bei diesem Sturz wurde die Brille der Kl. beschädigt, die Klägerin selbst erlitt eine Kompressionsfraktur LWK 4.
Die Kl. behauptet, nachdem der Bus an der Haltestelle zum Stillstand gekommen sei und dessen Türen geöffnet gewesen seien, sei sie aufgestanden in der Absicht, zum vorderen Ausgang zu gehen. Als sie in der Mitte des Ganges gestanden habe, habe es einen starken Nachruck gegeben. Auf Grund dieses Ruckes und der Neigung des Busses sei die Kl. nach hinten gestürzt und hart mit der Rückseite auf den Boden des Ganges aufgeschlagen, was zu dem zwischen den Parteien unstreitigen Personen- und Sachschaden geführt habe. Die Kl. behauptet weiter, der Nachruck sei dadurch verursacht worden, dass der Bekl. zu 2) zunächst die Handbremse angezogen und dann die Fußbremse losgelassen habe. Sie ist der Ansicht, in diesem Verhalten des Bekl. zu 2) liege eine schuldhafte Verletzung der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht. Hierzu behauptet sie, der Bekl. zu 2) hätte in der steilen H-Straße in Kenntnis dieser Tatsache die Fußbremse nicht loslösen dürfen. Er hätte auch diejenigen Fahrgäste, die nach dem Anhalten des Busses aufgestanden waren, vor einem Nachruck warnen müssen.
Sie selbst hätte mit einem Nachruck unter keinen Umständen rechnen können und müssen. Sie sei von diesem Ruck überrascht worden, so dass sie habe stürzen müssen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. blieb ohne Erfolg.
Die Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagten aus keinem rechtlichen
Gesichtspunkt Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche wegen der Folgen des
Sturzes am 19.04.2000 in dem von dem Beklagten zu 2) gesteuerten Linienbus der
Beklagten zu 1) zu.
Die Klägerin hat wegen der Folgen des Sturzes vom 19.04.2000 keinen Anspruch
auf Schmerzensgeld nach § 847 BGB. Der Sturz beruht nicht auf einer Verletzung
der Verkehrssicherungspflicht, die der Busfahrer gegenüber den Fahrgästen zu
beachten hatte.
Der Beklagte zu 2) hatte den Linienbus der Beklagten zu 1)
ohne Fahrfehler – insbesondere ohne unangemessen heftiges Abbremsen – an der
Bushaltestelle angehalten.
Davon geht auch die Klägerin aus. Auch die von den
Zeugen als „Ruck“ beschriebene Bewegung des Busses unmittelbar im Anschluss an
das Anhalten, die zum Sturz der Klägerin führte, stellt keine Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht dar. Wegen der Sturzgefahr für die Fahrgäste des
Busses war der Beklagte zu 2) verpflichtet, nach dem Anhalten des Busses
Fahrzeugbewegungen zu vermeiden, die nach der Verkehrssituation nicht veranlasst
waren und mit denen die Fahrgäste zu diesem Zeitpunkt oder im Ausmaß der
Heftigkeit nicht rechnen mussten. Von einer derartigen Bewegung des Busses kann
hier nicht die Rede sein. Der Ruck des Busses entstand dadurch, dass der
Beklagte zu 2), nachdem er den Bus im Bereich der Steigungsstrecke mit der
Fußbremse angehalten hatte, die Haltestellenbremse betätigte und – nach
Behauptung der Klägerin – sodann die Fußbremse löste. Die Bewegung des Busses
bei diesem Vorgang wird von den Zeugen als „Ruck, wie ein Bus halt immer so
ruckt“ und als „ein ganz normaler Ruck“ beschrieben. Mit einer derartigen
Fahrzeugbewegung auch bei Stillstand der Räder muss jeder Fahrgast –
insbesondere bei einer Steigungsstrecke – rechnen und selbst für den notwendigen
Halt sorgen, um einen Sturz zu vermeiden.
Eine Haftung der Beklagten ergibt sich auch dann nicht, wenn das von der Klägerin behauptete Lösen der Fußbremse nach dem Betätigen der Haltestellenbremse typischerweise zu einer vermeidbaren Verstärkung der Bewegung der Fahrzeugkarosserie 1 U 75/01 - 3 - führen sollte. Denn im vorliegenden Fall kann eine vermeidbar gewesene und die Sturzgefahr erhöhende Verstärkung der federnden Bewegung des Busses nach dem Anhalten nicht festgestellt werden. Danach ist eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten zu 2), die für die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes vorauszusetzen ist, zu verneinen.
Die Klägerin kann von den Beklagten auch nicht den Ersatz des ihr entstanden
materiellen Schadens verlangen. Ein Ersatzanspruch gegen die Beklagte zu 1) aus
dem entgeltlichen Personenbeförderungsvertrag scheidet mangels Pflichtverletzung
des Beklagten zu 2) aus. Schließlich bestehen auch keine Ersatzansprüche nach
den §§ 7, 8a, 17, 18 StVG. Den Beklagten zu 2) trifft an dem Unfall der Klägerin
– wie ausgeführt – kein Verschulden. Auch aus dem Gesichtspunkt der
Gefährdungshaftung (§ 8a Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 7 StVG) steht
der Klägerin kein Anspruch auf Ersatz des ihr entstandenen materiellen Schadens
zu. Es kann offen bleiben, ob das Unfallereignis auf ein unabwendbares Ereignis
zurückzuführen ist. Selbst wenn man diese Frage verneint, steht der Klägerin
kein Anspruch zu, weil das erhebliche Verschulden der Klägerin eine
Berücksichtigung der Betriebsgefahr des Linienbusses zu Lasten der Beklagten
ausschließt.
Jeder Fahrgast ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich,
dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen des Busses nicht zu Fall
kommt (vgl. auch OLG Köln, Versicherungsrecht 2000, 1120 bis 1121). Hier hätte
die Klägerin mit der von den Zeugen als „Ruck“ bezeichneten Bewegung des Busses
nach dem Anhalten – wie ausgeführt – rechnen müssen. Bei Beachtung der
erforderlichen Sorgfalt hätte die Klägerin ohne weiteres den Sturz verhindern
können. Nach den Angaben bei ihrer Anhörung im Termin am 4.03.2002 stand die
Klägerin im Mittelgang des Busses und lehnte sich hierbei zwar an einen der
Sitze an, unterließ es jedoch, sich mit der freien Hand festzuhalten.
Danach
verdrängt das erhebliche Eigenverschulden der Klägerin am Unfall die Anrechnung
der Betriebsgefahr zu Lasten der Beklagten.
Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen, da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 97 Abs. 1 ZPO). Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts 1 U 75/01 - 4 - ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO n. F.).
Da die Beschwer der Klägerin 20.000 € nicht übersteigt, mithin die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht zulässig ist (§ 26 Nr. 8 EG ZPO) ist das Urteil rechtskräftig. Demgemäß beruht die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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