Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Gericht
LAG Hamburg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
21. 10. 1998
Aktenzeichen
4 Sa 53/98
Auszüge aus dem Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die die Beklagte am 3. Dezember 1997 gegenüber dem Kläger ausgesprochen hat. Der 41jährige verheiratete Kläger, der infolge von Spätfolgen einer Kinderlähmung zu 30 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist, ist seit dem 1. November 1989 als Krankenpfleger tätig, zunächst bei der X, später nach Rechtsübergang bei der Beklagten. Er war bis zum 28. Februar 1997 im A- Krankenhaus beschäftigt und wurde mit Wirkung ab dem 1. März 1997 in das AK versetzt.
Am 25. November 1997 wurde die Pflegedienstdirektion des AK durch ein Schreiben einer Krankenschwester der Station 7 u, auf der der Kläger zuletzt tätig war, Frau Ö , über wiederholte verbale und körperliche Belästigungen des Klägers unterrichtet. Bereits Ende September 1997 hatten sich diese Mitarbeiterin und zwei weitere Krankenschwestern bei der Stationsleitung der Station 7 u beschwert und berichtet, daß sie von dem Kläger körperlich und zum Teil verbal belästigt worden seien. In einem daraufhin mit dem Kläger am 2. Oktober 1997 von der Stationsleitung geführten Gespräch wurde dem Kläger erklärt, daß bei einer Wiederholung dieser Vorfälle die Pflegedienstdirektion unterrichtet werden würde. Am 24. November 1997 belästigte der Kläger dann die oben erwähnte Krankenschwester Frau Ö erneut; nach Vortrag des Klägers soll Frau Ö eine Entschuldigung angenommen haben. Der Kläger soll nach weiteren Erkenntnissen der Pflegedienstdirektion auch zwei Praktikantinnen und zwei Patientinnen belästigt haben. Der Kläger bestreitet die Vorwürfe teilweise.
Nach Anhörung des Personalrats und trotz dessen Ablehnung sprach die Beklagte mit Schreiben vom 3. Dezember 1997 die außerordentliche Kündigung aus (vgl. Anlage K 1, Blatt 6 der Akte). Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung und begehrt Weiterbeschäftigung.
Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird in Anwendung des § 543 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 Arbeitsgerichtsgesetz abgesehen. Es wird insoweit auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 4. Juni 1998 - 8 Ca 577/97 - Bezug genommen (Seiten 3 bis 5 des Urteils, Blatt 67 ff der Akte).
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Für die Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Seiten 6 bis 9 des Urteils, Blatt 70 ff der Akte) verwiesen (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter. Hinsichtlich des ergänzenden Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 29. Juni 1998 (Blatt 77 ff der Akte), die Berufungserwiderung des Klägers vom 30. Juli 1998 (Blatt 87 ff der Akte) sowie die weiteren Schriftsätze der Beklagten vom 1. September 1998 (Blatt 96 ff der Akte), 22. September 1998 (Blatt 108 der Akte), 25. September 1998 (Blatt 112 f der Akte) und 6. Oktober 1998 (Blatt 115 ff der Akte) verwiesen. Wegen des Sachvortrages der Parteien und der von ihnen überreichten Unterlagen, ihrer Beweisantritte und ihrer Rechtsausführungen im übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt einschließlich der Sitzungsprotokolle Bezug genommen (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Nachdem der Personalrat der hilfsweise von der Beklagten beantragten fristgerechten Kündigung ebenfalls nicht zugestimmt hatte, hat die im entsprechenden Mitbestimmungsverfahren gebildete Einigungsstelle durch Beschluß vom 28. September 1998 inzwischen die Zustimmung zur fristgemäßen Kündigung des Klägers ersetzt. Die Beklagte hat nunmehr hilfsweise die fristgemäße Kündigung zum 31. März 1999 ausgesprochen.
Auszüge aus den Gründen
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 3. Dezember 1997 weder mit sofortiger Wirkung noch entsprechend ihrem im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag mit einer sozialen Auslauffrist am 30. Juni 1998 beendet worden. Die Berufung der Beklagten war demgemäß zurückzuweisen mit der Maßgabe, daß die Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses und die Verurteilung zur Weiterbeschäftigung im Hinblick auf die von der Beklagten inzwischen ausgesprochene ordentliche Kündigung entsprechend den in der Berufungsverhandlung eingeschränkten Klaganträgen nur bis zum 31. März 1999 auszuurteilen sein konnte.
