Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Gericht
ArbG Düsseldorf 11. Kammer
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
19. 06. 1997
Aktenzeichen
11 Ca 122/97
Einem Arbeitnehmer, der eine Kollegin am Telefon durch Wortwahl und Aufforderung zu sexuellen Handlungen schwerwiegend sexuell belästigt, kann ohne vorherige Abmahnung außerordentlich gekündigt werden.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über eine außerordentliche Kündigung der Beklagten sowie um damit zusammenhängende Ansprüche auf Weiterbeschäftigung und Zahlung.
Der 51jährige, kinderlos verheiratete Kläger ist seit Juni 1973 bei dem beklagten Krankenhaus als Koch tätig. Die Beklagte, bei der eine Mitarbeitervertretung gebildet ist, beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer. Dem Arbeitsverhältnis liegen die Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes (AVR) in ihrer jeweils geltenden Fassung zugrunde.
Unter dem 11.12.1996 erhielt die Beklagte ein Schreiben ihrer Mitarbeiterin ... In diesem Schreiben beschwerte sich die Mitarbeiterin über den Kläger wegen "sexueller Nötigung am Arbeitsplatz" am 08.12.1996. Auf den Inhalt des Schreibens im übrigen (Blatt 22 d. Akte) wird Bezug genommen. Frau ... ist bei der Beklagten als Telefonistin in der Telefonzentrale tätig. Bis vor einigen Jahren war sie als hauswirtschaftliche Hilfe in der Cafeteria beschäftigt. Die Cafeteria grenzt an den Küchenbereich in dem der Kläger arbeitet.
Am 16.12.1996 hörte die Beklagte den Kläger in Anwesenheit der Mitarbeitervertretung zu den Vorwürfen an. Nach Anhörung der Mitarbeitervertretung am 18.12.1996 (Blatt 37 u. Blatt 40 d. Akte) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23.12.1996, welches dem Kläger noch am gleichen Tag in den Briefkasten geworfen wurde, außerordentlich und fristlos.
Mit seiner am 08.01.1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung. Er meint, daß ein wichtiger Grund für diese nicht gegeben sei, und rügt die Anhörung der Mitarbeitervertretung.
Mit Schriftsatz vom 05.06.1997 hat er die Klage auf Weiterbeschäftigung sowie auf Annahmeverzugsansprüche für den Zeitraum nach dem 23.12.1996 bis einschließlich Mai 1997 erweitert.
Der Kläger beantragt zuletzt,
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, der Kläger habe in einem Telefonat am
08.12.1996 gegen 07.25 Uhr der Mitarbeiterin ... gegenüber
folgende Äußerung getätigt:
"Du kleine süße Sau, jetzt nimm mal Deine Hände von Deinen Titten, fahre damit tiefer und gehe mit Deinen Händen an die Oberschenkel und fahre damit ganz langsam hoch."
Der Kläger läßt sich dahingehend ein, er könne sich an ein Telefonat nicht einmal erinnern. Im übrigen sei im Bereich der Küche des Krankenhauses auch anzüglich gesprochen worden. Die Mitarbeiterin ... habe hierin keine Ausnahme gebildet. So habe sich der Kläger bei ihr u.a. auch Pornofilme entliehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie, auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Das Arbeitsverhältnis ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.12.1996 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden.
