Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Gericht

LAG Hamburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

21. 10. 1998


Aktenzeichen

4 Sa 53/98


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die die Beklagte am 3. Dezember 1997 gegenüber dem Kläger ausgesprochen hat. Der 41jährige verheiratete Kläger, der infolge von Spätfolgen einer Kinderlähmung zu 30 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist, ist seit dem 1. November 1989 als Krankenpfleger tätig, zunächst bei der X, später nach Rechtsübergang bei der Beklagten. Er war bis zum 28. Februar 1997 im A- Krankenhaus beschäftigt und wurde mit Wirkung ab dem 1. März 1997 in das AK versetzt.

Am 25. November 1997 wurde die Pflegedienstdirektion des AK durch ein Schreiben einer Krankenschwester der Station 7 u, auf der der Kläger zuletzt tätig war, Frau Ö , über wiederholte verbale und körperliche Belästigungen des Klägers unterrichtet. Bereits Ende September 1997 hatten sich diese Mitarbeiterin und zwei weitere Krankenschwestern bei der Stationsleitung der Station 7 u beschwert und berichtet, daß sie von dem Kläger körperlich und zum Teil verbal belästigt worden seien. In einem daraufhin mit dem Kläger am 2. Oktober 1997 von der Stationsleitung geführten Gespräch wurde dem Kläger erklärt, daß bei einer Wiederholung dieser Vorfälle die Pflegedienstdirektion unterrichtet werden würde. Am 24. November 1997 belästigte der Kläger dann die oben erwähnte Krankenschwester Frau Ö erneut; nach Vortrag des Klägers soll Frau Ö eine Entschuldigung angenommen haben. Der Kläger soll nach weiteren Erkenntnissen der Pflegedienstdirektion auch zwei Praktikantinnen und zwei Patientinnen belästigt haben. Der Kläger bestreitet die Vorwürfe teilweise.

Nach Anhörung des Personalrats und trotz dessen Ablehnung sprach die Beklagte mit Schreiben vom 3. Dezember 1997 die außerordentliche Kündigung aus (vgl. Anlage K 1, Blatt 6 der Akte). Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung und begehrt Weiterbeschäftigung.

Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird in Anwendung des § 543 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 Arbeitsgerichtsgesetz abgesehen. Es wird insoweit auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 4. Juni 1998 - 8 Ca 577/97 - Bezug genommen (Seiten 3 bis 5 des Urteils, Blatt 67 ff der Akte).

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Für die Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Seiten 6 bis 9 des Urteils, Blatt 70 ff der Akte) verwiesen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter. Hinsichtlich des ergänzenden Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 29. Juni 1998 (Blatt 77 ff der Akte), die Berufungserwiderung des Klägers vom 30. Juli 1998 (Blatt 87 ff der Akte) sowie die weiteren Schriftsätze der Beklagten vom 1. September 1998 (Blatt 96 ff der Akte), 22. September 1998 (Blatt 108 der Akte), 25. September 1998 (Blatt 112 f der Akte) und 6. Oktober 1998 (Blatt 115 ff der Akte) verwiesen. Wegen des Sachvortrages der Parteien und der von ihnen überreichten Unterlagen, ihrer Beweisantritte und ihrer Rechtsausführungen im übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt einschließlich der Sitzungsprotokolle Bezug genommen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Nachdem der Personalrat der hilfsweise von der Beklagten beantragten fristgerechten Kündigung ebenfalls nicht zugestimmt hatte, hat die im entsprechenden Mitbestimmungsverfahren gebildete Einigungsstelle durch Beschluß vom 28. September 1998 inzwischen die Zustimmung zur fristgemäßen Kündigung des Klägers ersetzt. Die Beklagte hat nunmehr hilfsweise die fristgemäße Kündigung zum 31. März 1999 ausgesprochen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 3. Dezember 1997 weder mit sofortiger Wirkung noch entsprechend ihrem im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag mit einer sozialen Auslauffrist am 30. Juni 1998 beendet worden. Die Berufung der Beklagten war demgemäß zurückzuweisen mit der Maßgabe, daß die Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses und die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung im Hinblick auf die von der Beklagten inzwischen ausgesprochene ordentliche Kündigung entsprechend den in der Berufungsverhandlung eingeschränkten Klaganträgen nur bis zum 31. März 1999 auszuurteilen sein konnte.

Die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist nicht gerechtfertigt. Die Berufungskammer bewertet die zum Teil unstreitigen, zum Teil streitigen als zugunsten der Beklagten geschehen angenommenen Tatsachen ebenso wie das Arbeitsgericht als nicht ausreichend, um eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen. Dabei kann dahinstehen, ob dem Kläger zuvor eine Abmahnung hätte ausgesprochen werden müssen, was ersichtlich nicht geschehen ist, und ob der Personalrat ordnungsgemäß beteiligt worden ist.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung alle Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Der wichtige Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB wird nach herrschender Lehre und Rechtsprechung durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Es ist darauf abzustellen, ob der Sachverhalt an sich unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abgeben kann (vgl. nur KR-Hillebrecht, 4. Auflage, § 626 BGB Randnote 68 mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung und Literatur). Darüber hinaus hat auch die außerordentliche Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu entsprechen und muß letztlich einer Abwägung der beiderseitigen Interessen standhalten.
Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung auf sexuelle Belästigungen des Klägers gestützt. Demgemäß sind die rechtlichen Anforderungen an die außerordentliche Kündigung zusätzlich an den Regelungen des Gesetzes zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vom 24. Juni 1994 (Beschäftigtenschutzgesetz - BSchG - ) zu messen.

Gemäß § 2 Abs. 2 BSchG stellt eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz jedes vorsätzliche sexuell bestimmte Verhalten dar, welches die Würde von Beschäftigten verletzt. Dazu gehören nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 BSchG sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafrechtlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind sowie sonstige sexuelle Handlungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden. Arbeitgeber und Dienstvorgesetzte haben gemäß § 2 Abs. 1 BSchG die Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen, wozu auch vorbeugende Maßnahmen gehören. Eine Beschwerde von Beschäftigten hat der Arbeitgeber gemäß § 3 Abs. 2 BSchG zu prüfen und geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Fortsetzung einer festgestellten Belästigung zu unterbinden.

Bei sexueller Belästigung hat der Arbeitgeber gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 BSchG die im Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen; es gilt mithin auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dem Arbeitgeber wird ein Ermessens- und Beurteilungsspielraum zugestanden, welche Maßnahmen er ergreift. Demgemäß kann die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellt, auch ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund oder ein wichtiger Grund zur Kündigung sein (vgl. zu allem auch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 8. Auflage, § 166 V 2 b und c, 3 a bis c, 4 a und b).

In Anwendung dieser Grundsätze ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung, auch eine solche mit sozialer Auslauffrist, nicht gerechtfertigt.

Die angerufene Kammer legt wie das Arbeitsgericht der rechtlichen Bewertung die gesamten von der Beklagten geschilderten zum Teil streitigen Verhaltensweisen des Klägers zugrunde, soweit der Sachvortrag ausreichend substantiiert und damit einer Beurteilung zugänglich ist. Wenn Sachvortrag der Beklagten vom Kläger bestritten worden ist, bedurfte es demgemäß keiner Beweisaufnahme.

Damit ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, daß der Kläger Mitarbeiterinnen wiederholt sexuell belästigt hat, indem er Arbeitskolleginnen gegen ihren Willen umarmt hat, auf eine dienstliche Anweisung äußerte, "wenn Du mich küßt, weil ich Dich doch so gerne habe, dann mache ich das für Dich", versucht hat, körperlichen Kontakt zu erzwingen, indem er, als die Krankenschwester Frau H versuchte, in einem schmalen Durchgang an ihm vorbeizugehen, bewußt mit seinem ganzen Körper an sie herangetreten ist, das Haar von Frau Ö gestreichelt hat mit der Bemerkung, "Frauen, die viele Haare haben, sind sehr erotisch und temperamentvoll", indem er die Praktikantin Y beim Austeilen der Mahlzeiten umarmte.

Diese Verhaltensweisen füllen als vorsätzliche sexuell bestimmte körperliche und/oder verbale Belästigungen den Tatbestand des § 2 Abs. 2 BSchG aus und stellen zugleich eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar.

