Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Gericht

LAG Hamm


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

10. 03. 1999


Aktenzeichen

18 Sa 2328/98


Leitsatz des Gerichts

Belästigt ein Störer im Betrieb eine Beschäftigte durch Aufforderungen, mit ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen, obwohl die Beschäftigte sich solche Aufforderungen verbeten hat, so sind auch beleidigende und erpresserische Briefe mit entsprechenden Aufforderungen, die der Störer in diesem Zusammenhang an die Privatanschrift der Beschäftigten schickt, bei der Feststellung der Schwere der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung nach § 2 Abs 3 BeschäftigtenschutzG mitzuberücksichtigen.

Tenor


Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 01.10.1998 - 6 Ca 1517/98 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand


Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.

Die Beklagte handelt mit Pharmaartikeln. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb in B............ ca. 242 Arbeitnehmer. In dem Betrieb ist ein Betriebsrat gewählt.

Der Kläger ist am 13.06.1946 geboren, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er hat Berufsausbildungen zum Landmaschinenmechaniker und Datenverarbeitungskaufmann absolviert. Am 01.05.1991 trat er als gewerblicher Mitarbeiter im Wareneingang in den Betrieb der Beklagten in B............ ein. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 01.05.1991 (Bl. 19 - 21 d.A.). Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kommen die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels in Nordrhein-Westfalen zur Anwendung. Der Bruttomonatsverdienst des Klägers betrug zuletzt 3.011,53 DM.

Mit Schreiben vom 04.06.1996 teilte die Beklagte dem Kläger folgendes mit:

ABMAHNUNG

Sehr geehrter Herr v..... D........,

am 03.06.96 haben Sie die Anweisungen von Herrn L.....,
bestimmte Aufträge zu bearbeiten, nicht beachtet, mit der
Begründung "Dies sei hier doch kein Kindergarten". Sie haben
Herrn L..... als Kindergärtner bezeichnet.

Gegenüber Herrn L..... und Herrn R............ haben Sie
geäußert "Wenn es denen nicht paßt, dann sollen die mich doch
kündigen".

Wir mahnen Sie hiermit schriftlich ab und fordern Sie auf,
Ihrer Arbeitspflicht gemäß Ihrem Arbeitsvertrag nachzukommen
und Ihr Verhalten gegenüber Vorgesetzten umgehend zu ändern.

Seit dem Frühjahr 1997 versuchte der Kläger mit seiner Arbeitskollegin Frau P............ ein sexuelles Verhältnis zu beginnen. Frau P............ ist am 20.03.1963 geboren, verheiratet und hat drei Kinder. Im Betrieb der Beklagten ist sie seit dem 01.09.1995 in der Endkontrolle tätig. Am 07.04.1997 gab Frau P............ dem Kläger zu verstehen, daß sie nichts von ihm wissen wolle. Am 02.05.1997 setzte der Kläger sich an den Tisch von Frau P............ in der Kantine und versuchte mit ihr zu reden. Frau P............ sprang auf, nach dem Vortrag des Klägers "wie von der Tarantel gestochen". Frau P............ informierte daraufhin den Vorgesetzten des Klägers, den Zeugen R............ über die Belästigungen des Klägers. Der Kläger führte am 07.05.1997 ein Telefongespräch mit der Frau P............. Ob er sich in diesem Gespräch bei Frau P............ entschuldigt hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Am 13.08.1997 fand Frau P............ nach Arbeitsschluß unter dem Scheibenwischer ihres auf dem Parkplatz der Beklagten geparkten PKW§s folgenden Brief des Klägers.

"Hallo J...........!

Wie lautet das Klischee" Richtig! Männer reden nicht! Frauen
weichen dem Gespräch aus. Also versuche ich es mal
schriftlich.

Irgendwann Ende März diesen Jahres habe ich mich ganz schön in
Dich verliebt und irgendwie hatte ich auch das Gefühl, daß ich
Dir nicht ganz gleichgültig sei. Aber wie sagten schon die
alten Römer? Genau: Errare humanum est (Irren ist menschlich).
Denn es kam der 07.04.1997. An diesem Tag ließt Du mich
abblitzen, sagtest zu mir: "Verpiß Dich! Dreht ihr da unten
jetzt alle durch!?"

