Kein Beweiserhebungsverbot für Abgleich mit digitalisiertem Passfoto durch Bußgeldbehörde
Gericht
OLG Stuttgart
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
26. 08. 2002
Aktenzeichen
1 Ss 230/2002
Die Einlegung und Begründung eines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde beim Amtsgericht durch einen Amtsanwalt ist in Baden-Württemberg zulässig.
Die Erhebung eines beim Passregister gespeicherten Lichtbildes eines Betroffenen durch die Bußgeldstelle ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn dadurch der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit ermittelt und überführt werden soll.
Die Erhebung eines solchen Lichtbildes durch die Bußgeldstelle im Automatisierten Abrufverfahren (Online-Zugriff) ist rechtswidrig, wenn dabei der gesetzlichen Dokumentationspflicht nicht genügt wird. Ein Beweisverwertungsverbot für das weitere Bußgeldverfahren entsteht dadurch jedoch nicht.
I. Im - rechtzeitig angefochtenen - Bußgeldbescheid des Ordnungsamts der Landeshauptstadt Stuttgart vom 27.9.2001 wird dem Betroffenen vorgeworfen, er habe als Lenker eines Pkw, der auf eine in Stuttgart ansässige GmbH & Co. zugelassen gewesen sei, am 15.6.2001 um 16.19 Uhr in S. an der Kreuzung C. Straße/S.straße das Rotlicht der dort angebrachten Lichtzeichenanlage nicht befolgt (§§ 37 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG). Hierwegen wurde gegen ihn eine Geldbuße von 100 DM festgesetzt. Als Beweismittel wurden u.a. ein "Foto" und ein "Mess-/ Frontfoto" einer Überwachungsanlage aufgeführt. Dem war folgendes Ermittlungsverfahren vorausgegangen:
Über eine Halteranfrage hatte das Ordnungsamt die Personaldaten des Betroffenen als derjenigen Person, der zur Tatzeit das Fahrzeug überlassen worden war, in Erfahrung gebracht; der Betroffene wurde als solcher mit formularmäßigem Anschreiben vom 2.8.2001 angehört. Nachdem er die Frage, ob der Verstoß zugegeben werde, mit "Nein" beantwortet hatte, vermerkte die Sachbearbeiterin 27 der Bußgeldbehörde am 24.8.2001 mit einem Stempel "Eschl 222/0, Dialog erfasst" in der Akte. Eine spätere Nachfrage des Amtsgerichts ergab, dass die Sachbearbeiterin zu diesem Zeitpunkt das Lichtbild mit den Personaldaten des Betroffenen, das beim Passamt (Passregister) der Landeshauptstadt Stuttgart in digitalisierter Form hinterlegt war, dort über ihren mit diesem Register vernetzten PC von ihrem Arbeitsplatz aus abgerufen hatte, um dieses zu den Akten zu nehmen und mit dem Messfoto über den Rotlichtverstoß zu vergleichen. Dieser Umstand wurde bis zur Nachfrage des Amtsgerichts ebenso wenig in den Akten vermerkt wie die Tatsache, dass die Sachbearbeiterin von ihrem Amtsleiter ermächtigt war, Auskunftsersuchen an Pass- bzw. Personalausweishehörden zu richten und dass sie schriftlich bestätigt hatte, die für eine Datenüberrnittlung gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen seien ihr bekannt. ...
II. ... 2. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Beweiswürdigung sind rechtlich fehlerhaft, weil ihnen Beweiserhebungsverbote und Beweisverwertungsverbote zugrunde gelegt werden, die nicht existieren. Der Freispruch des Betroffenen beruht daher auf der fehlerhaften Nichtausschöpfung vorhandener und verwertbarer Beweismittel (vgl. Engelhardt in KK, 4. Aufl., § 261 StPO, Rz. 49; Kuckein in KK, 4. Aufl., § 337 StPO, Rz. 30 jew. m.w.N.) und kann auf die Sachrüge hin keinen Bestand haben. ...
b) Die Erhebung des dem Betroffenen zugeordneten digitalisierten Lichtbildes aus dem Passregister der Landeshauptstadt Stuttgart begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Für die Datenübermittlung aus dem Passregister der Passbehörde bestimmt § 22 Abs. 1 PassG, dass die Passbehörden personenbezogene Daten nur nach Maßgabe dieses Gesetzes oder anderer Gesetze oder Rechtsverordnungen erheben, übermitteln, sonst verarbeiten oder nutzen dürfen. Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 u. 2 Nrn. 1 bis 3 PassG, der insoweit § 2b Abs. 2 PersonalausweisG entspricht, dürfen die Passbehörden anderen Behörden auf deren Ersuchen Daten aus dem Passregister übermitteln, wenn die ersuchende Behörde auf Grund von Gesetzen oder Rechtsverordnungen berechtigt ist, solche Daten zu erhalten, die ersuchende Behörde ohne Kenntnis der Daten nicht in der Lage wäre, eine ihr obliegende Aufgabe zu erfüllen, und wenn die Daten beim Betroffenen nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand erhoben werden können. Hätte sonach die Bußgeldstelle der Landeshauptstadt Stuttgart das Passregister (oder Personalausweisregister) um die Übermittlung eines Lichtbildes des einer Verkehrsordnungswidrigkeit verdächtigen Betroffenen ersucht, so hätte diese Stelle dem Ersuchen stattgeben müssen. Dabei ist nicht von Bedeutung, dass beide Stellen Teil der Verwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart als unterer Verwaltungsbehörde sind; es kann aus Gründen der Gleichheit und der Praktikabilität hier nichts anderes gelten als bei Behördenstellen, die verschiedenen übergeordneten Verwaltungseinheiten zugehören. Entscheidend ist, dass die Bußgeldbehörde nach §§ 46 OWiG, 161 StPO berechtigt ist, von allen Behörden zum Zweck der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten Auskunft zu verlangen. Dieses Auskunftsrecht, das auf "anderen Gesetzen" i.S. von § 22 Abs. 1 PassG beruht, umfasst auch die Herausgabe eines beim Passregister hinterlegten Lichtbildes des Betroffenen, das Datencharakter (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 BDSG) hat. § 22 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 PassG (und auch § 2b Abs. 2 Nr. 1 PersonalausweisG) beschränkt die Auskunftspflicht der Passbehörde (oder der Personalausweisbehörde) gerade nicht. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten wird dem Datenschutz kein Vorrang vor dem staatlichen Aufklärungsinteresse, eingeräumt (so schon OLG Stuttgart, Beschl. v. 2.1.1998 - 1 Ss 712/97; ebenso AG Schleiden DAR 2001, 232), weil die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten - ähnlich wie die Strafverfolgung - nach dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) - eine zentrale staatliche Aufgabe ist, die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere der Verkehrsdisziplin, in effektiver Weise wahrgenommen werden muss. Hierfür sind auch Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zulässig, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird.
Die Bußgeldbehörden sind zwar bei weitem nicht in allen Fällen der Beweissicherung durch Messfotos auf einen Abgleich mit Lichtbildern aus dem Pass- oder Personalausweisregister angewiesen; in Fällen wie dem vorliegenden, in denen ein Firmenangehöriger verdächtig ist, eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen zu haben, brauchen sie jedoch zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgabe der Verfolgung solcher Ordnungswidrigkeiten derartige Daten, weil diese sonst mit unverhältnismäßig hohem Aufwand durch einen Behördenbediensteten oder auf bußgeldbehördliches Ersuchen durch die Polizei erhoben werden müssten. Der Bußgeldbehörde oder der Polizei bliebe dann nur die Möglichkeit, den Betroffenen in seiner Wohnung oder an seinem Arbeitsplatz aufzusuchen und ihn zum Vergleich mit dem Messfoto in Augenschein zu nehmen; äußerstenfalls käme auch eine Nachbarschaftsbefragung in Betracht (vgl. Hassemer/Topp, NZV 1995, 169, 172). Diese Ermittlungswege wären sowohl für die Behörden als auch für den Betroffenen nicht verhältnismäßig. Angesichts der andauernden personellen Unterbesetzung der Bußgeldbehörden und der Polizei und ihrer Aufgabenüberlastung wäre ein derartig überzogener, in der Sache unnötiger Ermittlungsaufwand nicht vertretbar. Wegen der dadurch verursachten Verzögerung der Ermittlungen träte überdies wegen der in § 26 Abs. 3 StVG bestimmten Verjährungsfrist von nur drei Monaten bis zum Erlass des Bußgeldbescheids häufig Verfolgungsverjährung ein, bevor der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit ermittelt wäre.
Aus der Sicht des Betroffenen würden die hergebrachten Ermittlungswege wesentlich stärker in seine Persönlichkeitssphäre eingreifen als die Erhebung seines Lichtbildes beim Pass- oder Personalausweisregister. Denn jede Befragung Dritter wäre notwendigerweise mit Informationen über die Ordnungswidrigkeit verbunden, die im privaten Umfeld des Betroffenen zu weiteren Spekulationen über ein etwaiges Fehlverhalten Anlass gäben. Demgegenüber ist die Erhebung eines Lichtbildes beim Pass- oder Personalausweisregister für die Zwecke der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit der geringstmögliche Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Tatverdächtigen. Der Senat sieht unter diesen Umständen keinen Anlass, ein generelles Beweiserhebungsverbot anzunehmen. Er weicht damit von der in Beschlüssen des OLG Frankfurt (NJW 1997, 2369) und des BayObLG (BayOBLG v. 20.2.1998 - 2 Ob OWi 727/97, NJW 1998, 3656) vertretenen Rechtsmeinung ab; die Vorlagepflicht nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 121 Abs. 2 GVG wird dadurch jedoch nicht ausgelöst, weil diese beiden Entscheidungen nicht auf der abweichenden Rechtsauffassung beruhen, sondern auf der Verneinung eines Beweisverwertungsverbotes. ...
c) Da ein derartiges Beweiserhebungsverbot hier offensichtlich nicht vorlag, hätte die Bußgeldstelle durch ein schriftliches Auskunftsersuchen an das Passregister, das gem. § 22 Abs. 3 Satz 2 PassG durch einen hierzu ermächtigten Bediensteten zu stellen gewesen wäre, das dort gespeicherte Lichtbild des Betroffenen erheben und dieses als Beweismittel gegen ihn verwerten dürfen. Stattdessen hat die Bußgeldstelle sich des Automatisierten Abrufverfahrens nach § 8 bw LDSG i.d.F vom 18.9.2000 bedient und selbst ein beim Passregister gespeichertes digitalisiertes Lichtbild des Betroffenen erhoben, das das Amtsgericht nicht verwerten zu dürfen glaubte. Nach der genannten Vorschrift darf ein automatisiertes Verfahren, das die Übermittlung personenbezogener Daten durch Abruf ermöglicht, nur eingerichtet werden, soweit dieses Verfahren unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen und der Aufgaben der beteiligten Stellen angemessen ist. Dabei haben die beteiligten Stellen zu gewährleisten, dass die Zulässigkeit des Abrufverfahrens kontrolliert werden kann. Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 bw LDSG beurteilt sich die Zulässigkeit des einzelnen Abrufs nach den für die Erhebung und Übermittlung von Daten geltenden Vorschriften.
Der Senat entnimmt dieser neuen landesrechtlichen Vorschrift, dass den Bußgeldstellen zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen, die der Dokumentation und Kontrolle der Verfolgungstätigkeit dienen, der Online-Zugriff auf die im Pass- oder Personalausweisregister gespeicherten Lichtbilder von Betroffenen grundsätzlich gestattet ist. In einem Fall wie dem vorliegenden, wo Ermittlungen beim Betroffenen oder in dessen sozialem Umfeld einen unverhältnismäßigen Aufwand mit sich brächten und die schutzwürdigen Belange des Betroffenen durch eine Online-Erhebung seines Lichtbildes beim Passregister geringstmöglich beeinträchtigt werden, erscheint es grundsätzlich angemessen, diese Art der Beweiserhebung, die die Vorteile der modernen Kommunikationstechnik nutzt, zuzulassen.
Allerdings sind der Bußgeldbehörde hier bei der durch §§ 22 Abs. 3 PassG, 8 Abs. 2 bw LDSG vorgeschriebenen Dokumentation des Online-Zugriffs so schwerwiegende Fehler unterlaufen, dass die Beweiserhebung als formell rechtswidrig angesehen werden muss. Nach § 22 Abs. 3 Satz 2 u. 3 PassG durfte nur ein besonders ermächtigter Bediensteter tätig werden, der den Anlass des Ersuchens und die Herkunft der übermittelten Daten aktenkundig machte. Die beteiligten Stellen mussten gem. § 8 Abs. 2 bw LDSG durch schriftliche Festlegung gewährleisten, dass die Zulässigkeit des Abrufverfahrens kontrolliert werden konnte; hierzu waren Anlass und Zweck des Abrufverfahrens, Dritte, an die übermittelt wurde, die Art der abzurufenden Daten und die nach § 9 bw LDSG erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen festzulegen. Da diese Dokumentationspflicht keine bloße Ordnungsvorschrift darstellt, sondern der Sicherung des Datenschutzes sowie insbesondere der Verhinderung von Missbräuchen dient und damit für die Rechtmäßigkeit des Online-Zugriffs konstitutiven Charakter hat, hätte sie bei Erhebung des Lichtbildes des Betroffenen befolgt werden müssen. Die wesentlich später auf Anfrage des Amtsgerichts erfolgte Erklärung des unverständlichen Dialogschlüssels vom 24.8.2001 reichte als Dokumentation nicht aus. Die Bußgeldstelle wird, falls sie den Online-Zugriff künftig wieder praktizieren sollte, auf eine vollständige und allgemein verständliche Dokumentation zu achten haben.
Die Rechtswidrigkeit der Beweiserhebung führt hier indes nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Ebenso wie bei der Datenerhebung durch schriftliches Ersuchen besteht ein Beweisverwertungsverbot nur dann, wenn der Kernbereich der Persönlichkeitssphäre des Betroffenen berührt wird (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 2.1.1998 - 1 Ss 712/97; BayObLG v. 20.2.1998 2 Ob OWI 727/97, NJW 1998, 3656; OLG Frankfurt v. 18.6.1997 - 2 Ws (B) 331/97, NJW 1997, 2963; OLG Hamm, Beschl. v. 7.11.1989 - 3 Ss OWI 695/89, zitiert nach juris; Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Aufl., Einleitung StPO, Rz. 56 m.w.N.). Das ist hier ersichtlich nicht der Fall. Das Lichtbild des Betroffenen ist lediglich der nicht umfassend geschützten - schlichten Privatsphäre zuzurechnen. Dass es vom Betroffenen selbst bei Beantragung seines Reisepasses zu den Akten der Passstelle gegeben wurde, hindert seine Verwertung ebenfalls nicht; ein Verstoß gegen den Grundsatz, dass niemand aktiv zu seiner eigenen Überführung beitragen muss, liegt nicht vor. Der Betroffene ist nicht gezwungen worden, sein Lichtbild im Bußgeldverfahren als Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Dass die Bußgeldstelle wegen des nach der Hinterlegung des Lichtbildes entstandenen Tatverdachts einer Verkehrsordnungswidrigkeit auf sein zum Passregister gegebenes Lichtbild im Automatisierten Abrufverfahren zugreifen konnte, ist das unmittelbare Ergebnis staatlicher Ermittlungstätigkeit, nicht jedoch einer rechtswidrig erzwungenen Selbstbelastung des Betroffenen.
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