Messe als Freizeitveranstaltung nach HWiG – Mittelsachsenschau Riesa 1994

Gericht

OLG Dresden


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

28. 02. 1997


Aktenzeichen

8 U 2263/96


Leitsatz des Gerichts

Die Mittelsachsenschau Riesa 1994 war eine Freizeitveranstaltung im Sinne des Haustürgeschäftewiderrufsgesetzes.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Bekl. unterzeichneten am 14. 5. 1994 auf der Messe „Mittelsachsenschau“ in Riesa einen Vertrag über die Lieferung eines Solarkomplettbausatzes zu einem Festpreis von 12400 DM. Eine Widerrufsbelehrung enthielt der Vertragstext nicht. Mit Schreiben vom 8. 6. 1994 erklärte der Bekl. zu 1 gegenüber der Kl., den Kaufvertrag rückgängig machen zu wollen. Dies lehnte die Kl. ab. Daraufhin erklärten die Bekl. mit Anwaltsschriftsatz vom 19. 10. 1994 den Widerruf ihrer auf den Vertragsschluß gerichteten Willenserklärungen nach dem Haustürgeschäftewiderrufsgesetz. Bei der Mittelsachsenschau handelt es sich um eine regionale Verbrauchermesse, für die Eintrittsgeld zu entrichten ist. Die Veranstaltung dauerte vom 12. 5. 1994 (Himmelfahrtstag) bis 23. 5. 1994 (zwölf Tage) und umfaßte auch die Samstage und Sonntage. Sie wurde in 14 Hallen mit Freigelände ausgerichtet. Die Ausstellungsfläche betrug nach dem Veranstaltungsprospekt 26000 qm. Sie wurde von Ausstellern aus nahezu allen Bereichen des Handels, des Gewerbes und der Dienstleistungen beschickt. In drei Hallen fand eine Fachausstellung „Sächsischer Baumarkt" statt. Dort befand sich auch der Verkaufsstand der Kl., an welchem den Kunden bei Verkaufsgesprächen Gebäck und nichtalkoholische Getränke gereicht wurden. Zwei Hallen waren im wesentlichen für diverse kulturelle, sportliche oder unterhaltende Veranstaltungen reserviert. Auf Plakaten wurde die Messe als „Informations– und Verkaufsmesse für die ganze Familie" bezeichnet. Das Veranstaltungsprogramm, mit dem für den Besuch der Messe geworben wurde, sieht für jeden Tag eine Reihe von Unterhaltungs– und sonstigen Veranstaltungen vor. So sind dort z.B. angekündigt, teils mehrfach: Bewegungstheater; Messeball; Folkloregruppe; Karatevorführung des Polizeisportvereins; Songs, Lyrik und Prosa mit Joachim Z; Gags und Geigel mit der Gruppe N; Präsentation der Tanzklassen der Musikschule; Seniorennachmittag mit einem Radiosender; Kindermusikgruppe; Autogrammstunde; Kindertag; Boxturnier; Pfingst–Frühschoppen mit S; Kindermalwettbewerb; Mini–Playback–Show; Party eines Radiosenders; Lesung mit P; große Sportgala; diverse Modenschauen. Einzelne Veranstaltungen, wie z.B. Autogrammstunden, fanden auch in den Ausstellungshallen statt, nicht aber am Stand der Kl. In einem Prospekt, der sich an potentielle Aussteller wendet, finden sich u.a. folgende Formulierungen: „ Direktwerbung – Sonderfahrten. Verteilung von 150000 Faltprospekten mit Gutschein, Versand von Info–Mappen, Organisation von Busfahrten, Einladung von Vereinen und Verbänden ... Informations– und Erlebnisbereich. In einer Veranstaltungshalle mit einer Besucherzahl von ca. 600 Plätzen und im Erlebnis– und Freizeitbereich läuft ein Nonstop–Programm ab, welches mit seinen einzelnen Programmpunkten jeden anspricht. Für die Jüngsten unter den Besuchern ist ein besonderer Bereich für Spiel und Spaß geschaffen worden. Wie immer ein Familienerlebnis. Die Mittelsachsenschau ist so konzipiert, daß sie auf jeden Besucher ihren Reiz ausübt. Dazu trägt auch das bewährte Konzept der Sonderschauen bei. Es sind Ereignisse, über die man in der ganzen Region spricht. Wer verkaufen will, braucht Käufer! Wohl nur auf derartigen Großveranstaltungen hat der Geschäftsmann die Möglichkeit, abertausend potentieller Kunden in nur wenigen Tagen durch sein Angebot im Ausstellungsstand zu schleusen."

Das LG Leipzig hat die Klage abgewiesen. Die kl. Berufung hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

... 2. Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, daß die Mittelsachsenschau Riesa in ihrer Ausgestaltung im Jahr 1994 bei Anwendung dieser Grundsätze als Freizeitveranstaltung einzustufen ist.

a) In der Werbung für diese Veranstaltung gegenüber potentiellen Besuchern, auf die es entscheidend ankommt (Fischer/Machunsky, HWiG, 2. Aufl. (1995), Rdnr. 130; BGH, NJW 1992, 1889 (1890) = LM H. 11/1992 HWiG Nr. 10), wird ein ausführliches Veranstaltungsprogramm mit zahlreichen kulturellen, sportlichen und unterhaltsamen Programmpunkten in den Vordergrund gestellt. Die auch am Wochenende stattfindenden Darbietungen sollen ausdrücklich „für die ganze Familie" da sein. Ziel dieses attraktiven Angebots ist es, möglichst viele Besucher mit der Vorstellung zum Messebesuch zu animieren, dort könne man unterhaltsame und attraktive Darbietungen erleben und sich vergnügen. Die im Tatbestand dieses Urteils näher aufgeführten Programmpunkte, wie Theater–, Sport– und Musikdarbietungen etc., waren geeignet, Besucher mit dieser Motivation zum Messebesuch zu bewegen. Im Werbeprospekt für Aussteller findet dies seine Entsprechung darin, daß der Erlebnischarakter der Messe herausgestellt wird und es weiter heißt, der Geschäftsmann habe wohl nur bei derartigen Großveranstaltungen die Möglichkeit, so viele Kunden in so kurzer Zeit „durch sein Angebot im Ausstellungsstand zu schleusen“.

Der Verbraucher soll also an der Veranstaltung teilnehmen, um den Ausstellern leichteren Zugang zu ihm zu verschaffen. Die dadurch erleichterte Möglichkeit anbieterinitiierter Kontaktaufnahme spricht für den Charakter als Freizeitveranstaltung (Fischer/Machunsky, Rdnrn. 126, 137ff.).

b) Daß der Besucher durch das nähergeschilderte Programmangebot in eine freizeitliche Stimmung geraten konnte, die die Gefahr der Überrumpelung erhöhte, bedarf keiner weiteren Darlegungen mehr. Ob dies tatsächlich bei den Bekl. der Fall war, ist unerheblich, weil es allein auf die abstrakte Gefahr ankommt. Der Schutz des Haustürgeschäftewiderrufsgesetzes ist für alle Kunden der gleiche, zumal die (nachträgliche) Aufklärung innerer Tatsachen schwer möglich ist.

c) Der Anwendung des Haustürgeschäftewiderrufsgesetzes steht auch nicht entgegen, daß dem informierten Besucher schon nach der Ankündigung nicht verborgen bleiben konnte, daß er auf der Messe auch Verkaufsbemühungen von Ausstellern ausgesetzt sein wird. Es genügt, daß die Gefahr besteht, daß der Kunde durch das Freizeitangebot vom eigentlichen Zweck der Veranstaltung abgelenkt und für die Verkaufsabsichten gewogen gemacht wird. Hinweise im Veranstaltungsprogramm darauf, daß auch eine Verkaufsveranstaltung stattfindet, schließen die Anwendung von § 1 I Nr. 2 HWiG nicht aus (Fischer/Machunsky, Rdnrn. 124, 130; BGH, NJW 1990, 3265 (3266) = LM HWiG Nr. 3; NJW-RR 1991, 1524 = LM H. 5/1992 HWiG Nr. 9; OLG Stuttgart, VuR 1989, 345; OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1990, 374 (375)). Dem Hinweis der Kl. auf die Grußworte im Ausstellungskatalog, die ausdrücklich auf den Verkaufscharakter der Mittelsachsenschau hinweisen, mißt der Senat dementsprechend keine besondere Bedeutung bei. Abgesehen davon, daß die Grußworte vom Großteil der Besucher kaum gelesen worden sein dürften, wenden sich diese sowohl an Aussteller wie auch an Besucher. Zwar trifft es zu, daß dort auch „Geschäftserfolg“ gewünscht wird. Dies richtet sich jedoch primär an die Aussteller, während gegenüber den Besuchern von einem „Schaufenster der Region“, von einem „vielfältigen Informationsangebot“ und von „hohem Freizeitwert" gesprochen wird. Die zitierten Grußworte geben nach Auffassung des Senats trefflich wieder, mit welch unterschiedlicher Motivation Aussteller und Besucher zu einem Besuch der Mittelsachsenschau geleitet wurden.

d) Entgegen der Auffassung der Kl. scheitert die Einstufung als Freizeitveranstaltung schließlich auch nicht daran, daß sich die Bekl. den Verkaufsbemühungen der Mitarbeiter der Kl. hätten entziehen können. Zwar hatten die Bekl. die Möglichkeit, den offenen Messestand der Kl. wieder zu verlassen. Eine Erschwerung des Sich–Entziehen–Könnens sieht der Senat hier jedoch darin, daß der Kunde nach der Zahlung eines Eintrittsgelds dazu neigt, nicht nur einzelne von ihm eventuell gezielt ausgewählte Veranstaltungen des Unterhaltungsprogramms aufzusuchen, sondern auch die auf der Verkaufsmesse ansonsten vorhandenen Angebote, hier den Verkaufsstand der Kl. Solchermaßen durch das Beiprogramm angelockt, schreitet der Kunde oft die Verkaufsstände ab und wird dort von Verkäufern angesprochen, was durch die offene Gestaltung dieser Stände erleichtert wird. Einmal angesprochen und in ein Gespräch auf dem Verkaufsstand verwickelt, fällt das Weggehen jedoch schwer (Fischer/Machunsky, Rdnr. 153). Die Situation ist daher nicht mit dem bewußten Betreten eines Ladenlokals zu vergleichen. Gespräche bzw. Verkaufsverhandlungen des Besuchers mit dem Aussteller konnten von den umherstehenden Besuchern beobachtet werden. Für diese waren auch die Umstände des Verlassens des Ausstellungsstands unschwer erkennbar, so daß dem Besucher das Verlassen des Ausstellungsstands ohne Geschäftsabschluß psychologisch erschwert war. Zudem ist der Kl. entgegenzuhalten, daß das Anbieten von Kaffee und Gebäck üblicherweise nicht zum Geschäftsgebaren des Betreibens eines Ladengeschäfts gehört. Da somit auch das Merkmal des erschwerten Sich–Entziehens in gewissem Umfang gegeben ist, kommt es auf die beachtlichen Bedenken gegen dieses Erfordernis vorliegend nicht an (Fischer/Machunsky, Rdnr. 127; Ulmer, in: MünchKomm, § 1 HWiG Rdnr. 23).

e) Bedenken der Klägerseite, die vom Senat vorgenommene Auslegung des Begriffs der Freizeitveranstaltung führe zu einer ausufernden Anwendung dieses Gesetzes, die mit seinem Zweck, den Kunden vor Überrumpelung zu schützen, nicht mehr vereinbar sei, teilt der Senat nicht. Der Kl. ist zuzugeben, daß das Einkaufen in unserer heutigen Gesellschaft mehr und mehr den Charakter von konsumorientiertem Freizeitverhalten annimmt und sich zunehmend von der eigentlichen Bedarfsdeckung entfernt. Begriffe wie Konsum– und Freizeitgesellschaft stehen ebenso hierfür wie der Begriff „Einkaufserlebnis“. Der Kl. ist darin beizupflichten, daß dies nicht dazu führen kann, daß jeder in einer solchen Situation und Stimmung abgeschlossene Vertrag widerrufbar wäre. Diese Gefahr besteht nach Auffassung des Senats mit dieser Entscheidung jedoch in keiner Weise. Entscheidend ist, daß durch ein umfangreiches Unterhaltungsangebot, welches als solches von den kommerziellen Zwecken völlig unabhängig ist, der Kunde zum Besuch einer Veranstaltung gebracht werden soll, bei der er zwar mit Verkaufsbemühungen rechnen muß, die für ihn jedoch angesichts des Charakters der Ankündigung und Werbung hinter dem freizeitlichen Charakter zurücktreten.

f) Die Durchführung der hier den Begriff der Freizeitveranstaltung erfüllenden Programmpunkte geschah zumindest auch im Interesse der Kl. (§ 1 Nr. 2 HWiG). Daß sie mit deren Durchführung nichts zu tun hatte, ist ohne Bedeutung. Das Wesen einer derartigen Messe besteht gerade darin, daß vom Veranstalter in eigener Regie ein Programm angeboten wird, um eine hohe Besucherzahl zu erreichen. Dies macht sich der Aussteller zunutze, für den die Beschickung einer derartigen Messe, die mit erheblichen Kosten verbunden ist, um so attraktiver wird, je höher der zu erwartende Besucherstrom ist, den der Veranstalter mit dem Programm anlocken kann.

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht

Normen

HWiG § 1 I Nr. 2