Schmerzensgeld bei sofortiger Bewusstlosigkeit und alsbaldigem Tod
Gericht
OLG Koblenz
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
18. 11. 2002
Aktenzeichen
12 U 566/01
Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im wesentlichen grundsätzlich die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers.
Die Zubilligung eines Schmerzensgeldes setzt nicht stets voraus, dass der Geschädigte die ihm zugefügten Verletzung empfunden hat. Bei schwersten Unfallverletzungen mit Wahrnehmungslosigkeit und einer dadurch bedingten Zerstörung der Persönlichkeit entsteht ein immaterieller Schaden, der durch eine Geldentschädigung auszugleichen ist. Ist die Beeinträchtigung von einem solchen Ausmaß, ist eine eigenständige Bewertung zur Höhe des Schmerzensgeldes angezeigt und nur eine bloße symbolhafte Wiedergutmachung ausgeschlossen.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes muss, wenn der Verletzte sofort bewusstlos war und dann gestorben ist, das Verhältnis zu den Beträgen gewahrt werden, die bei Pflegefällen mit einem gewissen Bewusstsein der Situation und des Leidens zu leisten sind.
Dementsprechend steht den Erben bei sofortiger Bewusstlosigkeit und anschließendem Tod des Verletzten kein höherer Anspruch als 6.000 Euro zu.
... Die Kl verlangen als Erben ihres tödlich verunglückten Sohnes J von den Bekl ein Schmerzensgeld. Am 2.8.1999 gegen 18.20 Uhr befuhr der Sohn der Kl mit einem Kastenwagen die rechte Fahrspur der BAB 61. Der Bekl zu 2) wollte ihn mit seinem bei der Bekl zu 1) haftpflichtversicherten PKW überholen. Als er auf seiner linken Fahrspur den mit einer Warnweste bekleideten Verkehrsteilnehmer H erkannte, der wegen eines liegen gebliebenen Fahrzeugs versuchte, den Verkehr auf die rechte Fahrspur zu leiten, steuerte der Bekl zu 2) sein Fahrzeug in Richtung dieser Fahrspur, ohne sich zuvor zu vergewissern, ob diese Spur frei sei. Der Sohn des Kl sah sich dadurch zu einem Brems- und Ausweichmanöver veranlasst, bei dem er die Kontrolle über seinen Wagen verlor; dieser kam rechts von der Fahrbahn ab und prallte gegen einen Baum. Der Kl wurde dadurch schwer verletzt. Insbesondere erlitt er ein Schädelhirntrauma mit Einblutung in den Hirnstamm, Contusionsbluten im rechten und vorderen Bereich, einen Schädelbasisbruch, ein Hirnödem, einen Abriss des linken Sehnerves, Einblutungen in die Nasennebenhöhlen, eine Trümmerfraktur des Schädeldaches sowie eine Fraktur des oberen rechten Augapfels und ein Thoraxtrauma auf der rechten Seite mit einer Ansammlung von Blut im rechten Brustkorb. Er verlor noch an der Unfallstelle das Bewusstsein und verstarb, ohne dieses wiedererlangt zu haben, am 10. 8.1999 um 11. 11 Uhr in der Klinik. Die Kl halten einen Schmerzensgeldanspruch ihres Sohnes von insgesamt 30.000 DM für angemessen. Die Bekl zu 1) hat vorprozessual 8.000 DM und nach Klage Zustellung nochmals 4.000 DM gezahlt.
Den weitergehenden Schmerzensgeldanspruch in Höhe von noch 18.000 DM hat das LG abgewiesen.
Die Berufung der Kl hat - mit Ausnahme der aus dem Urteilstenor ersichtlichen Verzinsung der nachgezahlten 4.000 DM ab Verzug bis Zahlung - keinen Erfolg.
Ein höheres als das bereits gezahlte Schmerzensgeld steht den Kl als Erben ihres tödlich verunglückten Sohnes nicht zu, §§ 847 Abs. 1, 1922 Abs. 1 BGB.
1. Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers (BGH DAR 1998, 351, 352).