Die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist nicht gerechtfertigt. Die Berufungskammer bewertet die zum Teil unstreitigen, zum Teil streitigen als zugunsten der Beklagten geschehen angenommenen Tatsachen ebenso wie das Arbeitsgericht als nicht ausreichend, um eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen. Dabei kann dahinstehen, ob dem Kläger zuvor eine Abmahnung hätte ausgesprochen werden müssen, was ersichtlich nicht geschehen ist, und ob der Personalrat ordnungsgemäß beteiligt worden ist.
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von
jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen,
aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung alle
Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen
beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Der wichtige Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB wird nach
herrschender Lehre und Rechtsprechung durch die objektiv
vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Es
ist darauf abzustellen, ob der Sachverhalt an sich unabhängig
von den Besonderheiten des Einzelfalles einen wichtigen Grund
für eine außerordentliche Kündigung abgeben kann (vgl. nur
KR-Hillebrecht, 4. Auflage, § 626 BGB Randnote 68 mit
zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung und Literatur).
Darüber hinaus hat auch die außerordentliche Kündigung dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu entsprechen und muß
letztlich einer Abwägung der beiderseitigen Interessen
standhalten.
Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung auf sexuelle
Belästigungen des Klägers gestützt. Demgemäß sind die
rechtlichen Anforderungen an die außerordentliche Kündigung
zusätzlich an den Regelungen des Gesetzes zum Schutz der
Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vom 24.
Juni 1994 (Beschäftigtenschutzgesetz - BSchG - ) zu messen.
Gemäß § 2 Abs. 2 BSchG stellt eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz jedes vorsätzliche sexuell bestimmte Verhalten dar, welches die Würde von Beschäftigten verletzt. Dazu gehören nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 BSchG sexuelle Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafrechtlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind sowie sonstige sexuelle Handlungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden. Arbeitgeber und Dienstvorgesetzte haben gemäß § 2 Abs. 1 BSchG die Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen, wozu auch vorbeugende Maßnahmen gehören. Eine Beschwerde von Beschäftigten hat der Arbeitgeber gemäß § 3 Abs. 2 BSchG zu prüfen und geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Fortsetzung einer festgestellten Belästigung zu unterbinden.
Bei sexueller Belästigung hat der Arbeitgeber gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 BSchG die im Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen; es gilt mithin auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dem Arbeitgeber wird ein Ermessens- und Beurteilungsspielraum zugestanden, welche Maßnahmen er ergreift. Demgemäß kann die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellt, auch ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund oder ein wichtiger Grund zur Kündigung sein (vgl. zu allem auch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 8. Auflage, § 166 V 2 b und c, 3 a bis c, 4 a und b).
In Anwendung dieser Grundsätze ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung, auch eine solche mit sozialer Auslauffrist, nicht gerechtfertigt.
Die angerufene Kammer legt wie das Arbeitsgericht der rechtlichen Bewertung die gesamten von der Beklagten geschilderten zum Teil streitigen Verhaltensweisen des Klägers zugrunde, soweit der Sachvortrag ausreichend substantiiert und damit einer Beurteilung zugänglich ist. Wenn Sachvortrag der Beklagten vom Kläger bestritten worden ist, bedurfte es demgemäß keiner Beweisaufnahme.
Damit ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, daß der Kläger Mitarbeiterinnen wiederholt sexuell belästigt hat, indem er Arbeitskolleginnen gegen ihren Willen umarmt hat, auf eine dienstliche Anweisung äußerte, "wenn Du mich küßt, weil ich Dich doch so gerne habe, dann mache ich das für Dich", versucht hat, körperlichen Kontakt zu erzwingen, indem er, als die Krankenschwester Frau H versuchte, in einem schmalen Durchgang an ihm vorbeizugehen, bewußt mit seinem ganzen Körper an sie herangetreten ist, das Haar von Frau Ö gestreichelt hat mit der Bemerkung, "Frauen, die viele Haare haben, sind sehr erotisch und temperamentvoll", indem er die Praktikantin Y beim Austeilen der Mahlzeiten umarmte.
Diese Verhaltensweisen füllen als vorsätzliche sexuell bestimmte körperliche und/oder verbale Belästigungen den Tatbestand des § 2 Abs. 2 BSchG aus und stellen zugleich eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar.
