Kündigung wegen sexueller Belästigung einer Auszubildenden
Gericht
LAG Hamm
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
13. 02. 1997
Aktenzeichen
17 Sa 1544/96
Das Umlegen des Armes um die Schultern einer Auszubildenden durch den Ausbilder stellt auch dann eine sexuelle Belästigung der Auszubildenden am Arbeitsplatz i.S. des § 2 II Nr. 2 BSchG dar, wenn zwar der Ausbilder mit diesem Verhalten keine sexuellen Absichten verfolgt, die Auszubildende sich aber gegenüber dem Ausbilder gegen ein solches Verhalten ausgesprochen hat. Denn nach § 2 II Nr. 2 BSchG sind sämtliche körperlichen Berührungen, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild für das allgemeine Verständnis eine Beziehung zum Geschlechtlichen aufweisen und die von dem/der hiervon Betroffenen erkennbar abgelehnt werden, untersagt.
Da aber gem. § 4 I Nr. 1 BSchG vom Arbeitgeber bei seiner Reaktion auf sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz ebenfalls der allgemein im Arbeitsrecht geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist, darf der Arbeitgeber auf ein solches Armumlegen des Ausbilders grundsätzlich gegenüber dem Ausbilder zunächst nur mit einer Abmahnung und nicht bereits mit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung reagieren.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten sich darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die seitens der Bekl. dem Kl. ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung individualrechtlich wirksam beendet worden ist. Dabei hat die Bekl. ihre außerordentliche fristlose Kündigung dem Kl., der von der Bekl. aus tariflichen Gründen nicht mehr ordentlich kündbar gewesen ist, deswegen erklärt, weil nach der Behauptung der Bekl. der Kl. eine Auszubildende am Arbeitsplatz derart sexuell belästigt haben soll, daß es ihr (der Bekl.) nicht mehr zumutbar gewesen sei, den Kl. weiterzubeschäftigen. Die Bekl., die Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Nordrhein-Westfalen (NWKAV), einem Mitgliedsverband der Vereinigung kommunaler Arbeitgeber, die u.a. auf Arbeitgeberseite die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst abschließt, ist, brachte und bringt unabhängig davon, ob die von ihr beschäftigten Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind oder nicht, aufgrund entsprechender einzelvertraglicher Vereinbarungen einerseits im Hinblick auf die bei ihr als Arbeiter tätigen Mitarbeiter die Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) sowie der den BMT-G II ergänzenden Tarifverträge und andererseits in bezug auf die von ihr als Angestellte eingestellten Mitarbeiter die Regelungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages - BAT - sowie der den BAT ergänzenden Tarifverträge zur Anwendung. Weitergehend sind für den vorliegenden Rechtsstreit die Bestimmungen im Personalvertretungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (NWPersVG) zu beachten, da bei der Bekl. gem. § 1 I NWPersVG schon seit langem ein Personalrat gebildet ist. Der Kl., der keiner Gewerkschaft als Mitglied angehört, hat in 1964/1965 die Ausbildung zum Tischler erfolgreich absolviert und ist hiernach zunächst in diesem Beruf bei privaten Firmen tätig gewesen. Mit Wirkung vom 1. 11. 1970 ist der Kl. durch die Bekl. für die Tätigkeit eines Schwimmeisters eingestellt worden, wobei der Kl. seitens der Bekl. zunächst in einem Arbeiterverhältnis beschäftigt worden ist. Nachdem dann der Kl. am 13. 9. 1974 die staatliche Prüfung zum Schwimmeister bestanden hatte, ist er von der Bekl. mit Wirkung vom 1. 10. 1974 in einem Angestelltenverhältnis als Schwimmeister weiterbeschäftigt worden. Am 8. 4. 1986 hat der Kl. vor dem Prüfungsausschuß der Bezirksregierung Hannover die Prüfung nach der Ausbilder-Einigungsverordnung öffentlicher Dienst bestanden. Seit seiner Weiterbeschäftigung durch die Bekl. als Angestellter mit Wirkung vom 1. 10. 1974 hat der Kl. durch die Bekl. durchgehend eine Vergütung nach der VergGr. VIb der Anlage 1a zum BAT gezahlt erhalten. In dem diesbezüglich zwischen den Parteien unter dem 18. 11. 1974 schriftlich geschlossenen Arbeitsvertrag ist unter § 2 aufgenommen, daß sich auch das jetzt zwischen den Parteien zum 1. 10. 1974 begründete Angestelltenverhältnis nach den Bestimmungen des BAT sowie der den BAT ergänzenden Tarifverträge richtet. Auch der Kl. war wie die übrigen von der Bekl. als normale Schwimmeister Beschäftigten dienstplanmäßig von Mai bis September in einem der drei Freibäder sowie von September bis Mai im Hallenbad eingesetzt, hierbei im Hallenbad ebenfalls im Zwei-Schicht-Dienst. Dabei war der Kl. zuletzt in der Sommerbadesaison bis einschließlich Sommer 1994 in der Regel nur im Freibad in L. tätig. Erst ab Mai 1995 war er dienstplanmäßig im Freibad in L. eingesetzt. Die zwei zuletzt seitens der Bekl. beschäftigten Auszubildenden, nämlich Frau A sowie Frau S, waren - wie bei der Bekl. im Hinblick auf die Auszubildenden üblich - in der Sommerbadesaison im Freibad in L. und nur von September bis Mai im Hallenbad in L. eingesetzt, dabei zudem auch nur im Ein-Schicht-Betrieb von 7 Uhr bis 16 Uhr. Weiter war Herr G dienstplanmäßig ebenfalls während der Ausbildung von Frau D sowie Frau S in der Regel nur im Freibad in L. bzw. nur im Hallenbad in L. jeweils im Ein-Schicht-Betrieb von 7 Uhr bis 16 Uhr tätig. Am 14. 8. 1995 erhielt Herr F, der Leiter des Haupt- und Personalamtes der Bekl., einen Telefonanruf des Vaters der Auszubildenden S, in dem sich Herr S darüber beschwerte, daß seine Tochter durch den Schwimmeister und Ausbildungsleiter G während ihrer Arbeit im Freibad in L. sexuell belästigt worden sei. Der Amtsleiter F hielt zu diesen Anschuldigen von Frau S noch am 15. 8. 1995 Rücksprache mit Herrn G, wobei Herr G alle Anschuldigen von Frau S bestritt. In der Folgezeit fanden verschiedene Gespräche und Anhörungen statt, über die Vermerke angefertigt wurden. Schließlich schloß die Bekl. mit Herrn G unter dem 23. 8. 1995 einen schriftlichen Auflösungsvertrag, in dem aufgenommen ist, daß das Arbeitsverhältnis der Bekl. zu Herrn G mit dem 23. 8. 1995 beendet ist. Diesen schriftlichen Auflösungsvertrag vom 23. 8. 1995 ließ dann Herr G durch Rechtsanwalt M, der auch den Kl. des vorliegenden Rechtsstreits vertritt, durch Schreiben vom 11. 9. 1995 anfechten. Darauf kündigte die Bekl. nach vorheriger Beteiligung des Personalrats gem. § 72a II, VI NWPersG ihr Arbeitsverhältnis zu Herrn G mit Schreiben vom 21. 9. 1995 vorsorglich außerordentlich fristlos auf. Gegen diese Kündigung der Bekl. hat Herr G durch Rechtsanwalt M gegen die Bekl. Kündigungsschutzklage erhoben. Diesen zwischen Herrn G und der Bekl. geführten Kündigungsrechtsstreit haben dann Herr G sowie die Bekl. dadurch erledigt, daß sie im Gerichtstermin einen bestandskräftigen Prozeßvergleich dahingehend geschlossen haben, daß ihr Arbeitsverhältnis durch ihren schriftlichen Auflösungsvertrag vom 23. 8. 1995 doch zum 23. 8. 1995 beendet worden ist. Im Hinblick auf den Kl. des vorliegenden Rechtsstreits hatte zunächst der Amtsleiter F Frau D nochmals am 22. 8. 1995 befragt gehabt, worüber ein weiterer schriftlicher Vermerk des Herrn F vom 22. 8. 1995, der ebenfalls durch Frau D unterschrieben ist, gefertigt wurde. Nach Anhörung des Personalrats hatte der Kl. mit Schreiben vom 31. 8. 1995 eine außerordentliche Kündigung erhalten. Daraufhin hatte der Kl. durch Rechtsanwalt M das vorliegende Klageverfahren gegen die Bekl. erhoben. Dabei hat der Kl. im vorliegenden Rechtsstreit erstinstanzlich einerseits die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien durch die Bekl. mit dem Schreiben der Bekl. vom 31. 8. 1995 angegriffen. Andererseits hat der Kl. auch noch in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem ArbG am 17. 5. 1996 zu Gerichtsprotokoll beantragt, die Bekl. zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Arbeitsbedingungen - also als Schwimmeister - weiterzubeschäftigen, obwohl im vorliegenden Rechtsstreit die Bekl. bereits mit ihrem Schriftsatz vom 25. 4. 1996 darauf hingewiesen gehabt hatte, daß die S-GmbH seit Anfang 1996 den Betrieb aller Bäder, die sie (die Bekl.) bisher unterhalten gehabt habe, übernommen habe. Zusätzlich zu ihren vorstehenden arbeitsrechtlichen Schritten gegenüber Herrn G sowie gegenüber dem Kl. hatte die Bekl bei der StA einerseits gegen den Kl. wegen der Anschuldigungen der Auszubildenden D gegen den Kl. mit Schreiben vom 6. 9. 1995 und andererseits gegen Herrn G aufgrund der Anschuldigungen der Auszubildenden S gegen Herrn G durch Schreiben vom 22. 9. 1995 Strafanzeigen wegen Beleidigung und aller anderen in Betracht kommenden Delikte erstattet gehabt. Die Ermittlungsverfahren wurden von der StA eingestellt.
Das ArbG hat mit Urteil sowohl dem Kündigungsschutzantrag des Kl. als auch dem Weiterbeschäftigungsantrag des Kl. gegenüber den Bekl. stattgegeben. Die Bekl. und Berufungskl. beantragte zuletzt, das Urteil teilweise abzuändern und den jetzigen Klageantrag des Kl., festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch ihr Schreiben vom 31. 8. 1995, das dem Kl. am 31. 8. 1995 zugegangen ist, nicht außerordentlich fristlos beendet worden ist, abzuweisen. Die Berufung blieb erfolglos.
Auszüge aus den Gründen:
Die Berufung der Bekl. ist insoweit, als die Bekl. mit ihr zuletzt nur noch beantragt, unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils auch den jetzigen Kündigungsschutzantrag des Kl., nämlich auf gerichtliche Feststellung dahingehend, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch das Schreiben der Bekl. vom 31. 8. 1995 nicht außerordentlich fristlos beendet worden ist, unbegründet. Denn aufgrund des Inhalts der Strafakten der StA und aufgrund des Ergebnisses der beidinstanzlichen Zeugenvernehmungen ist mit dem ArbG weiterhin davon auszugehen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Bekl. mit deren Schreiben vom 31. 8. 1995 nicht individualrechtlich wirksam außerordentlich fristlos aufgekündigt worden ist.
I. Entgegen der von der Bekl. auch in der Berufungsinstanz vertretenen Auffassung ist die von der Bekl. in ihrem Schreiben vom 31. 8. 1995 ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien individualrechtlich unwirksam.
1. Dabei ist zunächst dem Kl. dahingehend beizupflichten, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Bekl. am 31. 8. 1995, dem Tag des Zugangs des Kündigungsschreibens der Bekl. vom 31. 8. 1995 beim Kl., individualrechtlich nicht mehr ordentlich kündbar gewesen ist, weswegen die hilfsweise ordentliche Kündigung der Bekl. in ihrem Schreiben vom 31 8. 1995 von vornherein individualrechtlich unwirksam gewesen wäre.
a) Denn nach § 53 III BAT, dessen Geltung für ihr Arbeitsverhältnis die Parteien in ihrem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 18. 11. 1974 uneingeschränkt vereinbart haben, ist ein Angestellter nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren sowie nach der zusätzlichen Vollendung des 40. Lebensjahres durch den öffentlichen Arbeitgeber ordentlich nicht mehr kündbar.
b) Der Kl. ist jedoch am 31. 8. 1995 einerseits fast 21 Jahre bei der Bekl. allein als Angestellter beschäftigt und andererseits mehr als 47 Jahre alt gewesen.
c) Diesem Umstand, daß der Kl. durch sie am 31. 8. 1995 gem. § 53 III BAT nicht mehr ordentlich kündbar gewesen ist, hat die Bekl. selbst im Berufungstermin des vorliegenden Rechtsstreits am 13. 2. 1997 dadurch Rechnung getragen, daß sie dort zu Gerichtsprotokoll erklärt hat, ihre Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien mit Schreiben vom 31. 8. 1995 solle nur als außerordentliche fristlose Kündigung gelten.
2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist aber individualrechtlich wirksam nicht durch diese seitens der Bekl. in ihrem Schreiben vom 31. 8. 1995 erklärte außerordentliche fristlose Kündigung beendet worden.
a) Denn gem. § 54 I BAT kann eine außerordentliche fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses lediglich dann ausgesprochen werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigung oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Nach § 54 II BAT kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen nach dem Zeitpunkt ausgesprochen werden, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Damit stimmt § 54 BAT nahezu wörtlich und in den rechtlich entscheidenden Passagen völlig mit § 626 BGB überein, so daß die zu § 626 BGB entwickelten Rechtsgrundsätze auch bei § 54 BAT anzuwenden sind (BAG, AP Nr. 1 zu § 54 BAT; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Bd. II, § 54 Rdnr. 1; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, § 54 Rdnr. 1). § 54 BAT enthält nur formal eine Definition des wichtigen Kündigungsgrundes, ist jedoch inhaltlich identisch mit der Bestimmung desselben Rechtsbegriffs in § 626 BGB. Damit haben die Tarifvertragsparteien materiell keine eigenständige Regelung getroffen, sondern eine gesetzliche Regelung übernommen, ohne ihr einen bestimmten tariflichen, vom Gesetz abweichenden Inhalt zu geben. Sachlich bedeutet dies nichts anderes, als wenn sie ohne wörtliche Übernahme des Gesetzeswortlauts für die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund lediglich allgemein auf § 626 BGB verwiesen hätten (BAG, Beschl. v. 26. 3. 1981 - 2 AZN 410/80 unveröff.).
b) Nach Rechtsprechung und Rechtslehre kommt jedoch eine außerordentliche Kündigung lediglich dann in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und milderen Mittel (z.B. Abmahnung, Versetzung, einverständliche Abänderung des Vertrages u.ä.) erschöpft sind, das in der bisherigen Form nicht mehr haltbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn sie die unausweislich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten ist (z.B.: BAG, AP Nr. 79 zu § 626 BGB (zu IIb) m.w. Nachw.). Gem. § 626 II BGB kann dabei die außerordentliche Kündigung nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen erfolgen, wobei die Frist nach § 626 II 2 BGB mit dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Mit dieser Zweiwochenfrist verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, im Interesse der Rechtssicherheit alsbald zu klären, ob der andere Vertragsteil aus dem Vorliegen eines wichtigen Grundes Folgen zieht (BAGE 24, 475 = NJW 1972, 463 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Ausschlußfrist; Hillebrecht, in: KR, 3. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 218).
c) Hierbei trifft auch bei der außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB den Kündigenden die Darlegungs- und Beweislast für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (BAG, AP Nr. 76 zu § 626 BGB). Ebenfalls ist die kündigende Partei dafür darlegungs- und beweispflichtig, daß die außerordentliche Kündigung innerhalb der Frist des § 626 II BGB ausgesprochen worden ist. Die Kündigung kann auf frühere Vorgänge, die als Kündigungsgründe gem. § 626 II BGB verfristet sind, nur gestützt werden, wenn die Vorgänge mit den innerhalb der Ausschlußfrist bekannt gewordenen derart in Zusammenhang stehen, daß die neuen Vorgänge ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bilden, die zum Anlaß der Kündigung genommen worden sind (BAG, AP Nr. 7 zu § 626 BGB Ausschlußfrist). Dabei kann ein sich länger hinziehendes, immer wieder in Erscheinung tretendes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers nur dann einen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden, wenn während der beiden letzten Wochen vor der Kündigung dem Arbeitgeber Vorfälle bekannt geworden sind, die ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bilden, die zum Anlaß der Kündigung genommen werden. Nur in diesem Fall kann der Arbeitgeber unterstützend auch auf die früheren Ereignisse zurückgreifen. Denn nicht ein angeblicher Vertrauensverlust ist "die für die Kündigung maßgebende Tatsache", sondern die tatsächlichen Vorfälle, die derartige Vorwürfe rechtfertigen können (BAGE 24, 383 = AP Nr. 4 zu § 626 BGB Ausschlußfrist).
d) Weiter hat die Prüfung des wichtigen Kündigungsgrundes in zwei systematisch zu trennende Abschnitte zu erfolgen, nämlich zum einen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, zum andern, ob bei der Berücksichtigung dieses Umstandes und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist (so schon: BAG, AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Es widerspricht nämlich unserer Rechtsordnung, vorsätzlichen und widerrechtlichen Verletzungen des Eigentums oder des Vermögens des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer allein wegen einer als geringfügig anzusehenden Schädigung des Arbeitgebers von vornherein die Eignung für eine außerordentliche Kündigung abzusprechen. Vielmehr ist im Rahmen der Interessenabwägung bei festgestellten Eigentums- oder Vermögensdelikten zu prüfen, welches Gewicht dieses Verhalten des Arbeitnehmers auf das Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber hat. Dabei kann der Umfang des dem Arbeitgeber zugefügten Schadens insbesondere nach der Stellung des Arbeitnehmers, der Art der entwendeten Ware und den besonderen Verhältnissen des Betriebes zu unterschiedlicher Beurteilung der Schwere der Pflichtverletzung führen (BAG, NZA 1985, 91 = DB 1984, 2702). Insofern ist von den Instanzgerichten anerkannt, daß zwar ein Spesenbetrug des Arbeitnehmers grundsätzlich immer einen Grund zur arbeitgeberseitigen Kündigung - auch zur außerordentliche Kündigung - darstellt, aber die Interessenabwägung im Einzelfall ergeben kann, daß selbst eine ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung wegen eines solchen Spesenbetrugs nach § 1 II KSchG sozial ungerechtfertigt ist, wenn diese Kündigung gegen einen 56-jährigen für zwei Personen unterhaltspflichtigen, seit 17 Jahren beanstandungsfrei beschäftigten Arbeitnehmer ausgesprochen wurde, der den einmaligen Verstoß zugegeben und wieder gutgemacht hat und aus dessen gesamten Verhalten hervorgeht, daß eine weitere Verfehlung nicht wieder vorkommen wird (LAG Frankfurt a.M., LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 20).
e) Des weiteren ist dann, wenn der Arbeitnehmer tariflich unkündbar ist, bei der Prüfung, ob ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegt, ein besonders strenger Maßstab anzulegen (BAGE 2, 214 = NJW 1956, 240 = AP Nr. 4 zu § 626 BGB). Denn die tarifliche Unkündbarkeit stellt eine verstärkte Sicherheit und eine längere Erhaltung des Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer dar. Dem Arbeitnehmer soll der Arbeitsplatz, wenn kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliegt, bis zum Eintritt in den Ruhestand gesichert sein (Conze, ZTR 1987, 100f. m.w. Nachw.). Wegen des Zweckes dieser besonderen Absicherung des Arbeitsplatzes bei der Unkündbarkeit ist die Auffassung abzulehnen, bei unkündbaren Arbeitnehmern die außerordentliche Kündigung aus einem minder wichtigen Grund zuzulassen (hierzu: Hillebrecht, in: KR, BGB, § 626 Rdnrn. 207ff. m.w. Nachw.). Dabei ist bei der Interessenabwägung auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung und nicht auf die fiktive Frist für die ordentliche Kündigung abzustellen (BAG, NZA 1985, 426 = AP Nr. 88 zu § 626 BGB).
f) aa) Weiter bedarf eine auf eine Störung im Leistungsbereich (Arbeits- und Vergütungspflicht) gestützte Kündigung als Folge des das Kündigungsschutzrecht beherrschenden ultima-ratio-Prinzips regelmäßig einer vorherigen vergeblichen Abmahnung (BAG, NJW 1962, 73 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung; BAG, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG1969 Verhaltensbedingte Kündigung; Becker, in: KR, 3. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 234; Hillebrecht, in: KR, BGB, § 626 Rdnr. 89 jew.m.w. Nachw.). Eine Abmahnung ist dagegen dann entbehrlich, wenn sie im Hinblick auf die Einsichts- und Handlungsfähigkeit des Arbeitnehmers keinen Erfolg verspricht, wenn also aufgrund hartnäckig und uneinsichtig begangener Vertragsverletzungen mit einer vertragsgemäßen Abwicklung des Arbeitsvertrags nicht mehr zu rechnen ist oder der Arbeitnehmer einen derartigen groben Pflichtverstoß begangen hat, daß er mit einem Hinnehmen von seiten des Arbeitgebers nicht rechnen konnte (BAG, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG1969 Verhaltensbedingte Kündigung; BAGE 37, 387 (398) = NJW 1982, 2791 = AP Nr. 1 zu § 72 BPersVG; Knorr/Bichelmeier/Kremledener, Die Kündigung, 1984, S. 225; Bopp, Kündigung und Kündigungsschutzprozeß im ArbeitsR, S. 162; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 1 Rdnr. 90a). Wird hingegen die Kündigung auf eine Störung im Vertrauensbereich gestützt, ist eine vorherige Abmahnung grundsätzlich nur erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen, etwa aufgrund einer unklaren Regelung oder Anweisung, annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG, NZA 1985, 91 = DB 1984, 2702 m.w. Nachw.).
bb) Dabei liegt eine wirksame Abmahnung nur dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer deutlich und ernsthaft ermahnt und ihn auffordert, ein genau bezeichnetes Fehlverhalten zu ändern bzw. aufzugeben, und damit den Hinweis verbindet, daß im Wiederholungsfall der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist. Dem Arbeitnehmer muß Gelegenheit gegeben werden, durch Änderung seines Verhaltens in Zukunft eine Kündigung abzuwenden (BAG, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG1969 Verhaltensbedingte Kündigung; BAG, NJW 1984, 1917 = AP Nr. 15 zu Art. GG).
cc) Hiebei kann eine ursprünglich berechtigte Abmahnung durch Zeitablauf wirkungslos werden; insbesondere nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung des Arbeitnehmers kann es dem Arbeitgeber verwehrt sein, sich auf früher abgemahnte Pflichtverstöße des Arbeitnehmers zu berufen. Dafür, wann es vor Ausspruch einer arbeitgeberseitigen verhaltensbedingten Kündigung wieder einer erneuten Abmahnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bedarf, gelten zwar keine Regelfristen. Die ursprünglich berechtigte arbeitgeberseitige Abmahnung kann aber nach den Umständen des Einzelfalles (z.B. Art der Verfehlung des Arbeitnehmers und des Verhaltens des Arbeitnehmers im Anschluß an die Abmahnung) wirkungslos werden (BAG, NZA 1987, 418 = AP Nr. 17 zu § 1 KSchG1969 Verhaltensbedingte Kündigung).
dd) Dabei ist im Falle der Notwendigkeit einer Abmahnung eine nachfolgende arbeitgeberseitige Kündigung nach der Rechtsprechung des BAG (BAG, RzK Abmahnung Nr. 5) und überwiegenden Auffassung im Schrifttum (Beker-Schaffner, DB 1985, 650; v.Hoyningen-Huene, RdA 1990, 193 (207); Berger-Delhey, PersV 1988, 430 (434); a.A.: Bekerle-Schuster, Die Abmahnung, 3. Aufl., 1991, Rdnrn. 124ff.; Sibben, NZA 1993, 583ff.) lediglich dann nach § 626 BGB, § 1 II KSchG, gerechtfertigt, wenn die Abmahnung einem Fehlverhalten gegolten hat, das auf einer Ebene mit der zum Anlaß für die Kündigung genommenen Pflichtverletzung liegt. Der Arbeitgeber kann sich nach dieser Meinung bei einer verhaltensbedingten Kündigung nur dann auf eine Abmahnung berufen, wenn sie einen vergleichbaren Sachverhalt betraf. Anderenfalls fehle es an der Wiederholung des gerügten Fehlverhaltens bzw. Leistungsmangels. Diesbezüglich hat das BAG in dem weiteren Urteil vom 17. 3. 1988 (BAGE 58, 37 = NZA 1989, 261 = NJW 1989, 546 = AP Nr. 99 zu § 626 BGB), das zu einer arbeitgeberseitigen Kündigung wegen häufiger Unpünktlichkeit des Arbeitnehmers ergangen ist, ausgeführt, die letzte Verspätung des Kl. vor Ausspruch der Kündigung unterscheide sich zwar in ihrem äußeren Verlauf von seinen früheren Unpünktlichkeiten, indem er sich nicht zu Schichtbeginn verspätet, sondern einem ihm gestatteten späteren Dienstantritt nach dem Vortrag der Bekl. nicht unerheblich überzogen habe. Dieses Verhalten könne aber gleichwohl ebenfalls auf den Tatbestand der "Unpünktlichkeit" zurückgeführt werden, wegen der der Kl. mehrfach vergeblich abgemahnt worden sei. Dem Kl. hätte aufgrund der vorhergehenden Abmahnungen klar sein müssen, daß die Bekl. auch eine Unpünktlichkeit in dieser Form nicht dulden und nicht sanktionslos hinnehmen werde.
Diese Auffassung, daß einer verhaltensbedingten arbeitgeberseitigen Kündigung grundsätzlich eine Abmahnung des Arbeitnehmers wegen eines vergleichbaren Sachverhalts vorausgegangen sein muß, wird auch von den Instanzgerichten geteilt (LAG Hamm, ARSt 1983, 14; LAG Hamm, NZA 1987, 26 = DB 1986, 1628 = LAGE Nr. 2 zu § 611 BGB Abmahnung; LAG Rheinland-Pfalz, DB 1983, 1554 = AuR 1983, 312; LAG Schleswig-Holstein, NZA 1987, 669; LAG Köln, LAGE Nr. 15 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung). Dabei hat z.B. das LAG Berlin im Urteil vom 18. 1. 1988 (LAGE Nr. 31 zu § 626 BGB = AuR 1988, 256) angenommen, das mehrfache zu späte Aufsuchen des Arbeitsplatzes, das zu frühe Verlassen des Arbeitsplatzes, das vorzeitige Verlassen einer Baustelle sowie Kartenspielen während der Arbeitszeit stünde in einem inneren Zusammenhang und stellten sich insgesamt als beharrliche Arbeitsverweigerung des Arbeitnehmers dar. Auch die erkennende Berufungskammer schließt sich dieser Auffassung zur erforderlichen vorherigen gleichartigen Abmahnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber an, weil durch eine arbeitgeberseitige vorherige Abmahnung dem Arbeitnehmer Gelegenheit gegeben werden soll, durch Änderung seines Verhaltens eine Kündigung abzuwenden. Die abgemahnten Leistungsmängel oder Verhaltensweisen des Arbeitnehmers können vom Arbeitgeber erst dann zur Rechtfertigung einer Kündigung herangezogen werden, wenn nach der Abmahnung beim Arbeitnehmer zumindest ein Leistungs- oder Verhaltensmangel der gerügten Art auftritt (ebenso BAG, RzK Abmahnung Nr. 5).
ee) Ferner kann der Arbeitgeber eine spätere Kündigung nicht allein auf die von ihm bereits gegenüber dem Arbeitnehmer abgemahnten Gründe stützen, sondern hierauf nur dann unterstützend zurückgreifen, wenn weitere kündigungsrechtlich erhebliche Umstände eingetreten sind. Denn durch den Ausspruch einer bloßen Abmahnung verzichtet der Arbeitgeber gleichzeitig konkludent auf ein etwaiges Kündigungsrecht wegen der Gründe, die schon Gegenstand seiner Abmahnung sind (BAG, NZA 1989, 633 = NJW 1989, 2493 = AP Nr. 3 zu § 1 KSchG1969 Abmahnung).
g) Dagegen kommt es entgegen der Auffassung der Kl. für die Entscheidung der arbeitsrechtlichen Frage, ob ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine arbeitgeberseitige außerordentliche Kündigung i.S. des § 54 I BAT bzw. des § 626 I BGB abzugeben, nicht auf die strafrechtliche Wertung, sondern darauf an, ob dem Arbeitgeber nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist (BAGE 3, 193 = NJW 1957, 478 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB).
h) Ausgehend hiervon ist schon immer in Rechtsprechung und Rechtslehre angenommen worden, daß u.a. eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nach den Umständen des Einzelfalles ohne vorherige Abmahnung des Arbeitnehmers eine ordentliche und sogar eine außerordentliche arbeitgeberseitige Kündigung rechtfertigen kann.
aa) Denn zum einen handelt es sich bei einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz um eine Störung im Vertrauensbereich, weswegen es in diesen Fällen nach Vorstehendem nur dann vor Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung einer einschlägigen Abmahnung des Arbeitnehmers durch seinen Arbeitgeber bedarf, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erheblich den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen.
bb) Zum anderen kommt es im Hinblick auf die Entscheidung der Rechtsfrage, ob eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz von ihrem Gewicht her eine arbeitgeberseitige Kündigung rechtfertigt oder nicht, nicht allein auf die Beurteilung des Verhaltens des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin durch die hiervon Betroffenen, sondern darauf an, ob das Vertrauensverhältnis, das zwischen dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin und dem Arbeitgeber/der Arbeitgeberin auch hinsichtlich der moralischen Integrität des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin bestehen muß, durch ein solches Verhalten des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin erschüttert wird. Daher kann nicht gefolgert werden, in den Fällen, bei denen es die von einer sexuellen Belästigung Betroffenen dabei bewenden gelassen haben, sich die Zudringlichkeiten gegenüber dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin zu verbitten, und nicht ihre Vorgesetzten unterrichtet gehabt haben, sei von vornherein dem Arbeitgeber/der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin deswegen zumutbar, weil der Betriebsablauf durch das Verhalten des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin nicht wesentlich beeinträchtigt worden sei (BAG, NZA 1986, 467 = NJW 1986, 2338 = AP Nr. 20 zu § 626 BGB Ausschlußfrist).
cc) Vor diesem individualrechtlichen Hintergrund hat das BAG im Beschluß vom 9. 1. 1986 (BAG, NZA 1986, 467 = NJW 1986, 2338 = AP Nr. 20 zu § 626 BGB Ausschlußfrist) angenommen, daß eine außerordentliche fristlose Kündigung eines Ausbilders ohne vorherige Abmahnung dann gerechtfertigt sei, wenn der Ausbilder weibliche Auszubildende dadurch sexuell belästigt habe, indem er bei einer Auszubildenden das T-Shirt hochgezogen habe, um darunterzusehen, bei einer anderen Auszubildenden die Brust abgetastet sowie unter den Rock gegriffen habe und sich gegenüber einer weiteren Auszubildenden dahingehend geäußert habe, sie sei sexuell verklemmt, ihre Brustwarzen würden bei seinem (des Ausbilders) Anblick steif. Daß in diesem Fall der Arbeitgeber den Ausbilder ohne vorherige Abmahnung außerordentlich fristlos kündigen dürfe, gelte selbst dann, wenn sich die Auszubildenden über dieses Verhalten des Ausbilders nicht bei ihren Vorgesetzen beschwert hätten, da nicht auszuschließen sei, daß sich diese Auszubildenden von dem Ausbilder abhängig gefühlt hätten. Weiter hat das LAG Berlin im Urteil vom 15. 8. 1989 (LAGE Nr. 24 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung) die einem im öffentlichen Dienst beschäftigten Angestellten durch seinen öffentlichen Arbeitgeber ohne vorherige Abmahnung erklärte ordentliche Kündigung, die vom öffentlichen Arbeitgeber deswegen ausgesprochen worden war, weil sich dieser Angestellte anläßlich eines laufenden Bewerbungsverfahrens mit Interessentinnen in den Abendstunden unter dem Vorwand dienstlicher Notwendigkeit verabredet und mit ihnen eine Sauna besucht gehabt hatte, als wirksam angesehen. Ferner hat die hier erkennende Berufungskammer in ihrem Urteil vom 15. 4. 1991 (17 Sa 956/90) die vom dortigen öffentlichen Arbeitgeber dem bei ihm als Psychotherapeut beschäftigten Angestellten ohne vorherige Abmahnung erklärte außerordentliche fristlose Verdachtskündigung, die vom öffentlichen Arbeitgeber deswegen ausgesprochen worden war, weil der dringende Tatverdacht bestehe, daß dieser Angestellte sich vor einer Patientin bis auf die Unterhose ausgezogen, ihr an Busen und Gesäß gegriffen und versucht habe, sie zu küssen, für wirksam gehalten.
i) An dieser vorstehenden individualrechtlichen Rechtslage hat sich dem Grunde nach nichts dadurch geändert, daß mit Wirkung vom 1. 9. 1994 durch Art. 10 des Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern (Zweitens Gleichberechtigungsgesetz - 2. GleiBG) vom 24. 6. 1994 (BGBl I, 1406) das Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz - BSchG) in Kraft gesetzt worden ist. Vielmehr ist mit dem jetzigen gesetzlichen Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz mittels der überfälligen Bestimmungen des Beschäftigungsschutzgesetzes ein bisher weitgehend bestandenes Tabuthema durch den Bundesgesetzgeber in Anknüpfung an den Wortlaut der Empfehlung der EG-Kommission zum Schutz der Würde von Männern und Frauen am Arbeitsplatz vom 25. 11. 1991 explizit aufgegriffen worden.
aa) Denn nach § 1 I BSchG ist Ziel des Beschäftigtenschutzgesetzes die Wahrung der Würde von Frauen und Männern durch den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Gem. § 1 II BSchG gelten die Bestimmungen des Beschäftigtenschutzgesetzes sowohl für private als auch für öffentliche Betriebe. Nach § 2 I BSchG haben Arbeitgeber und Dienstvorgesetzte die Beschäftigten vor sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz zu schützen, wobei dieser Schutz auch vorbeugende Maßnahmen umfaßt.
bb) Hierbei sind gem. § 2 II BSchG als sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht nur die sexuellen Handlungen und Verhaltensweisen, die nach den strafrechtlichen Vorschriften unter Strafe gestellt sind, zu sehen. Vielmehr gehören nach § 2 II Nr. 2 BSchG auch sonstige sexuelle Handlungen und Aufforderungen, z.B. sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie Zeigen und sichtbares Anbringen pornographischer Darstellungen, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden, zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Dabei ist eine Handlung i.S. des § 2 II BSchG sexuell, wenn sie nach ihrem äußeren Erscheinungsbild für das allgemeine Verständnis eine Beziehung zum Geschlechtlichen aufweist. Bei zweideutigen oder ambivalenten Handlungen muß eine sexuelle Absicht hinzukommen. Danach sind als sexuell bestimmte körperliche Berührungen i.S. des § 2 II Nr. 2 BSchG alle - auch kurzfristige, flüchtige oder über die Kleidung angebrachte - Berührungen der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale sowie am Gesäß, je nach Zusammenhang auch andere Körperberührungen, anzusehen (Schiek, 2. GleiBG, S. 157). Bemerkungen sexuellen Inhalts sind Bemerkungen, die offen oder in verschleierter Form über Partnerwahl, sexuelles Verhalten, sexuelle Vorlieben oder auch die sexuelle Ausstrahlung (d.h. das Äußere) von An- oder Abwesenden gemacht werden (Schiek, S. 158).
cc) Schließlich ist bei sexuellen Belästigungen i.S. des § 2 II BSchG der Arbeitgeber gem. § 4 I Nr. 1 BSchG verpflichtet, gegen den Belästiger die im Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Nach § 4 I Nr. 1 BSchG hat also der Arbeitgeber auch bei sexuellen Belästigungen gegenüber dem Belästiger den allgemein im Arbeitsrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Daher kann der Arbeitgeber ebenfalls auf eine sexuelle Belästigung gegenüber dem Belästiger nur dann mit dem Ausspruch einer Kündigung reagieren, wenn eine Abmahnung des Belästigers nicht ausreicht, um die Fortsetzung sexueller Belästigungen durch diesen Belästiger zu unterbinden und/oder wenn eine Umsetzung bzw. Versetzung des Belästigers als Reaktion auf dessen bisherige sexuelle Belästigung nicht ausreicht bzw. dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist. Des weiteren ist der Ausspruch einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen fristlosen Kündigung gegenüber dem Belästiger nur dann angemessen, wenn der Umfang und die Intensität der bisherigen sexuellen Belästigung des Belästigers sowie die Abwägung der beiderseitigen Interessen diese Maßnahme rechtfertigen (LAG Hamm, BB 1997, 99).
j) Aus allem Vorstehenden ergibt sich dann jedoch für den vorliegenden Rechtsstreit, daß die außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien durch die Bekl. mit ihrem Schreiben vom 31. 8. 1995 wegen einer sexuellen Belästigung der Auszubildenden D durch den Kl., worauf die Bekl. ihre Kündigung allein stützt, individualrechtlich nicht nach § 54 I BAT bzw. gem. § 626 I BGB begründet ist.
aa) Zwar ist der Bekl. zuzugeben, daß der Kl. zu seinen Gunsten nichts daraus herleiten kann, daß sich die Auszubildende D wegen der von ihr behaupteten Belästigungen durch den Kl. nicht selbst an die Bekl. gewandt, sondern diese Belästigungen erst anläßlich ihrer Befragung durch den Amtsleiter F der Bekl. zum Fall G am 17. 8. 1995 vorgetragen hat. Denn insoweit ist der Auszubildenden D abzunehmen, daß sie sich aus Sorge um etwaige Benachteiligungen in ihrem Ausbildungsverhältnis durch den Kl. nicht gegenüber der Bekl., sondern nur gegenüber Frau B, ihrer Arbeitskollegin, offenbart gehabt hat.
bb) Auch ist es - wie bereits angeführt - entgegen der Auffassung des Kl. für die im vorliegenden Rechtsstreit arbeitsrechtlich zu treffende Entscheidung ohne rechtliche Bedeutung, daß die StA D ihr Strafermittlungsverfahren gegen den Kl. durch Bescheid vom 23. 1. 1996 vorläufig gem. § 154d StPO eingestellt hat. (Es folgen die einzelnen Aussagen der Betroffenen zu diversen Vorfällen).
ii) Aufgrund dieser vorstehenden Zeugenaussagen steht dann zwar fest, daß der Kl. bei Frau D vor deren ersten Gespräch mit Frau B im November/Dezember 1994 zunächst häufiger den Arm um die Schulter gelegt hat. Weitergehend ist Frau D zu glauben, daß der Kl. bei ihr mit diesem Armumlegen wieder aber Mai 1995 im Freibad in L. begonnen hat, da ansonsten nicht nachvollziehbar ist, daß Frau D solches Frau B im Juni 1995 unter Tränen gesagt hat. Zweifelhaft ist jedoch für die erkennende Berufungskammer, ob der Kl. bis zum ersten Gespräch zwischen Frau D und Frau B im November/Dezember 1994 zusätzlich Frau D an den Oberschenkeln gestreichelt hat, da solches weder von Frau B noch von Frau D gesehen und weil solches nach der Aussage von Frau B seitens Frau D nie bekannt gegeben worden ist.
jj) Aber selbst wenn der Kl. Frau D bis November/Dezember 1994 zusätzlich an den Oberschenkeln gestreichelt haben sollte, ist unter Einbeziehung dieses Verhaltens des Kl., unter Berücksichtigung des Armumlegens des Kl. bei Frau D und vor dem Hintergrund aller Sprüche des Kl., die außerordentliche fristlose Kündigung der Bekl. mit Schreiben vom 31. 8. 1995 als Reaktion der Bekl. auf dieses Gesamtverhalten des Kl. als unverhältnismäßig anzusehen. Denn das Armumlegen des Kl., die Sprüche des Kl. sowie selbst das Oberschenkelstreicheln des Kl. haben für Frau D nach deren eigener Aussage keine bewußte sexuelle Anmache des Kl. ihr (Frau D) gegenüber dargestellt. Zwar ist der Bekl. zuzugeben, daß zu sexuell bestimmten körperlichen Berührungen i.S. des § 2 II Nr. 2 BSchG auch z.B. Umarmungen, die vom Handelnden nicht als sexuelle Handlungen gewollt sind, die jedoch von dem/der Betroffenen nicht gewünscht werden, zählen. Denn daß auch ein solches Handeln für bestimmte Arbeitnehmer/-innen eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz darstellen kann, ist durch den Gesetzgeber dadurch verdeutlicht worden, daß in § 2 II Nr. 2 BSchG auf die körperlichen Berührungen abgestellt wird, "die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden". Eine sexuelle Belästigung ist also in § 2 II Nr. 2 BSchG gerade dahingehend definiert, daß eine der Seiten ohne Einverständnis ist und daß eine Einwilligung auch nicht unterstellt werden kann (Linde, BB 1994, 2412). Daher hat der Kl. gegenüber Frau D seine sonst gegenüber allen Mitarbeiterinnen übliche Art des Armumlegens zu unterlassen gehabt, da solches ihm durch Frau D selbst sowie durch Frau D über Frau B untersagt worden war.
Darauf, daß der Kl. mit diesem Armumlegen bei Frau D wieder im Sommer 1995 begonnen hat, hätte aber die Bekl. gegenüber dem Kl. gem. § 4 I Nr. 1 BSchG nur mit einer Abmahnung und nicht mit der außerordentlichen fristlosen Kündigung reagieren dürfen. Denn es ist nicht zu ersehen, daß eine solche arbeitsrechtliche Abmahnung des Kl. durch die Bekl., wozu für den Wiederholungsfall die Androhung einer Kündigung gehört hätte, gegenüber dem Kl. fruchtlos geblieben wäre. Solches ist nämlich nicht schon deswegen anzunehmen, weil der Kl. trotz des Hinweises durch Frau B bei Frau D ab Mai 1995 erneut seinen Arm um deren Schultern gelegt hat. Denn bei Frau B handelt es sich um eine Arbeitskollegin des Kl., die zudem gegenüber dem Kl. nie weisungsbefugt und damit auch nicht abmahnungsbefugt gewesen ist, weswegen der Kl. ihrem Hinweis ohne arbeitsrechtliche Folgen für ihn nicht nachzukommen gebraucht hat.
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