Allerdings kann im Streitfall nicht davon ausgegangen werden, dass der Sohn des Kl Ausmaß und Dauer seiner Verletzungen erkannt und Schmerzen verspürt hat. Denn er hat noch an der Unfallstelle das Bewusstsein verloren und bis zu seinem Tode nicht mehr wiedererlangt. Soweit die Berufung meint, dem Sohn der Kl könne das Ausmaß der Verletzungen bewusst geworden sein und er könne bis zu seinem Tode erhebliche Schmerzen verspürt haben, liegt dem kein substantiierter Sachvortrag zu Grunde. Es handelt sich lediglich um eine Mutmaßung einer so schon in erster Instanz genannten bloßen Möglichkeit. Bei dieser Sachlage würde die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinauslaufen. In dem Arztbericht der Klinik ist ausdrücklich festgehalten, dass der Sohn über die Entstehung der Verletzungen nichts berichten konnte, weil er primär bewusstlos war. Nach den Umständen, insbesondere im Hinblick auf die schwersten Schädelverletzungen, ist davon auszugehen, dass er das Bewusstsein sofort beim Unfallgeschehen verloren hat. Gegenteiliges findet sich auch nicht in den Ermittlungsakten. Vielmehr hat dort der Zeuge H, der unmittelbar nach dem Unfall zu dem vom Sohn der Kl gefahrenen Wagen gelaufen ist, angegeben, er habe diesen seiner Meinung nach bewusstlos im Fahrzeug sitzen gesehen. Im Arztbericht ist auch für den stationären Verlauf ohne jegliche zeitliche Einschränkung ein völliger Bewusstseinsverlust bestätigt worden. Auch von einem phasenweisen Schmerzempfinden kann daher nicht ausgegangen werden. Konkret ist hierzu von den Kl zudem nichts vorgetragen worden, obwohl sich diese im Hinblick auf die Schwere der Unfallverletzungen bis zum Tode ihres Sohnes am Klinikort aufgehalten haben, um stets bei ihrem Sohn bleiben zu können.
2. Die Zubilligung eines Schmerzensgeldes setzt allerdings nicht stets voraus, dass der Geschädigte die ihm zugefügten Verletzungen empfunden hat. Abgesehen von der hier nicht vorliegenden Fallgestaltung, dass wegen der Kürze der Zeit zwischen Schadensereignis und Tod der Sterbevorgang derart im Vordergrund steht, dass eine immaterielle Beeinträchtigung durch die Körperverletzung als solche nicht fassbar ist und folglich auch die Billigkeit keinen Ausgleich in Geld gebietet (vgl. BGH DAR 1998, 352/353), liegt bei schwerster Unfallverletzung mit Wahmehmungslosigkeit in der dadurch bedingten Zerstörung der Persönlichkeit ein immaterieller Schaden, der durch eine Geldentschädigung auszugleichen ist. Denn der hohe Wert der Persönlichkeit und Würde des Menschen (Art. 1 und 2 GG) verbietet es, zu Gunsten des Schädigers gerade den Umstand, der die besondere Schwere der zu entschädigenden Beeinträchtigung für den Betroffenen ausmacht, zum Anlass für eine weitgehende Minderung des Schmerzensgeldes zu machen oder dieses sogar ganz zu versagen. Vielmehr verlangen Beeinträchtigungen von solchem Ausmaß nach einer eigenständigen Bewertung und verbieten eine lediglich symbolhafte Wiedergutmachung (BGH NJW 1993, 781, 782; BGH DAR 1998,352).
3. Im Übrigen bleiben auch in solchen Fällen die allgemeinen Schmerzengeldbemessungskriterien maßgebend. So ist z.B. die Dauer des Kranken- bzw. Sterbelagers zwischen Unfall und Ableben ebenso bedeutsam wie die Frage, ob eine durchgehende Bewusstlosigkeit bestanden hat oder es zwischendurch Phasen des Bewusstseins und des Schmerzempfindens gegeben hat. Die Festlegung der Schmerzensgeldbeträge in der Rechtsprechung ist dabei naturgemäß nicht einheitlich. So sind in der Rechtsprechung, soweit sie zum Zeitpunkt des Unfalls bereits vorlag, für vergleichbare Unfallfolgen Schmerzensgelder zuerkannt worden, die teils deutlich unter dem an die Kl gezahlten Schmerzensgeld gelegen haben (vgl. z.B. OLG Schleswig NJW 1988, 569: 10.000 DM bei Tod nach 16 Tagen Bewusstlosigkeit; OLG Schleswig DAR 1998, 354: 10.000 DM bei Tod nach 7 Tagen Bewusstlosigkeit; OLG Hamm NJW-RE.1988, 1301: 5.000 DM bei Tod nach 3 Tagen Bewusstlosigkeit). In neueren Entscheidungen ist zwar ein gewisser Anstieg der Schmerzensgeldbeträge festzustellen. Das von den Kl angeführte Urt. des OLG Hamm v. 9.8.2000 (DAR 2000, 570), in dem 30.000 DM Schmerzensgeld für einen nach 8 Tagen verstorbenen 16-jährigen Sohn zuerkannt wurden, ist mit dem vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht vergleichbar, weil dort der Patient zumindest phasenweise Schmerzempfindungen hatte und wegen der Hirnverletzung nur sehr wenig Schmerz- und Schlafmittel erhalten hatte; er war zeitweise ansprechbar und reagierte zielgerichtet auf (unbeabsichtigte) Schmerzreize. Im Streitfall bestand dagegen ab dem Unfallereignis bis zum Tode eine durchgehende völlige Bewusstlosigkeit des Geschädigten. Auch wenn diesen das 8-tägige Sterbelager in der Blüte seines Lebens traf und dem rechtskräftig wegen fahrlässiger Tötung bestraften Bekl zu 2) eine keineswegs nur ganz leichte Fahrlässigkeit an der Unfallentstehung zuzurechnen ist, so hebt sich dessen Fehlverhalten, das in dem ohne Rückschau erfolgten Ausweichen vor dem links auf der Fahrbahn befindlichen Zeugen H auf die rechte Fahrspur bestanden hat, doch noch deutlich von anderen weitaus gravierenderen Verkehrsverstößen ab.
4. Wenn die KI geltend machen, ihr Sohn wäre auch im Falle des Überlebens bei seinen dauerhaften schwersten Hirnverletzungen zu einem Pflegefall geworden, und in derartigen Fällen werde ein hohes Schmerzensgeld in einer Größenordnung von ca. 500.000 DM zuerkannt, so lässt sich daraus kein Argument für die Aufstockung des bereits gezahlten Schmerzensgeldes herleiten. Denn tatsächlich lag kein Pflegefall mit einem gewissen Bewusstsein der Situation und des Leidens vor. Außerdem ist den Bekl im Ansatz darin zuzustimmen, dass gerade dieser Vergleich auch die Disproportion aufdeckt, die eintreten würde, wenn man für 8 Tage ein Schmerzensgeld von 30.000 DM anerkennen wollte. Denn bei einer tagesbezogenen Betrachtung wären die 500.000 DM für ein lebenslang pflegebedürftiges Unfallopfer dann schon nach 134 Tagen 'verbraucht'. Auch wenn eine solche 'Tagessatz'-Sicht wegen der Unterschiedlichkeit der Sachverhalte rechtlich so nicht maßgeblich sein könnte, so belegt sie doch die Notwendigkeit wenigstens einer gewissen Proportionswahrung zur Vermeidung unannehmbarer Ergebnisse, die letztlich auf eine durch nichts gerechtfertigte Benachteiligung der langzeitschwerstgeschädigten Unfallopfer hinauslaufen und das insgesamt in einem gewissen Rahmen zu wahrende Schmerzensgeldgefüge sprengen würde.
5. Unter Würdigung aller Umständen erachtet daher der Senat das den Kln bereits gezahlte Schmerzensgeld von insgesamt 12.000 DM als angemessen und ausreichend. ...
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