Herrlich! Für Sekundenbruchteile wollte ich Dir mindestens
drei Wochen Sitzbeschwerden bereiten. Ich konnte mich aber
noch soeben zurückhalten. Jetzt kam für mich was völlig Neues:
Seit diesem Tag spielst Du über Monate hinweg bis heute die
beleidigte Schönheit. Ich verstehe es nicht. Allerdings
verstehe ich auch nicht, daß diese Gefühle nicht weggehen;
eher noch stärker werden. Naja, was soll's. Denn eins ist
sicher, was mich nicht umbringt, macht mich nur noch härter."

Am 01.09.1997 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung mit folgendem Inhalt:

ABMAHNUNG

Sehr geehrter Herr v..... D........,

Anfang August 1997 folgten Sie Frau P............ in die
Damengarderobe. Erst als Sie merkten, daß Frau P............
nicht allein war, verließen Sie diese wieder.

Wir erteilen Ihnen hiermit eine Abmahnung und fordern Sie auf,
Ihr Verhalten umgehend zu ändern.

Sollte sich so ein Vorfall wiederholen, werden wir beim
Betriebsrat die Kündigung beantragen.

Am selben Tage mahnte die Beklagte den Kläger weiter wie folgt ab:

ABMAHNUNG

Sehr geehrter Herr v..... D........,

am 11.08.97 wies Herr B.............. Sie an, einen bestimmten
Artikel zu kommissionieren. Sie antworteten darauf: "Du
Spinner, wenn Du etwas schneller arbeiten würdest, brauchte
ich dieses Teil nicht holen". Als der Lagerleiter, Herr
R............, Sie darauf ansprach, antworteten Sie: "Der hat
mir gar nichts zu sagen, daß muß mir der Betriebsrat erst
einmal bestätigen".

Wir erteilen Ihnen hiermit eine Abmahnung und fordern Sie auf,
Ihr Verhalten umgehend zu ändern.

Wir machen Sie darauf aufmerksam, daß Herr B..............
weisungsberechtigt ist und Sie seinen Anweisungen Folge zu
leisten haben.

Im Wiederholungsfall werden wir beim Betriebsrat die Kündigung
beantragen.

In der Zeit vom 05.01.1998 bis zum 07.07.1998 war die Arbeitnehmerin P............ arbeitsunfähig krank geschrieben. Laut ärztlicher Stellungnahme der Ärztin Dr. R.......... E........vom 21.04.1998 (Bl. 58 d.A.) ist Ursache der Erkrankung "eine schwere akute Belastungsreaktion, die entstanden ist als Folge des Verhaltens ihres Arbeitskollegen". In der Zeit vom 16.03.1998 bis 07.07.1998 nahm Frau P............ an einer stufenweisen Wiedereingliederungsmaßnahme in das Erwerbsleben teil (zum Inhalt der Wiedereingliederungspläne vom 12.03.1998, 01.04.1998, 26.05.1998 und 16.06.1998 siehe Bl. 54 - 57 d.A.).

Auf Antrag der Klägerin ordnete das Amtsgericht Bielefeld im Wege der einstweiligen Verfügung durch Urteil vom 18.03.1998 gegen den Kläger folgendes an:

Dem Antragsgegner wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes
bis zu 10.000,00 DM für den Fall der Zuwiderhandlung
aufgegeben, es zu unterlassen, die Antragstellerin und ihr
Kind I......... S..........................zu belästigen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Antragsgegner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Antragsgegner darf die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,00 DM abwenden, wenn
nicht die Antragstellerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.

In den Entscheidungsgründen führte das Amtsgericht aus:

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist
begründet. Der von der Antragstellerin geltend gemachte
Unterlassungsanspruch ergibt sich aus § 823 BGB. Die
Antragstellerin hat durch eidesstattliche Versicherung
glaubhaft gemacht, daß der Antragsgegner in ihr
Persönlichkeitsrecht permanent eingreift, indem er sie gegen
ihren Willen mit Briefen, Telefonanrufen und persönlichen
Nachstellungen belästigt. Dies wird vom Antragsgegner auch
nicht substantiiert bestritten. Der Antragsgegner ist
offensichtlich lediglich der Auffassung, die Antragstellerin
müsse diese Belästigungen hinnehmen. Dem ist jedoch nicht so.
Da die Vorfälle sich immer wiederholt haben, ist auch von
einer Wiederholungsgefahr für die Zukunft auszugehen.

Mit Schreiben vom 25.03.1998 teilte die Beklagte dem Kläger folgendes mit:

Ihr Arbeitsverhältnis

Sehr geehrter Herr v..... D........,

wie Sie wissen, fühlt sich unsere Mitarbeiterin Frau
P............, die auf unserem Lager tätig ist, von Ihnen
belästigt.

Auf unsere Abmahnung vom 01.09.97 nehmen wir Bezug. Vor
einiger Zeit haben Sie Frau P............ ungebetenerweise in
ihrer Wohnung aufgesucht. Frau P............ war dadurch so
beeinträchtigt, daß Sie etwa 7 Wochen arbeitsunfähig erkrankt
war. Derzeit nimmt Frau P............ an einer
Wiedereingliederungsmaßnahme in das Berufsleben, in unserem
Unternehmen, teil.

Sie sind in unserem Wareneingang beschäftigt. Es ist aufgrund
Ihrer Tätigkeit nicht notwendig, daß Sie den Lagerbereich, in
dem u.a. Frau P............ arbeitet, aufsuchen. Wir verbieten
Ihnen hiermit ausdrücklich, den Lagerbereich unseres
Unternehmens zu betreten. Wenn Sie diesem Verbot zuwider
handeln, müssen Sie mit der Kündigung Ihres
Arbeitsverhältnisses, unter Umständen sogar einer fristlosen
Kündigung, rechnen. Auf diese Konsequenz weisen wir hiermit
ausdrücklich hin.

Darüber hinaus haben wir Sie auch aufzufordern, sich Frau
P............ in anderen Unternehmensbereichen z.B. in der
Kantine, nicht zu nähern. Auch ein schuldhafter Verstoß gegen
diese Anordnung hat die Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses,
unter Umständen in Form einer fristlosen Kündigung zu Folge.
Über diese Konsequenz dürfen Sie sich nicht im unklaren sein.

Es liegt jetzt an Ihnen, sich die Konsequenz einer Kündigung
Ihres Arbeitsverhältnisses durch uns zu ersparen.

Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 11.04.1998 wie folgt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit fordere ich Sie auf bis zum 16.4.98 15.30 Uhr folgende
Abmahnungen schriftlich zurückzunehmen und aus der
Personalakte zu entfernen:

a) die Abmahnung von M........ L.....
b) die beiden Abmahnungen von J........... P............
c) die Abmahnung von G........ B..............

Ferner werde ich die von Herrn P--- erteilte mündliche
Pausenanordnung nicht mehr beachten. Auch die in Ihrem
Schreiben vom 25.3.98 erteilte Anordnung, daß ich den
Lagerbereich nicht mehr betreten darf, werde ich ab sofort
nicht mehr beachten.
Es ist ja wohl ein Schmarrn, daß ich daran Schuld sein soll,
daß die P............ 7 Wochen arbeitsunfähig erkrankt war!!!!
(Wenn sie denn überhaupt krank war.).

Sollten meine Forderungen nicht erfüllt werden, schalte ich
umgehend die Rechtsschutzversicherung ein.

Eine Kündigung (gleich welcher Art) akzeptiere ich nur
schriftlich. Dies werde ich dann umgehend den drei an der
Sache beteiligten Amtspersonen zur Kenntnis bringen. Bei denen
wird dann bestimmt große Freude aufkommen. (Ganz zu schweigen,
was ein ordentliches Gericht wohl dazu sagen würde!?)

Unter dem 20.04.1998 teilte die Beklagte dem Kläger folgendes mit:

ABMAHNUNG

Sehr geehrter Herr v..... D........,

Sie wurden von Herrn H------------ und Herrn P--- seit dem
11.03.98 mehrfach darauf angesprochen, Ihre Mittagspause in
der Zeit von 13.30 h-14.00 h zu machen.

Am heutigen Tage sind Sie dieser Aufforderung nicht
nachgekommen und haben die Pausenzeit eigenmächtig von 14.10 h
- 14.40 h geändert.

Wir fordern Sie auf, Ihr Verhalten umgehend zu ändern und den
Anweisungen Ihrer Vorgesetzten Folge zu leisten.

Im Wiederholungsfall müssen Sie mit dem Verlust Ihres
Arbeitsplatzes rechnen.

Am 22.04.1998 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung wie folgt:

LETZTMALIGE ABMAHNUNG

Sehr geehrter Herr v..... D........,

mit Schreiben vom 25.03.98 ist Ihnen untersagt worden, den
Lagerbereich zu betreten. Am 20.04.98 gegen 8.00 h sind Sie
von zwei Mitarbeiterinnen aus dem Wareneingang im Bereich der
Endkontrolle EG gesehen worden.

Die beiden Mitarbeiterinnen werden Ihre Aussage im
Zweifelsfall vor Gericht bezeugen.

Wir fordern Sie hiermit letztmalig auf, sich an die
schriftliche Anweisung zu halten und teilen Ihnen
unmißverständlich mit, daß ein weiterer Verstoß gegen diese
Arbeitsanweisung die Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses zur
Folge hat.

Nach Zugang der letzten Abmahnung erhielt die Beklagte Kenntnis von einem Brief des Klägers an Frau P............, den diese am 18.04.1998 erhielt und der die Beklagte zur Kündigung veranlaßte:

"Hallo J......!

Daß Du zu feige bist anzurufen, war mir klar. Am 1.3.98 hast
Du u.a. zu mir gesagt, daß alle Mitarbeiter von P:::::::::::
froh wären, wenn ich mich aufhängen würde (Zeugnis:
Polizeibeamter). Es sieht so aus, daß Du Recht hast. Vorreiter
ist wohl der Mann mit dem perversen Gehirn (R............).
Und Du steckst im Prinzip dahinter. Warum willst Du mich
vernichten??? (Ich frag dies zum dritten Mal, wahrscheinlich
auch zum letzten Mal). Fakt ist: Ich gehe unter keinen
Umständen vor Dir in die Knie oder küsse Dir die Füsse oder
ähnliches. Wenn Du das willst, kann ich Dir genug Typen
zeigen, die Dir täglich die Füsse küssen würden. Ich kenne
auch Typen, die ein Bruttomonatsgehalt hinlegen würden, um
einmal mit Dir in die Kiste zu kommen. Ja und? Interessiert
mich nicht! Ich will J........... P............ und zwar mit
Haut und Haaren und die Seele noch dazu. Bei Bedarf werde ich
Dir Deine hübschen Pobacken versohlen; wenn mir danach ist,
nehm ich dazu einen Rohrstock (Miststück)! Wenn Du Sonntag
nicht um 16.00 Uhr bei ... (für uns unleserlich) am
S..................... steht, garantiere ich Dir, daß ich Dich
verdammtes süßes Miststück irgendwo erwische und dann nagele
ich Dir einen Fuß fest und Du läufst nur noch im Kreis.
Tschüß".

Mit Schreiben vom 30.04.1998, das dem Kläger an demselben Tage zuging, kündigte die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrates, der der Kündigung zustimmte, das Arbeitsverhältnis wie folgt:

Sehr geehrter Herr v..... D........,

aus verhaltensbedingten Gründen kündigen wir das bestehende
Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31.07.1998.

Unter Anrechnung der Ihnen noch zustehenden Urlaubstage werden
Sie ab sofort von Ihrer Arbeitspflicht freigestellt.

Wir erteilen Ihnen hiermit Hausverbot für Grundstück und
Gebäude.

Gegen die Kündigung hat sich der Kläger gerichtlich gewehrt mit der vorliegenden, am 07.05.1998 erhobenen Kündigungsschutzklage.

Mit Schreiben vom 02.09.1998 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Die hiergegen mit Schriftsatz vom 29.09.1998 erhobene Kündigungsschutzklage (Arbeitsgericht Bielefeld, 6 Ca 3006/98) nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 13.10.1998 zurück.

Zur Stützung der Klage hat der Kläger vorgetragen:
Die Kündigung sei nicht gerechtfertigt. Er habe Frau P............ am Arbeitsplatz nicht sexuell belästigt. Er habe Frau P............ nicht wiederholt an ihrer Arbeitsstelle in der Endkontrolle angerufen. Bei dem Telefongespräch am 07.05.1997 habe er sich entschuldigt. Er sei im Juni 1997 nicht um das Haus der Frau P............ herumgeschlichen und habe diese auch nicht im Frühjahr 1998 ungebeten in der Wohnung aufgesucht. Er habe lediglich des öfteren, wenn er in der Stadt gewesen sei, seinen PKW in der Nähe der Wohnung der Frau P............ geparkt. Er habe auch nicht Anfang August 1997 die Damengarderobe aufgesucht. An die Aufforderung der Beklagten im Schreiben vom 25.03.1998 habe er sich gehalten. Er sei nicht am 20.04.1998 im Bereich der Endkontrolle gewesen. Den Brief am 18.04.1998 habe er in seiner Freizeit geschrieben und an die Privatadresse der Frau P............ geschickt. Ein derartiges außerdienstliches Verhalten könne die Kündigung nicht rechtfertigen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche
Kündigung vom 30.04.1998, zugegangen am 30.04.1998, nicht
aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:
Die Kündigung sei wegen der sexuellen Belästigungen des Klägers der Frau P............ gegenüber und durch die abgemahnten Pflichtverletzungen gerechtfertigt. Auch das außerdienstliche Verhalten des Klägers der Frau P............ gegenüber habe derartige Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis, daß es die Kündigung rechtfertige.

Durch Urteil vom 01.10.1998 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Den Streitwert hat es auf 9.189,-- DM festgesetzt.
Nach der Auffassung des Arbeitsgerichts hat das Fehlverhalten des Klägers in der Vergangenheit zusammen mit den ständigen sexuellen Belästigungen der Frau P............ die ordentliche Kündigung gerechtfertigt.

Gegen dieses ihm am 19.10.1998 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat der Kläger am 18.11.1998 Berufung eingelegt und diese am 17.12.1998 begründet.

Der Kläger greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an, maßgeblich unter Stützung auf seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 01.10.1998 -
6 Ca 1517/98 - abzuändern und festzustellen, daß das
Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom
30.04.1998, zugegangen am 30.04.1998, nicht aufgelöst worden
ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Bielefeld vom 01.10.1998 - 6 Ca 1517/98 - zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien, insbesondere auch zum Verhalten des Klägers nach Zugang der Kündigung wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 Satz 1, § 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 518, 519 ZPO).

II. Die Berufung ist aber nicht begründet.

Die zulässige Kündigungsschutzklage ist unbegründet.
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.04.1998 aufgelöst worden, wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat.

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG). Die Beklagte beschäftigt ca. 242 Arbeitnehmer und der Kläger war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sieben Jahre im Betrieb der Beklagten beschäftigt. Die Klage ist auch rechtzeitig innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG erhoben worden.

2. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 KSchG. Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

a) Die Kündigung vom 30.04.1998 ist durch das Verhalten des Klägers bedingt.
Im Unterschied zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund müssen die verhaltensbedingten Gründe nicht so schwerwiegend sein, daß sie für den Arbeitgeber die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründen. Erforderlich ist ein Verhalten des Arbeitnehmers, durch das das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, sei es im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit, im Personalvertrauensbereich oder sonst im Unternehmensbereich (vgl. KR-Etzel, 5. Aufl., § 1 KSchG, Rz. 472). Es genügen solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien oder des Betriebes die Kündigung als billigenswert oder angemessen erscheinen lassen. Es gilt hierbei ein objektiver Maßstab. Als verhaltensbedingter Kündigungsgrund kommt dabei nur ein solcher Umstand in Betracht, der ein ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung bestimmen kann (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 21.04.1992 - 2 AZR 10/92 - AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung).

b) Solche Gründe sind im vorliegenden Fall gegeben. Das Arbeitsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, daß der Kläger durch sein Verhalten gegenüber der Frau P............ die betriebliche Verbundenheit unter den Mitarbeitern in grober Weise beeinträchtigt hat. Das Berufungsgericht teilt diese Überzeugung schon aufgrund des unstreitigen Sachverhalts.

aa) Zu Recht hat das Arbeitsgericht in dem Verhalten des Klägers eine sexuelle Belästigung im Sinne des § 2 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz) vom 24.06.1994 (BSchG) gesehen. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG sind sexuelle Belästigungen u.a. Aufforderungen zu sexuellen Handlungen, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden. § 2 Abs. 3 BSchG bestimmt ausdrücklich, daß sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten ist.

Solche Pflichtverletzungen sind dem Kläger vorzuwerfen.
Der Kläger hat die Frau P............ im Betrieb aufgefordert, ein sexuelles Verhältnis mit ihm einzugehen. Die Frau P............ hat dem Kläger am 07.04.1997 erklärt: "Sie wolle von ihm nichts wissen". Als der Kläger am 02.05.1997 sich an ihren Tisch setzen wollte, sprang Frau P............, wie der Kläger selbst vorträgt, "wie von der Tarantel gestochen" auf.

Dem Kläger war bekannt, daß Frau P............ sich bei ihrem Arbeitgeber, der Beklagten, über dieses Verhalten des Klägers beschwert hatte. Aufgrund der Abmahnungen vom 14.05.1997, 01.09.1997 und vom 25.03.1998 wußte der Kläger, daß die Beklagte weitere sexuelle Belästigungen seiner Arbeitnehmerin, der Frau P............, durch den Kläger nicht hinnehmen werde. Dennoch hat er nicht nachgelassen, die Frau P............ auch in gröbster Weise sexuell zu belästigen, wie sich unstreitig aus dem Inhalt der Briefe vom 13.08.1997 und insbesondere vom 18.04.1998 ergibt. Erschwerend kommt hinzu, daß der Kläger den Brief vom 18.04.1998 schrieb, obwohl ihm zwischenzeitlich auch durch die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Bielefeld vom 18.03.1998 untersagt worden war, die Frau P............ zu belästigen.
bb) Die Tatsache, daß die die Kündigung auslösende sexuelle Belästigung durch den Brief vom 18.04.1998 außerhalb des Betriebs erfolgte, steht der Kündigung nicht entgegen.
Zwar verkennt das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht nicht, daß außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers nur dann eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen kann, wenn das Arbeitsverhältnis konkret berührt ist, sei es im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personellen Vertrauensbereich oder auch im Unternehmensbereich (vgl. KR-Etzel, 5. Aufl., § 1 KSchG Rz. 472).

Im vorliegenden Fall wird der Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter konkret berührt. Auch das Berufungsgericht sieht in dem Verhalten des Klägers, welches im Schreiben vom 18.04.1997 eskaliert, ein bewußtes und gezieltes Quälen der Frau P............. Die hierdurch bedingte schwere seelische Beeinträchtigung ist vergleichbar mit einer Körperverletzung. Die konkrete Berührung des Arbeitsverhältnisses ergibt sich daraus, daß Frau P............ und der Kläger Arbeitskollegen sind und der Brief in einen unmittelbaren Zusammenhang mit den vorangegangenen sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz steht.

cc) Erschwerend kommt hinzu, daß die sexuelle Erpressung im Brief vom 18.04.1998 zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem versucht wird, die arbeitsunfähige Klägerin im Betrieb der Beklagten wieder in das Erwerbsleben einzugliedern, was der Kläger bestreitet, aber schon durch die Wiedereingliederungspläne vom 12.03.1998, 01.04.1998, 26.05.1998 und 16.06.1998 (Bl. 54 - 57 d.A.) bewiesen (§ 286 Abs. 1 ZPO) ist. Dem Kläger mußte klar sein, daß in dieser Situation der Frau P............ sich die sexuelle Erpressung mit Gewaltandrohung nur negativ auf den Gesundheitszustand der Klägerin und damit auch auf die Dauer der Arbeitsunfähigkeit auswirken konnte.

dd) Angesichts dieses Verhaltens des Klägers war der Ausspruch der ordentlichen Kündigung vom 30.04.1998 durch die Beklagte das angemessene Mittel, um Frau P............ zukünftig vor sexuellen Belästigungen des Klägers am Arbeitsplatz zu schützen.
Nach § 3 Abs. 2 BSchG und aufgrund der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht war die Beklagte zum Handeln verpflichtet, um die Fortsetzung der Belästigungen zu unterbinden. Die gesamte Entwicklung des Verhaltens der Klägers zeigt, daß sich die Intensität der sexuellen Belästigungen ab April 1997 steigert und eskaliert im Schreiben vom 18.04.1998. Die Entwicklung zeigt weiter, daß der Kläger ohne Rücksicht auf die abstoßende Wirkung seines Verhaltens unbelehrbar dieses Verhalten fortgesetzt hat. Dieses Verhalten begründete für die Beklagte die negative Prognose, daß der Kläger sein sexuelles Verhalten der Frau P............ gegenüber weder im Betrieb noch außerbetrieblich ändern werde. Angesichts dieser Umstände war die ausgesprochene Kündigung das angemessene Mittel, um zumindest am Arbeitsplatz die Frau P............ vor weiteren sexuellen Belästigungen des Klägers zu schützen.

c) Die bei einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung vorzunehmende Interessenabwägung führt zu keiner für den Kläger günstigeren Beurteilung. Auch unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Klägers und der Zeit seiner Betriebszugehörigkeit ist das Interesse der Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses höher zu bewerten. Angesichts der dargelegten Schwere der Verletzungshandlungen des Klägers und seiner fehlenden Einsicht ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses das einzige Mittel, um die Arbeitnehmerin P............ zukünftig vor sexuellen Belästigungen des Klägers im Betrieb zu schützen und diese auszuschließen. Da der Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter berührt ist, ist auch anzuerkennen, daß die Beklagte zur Wahrung des Betriebsfriedens und zur Aufrechterhaltung der Arbeits- und Betriebsdisziplin berechtigt ist, deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß sie nicht gewillt ist, sexuelle Belästigungen ihrer Mitarbeiter zu dulden und die zu ihrem Schutz vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen konsequent ergreift.

Weiter darf nicht übersehen werden, daß das Arbeitsverhältnis auch unter Zugrundelegung des unstreitigen Vortrages durch die Vorgänge belastet ist, die Gegenstand der Abmahnungen vom 04.06.1996, 01.09.1997, 20.04.1998 und 22.04.1998 sind. Ob diese Gründe für eine Kündigung ausreichen, kann dahingestellt bleiben, da das Verhalten des Klägers der Frau P............ gegenüber die ausgesprochene Kündigung rechtfertigt.

3. Der Beklagten war es auch nicht aufgrund der Abmahnungen vom 20.04.1998 und 22.04.1998 verwehrt, die Kündigung vom 30.04.1998 auszusprechen.
Mit einer Abmahnung verzichtet ein Arbeitgeber nur auf das Kündigungsrecht bezüglich der Gründe, die Gegenstand der Abmahnung waren. Gegenstand der Abmahnung vom 20.04.1998 war die Verletzung von Anweisungen bezüglich der Pausenzeit durch den Kläger. Gegenstand der Abmahnung vom 22.04.1998 war der Verstoß gegen die dem Kläger mit Schreiben vom 25.03.1998 erteilte Untersagung, den Lagerbereich zu betreten.
Hinsichtlich dieser Gründe konnte erst frühestens im Wiederholungsfall eine Kündigung ausgesprochen werden. Grund der Kündigung vom 30.04.1998 war dagegen die sexuelle Belästigung der Frau P............ durch den Kläger. Im übrigen führt die Abmahnung nur hinsichtlich der zum Zeitpunkt ihrer Erteilung vorliegenden und bekannten Gründe zum Verzicht auf das Kündigungsrecht.

III. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) sind nicht gegeben.
gez.
Knipp Beeking Schleicher

Vorinstanzen

ArbG Bielefeld, 6 Ca 1517/98, 1.10.1998

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

KSchG § 1 Abs 1, KSchG § 1 Abs 2, BSchG § 2 Abs 3, BSchG § 4