Allerdings fehlt es im Hinblick auf angebliches entsprechendes Verhalten des Klägers gegenüber zwei Patientinnen an ausreichendem Sachvorbringen: Auch wenn der Kläger der 84jährigen Frau G gegen ihren Willen auf den Oberschenkel des operierten Beines "geklatscht" haben soll, so bleibt unklar, ob es sich insoweit um ein sexuell bestimmtes Verhalten gehandelt haben muß. Nicht auszuschließen ist auch, daß es entsprechend dem Vorbringen des Klägers beim Bettenmachen zu Berührungen gekommen sein könnte. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens zu beiden Patientinnen fehlt es an einlassungsfähigem Sachvortrag. Es bedarf im übrigen keines Hinweises, daß hinsichtlich der Patientinnen nicht das BSchG einschlägig wäre, es sich jedoch insoweit ebenfalls um arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen des Klägers handelte.
Hinsichtlich der oben umrissenen überwiegend unstreitigen Verhaltensweisen gegenüber Mitarbeitern ist jedoch mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, daß es sich insoweit um vorsätzliches sexuell bestimmtes Verhalten des Klägers gehandelt hat. Das verbale bzw. körperliche Verhalten des Klägers hat sich geschlechtsbezogen auf Personen des anderen Geschlechts ausgewirkt, war hierzu geeignet und insoweit auch beabsichtigt. Bemerkungen sexuellen Inhalts wie gegenüber Frau Ö oder Umarmungen und die Suche nach körperlichem Kontakt kann nur als bewußtes, nicht nur zufälliges sexuell bestimmtes Verhalten eingeordnet werden, das auch geeignet war, die Würde der Mitarbeiterinnen zu beeinträchtigen. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, daß die Mitarbeiter zu Recht verlangen können, daß der Kläger es unterläßt, absichtlich und unaufgefordert körperlichen Kontakt mit ihnen zu suchen. Daß die Mitarbeiterinnen mit der Verhaltensweise des Klägers nicht einverstanden waren, zeigen deutlich ihre Beschwerden. Auch für den Kläger mußte spätestens mit dem Gespräch am 2. Oktober 1997 deutlich geworden sein, daß derartiges Verhalten als Belästigung empfunden wurde und keineswegs erwünscht war. Was bei allem der Hinweis aussagen soll, daß er aus einem anderen Kulturkreis, nämlich K kommt, ist in diesem Zusammenhang nicht verständlich.

Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht festgestellt, daß die Einschätzung seines Verhaltens durch den Kläger selbst indiskutabel ist. Es entschuldigt sein Vorgehen in keiner Weise und ändert nichts an dem Vorliegen der sexuellen Belästigung. Soweit der Kläger etwa vorbringt, er habe Ende September 1997 Frau M zwar umarmt, dieses aber nur "freundschaftlich gesehen, ohne dabei einen sexuellen Kontakt zu beabsichtigen", auch habe er eine "ablehnende Haltung" der Frau M dabei nicht verspürt, oder wenn er erklärt, verbale Belästigungen gegenüber Frau Ö seien ihm "mehr als Scherz herausgerutscht", so wird dies dem Ernst der Vertragsverstöße in keiner Weise gerecht. Entsprechendes gilt für die Einlassung des Klägers zu dem Vorfall mit der Krankenschwester Frau H : Seine Behauptung, der von Frau H geschilderte körperliche Kontakt anläßlich einer Begegnung in einem schmalen Durchgang sei aufgrund seiner Schwerbehinderung entstanden und unabsichtlich erfolgt, ist wie für das Arbeitsgericht auch für die angerufene Kammer in keiner Weise nachvollziehbar. Daß der Kläger aufgrund der Spätfolgen einer Kinderlähmung nicht in der Lage wäre, trotz eines schiefen Gangbildes seinen Körper zu beherrschen und körperliche Berührung mit weiblichen Angestellten zu vermeiden, ist nicht verständlich. Der Kläger wird nicht umhinkönnen, sein in keiner Weise akzeptables Verhalten real einzuschätzen und den gesetzlich garantierten Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ernst zu nehmen. Daß das Verhalten des Klägers einen Kündigungsgrund an sich abgeben konnte, wird von der angerufenen Kammer nach allem bejaht.