1. Das Vertragsverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden Rann, § 626 Abs. 1 BGB. Kündigungsgrund im Sinne dieser Vorschrift ist jeder, Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet ( KR - Hillebrecht, 4. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 68 mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Demgemäß ist eine außerordentliche Kündigung auf ihre Wirksamkeit in zwei Stufen zu prüfen. Zuerst ist festzustellen, ob überhaupt ein Sachverhalt gegeben ist, der an sich als Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Alsdann ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles unter Abwägung der beiderseitigen Interessen festzustellen, ob auch im konkreten Fall dem Kündigenden die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar war. Dabei ist bei Störungen im Leistungs- bzw. Verhaltensbereich grundsätzlich eine vorherige Abmahnung erforderlich. Diese ist allerdings dann entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht glauben konnte, der Arbeitgeber werde sein Verhalten nicht als so schwerwiegend ansehen, daß er kündigungsrechtliche Konsequenzen zieht. In diesem Fall ist nämlich die von der Abmahnung grundsätzlich zu leistende Warnfunktion überflüssig. Sexuelle Zudringlichkeiten eines Vorgesetzten gegenüber Arbeitnehmerinnen können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 09.01.1986, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 98).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die streitgegenständliche Kündigung wirksam. Zur Überzeugung der Kammer steht auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme fest, daß der Kläger gegenüber der Zeugin ... die ihm vorgeworfene Äußerung getätigt hat. Die Zeugin hat bei ihrer Befragung durch die Kammer die von ihr schon in der Beschwerde vom 11.12.1996 erhobenen Vorwürfe wiederholt. Die Kammer hatte keine Veranlassung, die Aussage der Zeugin in Zweifel zu ziehen. Diese erschien der Kammer vielmehr ausgesprochen glaubhaft. Sie war in sich schlüssig und frei von Widersprüchen. Soweit der Kläger darauf hinweist, die ihm vorgeworfene Äußerung wirke wie in ein Telefonat hineinplaziert, da sie mit dem übrigen Inhalt nicht in Zusammenhang steht, so kann dies die Überzeugung der Kammer nicht erschüttern. Der Kläger selbst hat keinerlei Motiv genannt, weshalb die Zeugin die Vorwürfe hätte erfinden sollen. Daß die Äußerung unvermittelt und ohne Vorwarnung erfolgte, liegt nicht an der Zeugin, sondern am Kläger. Die Zeugin machte zudem auf die Kammer nach ihrem gesamten Erscheinungsbild einen sehr glaubwürdigen Eindruck. Ein irgendwie geartetes Interesse an einem bestimmten Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits ist bei ihr nicht erkennbar. Für die Zeugin spricht auch, daß sie die schriftliche Beschwerde erst formulierte, als der unmittelbare Vorgesetzte des Klägers ihr hierzu riet. Zudem hat die Zeugin klägerseits unwidersprochen bekundet, daß sie sich bereits seit ihrer Tätigkeit in der Cafeteria d.h. bereits seit mehreren Jahren gut mit ihm verstanden habe. Demgegenüber erscheint die eigene Einlassung des Klägers kaum glaubhaft. Er ist bereits am 16.12.1996 durch die Beklagte angehört worden. Zu diesem Zeitpunkt zumindest hätte ihm in Erinnerung sein müssen, ob er am 08.12.1996 morgens mit der Zeugin ... telefoniert und ihr mitgeteilt hatte, daß die Spülmaschine defekt sei. Zur Überzeugung der Kammer ist auch ausgeschlossen, daß die Zeugin den Kläger verwechselt hat. Sie ist mit dem Kläger bereits seit langen Jahren bekannt. Zu dem Telefon, von welchem der Anruf erfolgte, hat zudem nur ein begrenzter Mitarbeiterkreis Zugang. In jeder Hinsicht bezeichnenderweise hat der Kläger selbst sich nicht einmal darauf berufen, von der Zeugin möglicherweise verwechselt worden zu seid.
Das festgestellte Verhalten des Klägers stellt sich als grobe sexuelle Belästigung im Sinne von § 2 Abs. 2 Ziff. 2 Beschäftigtenschutzgesetz dar. Danach gehören zu sexuellen Belästigungen im Arbeitsplatz u.a. auch Aufforderungen zu sexuellen Handlungen. Die Äußerungen des Klägers stellen auch keine bloße Geschmacklosigkeit dar. Vielmehr handelt es sich um eine grobe Herabwürdigung der Persönlichkeit und der Würde der Zeugin. Vom Gewicht her ist sie keineswegs zu vergleichen mit den klägerseits als üblich bezeichneten Anzüglichkeiten. Die Äußerung kam zudem für die Zeugin völlig unvermittelt. Nicht einmal der Kläger selbst hat vorgetragen, daß er durch die Zeugin zu einem derartigen Verhalten provoziert worden sei. Die Zeugin war als Telefonistin einer solchen sexuellen Belästigung ohne Ausweichmöglichkeit ausgeliefert. Nachvollziehbarerweise hat sie bekundet, daß sie bei der Äußerung des Klägers Ekel empfunden habe. Die Äußerung greift nicht nur gravierend in den Intimbereich der Zeugin ein. Der Kläger hat auch durch die Wortwahl ("Titten") seine Herabwürdigung zum Ausdruck gebracht. Eine derartig gravierende psychische Verletzungshandlung ist grundsätzlich nicht anders als eine Tätlichkeit an sich als Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet.