Allerdings fehlt es im Hinblick auf angebliches entsprechendes
Verhalten des Klägers gegenüber zwei Patientinnen an
ausreichendem Sachvorbringen: Auch wenn der Kläger der
84jährigen Frau G gegen ihren Willen auf den Oberschenkel des
operierten Beines "geklatscht" haben soll, so bleibt
unklar, ob es sich insoweit um ein sexuell bestimmtes Verhalten
gehandelt haben muß. Nicht auszuschließen ist auch, daß es
entsprechend dem Vorbringen des Klägers beim Bettenmachen zu
Berührungen gekommen sein könnte. Hinsichtlich des weiteren
Vorbringens zu beiden Patientinnen fehlt es an
einlassungsfähigem Sachvortrag. Es bedarf im übrigen keines
Hinweises, daß hinsichtlich der Patientinnen nicht das BSchG
einschlägig wäre, es sich jedoch insoweit ebenfalls um
arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen des Klägers handelte.
Hinsichtlich der oben umrissenen überwiegend unstreitigen
Verhaltensweisen gegenüber Mitarbeitern ist jedoch mit dem
Arbeitsgericht davon auszugehen, daß es sich insoweit um
vorsätzliches sexuell bestimmtes Verhalten des Klägers
gehandelt hat. Das verbale bzw. körperliche Verhalten des
Klägers hat sich geschlechtsbezogen auf Personen des anderen
Geschlechts ausgewirkt, war hierzu geeignet und insoweit auch
beabsichtigt. Bemerkungen sexuellen Inhalts wie gegenüber Frau
Ö oder Umarmungen und die Suche nach körperlichem Kontakt kann
nur als bewußtes, nicht nur zufälliges sexuell bestimmtes
Verhalten eingeordnet werden, das auch geeignet war, die Würde
der Mitarbeiterinnen zu beeinträchtigen. Das Arbeitsgericht hat
zutreffend festgestellt, daß die Mitarbeiter zu Recht verlangen
können, daß der Kläger es unterläßt, absichtlich und
unaufgefordert körperlichen Kontakt mit ihnen zu suchen. Daß
die Mitarbeiterinnen mit der Verhaltensweise des Klägers nicht
einverstanden waren, zeigen deutlich ihre Beschwerden. Auch für
den Kläger mußte spätestens mit dem Gespräch am 2. Oktober
1997 deutlich geworden sein, daß derartiges Verhalten als
Belästigung empfunden wurde und keineswegs erwünscht war. Was
bei allem der Hinweis aussagen soll, daß er aus einem anderen
Kulturkreis, nämlich K kommt, ist in diesem Zusammenhang nicht
verständlich.
Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht festgestellt, daß die Einschätzung seines Verhaltens durch den Kläger selbst indiskutabel ist. Es entschuldigt sein Vorgehen in keiner Weise und ändert nichts an dem Vorliegen der sexuellen Belästigung. Soweit der Kläger etwa vorbringt, er habe Ende September 1997 Frau M zwar umarmt, dieses aber nur "freundschaftlich gesehen, ohne dabei einen sexuellen Kontakt zu beabsichtigen", auch habe er eine "ablehnende Haltung" der Frau M dabei nicht verspürt, oder wenn er erklärt, verbale Belästigungen gegenüber Frau Ö seien ihm "mehr als Scherz herausgerutscht", so wird dies dem Ernst der Vertragsverstöße in keiner Weise gerecht. Entsprechendes gilt für die Einlassung des Klägers zu dem Vorfall mit der Krankenschwester Frau H : Seine Behauptung, der von Frau H geschilderte körperliche Kontakt anläßlich einer Begegnung in einem schmalen Durchgang sei aufgrund seiner Schwerbehinderung entstanden und unabsichtlich erfolgt, ist wie für das Arbeitsgericht auch für die angerufene Kammer in keiner Weise nachvollziehbar. Daß der Kläger aufgrund der Spätfolgen einer Kinderlähmung nicht in der Lage wäre, trotz eines schiefen Gangbildes seinen Körper zu beherrschen und körperliche Berührung mit weiblichen Angestellten zu vermeiden, ist nicht verständlich. Der Kläger wird nicht umhinkönnen, sein in keiner Weise akzeptables Verhalten real einzuschätzen und den gesetzlich garantierten Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ernst zu nehmen. Daß das Verhalten des Klägers einen Kündigungsgrund an sich abgeben konnte, wird von der angerufenen Kammer nach allem bejaht.
Die ausgesprochene Kündigung ist dennoch rechtsunwirksam,
weil sie gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.
Eine außerordentliche Kündigung, auch eine solche mit sozialer
Auslauffrist, auf die sich die Beklagte in der Berufungsinstanz
hilfsweise bezogen hat, die jedoch ihrem Charakter und ihrem
Sanktionswert sowie ihren Folgen nach dem AFG nach
außerordentliche Kündigung bleibt, ist unangemessen und nicht
verhältnismäßig.
Das Arbeitsgericht hat zutreffend auf den Maßnahmenkatalog des
§ 4 Abs. 1 Nr. 1 BSchG hingewiesen, den der Arbeitgeber hat, um
das Ziel des Gesetzes, nämlich die Würde von Frauen und
Männern durch den Schutz vor sexueller Belästigung am
Arbeitsplatz zu wahren, im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens
zu verwirklichen. Zu Recht hat das Arbeitsgericht hervorgehoben,
daß die Tatsache, daß der Kläger Mitarbeiter sexuell
belästigt hat, auch nach dem BSchG nicht automatisch dazu
führt, daß eine fristlose Kündigung auszusprechen ist. Die
nach § 3 Abs. 2 BSchG geeignete Maßnahme ist vorliegend nicht
die außerordentliche Kündigung, sondern es stand der Beklagten
jedenfalls auch das Mittel der fristgemäßen Kündigung zur
Verfügung, um die sexuellen Belästigungen für die Zukunft zu
unterbinden. Insoweit war von der Beklagten im Rahmen des ihr
zustehenden Ermessens- und Beurteilungsspielraums abzuwägen, ob
eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung angebracht
war. Daß die Beklagte beide Möglichkeiten in ihre Erwägung
einbezogen hat, zeigt sich darin, daß sie den Personalrat
zugleich um Stellungnahme zur fristlosen und Zustimmung zur
fristgerechten Kündigung gebeten hat. Auf die Frage, ob der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht sogar auch nur den
Ausspruch einer Abmahnung erforderlich gemacht hätte, um die
Interessen der Beklagten in ausreichender Weise zu wahren,
braucht im vorliegenden Verfahren nicht eingegangen zu werden.
Zur rechtlichen Einordnung der von der Beklagten konkret geschilderten Verhaltensweisen ist erforderlich, Gewicht, Intensität und Bedeutung zu sexuell bestimmten Belästigungen einzubeziehen. So wie bei Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafgesetzlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind, nur solche Handlungen kündigungsrelevant sind, die von einiger Erheblichkeit sind, wobei die Erheblichkeit und die Bedeutung der sexuellen Belästigung auch von der Dauer der Handlung abhängen (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, a.a.O., § 166 V 2 b) und auch die Reaktion der Betroffenen die Schwere widerspiegeln kann, kommt es insgesamt darauf an, ob die sexuellen Handlungen derart gravierend sind, daß sie bei Beachtung der dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorge und des Schutzes der Betroffenen die gravierendste Maßnahme, nämlich die außerordentliche Kündigung erforderlich machen. Dies ist mit dem Arbeitsgericht bei Bewertung des zur Beurteilung stehenden Sachverhalts zu verneinen.
Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, daß die konkret
geschilderten Verhaltensweisen zwar sexuelle Belästigungen des
Klägers darstellen, aber in ihrer Ausgestaltung keine
gravierenden sexuellen Übergriffe beinhalten. Es ist auch
zutreffend davon ausgegangen, daß die von den Mitarbeitern
erwähnten Umarmungen nicht erkennen lassen, inwiefern sexuelle
Belästigungen gravierend waren, d.h. welche körperlichen
Kontakte konkret erzwungen wurden. Insgesamt lassen sich nicht
sexuelle Belästigungen von einem Intensitätsgrad und einer
Bedeutung auch für die betroffenen Mitarbeiterinnen erkennen,
daß allein die außerordentliche Kündigung die geeignete und
verhältnismäßige Reaktion zu sein hätte. Gerade die Reaktion
der betroffenen Mitarbeiterinnen im vorliegenden Fall
verdeutlicht, daß die Mitarbeiterinnen selbst das
streiterhebliche Verhalten des Klägers nicht in dieser Weise als
derart gravierend angesehen haben, daß eine weitere
möglicherweise in der Zeit begrenzte Zusammenarbeit mit dem
Kläger nicht mehr denkbar sein konnte. Wird beachtet, daß nach
den Vorkommnissen im September 1997 lediglich ein Gespräch mit
der Stationsleitung für notwendig gehalten und die
Pflegedienstdirektion noch gar nicht eingeschaltet wurde, so
spiegelt dies wider, daß jedenfalls die betroffenen
Mitarbeiterinnen und auch ihre Vorgesetzten weder ein sofortiges
Eingreifen noch eine Beendigung der Tätigkeit des Klägers als
gefordert ansahen. Auch wenn der Kläger sich dann erneut Ende
November 1997 in vergleichbarer Weise verhalten hat, mußte dies
nunmehr nicht sofort die arbeitsrechtlich gravierendste Maßnahme
der erstmals jetzt eingeschalteten übergeordneten Institution
hervorrufen. Da die Beklagte als Arbeitgeberin sowohl die
Interessen des Verletzten als auch des Störers zu
berücksichtigen hat, hat die gewählte Maßnahme nicht nur
geeignet zu sein, um sexuelle Belästigungen zukünftig zu
unterbinden, sondern muß auch verhältnismäßig gegenüber dem
Störer sein. Ob der Kläger auf einer anderen Station hätte
eingesetzt werden können, etwa auf der vorherigen, auf der es
nach seinem Vorbringen keine einschlägigen Vorkommnisse gegeben
hat, oder ob andere, wie vom Personalrat in dessen Schreiben vom
1. Dezember 1997 angeführt, Maßnahmen geeignet gewesen wären,
kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, denn in jedem Fall
war die außerordentliche Kündigung nicht erforderlich, um die
gesetzliche Verpflichtung der Beklagten einzulösen,
ausreichenden Schutz für die Mitarbeiterinnen in geeigneter
Weise zu gewähren. Hiervon ist auch auszugehen, wenn eine
Weiterbeschäftigung des Klägers nur auf der bisherigen Station
möglich gewesen wäre, denn durch geeignete Personalgespräche
und angemessener Kontrolle wären zumutbare Arbeitsbedingungen
aller Mitarbeiterinnen zu gewährleisten. Darauf, ob
Mitarbeiterinnen anderer Stationen nach Vortrag der Beklagten
bereits erklärt haben, daß sie unter keinen Umständen mit dem
Kläger zusammenarbeiten wollen, kommt es demgemäß nicht an.
Auch wenn eine in der Berufungserwiderung enthaltene Bewertung
des Klägers zu Äußerungen hinsichtlich des Aussehens einer
Mitarbeiterin, daß nämlich derartige Bemerkungen als
Komplimente zu verstehen seien, völlig unverständlich bleiben
müssen, kann im Hinblick auf die bereits im Zusammenhang mit der
außerordentlichen Kündigung geführten Gespräche angenommen
werden, daß der Kläger sich zukünftig hüten wird, sich in
einer Weise zu verhalten, die zu Recht Anstoß bewirkt hat.
Nach allem kann die außerordentliche Kündigung der Beklagten
nicht als verhältnismäßig angesehen werden.
Letztlich macht auch die Interessenabwägung die außerordentliche Kündigung nicht erforderlich. Während die Interessen der Beklagten, wie bereits in den vorstehenden Ausführungen dargelegt, auch gewahrt wären, wenn auf eine außerordentliche Kündigung verzichtet würde, wären die Auswirkungen einer außerordentlichen Kündigung für den Kläger unabhängig von den Folgen nach dem Arbeitsförderungsgesetz immens. Angesichts seines Lebensalters, seiner Herkunft und seiner Schwerbehinderung müßte die Vermittlung in ein neues Arbeitsverhältnis bereits generell als schwierig angesehen werden. Weiterhin ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, daß das schon lang andauernde Arbeitsverhältnis ersichtlich störungsfrei verlaufen ist. Es war der Beklagten nach allem zuzumuten, von dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung Abstand zu nehmen.
Nach allem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu. Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich nicht allein aus der Tatsache, daß mit dem Beschäftigungsschutzgesetz ein relativ neues Gesetz streiterheblich geworden ist. Darüber hinausgehende Anhaltspunkte für eine grundsätzliche Bedeutung sind nicht ersichtlich. Die Berufungskammer ist auch von der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht abgewichen.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen