Schadensersatzanspruch nach dem Tode einer Hausfrau und Mutter

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

08. 02. 1983


Aktenzeichen

VI ZR 201/81


Leitsatz des Gerichts

Die Schätzung des Unterhaltsbedarfs der Hinterbliebenen einer getöteten Ehefrau und Mutter orientiert sich in der Regel an der Netto-Vergütung einer vergleichbaren Ersatzkraft. Dem kann bei gebotener Pauschalierung ein Abschlag von 30% vom Brutto-Lohn entsprechen.

Tatbestand

Durch einen Verkehrsunfall am 5. März 1975 kam die damals 25 Jahre alte, nicht mehr berufstätige Ehefrau des Klägers zu 1 und Mutter der Kläger zu 2 und 3 als Beifahrerin eines Pkw ums Leben. Ein im Manövereinsatz befindliches Amphibienfahrzeug der französischen Streitkräfte hatte den Unfall mitverursacht. Die Haftung der beklagten Bundesrepublik zu 5/6 ist dem Grunde nach nunmehr außer Streit. Die Revision betrifft nur noch die Bemessung der Unterhalts-Schadensersatzrenten (§ 844 Abs. 2 BGB). Der Kläger zu 2 Andreas und die Klägerin zu 3 Sylvia waren im Zeitpunkt des Todes ihrer Mutter 9 und 7 Jahre alt. Das Amt für Verteidigungslasten in H. hat den Klägern unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Getöteten von 1/6 - ausgehend von einer Unterhaltsleistung der Verstorbenen im Werte von monatlich etwa 1200 DM - Ersatz für entgangenen Unterhalt zuerkannt, und zwar dem Kläger zu 1 monatliche Renten von 306,67 DM bis zum 26. April 2026 (Vollendung des 77. Lebensjahres der Getöteten als voraussichtliche Lebenserwartung) und den Klägern zu 2 und 3 unter Berücksichtigung u.a. der Waisenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von je 143,20 DM solche von je 6,38 DM jeweils bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahres. Dabei legte das Amt für Verteidigungslasten seiner Berechnung zugrunde, daß der Kläger zu 1 - von Beruf Installateur - ein Einkommen von monatlich 1.590 DM einschließlich Kindergeld hatte. Die Kläger haben - ausgehend von dem Bruttoverdienst einer der ausgefallenen Unterhaltsleistung etwa gleichwertigen Haushaltshilfe (des ländlichen Raumes in dem sie leben,) in Höhe von monatlich 1500 DM - die Zahlung höherer Renten begehrt; sie verlangen (unter Verwendung des Aufteilungsschlüssels von 6:2:2) eine monatliche Rente von 900 DM für den Kläger zu 1, auf die sie im Wege der Vorteilsausgleichung für ersparten Unterhaltsaufwand monatlich 300 DM anrechnen, und von je 300 DM für die Kläger zu 2 und 3. Dies ergibt unter Berücksichtigung der gezahlten Renten weitere monatliche Ansprüche von 293,33 DM für den Kläger zu 1 und von je 150,42 DM für die Kläger zu 2 und 3. Ferner haben sie beantragt, die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten für künftigen Unterhaltsverlust aller drei Kläger festzustellen.

Das Landgericht hat die Feststellungsklagen abgewiesen, im übrigen aber - ausgehend von monatlichen Aufwendungen von 1500 DM unter Abzug von 300 DM als Vorteilsausgleichung für den Kläger zu 1 - den Klägern die begehrten Renten zuerkannt.

Das Oberlandesgericht hat der Getöteten zwar - wie das Amt für Verteidigungslasten - ein Mitverschulden von 1/6 angelastet, dennoch aber die vom Landgericht zuerkannten Renten (wenn auch mit anderer Begründung) bestätigt; ferner hat es dem Feststellungsbegehren der Kläger zu 2 und 3 stattgegeben.

Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

I. Das Berufungsgericht legt zur Berechnung des den Klägern nach § 844 Abs. 2 BGB zu ersetzenden Unterhalts (Haushaltführung) die Vergütung einer der getöteten Ehefrau und Mutter vergleichbaren, nach dem Bundesangestelltentarif VII (beispielsweise Haus- und Familienpflegerin oder Dorfhelferin) zu entlohnenden, ganztägig tätigen Ersatzkraft zugrunde. Ausgehend von einem Arbeitszeitbedarf von 49 Wochenstunden für den um die Versorgungsanteile der Getöteten reduzierten 4-Personen-Haushalt schätzt es in Anlehnung an die von SchulzBorck/Hofmann (Schadensersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Müttern im Haushalt, 1978) erstellten Tabellen aufgrund der dort (S. 7) zugrunde gelegten Durchschnittswerte eines Lebensalters von 31 bis 33 Jahren den erforderlichen Aufwand auf monatlich 2468,28 DM. Das entspricht der Bruttovergütung, in der 409,58 DM an Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung und - offenbar pauschaliert berechnet - 476,60 DM an Lohnsteuer enthalten sind. Die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung sind dagegen, wie sich aus der Fußnote 2 zu Tabelle 4 aaO ergibt, entgegen der Meinung des Berufungsgerichts in die Bruttovergütung nicht einbezogen, so daß ein Verstoß gegen die im Senatsurteil vom 8. Juni 1982 (VI ZR 314/80 = VersR 1982, 951) entwickelten Grundsätze nicht zur Erörterung steht.

Der Streit der Parteien betrifft im wesentlichen die Frage, ob für die Bemessung des Unterhaltsschadens die Bruttooder die Nettobeträge einer vergleichbaren Ersatzkraft zugrunde gelegt werden können. (Zum Meinungsstand: In der neueren Rechtsprechung haben sich u.a. das OLG Frankfurt/M. VersR 1981, 241; OLG Karlsruhe VersR 1974, 393, 394; OLG Oldenburg VersR 1977, 553 und LG Bamberg VersR 1971, 576, 578 für die Berechnung nach dem Bruttolohn ausgesprochen; dagegen: OLG Braunschweig Urt. v. 2. Juli 1971 - 5 U 139/70; LG München Urt. v. 3 1. Januar 1974 - 19 0 591/73; LG Berlin DAR 1979, 304 und neuerdings LG Bayreuth VersR 1983, 66, 67. Im Schrifttum ist zunächst Wussow NJW 1970, 1393, 1396 - ebenso Wussow / Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden 3. Aufl. Rdz. 129 und 274 und Wussow, UHR 12. Aufl. Rdz. 1083 - gegen eine Einbeziehung der Sozialversicherungsbeiträge eingetreten; im Ergebnis ebenso: Hofmann VersR 1977, 296) 300 und VersR 1981, 338, 339, sowie VersR 1982, 1192; Fleischmann, Entwicklungstendenzen im Schadensersatzrecht, 20. Deutscher Verkehrsgerichtstag 1982, S. 268 ff.; Schlund DAR 1977, 281, 20,4 und JR 1977, 288, 289; wohl auch Schacht FamRZ 1980, 107, 110. Die Bruttovergütung halten im Ansatzpunkt für richtig: Eckelmann NJW 1971, 355, 358 und Eckelmann / Boos VersR 1978, 210 - allerdings beschränkt auf den zukünftigen Unterhaltsschaden; Weichlein, Höhe des Schadensersatzes bei Verletzung oder Tötung einer Hausfrau, 1977, S. 130 ff. m.w.Nachw.; Fenn in Anm. AP BGB § 844 Nr. 17; Maier, Schadensersatz bei Tötung oder Verletzung der im Haushalt tätigen ... Ehefrau, 1976, S. 113, 114; Weyer DRiZ 1971, 261, 265 und Boujong in BGB-RGRK 12. Aufl. § 844 Rdz. 61).

II. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, das seiner Berechnung die sogenannte Bruttovergütung zugrunde legt, ist rechtsfehlerhaft:

1. Die Bruttoaufwendungen (einschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung) bilden die Grundlage der Berechnung der nach § 844 Abs. 2 BGB zu zahlenden Schadensersatzrenten, wenn der geschädigte Witwer zu seiner und seiner Kinder Versorgung tatsächlich eine aufgrund eines Arbeitsvertrages beschäftigte Ersatzkraft instellt. Denn der Geschädigte ist grundsätzlich in die Lage zu versetzen, sich, wenn dies angemessen und möglich ist, die den entgangenen Unterhaltsleistungen entsprechenden Dienste zu verschaffen. Da die Haushaltsführung als eine der Erwerbstätigkeit vergleichbare, wirtschaftlich ins Gewicht fallende Arbeitsleistung anzusprechen ist (GSZ BGHZ 50, 304, 305; BGHZ 77, 116, 124), sind die zu zahlenden Tarifgehälter (insbesondere der Bundesangestelltentarif), in denen sich entsprechende Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt wertmäßig ausdrücken, dem Geschädigten zu ersetzen, falls sie sich im angemessenen Rahmen halten.

2. Wird aber - wie im Streitfall - eine Ersatzkraft nicht eingestellt, sondern bietet sich dem Geschädigten eine andere zumutbare Möglichkeit der Schadensbehebung durch unentgeltliche Mithilfe von Verwandten (wie hier zeitweise der Mutter des Klägers zu 1) oder einer Bekannten (die im Streitfall die Mutter teilweise abgelöst haben soll) an oder behilft der Geschädigte sich gar durch überobligationsmäßige Eigenleistungen selbst, ist der Unterhaltsschaden der Hinterbliebenen anders zu berechnen. Abweichend von der Berechnung bei Schadensersatzleistungen wegen Beschädigung einer Sache, für deren Verlust der Schädiger dem Geschädigten stets den marktorientierten Betrag als »erforderlichen Herstellungsaufwand (§ 249 Satz 2 BGB)« zur freien Verfügung zu stellen hat, ist der Verlust der Haushaltstätigkeit der Ehefrau und Mutter für die Hinterbliebenen nicht derart an einen »Marktpreis« gebunden und seine Bemessung von der faktischen Schadensentwicklung abgekoppelt. § 249 Satz 2 BGB ist auf (unmittelbare) Schäden wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache beschränkt; die Vorschrift ist dagegen auf Unterhaltsschäden i. S. von § 844 Abs. 2 BGB nicht anwendbar. Hinzu kommt vor allem:

Der Unterhaltsbedarf der Hinterbliebenen, die keine Ersatzkraft einstellen, muß sich an dem Wert der früher von der Getöteten erbrachten Haushaltsführung ausrichten. Diese bestimmt, da das wirtschaftliche Interesse des Geschädigten an dem Ausfall zu bewerten ist, Grundlage und Maßstab der Schadensersatzpflicht. In der Regel wird aber der Haushalt nicht von gewerblich tätigen Kräften geführt. Die Lebenswirklichkeit zeigt, daß die Einstellung einer Haushaltshilfe zu den Sätzen nach dem Bundesangestelltentarif oder anderen Tarifverträgen eher die Ausnahme bildet. Der Wert der Haushaltsführung durch die Ehefrau und Mutter kann nicht ohne weiteres dem Brutto-Lohn einer Haus- und Familienpflegerin, Hauswirtschaftsleiterin oder Dorfhelferin gleichgesetzt werden. Vielmehr muß er um die sozialversicherungsrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Abgaben bereinigt werden. Die Haushaltstätigkeit weist vielfältige Besonderheiten gegenüber dem Einsatz auf dem freien Arbeitsmarkt auf. Der Wertmaßstab für die Arbeitskraft einer Arbeitnehmerin ist von Umständen beeinflußt, die sich bei der Haushaltstätigkeit nicht widerspiegeln und nicht anfallen. Die Ehefrau und Mutter kann viele Arbeiten im Haushalt rationeller erledigen als eine Ersatzkraft. Insbesondere kann die Hausfrau günstiger als eine fremde Haushaltshilfe das Verhältnis zwischen Freizeit und Arbeit für sich selbst einteilen. Ihre Tätigkeit wird bisher weder sozialversicherungsrechtlich noch steuerrechtlich erfaßt.

Alle diese Erwägungen lassen es angezeigt erscheinen, jedenfalls dann, wenn nicht besondere Umstände einen Zuschlag für die eigene Kranken- und Altersversorgung des helfenden Mitgliedes der Familie gebieten (dies mag beispielsweise im Streitfall für die Mutter des Klägers zu 1 in Betracht kommen, soweit sie durch Aufgabe ihrer eigenen Berufstätigkeit einen auszugleichenden Nachteil erleidet), den Wert der Haushaltsführung nach den NettoVergütungen vergleichbarer Arbeitskräfte zu schätzen. Es würde sich auch noch im Rahmen des dem Tatrichter eingeräumten Schätzungsfreiraumes halten, den aus vorgenannten Gründen erforderlichen Abschlag pauschal mit 30% der Brutto-Vergütung (ohne Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung) anzusetzen. Dabei wird der Tatrichter weitgehend zu Pauschalierungen und Mittelwerten greifen müssen, zumal die gesamte Schätzung des Unterhaltsschadens i. S. von § 844 Abs. 2 BGB Faktoren beinhaltet, die sich einer genauen Berechnung entziehen. Die Wahl der Vergütungsgruppe und des Alters der Ersatzkraft, die Ermittlung des Arbeitszeitbedarfes und die Prognose der Lohnentwicklung fordern Ansätze, die sich ausgehend von den konkreten Umständen des Einzelfalles an durchschnittlichen Maßstäben orientieren können.

3. Stellt der Geschädigte später eine Ersatzkraft ein - der Kläger zu 1 hat dies für eine künftige Gestaltung in Aussicht gestellt -, ergibt sich eine neue Berechnungsgrundlage, die zu einem Schadensausgleich nach den unter II, 1 dargelegten Grundsätzen führt.

III. Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts, das von der sogenannten Bruttovergütung ausgegangen ist, hat sich jedoch nicht zum Nachteil der Beklagten ausgewirkt (wird ausgeführt).

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht

Normen

BGB § 844 Abs. 2