Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Gericht

BVerwG 1. Disziplinarsenat


Art der Entscheidung

Beschluss über Verfassungsbeschwerde


Datum

15. 09. 1996


Aktenzeichen

1 DB 5/96


Leitsatz des Gerichts

Ist mit der Entlassung des Beamten zu rechnen, rechtfertigen es die im Fall der Weiterbeschäftigung zu befürchtende Störung der dienstlichen Interessen und die Wahrung des Ansehens des Beamtentums, die Suspendierung anzuordnen und auf diesem Wege den Zeitpunkt der Unterbindung der Amtsausübung gleichsam vorzuverlegen (vgl. Beschluß vom 16. Mai 1994 - BVerwG 1 DB 7.94 -).

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.
1. Der Präsident der Direktion X der Deutschen Post AG ordnete mit Verfügung vom 10. November 1995 gemäß § 126 Abs. 1 BDO gegen den Beamten, der sich als Posthauptschaffner im Beamtenverhältnis auf Probe befindet, ein Untersuchungsverfahren und zugleich dessen vorläufige Dienstenthebung sowie die Einbehaltung von zwanzig vom Hundert seiner Dienstbezüge an. Die angeordneten Maßnahmen sind damit begründet worden, daß der Beamte in Briefen und auf Postkarten, die an die Luftpostleitstelle und an die Dienststelle gerichtet gewesen seien, die Zeugin "schwer beleidigt, sexuell belästigt und bedroht" habe. Dabei habe er auch auf Briefumschlägen und auf Postkarten beleidigende und obszöne Bemerkungen angebracht. Zum Teil habe er für die Briefe postdienstliche Umschläge verwendet. Erschwerend komme hinzu, daß gegen den Beamten bereits am 17. Dezember ... wegen häufig verspäteten Dienstantritts, zahlreicher Kundenbeschwerden, Mißachtung dienstlicher Anordnungen und wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber seinen Dienstvorgesetzten eine Geldbuße in Höhe von 100 DM verhängt worden sei. Zuvor sei schon am 4. März ... von dem Amtsvorsteher eine schriftliche Mißbilligung wegen häufig verspäteten Dienstantritts ausgesprochen worden.
2. a) Der Beamte hat gegen die Anordnungen nach §§ 91, 92 BDO gem. § 95 Abs. 3 BDO die gerichtliche Entscheidung beantragt. Den Antrag hat er im wesentlichen damit begründet, daß die Zeugin von seinen Schriftstücken nicht schwer betroffen worden sei. Zudem müsse davon ausgegangen werden, daß er zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Handlungen entweder vermindert schuldfähig oder schuldunfähig gewesen sei.
b) Das Bundesdisziplinargericht hat mit Beschluß vom 17. Januar 1996 entschieden, daß die vorläufige Dienstenthebung des Beamten und die Einbehaltung von zwanzig vom Hundert seiner Dienstbezüge aufrechterhalten werden. Der Beamte habe durch seine Verfehlungen in gravierender Weise gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten im Dienst (§ 54 Satz 3 BBG) verstoßen und damit ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen, das bei einem Beamten auf Lebenszeit mindestens eine Gehaltskürzung als Disziplinarmaßnahme zur Folge hätte. Auch wenn die Schuldfähigkeit des Beamten erheblich vermindert gewesen sei, würde dies angesichts der Schwere der Verfehlungen eine unterhalb der Gehaltskürzung liegende Disziplinarmaßnahme nicht rechtfertigen können.
3. Mit seiner rechtzeitig eingelegten Beschwerde hat der Beamte die Aufhebung der Maßnahmen gem. §§ 91, 92 beantragt. Die Beschwerde wird im wesentlichen damit begründet, daß die Vorgehensweise des Dienstvorgesetzten in grobem Maße unverhältnismäßig sei. Die Untersagung der Dienstgeschäfte sei ohne Abmahnung und persönliches Gespräch mit ihm erfolgt. Zudem macht er geltend, daß er inzwischen eine psychologische Beratungsstelle aufgesucht habe; es sei bereits zu vier "Beratungskontakten" gekommen.
II.
Die gemäß § 79 BDO zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Bundesdisziplinargericht hat zu Recht die vorläufige Dienstenthebung des Beamten und die Einbehaltung von zwanzig vom Hundert seiner Dienstbezüge aufrechterhalten.
Voraussetzung für die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge gemäß § 126 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. §§ 91 und 92 BDO ist, daß die Durchführung einer Untersuchung wirksam angeordnet ist. Hieran bestehen keine Zweifel. Dem Beamten ist vor der Anordnung der Untersuchung auch in ausreichendem Umfang rechtliches Gehör gewährt worden. So hat er sich in seinen zwei Vernehmungen ausführlich zu den Vorwürfen geäußert.
Die vorläufige Dienstenthebung setzt außerdem den Verdacht eines Dienstvergehens voraus, das bei einem Beamten auf Lebenszeit eine dem förmlichen Disziplinarverfahren vorbehaltene Disziplinarmaßnahme, also mindestens eine Gehaltskürzung, zur Folge hätte. Für die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge verlangt § 126 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 92 BDO zusätzlich, daß nach summarischer Prüfung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für ein derartiges Dienstvergehen besteht. Die hiernach erforderliche individuelle Prognose muß also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Entlassung des betroffenen Beamten aus dem Probebeamtenverhältnis gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 BBG erwarten lassen (Beschluß vom 20. Dezember 1991 - BVerwG 1 DB 18.91 - ; Beschluß vom 4. August 1982 - BVerwG 1 DB 14.82 -). Dies ist hier der Fall.
Das Verhalten des Beamten hätte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bei einem Beamten auf Lebenszeit mindestens eine Gehaltskürzung zur Folge, also eine Disziplinarmaßnahme, die nur im förmlichen Disziplinarverfahren verhängt werden darf. Dadurch, daß der Beamte der Zeugin im Frühjahr und Sommer Briefe und Postkarten mit Aufforderungen zu sexuellen Handlungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts schrieb, obwohl ihm bekannt war, daß dies von der Zeugin abgelehnt wurde, hat er vorsätzlich gegen § 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des Gesetzes zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz) vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1406, 1412) verstoßen und damit gemäß § 2 Abs. 3 dieses Gesetzes ein Dienstvergehen begangen. § 2 Abs. 3 gilt auch für sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz durch Kollegen (amtliche Begründung zu Art. 11 § 2 Abs. 3 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, BTDrucks 12/5468, S. 47). Nach § 2 Abs. 2 des Beschäftigtenschutzgesetzes ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt. Dazu gehören u.a. Aufforderungen zu sexuellen Handlungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden.
Diese Voraussetzungen sind durch die Schreiben des Beamten erfüllt. Er hat in den Schreiben die Zeugin zum Geschlechtsverkehr aufgefordert und sie mit Bemerkungen wie "Hure" und "onanierende, .. heuchlerische Fotzi", die die Würde der Zeugin verletzt haben, vorsätzlich sexuell belästigt. Ihm war bekannt, daß von der Zeugin derartige Aufforderungen zu sexuellen Handlungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts abgelehnt wurden. Sie hat bei ihrer Vernehmung ausgesagt, daß sie den Beamten, der ihr zunächst Briefe (auf Beutelfahnen) geschrieben hätte, die nur Schwärmereien enthalten hätten, bereits zu diesem Zeitpunkt mehrmals gebeten habe, dies zu unterlassen; sie habe den Eindruck gehabt, daß der Beamte dies nicht habe verstehen wollen. Die Zeugin hat dem Beamten auch erklärt, daß ihr seine Annäherungsversuche zuwider seien. Auch aus den Angaben des Beamten ergibt sich, daß ihm die Ablehnung durch die Zeugin bewußt war und daß er trotz der Ablehnung durch die Zeugin weiterhin Briefe sexuellen Inhalts schrieb. So hat der Beamte bei seiner Vernehmung am im Oktober ausgesagt, er habe versucht, seine Gefühle durch die Briefe zu verdeutlichen, weil die Zeugin ihn des öfteren abgelehnt und abgewiesen habe. Er habe gewußt, daß er durch die Beschimpfungen auf den Umschlägen die Zeugin verletzt und beleidigt habe. Dies stimmt mit der Angabe in seiner früheren Vernehmung überein, es tue ihm leid, vor allem durch die von ihm geschriebenen obszönen Ausdrücke die Zeugin beleidigt zu haben. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, daß der Beamte, wie er angegeben hat, in der Schreibtischschublade der Zeugin ein Kondom gefunden hat. Der Beamte konnte dies nicht als Freibrief für sexuelle, obszöne Bemerkungen verstehen, zumal ihn die Zeugin darauf hingewiesen hatte, daß es sich um die Werbebeilage einer Zeitschrift gehandelt habe, die keinen Bezug zu ihm habe, und dem Beamten nach Auffinden des Kondoms ihre Ablehnung deutlich zum Ausdruck gebracht hat.
Das Dienstvergehen hat ein so erhebliches Gewicht, daß bei einem Beamten auf Lebenszeit mindestens eine Gehaltskürzung als Disziplinarmaßnahme gerechtfertigt wäre. Das Gewicht des Dienstvergehens ergibt sich aus der Art der sexuellen Bemerkungen sowie daraus, daß der Beamte die Aufforderung zum Geschlechtsverkehr und sexuell-obszöne Bemerkungen auf einer Postkarte und im Anschriftenteil eines Briefes gemacht hat, die an die dienstliche Anschrift der Zeugin gerichtet und deshalb auch für andere Mitarbeiter der Dienststelle einsehbar waren. So hat er auf einem Brief an das Postamt, Luftpostleitstelle, im Anschriftenteil hinzugefügt: "An die dummgeile, a-sexuelle, onanierende, verräterische, heuchlerische Fotzi - Frau ...". Zudem enthält eine ebenfalls an die dienstliche Anschrift der Zeugin gerichtete Postkarte Bemerkungen über deren Geschlechtsorgane, die die Würde der Zeugin in schwerwiegender Weise verletzen. Ferner wäre bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme als belastender Umstand zu berücksichtigen, daß gegen ihn bereits mit Disziplinarverfügung vom 17. Dezember ... wegen anderer, nicht einschlägiger Verfehlungen eine Geldbuße verhängt worden ist, ohne daß ihn dies von weiteren Verfehlungen abgehalten hat.
Kein Anlaß für eine mildere Bewertung ist das Vorbringen des Beamten, daß er seine Verfehlungen im Zustand der verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit begangen habe. Auch wenn eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit anzunehmen wäre, könnte dies bei einem Beamten auf Lebenszeit angesichts des erheblichen Gewichts des Dienstvergehens nicht zu einer Disziplinarmaßnahme unterhalb einer Gehaltskürzung führen. Für eine Aufhebung der Schuldfähigkeit fehlen nach den vorliegenden Erkenntnissen ausreichende Anhaltspunkte. Gegen eine Schuldunfähigkeit spricht insbesondere die Aussage des Beamten, ihm sei bewußt gewesen, daß er durch die Beschimpfungen auf den Umschlägen die Zeugin verletze und beleidige. Die Angabe des Beamten, daß er sich nicht "unter Kontrolle" gehabt habe, ist zu undifferenziert, als daß in diesem Verfahren hierauf bereits die Annahme einer Steuerungsunfähigkeit gestützt werden könnte. In dem Verfahren nach § 95 Abs. 3 BDO ist angesichts der Vorläufigkeit der Maßnahmen nach §§ 91 und 92 BDO lediglich eine summarische Prüfung vorzunehmen. Die schwierige Klärung der Schuldfrage ist Aufgabe der gemäß § 126 Abs. 1 BDO angeordneten Untersuchung.
Die vorläufige Dienstenthebung ist entgegen dem Vorbringen in der Beschwerdeschrift auch nicht unverhältnismäßig. Angesichts des erheblichen Gewichts des Dienstvergehens und der dadurch eingetretenen Störung des Betriebsfriedens, der eine vertrauensvolle Zusammenarbeit unter Kollegen voraussetzt, ist der Post die Weiterbeschäftigung des Beamten nicht mehr zuzumuten. Da mit der Entlassung des Beamten zu rechnen ist, rechtfertigen es die im Fall der Weiterbeschäftigung zu befürchtende Störung der dienstlichen Interessen und die Wahrung des Ansehens des Beamtentums, die Suspendierung anzuordnen und auf diesem Wege den Zeitpunkt der Unterbindung der Amtsausübung gleichsam vorzuverlegen (vgl. Beschluß vom 16. Mai 1994 - BVerwG 1 DB 7.94 - ; ebenso BVerfGE 46, 17 <26> - beide Entscheidungen zu Dienstvergehen, die die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst erwarten lassen).
Die Ausführungen des Bundesdisziplinargerichts zur Höhe der Einbehaltung der Dienstbezüge hat der Beamte in der Beschwerdeschrift nicht angegriffen.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BDO § 9, BDO § 92, BDO § 95 Abs 3, BDO § 126 Abs 1 S 1, BDO § 126 Abs 1 S 3, BBG § 31 Abs 1 S 1 Nr 1, BSchG § 2 Abs 2 S 2 Nr 2, BSchG § 2 Abs 3