Die ausgesprochene Kündigung ist dennoch rechtsunwirksam, weil sie gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt. Eine außerordentliche Kündigung, auch eine solche mit sozialer Auslauffrist, auf die sich die Beklagte in der Berufungsinstanz hilfsweise bezogen hat, die jedoch ihrem Charakter und ihrem Sanktionswert sowie ihren Folgen nach dem AFG nach außerordentliche Kündigung bleibt, ist unangemessen und nicht verhältnismäßig.
Das Arbeitsgericht hat zutreffend auf den Maßnahmenkatalog des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BSchG hingewiesen, den der Arbeitgeber hat, um das Ziel des Gesetzes, nämlich die Würde von Frauen und Männern durch den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu wahren, im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens zu verwirklichen. Zu Recht hat das Arbeitsgericht hervorgehoben, daß die Tatsache, daß der Kläger Mitarbeiter sexuell belästigt hat, auch nach dem BSchG nicht automatisch dazu führt, daß eine fristlose Kündigung auszusprechen ist. Die nach § 3 Abs. 2 BSchG geeignete Maßnahme ist vorliegend nicht die außerordentliche Kündigung, sondern es stand der Beklagten jedenfalls auch das Mittel der fristgemäßen Kündigung zur Verfügung, um die sexuellen Belästigungen für die Zukunft zu unterbinden. Insoweit war von der Beklagten im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens- und Beurteilungsspielraums abzuwägen, ob eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung angebracht war. Daß die Beklagte beide Möglichkeiten in ihre Erwägung einbezogen hat, zeigt sich darin, daß sie den Personalrat zugleich um Stellungnahme zur fristlosen und Zustimmung zur fristgerechten Kündigung gebeten hat. Auf die Frage, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht sogar auch nur den Ausspruch einer Abmahnung erforderlich gemacht hätte, um die Interessen der Beklagten in ausreichender Weise zu wahren, braucht im vorliegenden Verfahren nicht eingegangen zu werden.