Vorliegend war auch eine einschlägige Abmahnung des Klägers entbehrlich. Der Kläger konnte angesichts der Schwere seiner Verfehlung nicht glauben, daß sein Verhalten seitens der Beklagten ohne rechtliche Konsequenzen im Hinblick auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses blieb. Der Kläger selbst hat die Schwere des Vorwurfs auch ohne vorherige Abmahnung zutreffend erkannt. In der Anhörung am 16.12.1996 hat er die Äußerung in zutreffender Abgrenzung zu den sonstigen Anzüglichkeiten als "pervers" bezeichnet.
Auch die vorzunehmende Interessenabwägung führt zu keinem anderen Ergebnis. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die außerordentliche Kündigung nach den AVR ausgeschlossen war. Ein derartiger Ausschluß der ordentlichen Kündigung wirkt sich bei einmaligen Vorfällen ohne Wiederholungsgefahr zugunsten des Arbeitnehmers aus, während bei Vorfällen mit Wiederholungsgefahr dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung eher unzumutbar sein kann als bei einem ordentlichen kündbaren Arbeitnehmer (vgl. nur KR-Hillebrecht, 4. Aufl., § 626, Rdnr. 205). Zwar ist der Kläger bereits 51 Jahre alt und weist eine Betriebszugehörigkeit von über 23 Jahren auf. Er hat jedoch keine besonderen Unterhaltspflichten zu erfüllen. Die Beklagte mußte zudem berücksichtigen, daß der Kläger als Koch gegenüber den weiblichen Küchenhilfskräften eine gewisse Vorgesetztenstellung hatte. Insbesondere bei den im Schichtbetrieb immer wieder auftretenden Abwesenheitszeiten des Abteilungsleiters lag deshalb eine Wiederholungsgefahr nah. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß in Anbetracht der Beschäftigungsdauer des Klägers sicherlich die "Schmerzgrenze" für Pflichtverletzungen gegenüber der Beklagten als Arbeitgeberin höher anzusetzen ist. Vorliegend schreibt das Beschäftigtenschutzgesetz jedoch besondere Schutzpflichten des Arbeitgebers gegenüber dritten Personen, nämlich den Kolleginnen des Klägers, vor. Aus seiner langjährigen Beschäftigungsdauer folgt jedoch kein höheres Recht des Klägers, seine Kolleginnen sexuell zu belästigen. Eine besondere Wiederholungsgefahr folgt auch daraus, daß der Kläger die fragliche Äußerung von Beginn an und auch bis zuletzt geleugnet hat. Die Beklagte konnte demnach nicht von einem "einmaligen Ausrutscher" ausgehen. Sie mußte zudem berücksichtigen, daß Frauen bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz oftmals zurückhaltend reagieren (vgl. Linde, Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, BB 1994, S. 2412; Merkel, AuA 1994, S. 267), so daß sie von weiteren Pflichtverletzungen des Klägers nicht notwendig erfahren würde. So hat auch die Zeugin begründet, daß sie nicht wisse, ob sie sich getraut hätte, den Sachverhalt zu offenbaren, wenn sie noch Mitarbeiterin der Cafeteria gewesen wäre.
Es lag auch nach dem Klägervortrag keine besondere Beziehung des Klägers zur Zeugin ... vor, welche ausgeschlossen hätte, daß ähnliche Vorfälle gegenüber anderen Mitarbeiterinnen nicht vorfallen können. Dabei hat die Kammer zugunsten des Klägers unterstellt, daß dieser sich entgegen sich den Bekundungen der Zeugin ... von dieser Pornofilme entliehen hat. Der fragliche Vorfall liegt jedoch nach der Schilderung des Klägers im Kammertermin mehrere Jahre zurück und kam mehr oder weniger zufällig zustande. Der Kläger selbst hat hieraus nicht geschlossen, sich gegenüber der Zeugin eine besondere Art von Anzüglichkeiten herausnehmen zu dürfen.
3. Die Kündigung ist auch nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung der Mitarbeitervertretung nach § 31 Abs. 3 MAV unwirksam.
Die Mitarbeitervertretung ist vor Ausspruch der Kündigung angehört worden und hat dieser zugestimmt. Die Beklagte hat sie auch über den Kündigungssachverhalt hinreichend informiert. Ihr ist im Anhörungsschreiben vom 18.12.1996 der Inhalt der Beschwerde der Zeugin ... mitgeteilt worden. Auch war sie bei der Anhörung des Klägers am 16.12.1996 anwesend.
II.
Der Weiterbeschäftigungsantrag ist wie auch das auf Annahmeverzug gestützte Zahlungsverlangen unbegründet, da die Kammer wie dargelegt die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung festgestellt hat.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO.
Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen