Gleichbehandlung bei Arbeitslosengeld und Weihnachtsgeld; Regelungen über „Einmalzahlungen“ mit Art. 3 I GG nicht vereinbar

Gericht

BVerfG


Art der Entscheidung

Beschluss über Verfassungsbeschwerde


Datum

24. 05. 2000


Aktenzeichen

1 BvL 14/98; 1 BvL 15/99


Leitsatz des Gerichts

  1. Der Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) gebietet, dass einmalig gezahltes Arbeitsentgelt bei der Berechnung von kurzfristigen beitragsfinanzierten Lohnersatzleistungen, wie beispielsweise Arbeitslosengeld und Krankengeld, berücksichtigt wird, wenn es zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen wird (wie BVerfGE 92, 53 = NZS 1995, 312 = NZA 1995, 752 = NJW 1995, 2279 L).

  2. Das Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vom 12. 12. 1996 (BGBl I, 1859) genügt dieser verfassungsrechtlichen Anforderung nicht.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Vorlagen betreffen die Frage, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt, zum Beispiel Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld, Beiträge zur Sozialversicherung zu erheben, ohne dass es bei der Berechnung von kurzfristigen Lohnersatzleistungen, insbesondere Arbeitslosengeld und Krankengeld, berücksichtigt wird. Die Mittel für die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung werden in erster Linie durch Beiträge der Beschäftigten und ihrer Arbeitgeber aufgebracht. Auch die Bundesanstalt für Arbeit bestreitet den größeren Teil ihrer Aufgaben mit Beiträgen. Die in diesen sozialen Sicherungssystemen aus Beitragsmitteln finanzierten kurzfristigen Lohnersatzleistungen werden nach beitragspflichtigen Arbeitsentgelten berechnet, die in einem bestimmten Bemessungszeitraum angefallen sind. Beitragspflichtiges Arbeitsentgelt sind auch Zuwendungen, die dem Arbeitnehmer nicht als laufendes Entgelt, sondern in der Form von Sonderzahlungen einmalig zufließen, wie das Weihnachts- und Urlaubsgeld oder Urlaubsabgeltungen (vgl. näher BVerfGE 92, 53 [55] = NZS 1995, 312 = NZA 1995, 752 = NJW 1995, 2279 L). Die Grundlage für die Erhebung von Krankenversicherungsbeiträgen auf einmalig gezahltes Arbeitsentgelt bildete in der Zeit vor dem 1. 1. 1989 die Vorschrift des § 385 Ia RVO. Die Vorschrift war auf Grund von Verweisungen auch für die Beiträge zur Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung maßgeblich. Sie wurde mit Wirkung zum 1. 1. 1989 für die Krankenversicherung durch § 227 SGB V ersetzt. Für die Rentenversicherung galt seit dem 1. 1. 1992 die gleich lautende Bestimmung des § 164 SGB VI. Diese Vorschriften hat das BVerfG durch Beschluss vom 11. 1. 1995 (BVerfGE 92, 53 = NZS 1995, 312 = NZA 1995, 752 = NJW 1995, 2279 L) für unvereinbar mit Art. 3 I GG erklärt, soweit danach einmalig gezahltes Arbeitsentgelt zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen wurde, ohne dass es bei der Berechnung sämtlicher Lohnersatzleistungen berücksichtigt wurde. Da § 175 I 2 AFG auf § 227 SGB V verwies, war damit mittelbar auch die Erhebung von Beiträgen auf einmalig gezahltes Arbeitsentgelt im Recht der Arbeitsförderung für unvereinbar mit Art. 3 I GG erklärt. § 227 SGB V und § 164 SGB VI durften nach dieser Entscheidung allerdings bis zu einer Neuregelung, längstens bis zum 31. 12. 1996, weiter angewendet werden. Auf Grund dieses Beschlusses hat der Gesetzgeber das Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vom 12. 12. 1996 (BGBl I 1859; im Folgenden: EinmalzahlungsG) erlassen und es - soweit hier von Belang - am 1. 1. 1997 in Kraft gesetzt. Die beitragsrechtlichen Vorschriften des § 227 SGB V und des § 164 SGB VI wurden aufgehoben. An ihre Stelle ist die inhaltsgleiche Vorschrift des § 23a SGB IV getreten (vgl.Art. 1 Nr. 2 EinmalzahlungsG), die über Verweisungsnormen (§§ 175 I 2, 179 AFG; Art. 4 Nr. 1 lit. a des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung [Arbeitsförderungs-Reformgesetz - AFRG] v. 24. 3. 1997, BGBl I 594) für die Arbeitslosenversicherung und seit ihrer Einführung auch für die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung (Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit [Pflege-Versicherungsgesetz - PflegeVG] v. 28. 5. 1994, BGBl I 1014) gilt. § 23a I SGB IV lautet:

§ 23a. (1) Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt sind Zuwendungen, die dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind und nicht für die Arbeit in einem einzelnen Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt werden. Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt versicherungspflichtig Beschäftigter ist dem Entgeltabrechnungszeitraum zuzuordnen, in dem es gezahlt wird …


Das Leistungsrecht ist durch das Einmalzahlungsgesetz in einem Punkt geändert worden. Durch Art. 2 Nr. 2 EinmalzahlungsG wurde § 47a in das SGB V eingefügt, der für das Krankengeld, das rentenversicherungsrechtliche Übergangsgeld (§ 20 Ia SGB VI) und bis Ende 1997 auch für das Übergangsgeld in der Arbeitslosenversicherung Bedeutung hat (vgl.Art. 6 EinmalzahlungsG). § 47a SGB V hat folgenden Wortlaut:

§ 47a. Zusätzliches Krankengeld. Versicherte haben Anspruch auf zusätzliches Krankengeld, soweit allein wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit einmalig gezahltes Arbeitsentgelt ausfällt und nach § 23a SGB IV beitragspflichtig gewesen wäre. Der Anspruch nach Satz 1 besteht nicht für den Teil des einmalig gezahlten Arbeitsentgelts, der vom Arbeitgeber wegen krankheitsbedingter Zeiten der Arbeitsunfähigkeit gekürzt worden ist oder nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz hätte gekürzt werden können.


Nicht geändert wurden die Berechnungsvorschriften für das Arbeitslosengeld und für die Bemessungsgrundlage des Krankengelds, welche ihrerseits auf Grund entsprechender Verweisungsvorschriften für andere kurzfristige Lohnersatzleistungen maßgeblich sind (Unterhaltsgeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld). In der Arbeitslosenversicherung galt § 112 I 2 AFG in der Fassung des Achten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 14. 12. 1987 (BGBl I, 2602), der folgenden Wortlaut hatte:

§ 112. (1) … Mehrarbeitszuschläge, Arbeitsentgelte, die der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält, sowie einmalige und wiederkehrende Zuwendungen bleiben außer Betracht; dies gilt auch für Zuwendungen, die anteilig gezahlt werden, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Fälligkeitstermin endet.


Mit In-Kraft-Treten des SGB III am 1. 1. 1998 hat diese Vorschrift, soweit sie das einmalig gezahlte Arbeitsentgelt betrifft, in § 134 I SGB III eine Neufassung erhalten, ohne dass damit eine inhaltliche Änderung verbunden ist. Sie lautet nunmehr:

§ 134. (1) Für Zeiten einer Beschäftigung ist als Entgelt nur das beitragspflichtige Arbeitsentgelt zu berücksichtigen. Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind. Außer Betracht bleiben

1. Arbeitsentgelte, die einmalig gezahlt werden, …


Für die Krankenversicherung bestimmt § 47 II 1 SGB V vom 20. 12. 1988 (BGBl I, 2477):

§ 47. (2) Für die Berechnung des Regelentgelts ist das von dem Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum, mindestens das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderte Arbeitsentgelt durch die Zahl der Stunden zu teilen, für die es gezahlt wurde.


In der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zum Einmalzahlungsgesetz (BT-Dr 13/5062, S. 6f.) wird die Neuregelung wie folgt erläutert: Die Regelung sieht vor, dass Einmalzahlungen - anders als nach geltendem Recht - zu einer gegenüber dem Krankengeld höheren Leistung in Form eines zusätzlichen Krankengeldes führen, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer die Einmalzahlung ohne die Arbeitsunfähigkeit von seinem Arbeitgeber erhalten hätte. Sie knüpft damit an den Schutzzweck des Krankengeldes an, (Teil-)Entgeltersatz für das Entgelt (einschließlich eventueller Sonderzahlungen) zu leisten, das der Arbeitnehmer erhalten würde, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht eingetreten wäre…

Dem Ausfallprinzip entsprechend, kommt eine zusätzliche Leistung auf Grund einer Einmalzahlung nur in Betracht, wenn und solange der Arbeitnehmer in einem Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis steht, auf dessen Grundlage ein Anspruch auf Sonderzahlungen bestehen kann. Ein zusätzliches Krankengeld kommt deshalb nicht in Betracht, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht (mehr) in einem Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis steht. Die Neuregelung geht in diesem Falle davon aus, dass mangels eines konkreten Arbeitsvertrags und damit einer konkreten rechtlichen Grundlage keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dem Arbeitnehmer ein wirtschaftlicher Verlust tatsächlich entsteht, der im Rahmen des Ausfallprinzips zu berücksichtigen wäre. Die Neuregelung sieht aus vorstehenden Erwägungen auch keine Berücksichtigung von Einmalzahlungen für arbeitslose Arbeitnehmer vor. Ziel der Lohnersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe) ist es, das Arbeitsentgelt teilweise zu ersetzen, das der Arbeitslose wegen der Arbeitslosigkeit aktuell, also in einer potentiellen neuen Beschäftigung nicht erzielt. Zwar ist das Entgeltausfallprinzip im Recht der Arbeitsförderung in vielfältiger Weise modifiziert und ein Rückgriff auf tatsächlich erzieltes, zurückliegendes Entgelt … unabdingbar. Jedoch gehen diese Regelungen davon aus, dass das so ermittelte, der Leistung zugrundeliegende Bemessungsentgelt das Entgelt repräsentiert, das der Arbeitslose auch künftig erzielen könnte. Diese Vermutung ist in Bezug auf Einmalzahlungen angesichts der derzeitigen Entwicklung in weiten Teilen der Wirtschaft, die auf Kostensenkungen bei den Lohn- und Lohnzusatzkosten gerichtet ist, entgegen den noch zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG absehbaren Entwicklungen, nicht (mehr) gerechtfertigt. Ein Arbeitnehmer, der eine neue Beschäftigung aufnimmt, kann immer weniger damit rechnen, Sonderzahlungen beanspruchen zu können, auf keinen Fall in den ersten Monaten der Betriebszugehörigkeit. Eine Bemessung des Arbeitslosengeldes oder der Arbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung der in einem früheren, möglicherweise bereits länger zurückliegenden Beschäftigungsverhältnis erzielten Einmalzahlungen, würde deshalb künftig - mit steigender Tendenz - die Gefahr bergen, Leistungen bei Arbeitslosigkeit an einem Maßstab auszurichten, der der wirtschaftlichen Realität immer weniger entspricht… In dem Gesetzentwurf wird ferner festgestellt, die Neuregelung des zusätzlichen Krankengelds führe zu Mehrausgaben in nicht bezifferbarer, aber geringer Höhe (vgl. BT-Dr 13/5062, S. 2). Seine Verfassungsmäßigkeit wurde im Gesetzgebungsverfahren, insbesondere im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 11. 1. 1995 (BVerfGE 92, 53 = NZS 1995, 312 = NZA 1995, 752 = NJW 1995, 2279 L), unterschiedlich beurteilt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung [11. Ausschuss], BT-Dr 13/5826, S. 10ff.; Deutscher Bundestag, 13. Wp., 132. Sitzung, Sten.Ber. S. 11937ff.). In dem der Vorlage 1 BvL 1/98 zugrunde liegenden Ausgangsverfahren ist über zwei miteinander verbundene Klagen desselben Kl. zu entscheiden. Sie betreffen die Höhe des Unterhaltsgeldanspruchs und des Arbeitslosengeldanspruchs auf der Grundlage von Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes. Das im Jahr 1996 einmalig gezahlte Arbeitsentgelt von insgesamt 4500 DM wurde bei der Bemessung beider Leistungen nicht berücksichtigt. Nach erfolglosem Vorverfahren erhob der Kl. Klage zum SG Köln, das das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt hat, ob § 112 I 2 AFG in der Fassung des 8. AFG-Änderungsgesetzes vom 14. 12. 1987 mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit einmalige Zuwendungen bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes und Unterhaltsgeldes außer Betracht bleiben. In dem der Vorlage 1 BvL 4/98 zugrunde liegenden Ausgangsverfahren hat das SG Kassel in einer Beitragserstattungsstreitigkeit zwischen einer pflichtversicherten Arbeitnehmerin und ihrer Krankenkasse in deren Funktion als Einzugsstelle nach § 28h SGB IV zu entscheiden. Die Kl. des Ausgangsverfahrens hat bei der Einzugsstelle beantragt, den vom Brutto-Urlaubsgeld abgeführten, vom Arbeitnehmer zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags an sie zurückzuerstatten. Nach erfolglosem Widerspruch hat sie Klage zum SG erhoben, das den Rechtsstreit ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Regelung des § 23a SGB IV mit Art. 3 I GG vereinbar ist, soweit danach bei Versicherten, die neben dem laufenden monatlichen Arbeitsentgelt einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld usw.) erhalten, dieses nach Maßgabe der Abs. 1-5 des § 23a SGB IV generell beitragspflichtige Einnahmen zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie zur Arbeitslosenversicherung darstellt, bei der Berechnung von kurzfristigen Lohnersatzleistungen selbst aber eingeschränkt allein und ausnahmsweise in der Krankenversicherung lediglich nach Maßgabe des § 47a SGB V im Sinne eines zusätzlichen Krankengelds, in der Rentenversicherung nach § 20 Ia SGB VI durch ein zusätzliches Übergangsgeld im Rahmen rentenversicherungsrechtlicher Leistungen zur Rehabilitation sowie in der Arbeitslosenversicherung nach § 59 IIIa AFG durch ein zusätzliches Übergangsgeld im Rahmen arbeitslosenversicherungsrechtlicher Leistungen zur Rehabilitation Behinderter Berücksichtigung findet und bei den übrigen kurzfristigen Lohnersatzleistungen dieser Versicherungszweige (reguläres Krankengeld, Übergangsgeld, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe) insgesamt unberücksichtigt bleibt, während bei der Personengruppe derjenigen, die lediglich aus laufendem Arbeitsentgelt Beiträge zahlen, jedoch ein gleich hohes beitragspflichtiges Jahresarbeitsentgelt wie die Angehörigen der erstgenannten Personengruppe erzielen, die kurzfristigen Lohnersatzleistungen generell aus dem gesamten, der Beitragspflicht unterliegenden, laufenden Arbeitsentgelt bemessen werden. In dem der Vorlage 1 BvL 15/99 zugrunde liegenden Ausgangsverfahren hat das SG Leipzig über die Höhe des Krankengeldanspruchs eines gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmers zu entscheiden. Der Kl. des Ausgangsverfahrens war 1997 arbeitsunfähig erkrankt. Die Bekl. nahm nach der Erschöpfung des arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruchs die Zahlung von Krankengeld auf, berücksichtigte bei dessen Berechnung aber nicht das Weihnachtsgeld. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kl. Klage zum SG, das den Rechtsstreit ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Regelung des § 47 II 1 SGB V in der ab 1. 1. 1997 geltenden Fassung mit Art. 3 I GG vereinbar ist, soweit danach einmalig gezahltes Arbeitsentgelt bei der Berechnung der Höhe des Krankengeldes von Versicherten unberücksichtigt bleibt bzw. einmalig gezahltes Arbeitsentgelt nur nach Maßgabe des § 47a SGB V berücksichtigt wird, obwohl es gem. § 23a SGB IV nach dem 31. 12. 1996 zu Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung herangezogen worden ist, während bei der Personengruppe derjenigen, die lediglich aus laufendem Arbeitsentgelt Krankenversicherungsbeiträge zahlen, jedoch ein gleich hohes beitragspflichtiges Jahresarbeitsentgelt wie die Angehörigen der erstgenannten Gruppe erzielen, das Krankengeld generell aus dem gesamten, der Beitragspflicht unterliegenden, laufenden Arbeitsentgelt bemessen wird.

Das BVerfG hat befunden, dass § 112 I 2 AFG, § 134 I 3 Nr. 1 SGB III, § 47 II 1 SGB V und § 23a SGB IV mit Art. 3 I GG unvereinbar sind, wobei § 23 SGB IV bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 30. 6. 2001, weiter angewendet werden darf.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

B. Die Vorlagen sind zulässig. Die Gerichte sind zutreffend davon ausgegangen, dass das Einmalzahlungsgesetz einen neuen verfassungsrechtlichen Prüfungsgegenstand i.S. des Art. 100 I 1 GG darstellt. Das SG Kassel konnte in dem Verfahren 1 BvL 4/98 die Frage, ob die Beitragsvorschrift des § 23a SGB IV mit dem Grundgesetz vereinbar ist, isoliert vorlegen. Denn eine für verfassungswidrig erachtete Rechtslage, die sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergibt und bei der sich deshalb der etwa bestehende verfassungsrechtliche Mangel durch eine Nachbesserung bei der einen oder der anderen Einzelregelung beheben ließe, kann grundsätzlich anhand jeder der betroffenen Normen zur Prüfung gestellt werden (vgl. BVerfGE 82, 60 [84] = NJW 1990, 2869). An der Entscheidungserheblichkeit der Vorlage in dem Verfahren 1 BvL 1/98 (SG Köln) fehlt es nicht deswegen, weil der für die Bemessung des Unterhaltsgelds und des Arbeitslosengelds maßgebliche Zeitraum vor dem 1. 1. 1997 liegt und damit vor dem Ablauf der im Beschluss des BVerfG vom 11. 1. 1995 angeordneten vorläufigen Weitergeltung der für verfassungswidrig erklärten Vorschriften. Der Kl. des Ausgangsverfahrens hat auch in der Zeit nach dem 1. 1. 1997 Lohnersatzleistungen bezogen. Der Entscheidung des BVerfG ist nicht zu entnehmen, dass das verfassungswidrige Recht auch nach dem 31. 12. 1996 auf solche Lohnersatzleistungen angewendet werden soll, deren maßgeblicher Bemessungszeitraum vor dem 1. 1. 1997 liegt.

C. § 23a SGB IV, § 112 I 2 AFG und § 47 II 1 SGB V sind mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) unvereinbar, soweit danach auf einmalig gezahltes Arbeitsentgelt Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung erhoben werden, obwohl es bei der Berechnung kurzfristiger Lohnersatzleistungen, wie dem Arbeitslosengeld, Unterhaltsgeld und Krankengeld, unberücksichtigt bleibt.

I. Das BVerfG kann von einer inhaltlichen Kontrolle der zur Prüfung gestellten Vorschriften nicht mit der Begründung absehen, diese würden nur Normen wiederholen, die bereits im Beschluss vom 11. 1. 1995 als verfassungswidrig beanstandet wurden (vgl. BVerfGE 96, 260 [263] = NZA 1998, 27). Zwar hat der Gesetzgeber die bestehenden Beitragsregelungen, die einmalig gezahltes Arbeitsentgelt betreffen, unverändert in der Vorschrift des § 23a SGB IV zusammengefasst. Diese Vorgehensweise lag aber im Bereich seines Gestaltungsraums. Er konnte wählen, ob er eine verfassungsgemäße Rechtslage auf der Beitragsseite durch eine Änderung der Beitragsbelastung von Einmalzahlungen oder auf der Leistungsseite durch Einbeziehung von Einmalzahlungen in die Bemessungsgrundlage kurzfristiger Lohnersatzleistungen herbeiführen wollte (vgl. BVerfGE 92, 53 [73] = NZS 1995, 312 = NZA 1995, 752 = NJW 1995, 2279 L). Von dieser Gestaltungsfreiheit hat er mit der das bisherige Beitragsrecht fortführenden Vorschrift des § 23a SGB IV Gebrauch gemacht (vgl. BVerfGE 92, 53 [70f.] = NZS 1995, 312 = NZA 1995, 752 = NJW 1995, 2279 L); dafür bestanden nach der Stellungnahme des 12. Senats des BSG auch gewichtige Gründe. Im Bereich der leistungsrechtlichen Vorschriften hat der Gesetzgeber die beanstandeten Normen nicht einfach wiederholt. In Bezug auf die unverändert gebliebene Bemessungsbestimmung des § 112 I 2 AFG hat er im Gesetzgebungsverfahren hinlänglich zum Ausdruck gebracht, dass er die Regelung überprüft habe und an ihr mit der Begründung festhalten wolle, die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich seit dem Beschluss des BVerfG geändert und der Schutzzweck des Arbeitslosengelds müsse neu bewertet werden. Mit § 47a SGB V hat der Gesetzgeber außerdem eine neue Vorschrift geschaffen.

II. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 11. 1. 1995 entschieden, dass es mit Art. 3 I GG unvereinbar ist, wenn Versicherte, die im Hinblick auf Einmalzahlungen ganz oder zum Teil der Beitragspflicht unterliegen, hinsichtlich kurzfristiger Lohnersatzleistungen aus diesem Entgelt keine Leistungen erhalten, während Versicherte, die lediglich aus laufendem Arbeitsentgelt Beiträge zahlen, voll in den Genuss entsprechender Leistungen gelangen. Zwar ist es von Verfassungs wegen auch bei der Bemessung kurzfristiger Lohnersatzleistungen nicht geboten, dass eine versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen den entrichteten Beiträgen und der Höhe der Leistungen erzielt wird. Für unterschiedliche Leistungen an Versicherte mit gleicher Beitragsbelastung muss aber ein hinreichender sachlicher Grund bestehen (vgl. BVerfGE 92, 53 [71] = NZS 1995, 312 = NZA 1995, 752 = NJW 1995, 2279 L).

1. Nach den zur Prüfung gestellten leistungsrechtlichen Vorschriften des § 112 I 2 AFG und § 47 II 1 SGB V haben die Beiträge unverändert einen unterschiedlichen Erfolgswert. Einmalzahlungen werden insbesondere bei der Bemessung des Arbeitslosen- und des Krankengeldes - von der Vorschrift des § 47a SGB V zunächst abgesehen - nach wie vor nicht berücksichtigt. Auch nach dem Inkrafttreten des Einmalzahlungsgesetzes werden deshalb Versicherte mit gleich hoher Beitragsbelastung umso stärker bei kurzfristigen Lohnersatzleistungen benachteiligt, je höher der Anteil ihres beitragspflichtigen einmalig gezahlten Arbeitsentgelts am beitragspflichtigen Gesamtarbeitsentgelt ist. Demgegenüber werden die Versicherten bei den Lohnersatzleistungen umso stärker bevorzugt, je geringer der Anteil des beitragspflichtigen einmalig gezahlten Arbeitsentgeltes ist.

2. Für diese Ungleichbehandlung sind hinreichende sachliche Gründe nach wie vor nicht ersichtlich.

a) Der Gesetzgeber beruft sich bei der Bemessung des Arbeitslosengelds darauf, dieses repräsentiere das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose auch künftig erzielen könne; Einmalzahlungen gehörten angesichts der derzeitigen Entwicklung in weiten Teilen der Wirtschaft, die auf Kostensenkung bei den Lohn- und Lohnzusatzkosten gerichtet sei, nicht mehr dazu (vgl. BT-Dr 13/5062, S. 7). Diese mit einem Wechsel im Schutzkonzept begründete Ausrichtung des Arbeitslosengelds am so genannten Entgeltausfallprinzip (vgl. BT-Dr 13/5062, S. 6) kann die Benachteiligung der Versicherten mit Beitragsleistungen aus einmalig gezahlten Arbeitsentgelten nicht rechtfertigen.

aa) Wenn es der Gesetzgeber dabei belässt, die Höhe der jeweiligen Lohnersatzleistung grundsätzlich an den beitragspflichtigen Arbeitsentgelten zu orientieren (vgl. § 112 I 1 AFG; §§ 129, 130, 132 SGB III; § 47 SGB V), so müssen alle beitragspflichtigen Arbeitsentgelte berücksichtigt werden. Dies gilt unabhängig davon, wie der Gesetzgeber das konkrete Sicherungsziel bestimmt. Dieses Ziel kann der Erhalt des Lebensstandards auf der Grundlage der Entgelte aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis sein, aber auch der des Lebensstandards entsprechend einem eventuell neuen Arbeitsverhältnis, wenn Versicherungsfall der Eintritt der Arbeitslosigkeit ist oder wenn das bisherige Arbeitsverhältnis nach Eintritt eines anderen Versicherungsfalls beendet wird. Es ist auch unerheblich, ob der Maßstab ausschließlich nach dem Zeitraum vor dem Versicherungsfall, also nach dem so genannten Referenzprinzip ermittelt werden soll, oder ob prospektive Elemente hinzukommen und deshalb lohnrelevante Umstände in der Zeit nach Eintritt des Versicherungsfalls mit berücksichtigt werden. Solange die Bemessung der Lohnersatzleistung nicht in einer ganz unbedeutenden Weise durch das bisherige beitragspflichtige Arbeitsentgelt mit bestimmt wird, müssen alle Arbeitsentgeltbestandteile, die der Beitragspflicht unterworfen werden, einen grundsätzlich gleichen Erfolgswert haben. Allein dies entspricht Art. 3 I GG.

Der Erfolgswert von beitragspflichtigem einmalig gezahltem Arbeitsentgelt muss zwar nicht zwingend im Rahmen des Berechnungsfaktors gesichert werden, nach dem die sonstigen beitragspflichtigen Arbeitsentgelte bei der Bemessung berücksichtigt werden. Der gesetzgeberische Gestaltungsraum lässt hier verschiedene Regelungsmöglichkeiten zu. Entscheidend ist aber, dass die vom Gesetzgeber gewählte Lösung das beitragspflichtige einmalig gezahlte Arbeitsentgelt im Ergebnis berücksichtigt, so dass Versicherte mit einem gleich hohen beitragspflichtigen Arbeitsentgelt auch mit einer gleich hohen Lohnersatzleistung rechnen können, wenn sich ihre Situation nur dadurch unterscheidet, dass einige von ihnen mehr, andere weniger und wieder andere überhaupt kein einmalig gezahltes Arbeitsentgelt erhalten haben.

bb) Auch die Berufung auf Veränderungen in der Struktur der Arbeitsentgelte kann den Verzicht des Gesetzgebers auf die Berücksichtigung von Einmalzahlungen nicht rechtfertigen. Für die vom Gesetzgeber vorgenommene Einschätzung der künftigen Entwicklung bei den Lohnersatzleistungen waren schon im Zeitpunkt der Gesetzesberatungen keine hinreichenden Anhaltspunkte vorhanden. Dies haben die Anhörungen bestätigt (vgl. Deutscher Bundestag, 13. Wp., Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, Protokoll Nr. 71, S. 18, 19) und wird in den Stellungnahmen zu den Vorlagen auch für die Zeit danach bekräftigt. Allerdings würde ein Gleichheitsverstoß auch dann noch vorliegen, wenn mittlerweile nur noch ein deutlich geringerer Teil der Arbeitnehmer einmalig gezahltes Arbeitsentgelt erhielte. Auch dann wäre noch eine hinreichend große Zahl von Personen benachteiligt, die der Gesetzgeber auch bei Typisierungen nicht ohne Verstoß gegen Art. 3 I GG außer Betracht lassen dürfte. Im übrigen kann der Gesetzgeber unbilligen Zufallsergebnissen und Manipulationen mit einem entsprechend großen Bemessungszeitraum - wie jetzt auch in § 130 SGB III vorgesehen - begegnen (vgl. auch BVerfGE 92, 53 [72f.] = NZS 1995, 312 = NZA 1995, 752 = NJW 1995, 2279 L).

b) Die Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen beim Krankengeld und beim Übergangsgeld wird durch die Gewährung eines zusätzlichen Krankengeldes nach § 47a SGB V nicht ausgeglichen. Die Vorschrift hat nach ihrer Auslegung durch die vorlegenden Gerichte praktisch keinen Anwendungsbereich. Dies ist auch die im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Auffassung der Verbände (vgl. BT-Dr 13/5826, S. 12), die sie auf der Grundlage der inzwischen gewonnenen Erfahrungen in den vorliegenden Verfahren aufrechterhalten haben. An der mangelnden Eignung des § 47a SGB V zur Behebung des Gleichheitsverstoßes ändert sich auch nichts, wenn diese Vorschrift - in Anlehnung an das BSG und die Verbände der Sozialversicherungsträger - als eine so genannte Gleichwohlgewährungsvorschrift ähnlich dem § 117 IV AFG und § 143 III SGB III interpretiert wird. Dient nach dieser Auslegung das zusätzliche Krankengeld der Absicherung eines - trotz Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers - arbeitsrechtlich bestehenden Anspruchs auf einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, so wird gerade nicht der Arbeitsentgeltausfall wegen Arbeitsunfähigkeit abgedeckt. Vielmehr wird der Arbeitnehmer nur gegen die Zahlungsunwilligkeit des Arbeitgebers abgesichert und das Risiko der Insolvenz des Arbeitgebers der Krankenkasse auferlegt. Damit wird die Ungleichbehandlung nicht beseitigt.

III. 1. § 23a SGB IV ist danach in dem angegebenen Umfang mit Art. 3 I GG unvereinbar. Aus den im Beschluss vom 11. 1. 1995 genannten Gründen (BVerfGE 92, 53 [74] = NZS 1995, 312 = NZA 1995, 752 = NJW 1995, 2279 L) ist es auch hier ausnahmsweise geboten, eine Fortgeltung des § 23a SGB IV bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 30. 6. 2001, zuzulassen. Wenn bis zu diesem Zeitpunkt keine gesetzliche Neuregelung in Kraft getreten ist, kann § 23a SGB IV allerdings nicht mehr als Grundlage für die Heranziehung von Einmalzahlungen zu Sozialversicherungsbeiträgen dienen.

2. § 112 I 2 AFG und § 47 II 1 SGB V sind seit 1. 1. 1997 insoweit mit Art. 3 I GG unvereinbar, als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, für das Beiträge entrichtet wurden, bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts nicht berücksichtigt wird. Nach § 78 S. 2 BVerfGG, der im Verfahren der konkreten Normenkontrolle entsprechend anwendbar ist, ist im Interesse der Rechtsklarheit auch die Nachfolgevorschrift des § 134 I 3 Nr. 1 SGB III für mit Art. 3 I GG unvereinbar zu erklären. Über die Erbringung von Lohnersatzleistungen kann nach Bekanntgabe dieser Entscheidung vorläufig entschieden werden (vgl. auch § 328 I 1 Nr. 1 SGB III).

3. Der Gesetzgeber hat durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass einmalig gezahlte Arbeitsentgelte bei den Lohnersatzleistungen berücksichtigt werden, soweit über deren Gewährung für die Zeit nach dem 1. 1. 1997 noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist. Dem Gesetzgeber bleibt es unbenommen, statt einer individuellen Neuberechnung der Altfälle aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Bemessungsentgelte pauschal um 10% anzuheben. Denn um diesen Prozentsatz erhöhen sich im Durchschnitt die Lohnersatzleistungen bei Berücksichtigung einmalig gezahlter Arbeitsentgelte, wenn auf Grund der vorliegenden Informationen über die Lohnstruktur bei ganzjährigen Beschäftigungsverhältnissen davon ausgegangen wird, dass die Mehrzahl der Versicherten ein Weihnachts- und Urlaubsgeld erhält.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

GG Art. 3 I; AFG § 112 I 2; SGB III § 134 I; SGB IV § 23a; SGB V § 47 II