Zur rechtlichen Einordnung der von der Beklagten konkret geschilderten Verhaltensweisen ist erforderlich, Gewicht, Intensität und Bedeutung zu sexuell bestimmten Belästigungen einzubeziehen. So wie bei Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind, nur solche Handlungen kündigungsrelevant sind, die von einiger Erheblichkeit sind, wobei die Erheblichkeit und die Bedeutung der sexuellen Belästigung auch von der Dauer der Handlung abhängen (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, a.a.O., § 166 V 2 b) und auch die Reaktion der Betroffenen die Schwere widerspiegeln kann, kommt es insgesamt darauf an, ob die sexuellen Handlungen derart gravierend sind, daß sie bei Beachtung der dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorge und des Schutzes der Betroffenen die gravierendste Maßnahme, nämlich die außerordentliche Kündigung erforderlich machen. Dies ist mit dem Arbeitsgericht bei Bewertung des zur Beurteilung stehenden Sachverhalts zu verneinen.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, daß die konkret geschilderten Verhaltensweisen zwar sexuelle Belästigungen des Klägers darstellen, aber in ihrer Ausgestaltung keine gravierenden sexuellen Übergriffe beinhalten. Es ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß die von den Mitarbeitern erwähnten Umarmungen nicht erkennen lassen, inwiefern sexuelle Belästigungen gravierend waren, d.h. welche körperlichen Kontakte konkret erzwungen wurden. Insgesamt lassen sich nicht sexuelle Belästigungen von einem Intensitätsgrad und einer Bedeutung auch für die betroffenen Mitarbeiterinnen erkennen, daß allein die außerordentliche Kündigung die geeignete und verhältnismäßige Reaktion zu sein hätte. Gerade die Reaktion der betroffenen Mitarbeiterinnen im vorliegenden Fall verdeutlicht, daß die Mitarbeiterinnen selbst das streiterhebliche Verhalten des Klägers nicht in dieser Weise als derart gravierend angesehen haben, daß eine weitere möglicherweise in der Zeit begrenzte Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr denkbar sein konnte. Wird beachtet, daß nach den Vorkommnissen im September 1997 lediglich ein Gespräch mit der Stationsleitung für notwendig gehalten und die Pflegedienstdirektion noch gar nicht eingeschaltet wurde, so spiegelt dies wider, daß jedenfalls die betroffenen Mitarbeiterinnen und auch ihre Vorgesetzten weder ein sofortiges Eingreifen noch eine Beendigung der Tätigkeit des Klägers als gefordert ansahen. Auch wenn der Kläger sich dann erneut Ende November 1997 in vergleichbarer Weise verhalten hat, mußte dies nunmehr nicht sofort die arbeitsrechtlich gravierendste Maßnahme der erstmals jetzt eingeschalteten übergeordneten Institution hervorrufen. Da die Beklagte als Arbeitgeberin sowohl die Interessen des Verletzten als auch des Störers zu berücksichtigen hat, hat die gewählte Maßnahme nicht nur geeignet zu sein, um sexuelle Belästigungen zukünftig zu unterbinden, sondern muß auch verhältnismäßig gegenüber dem Störer sein. Ob der Kläger auf einer anderen Station hätte eingesetzt werden können, etwa auf der vorherigen, auf der es nach seinem Vorbringen keine einschlägigen Vorkommnisse gegeben hat, oder ob andere, wie vom Personalrat in dessen Schreiben vom 1. Dezember 1997 angeführt, Maßnahmen geeignet gewesen wären, kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, denn in jedem Fall war die außerordentliche Kündigung nicht erforderlich, um die gesetzliche Verpflichtung der Beklagten einzulösen, ausreichenden Schutz für die Mitarbeiterinnen in geeigneter Weise zu gewähren. Hiervon ist auch auszugehen, wenn eine Weiterbeschäftigung des Klägers nur auf der bisherigen Station möglich gewesen wäre, denn durch geeignete Personalgespräche und angemessener Kontrolle wären zumutbare Arbeitsbedingungen aller Mitarbeiterinnen zu gewährleisten. Darauf, ob Mitarbeiterinnen anderer Stationen nach Vortrag der Beklagten bereits erklärt haben, daß sie unter keinen Umständen mit dem Kläger zusammenarbeiten wollen, kommt es demgemäß nicht an. Auch wenn eine in der Berufungserwiderung enthaltene Bewertung des Klägers zu Äußerungen hinsichtlich des Aussehens einer Mitarbeiterin, daß nämlich derartige Bemerkungen als Komplimente zu verstehen seien, völlig unverständlich bleiben müssen, kann im Hinblick auf die bereits im Zusammenhang mit der außerordentlichen Kündigung geführten Gespräche angenommen werden, daß der Kläger sich zukünftig hüten wird, sich in einer Weise zu verhalten, die zu Recht Anstoß bewirkt hat.
Nach allem kann die außerordentliche Kündigung der Beklagten nicht als verhältnismäßig angesehen werden.

Letztlich macht auch die Interessenabwägung die außerordentliche Kündigung nicht erforderlich. Während die Interessen der Beklagten, wie bereits in den vorstehenden Ausführungen dargelegt, auch gewahrt wären, wenn auf eine außerordentliche Kündigung verzichtet würde, wären die Auswirkungen einer außerordentlichen Kündigung für den Kläger unabhängig von den Folgen nach dem Arbeitsförderungsgesetz immens. Angesichts seines Lebensalters, seiner Herkunft und seiner Schwerbehinderung müßte die Vermittlung in ein neues Arbeitsverhältnis bereits generell als schwierig angesehen werden. Weiterhin ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, daß das schon lang andauernde Arbeitsverhältnis ersichtlich störungsfrei verlaufen ist. Es war der Beklagten nach allem zuzumuten, von dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung Abstand zu nehmen.

Nach allem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu. Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich nicht allein aus der Tatsache, daß mit dem Beschäftigungsschutzgesetz ein relativ neues Gesetz streiterheblich geworden ist. Darüber hinausgehende Anhaltspunkte für eine grundsätzliche Bedeutung sind nicht ersichtlich. Die Berufungskammer ist auch von der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht abgewichen.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht