„Grüne Woche“ 1999 keine Freizeitveranstaltung unter HWiG
Gericht
OLG Brandenburg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
11. 07. 2001
Aktenzeichen
7 U 186/00
Die „Grüne Woche“ in Berlin war im Jahr 1999 - trotz eines hohen Anteils an Nicht-Fachbesuchern - keine Freizeitveranstaltung i.S. des § 1 I Nr. 2 HWiG, jedenfalls wenn sich der jeweilige Verbraucher unschwer den Verkaufsbemühungen entziehen kann; dies gilt selbst beim Kauf einer Heizungsanlage im Wert von 51500 DM brutto für ein Privathaus.
Zum Sachverhalt:
Gegenstand des Rechtsstreits sind Schadensersatzansprüche der Kl. gegen die beiden Bekl. in Höhe von 21452,13 DM wegen der Nichtabnahme einer kompletten Heizungsanlage, die die Bekl. am 31. 1. 1999 anlässlich der Messe „Internationale Grüne Woche Berlin“ auf einem Messestand der Kl. bestellten. Streitig blieb, ob die „Grüne Woche“ 1999 eine Freizeitveranstaltung i.S. von § 1 I Nr. 2 HWiG war.
Das OLG hat diese Rechtsfrage verneint.
Aus den Gründen:
I. 2.a) cc) Das Haustürgeschäftewiderrufsgesetz ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Nach dem hier einzig in Betracht kommenden Anwendungsfall gem. § 1 I Nr. 2 HWiG müsste es sich bei der „Grünen Woche“ um eine Freizeitveranstaltung handeln. Der BGH (NJW 1992, 1889) und ein Teil der übrigen Rechtsprechung und Literatur (KG, NJW-RR 1990, 1338; Palandt/Putzo, BGB, 60. Aufl., § 1 HWiG Rdnr. 13; Fischer/Machunsky, HWiG, 2. Aufl., S. 197 m.w. Nachw., S. 201) definiert den ausfüllungsbedürftigen Begriff der Freizeitveranstaltung durch deren Sinn und Zweck im Rahmen der Zielsetzung des Haustürgeschäftewiderrufsgesetzes im Ganzen. Danach soll das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften den Verbraucher vor der Gefahr schützen, in bestimmten, dafür typischen Situationen bei der Anbahnung und dem Abschluss von Geschäften unter Beeinträchtigung seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit überrumpelt oder sonst auf unzulässige Weise zu unüberlegten Geschäftsabschlüssen gedrängt zu werden. Von einem Geschäftsabschluss anlässlich einer Freizeitveranstaltung i.S. des § 1 I Nr. 2 HWiG kann also nur dann gesprochen werden, wenn Freizeitangebot und Verkaufsveranstaltung derart organisatorisch miteinander verwoben sind, dass der Kunde mit Blick auf Ankündigung und Durchführung der Veranstaltung in eine freizeitlich unbeschwerte Stimmung versetzt wird und sich dem auf einen Geschäftsabschluss gerichteten Angebot nur schwer entziehen kann, sei es , dass die örtlichen Gegebenheiten und der zeitliche Ablauf der Veranstaltung es dem Verbraucher nicht ohne weiteres ermöglichen, sich ungehindert zu entfernen, sei es, dass Gruppenzwang oder Dankbarkeit für das Unterhaltungsangebot beim Verbraucher das Gefühl wecken, dem Verkaufsunternehmen in irgendeiner Weise verpflichtet zu sein.
Zur „Grünen Woche“ im Jahre 1988 hat der BGH in seiner Entscheidung vom 26. 3. 1992 (NJW 1992, 1889) konkret ausgeführt, dass diese eine vom Zweck der Leistungsschau geprägte Veranstaltung sei. Unterhaltende Attraktionen wie Blumenarrangements, Präsentation der Tierhaltung oder Demonstration von Produktionsvorgängen dienten der Darstellung der gewerblichen Leistung. Sie hätten keinen eigenständigen überragenden Unterhaltungswert, der in der Vorstellung des Besuchers der Grünen Woche deren eigentlichen Zweck als gewerbliche Leistungsschau in den Hintergrund treten lassen könnte. (Wird weiter ausgeführt.)
Demgegenüber werden teilweise in der Rechtsprechung und Literatur die Anforderungen an das Vorliegen einer Freizeitveranstaltung bei Verbrauchermessen geringer angesetzt (Überblick bei Erman/Saenger, BGB, 10. Aufl., § 1 HWiG Rdnr. 42). Das OLG Dresden stellt in einer jüngeren Entscheidung (NJW-RR 1997, 1346) zur Mittelsachsenschau in Riesa für die Einordnung als Freizeitveranstaltung wesentlich auf die Werbung mit einem unterhaltsamen Programm ab. Damit werde den Ausstellern ein erleichterter Zugang zu den Verbrauchern geschaffen, was für eine Freizeitveranstaltung spreche. Es genüge, dass die Gefahr der Ablenkung der Verbraucher vom eigentlichen Verkaufszweck der Veranstaltung drohe. Für eine Erschwerung des Sich-Entziehen-Könnens reiche es aus, dass der Kunde nach der Zahlung eines Eintrittsgelds (ebenso Martis, Verbraucherschutz, § 1 Rdnr. 155) dazu neige, alle Verkaufsstände - angelockt durch ein Begleitprogramm - abzuschreiten und von Verkäufern an den offenen Ständen angesprochen zu werden; einmal angesprochen, falle das Weggehen schwer (so auch Huff, VuR 1988, 306 [310]). Andere (Erman/Saenger, § 1 HWiG Rdnr. 43; Martis, § 1 Rdnr. 154) stellen vor allem auf den Wert und die Art der angebotenen Güter ab und bezweifeln, dass der Besucher einer Verbraucherausstellung mit dem Angebot von hochwertigen Gütern wie Nerzmänteln, Küchenreinigungsgeräten oder Massagegeräten rechne, also dann auf der Messeveranstaltung ohne vorherige Produktvergleichsmöglichkeiten den Verkaufsbemühungen ausgesetzt sei. Vereinzelt wird auch - wenn es nur zu einer Koppelung der gewerblichen Zielsetzung der Veranstaltung mit nicht-sachbezogenen Freizeitelementen kommt, die den Kunden von den eigentlichen Verkaufsabsichten ablenken - ganz von dem Erfordernis der Erschwerung des Sich-Entziehens abgesehen (Erman/Saenger, § 1 HWiG Rdnr. 44).
Der Senat folgt diesen abweichenden Auslegungen des Begriffs der Freizeitveranstaltung in § 1 I Nr. 2 HWiG nicht und schließt sich im Ergebnis der Beurteilung der „Grünen Woche“ durch den BGH an, wenn auch zwischenzeitlich der Charakter der „Grünen Woche“ als Anziehungspunkt vor allem für das breite Publikum deutlich zugenommen hat.
Der „Internationalen Grünen Woche Berlin“, die unter der näheren Bezeichnung „Ausstellung für Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau“ im Zeitraum vom 22. bis 31. 1. 1999 stattfand, kommt nämlich nach wie vor ein Freizeitcharakter, wie ihn die Anwendung des Haustürgeschäftewiderrufsgesetzes erfordert, nicht zu. Bei dieser Beurteilung ist auf objektive Tatsachen abzustellen, nicht jedoch auf das Empfinden des einzelnen Besuchers (Staudinger/Werner, BGB, 13. Bearb. [1998], § 1 HWiG Rdnr. 95). Nach den in der Öffentlichkeit bekannten Informationen erwartet der durchschnittliche Besucher der „Grünen Woche“, der nicht unmittelbar der Besuchergruppe der Fachbesucher zuzuordnen ist, neben einem breiteren Unterhaltungsangebot auch die Gelegenheit zum Kauf bestimmter messebezogener Güter. So ist allgemein bekannt, dass die Besucher der „Grünen Woche“ Gelegenheit zum Verzehr kostenloser Warenproben erhalten. Allgemein bekannt ist auch, dass die Präsentation von Waren von Publikumsveranstaltungen und öffentlichen Fachveranstaltungen begleitet werden.
Der von den Bekl. zur Akte gereichte und von der Kl. eingesehene Katalog der „Grünen Woche“ des Jahres 1999 listet die zur Zeit der Drucklegung des Katalogs geplanten Veranstaltungen auf S. 44 bis 60 auf. Zu diesen gehören Informationsveranstaltungen, Diskussionen, Gewinnspiele, Schauvorführungen u.ä. Veranstaltungen, die teilweise auch unmittelbar auf Kinder ausgerichtet sind. Dem steht ein breites Angebot von Waren und Informationen der Aussteller gegenüber. Die Besucher rechnen nicht nur mit Verkaufsangeboten, sie wollen sie vielfach auch gezielt nutzen. Die unterhaltungswirksamen Veranstaltungen finden nach der sich aus dem Katalog ergebenden Messeplanung überwiegend in bestimmten Hallen - vor allem der Halle 21b - statt und sind damit stark konzentriert.
Daraus ist abzuleiten, dass „reine Unterhaltung“ und „Verkauf“ zu großen Teilen räumlich voneinander getrennt sind. Eine Gesamtschau dieser Umstände erlaubt nicht den Schluss, dass der „Grünen Woche“ überwiegend Unterhaltungswert zukommt. Dieses Ergebnis wird auch durch den Katalog der „Grünen Woche“ des Jahres 1999 bestätigt. Dessen Richtigkeit und Vollständigkeit - die im Übrigen von der Kl. bestritten wird - unterstellt, zeigt sich angesichts der Vielzahl der 1507 Aussteller (S. 36 des Katalogs) im Vergleich mit dem Unterhaltungsangebot kein Übergewicht der Unterhaltung über die Information. Dieser Einschätzung stehen auch die von den Bekl. vorgetragenen - von der Kl. jedoch bestrittenen - Besucherzahlen nicht entgegen. Die Bekl. beziffern den Anteil der Fachbesucher an den Gesamtbesuchern der „Grünen Woche“ des Jahres 1999 mit 24,4%. Der hohe Anteil der Nicht-Fachbesucher von 75,6% deutet nicht zwingend darauf hin, dass diese wegen des reinen Unterhaltungswerts die Messe besuchen. Es handelt sich dabei in weitem Umfang um Verbraucher, die sich über Ernährungsmöglichkeiten und Gartenbau informieren wollen, aber auch zum Kauf von Produkten bereit sind.
Soweit das OLG Dresden (NJW-RR 1997, 1346) in Bezug auf die Mittelsachsenschau in Riesa zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, hat es dabei ganz wesentlich auf die Werbung für die Veranstaltung abgestellt. (Wird ausgeführt.)
Letztlich erfordert auch der Wert und die Art des von den Bekl. bei der Kl. erworbenen Gegenstands keine andere Beurteilung. Ohne dies abschließend entscheiden zu müssen, sieht der Senat durchaus - in grundsätzlicher Übereinstimmung mit einigen Stimmen in der Literatur (Erman/Saenger, § 1 HWiG Rdnr. 43; Martis, § 1 Rdnr. 54) - die Gefahr einer Überrumpelung von Messebesuchern, wenn auf der Verbrauchermesse auch solche Güter angeboten werden, die ihrem Gegenstand nach dem Ausstellungsthema der Messe nicht zugeordnet werden können. Für die von den Bekl. erworbene Heizungsanlage trifft dies allerdings nur auf den ersten Blick zu. Denn Heizungsanlagen werden auch für den landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Bereich einschließlich der Wohnhäuser der Landwirte benötigt. Demzufolge ist die Kl. auch nicht als einziges Unternehmen ihrer Branche auf der „Grünen Woche“ vertreten gewesen. Dem Katalog der „Grünen Woche“ des Jahres 1999 lässt sich außerdem entnehmen, dass in der Halle 11.1, in der die Kl. ausgestellt hat, auch Firmen für Holzhausbau, Wintergärten, Saunafreizeit oder Fassaden-Fenstertechnik eingeplant gewesen sind, die - ähnlich wie die Kl. - im weitesten Sinne auch noch dem Ausstellungsthema der „Grünen Woche“ zugeordnet werden können.
Der Senat sieht sich in seiner Ansicht durch das Schreiben der Bekl. vom 13. 4. 1999 an die Kl. bestätigt. In diesem Schreiben teilen die Bekl. der Kl. mit, dass es u.a. Sinn ihres Messebesuchs gewesen sei, Informationen über Bau und Ausbau ihres Hauses zu erhalten. Auch sie waren demzufolge über die Anwesenheit eines Heizungsbauunternehmens auf der „Grünen Woche“ nicht überrascht.
Schließlich deutet auch der Wert der erworbenen Heizungsanlage mit 51500 DM brutto nicht zwingend auf eine Überrumpelung der Bekl. anlässlich einer Verkaufsveranstaltung hin. Da Heizungsanlagen auch im weitesten Sinne zu den auf einer Landwirtschaftsmesse zu erwartenden angebotenen Gütern gehören, kann der Besucher der „Grünen Woche“ nicht von einem entsprechenden Angebot überrascht sein.
Aber auch die weitere Voraussetzung für die Annahme einer Freizeitveranstaltung ist im konkreten Fall nicht erfüllt. Den Bekl. wäre es nicht verwehrt gewesen, sich dem Angebot der Kl. zu entziehen. Der Verkaufsstand der Kl. war offen und erlaubte es den Bekl., sich wieder zu entfernen. Sie wurden auch nicht von herumeilenden Verkäufern quasi eingefangen, sondern sind, als sie im Bereich des Verkaufsstandes Interesse gezeigt haben, angesprochen worden. Gegenüber der Situation in einem normalen Ladengeschäft waren sie nicht schlechter gestellt. Die Offenheit des Messestands in einer großen Messehalle und das zahlenmäßig umfangreiche Messepublikum ermöglichen den Abbruch eines Verkaufsgesprächs eher, als dies in einem Ladengeschäft der Fall wäre. Ferner ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen etwa ein Gruppenzwang den Bekl. die Beendigung des Verkaufsgesprächs hätte erschweren können. Schließlich bestand bei den Bekl. auch kein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber den Ausstellern. Zwar birgt die „Grüne Woche“ als Veranstaltung eine Fülle von Unterhaltungsmöglichkeiten. Diese sind jedoch auch mit dem Eintrittspreis erkauft. Bis auf einzelne Kostproben müssen Speisen und Getränke bezahlt werden. Ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber der Kl. hat die Bekl. somit von einer Beendigung des Verkaufsgesprächs nicht abgehalten, da für ein Dankbarkeitsgefühl kein Grund bestand.
Entgegen der vom OLG Dresden (NJW-RR 1997, 1346 [1347]) vertretenen Ansicht reicht es für ein Erschweren des Sich-Entziehen-Könnens nicht aus, dass ein Messebesucher nach der Zahlung eines Eintrittsgelds oft dazu neigt, alle Verkaufsstände abzuschreiten und dann von Verkäufern an den offenen Ständen in ein konkretes Verkaufsgespräch verwickelt zu werden (anders ausdr. auch BGH, NJW 1992, 1889 [1890]). Die Ansicht des OLG Dresden führt im Ergebnis zu einem nahezu gänzlichen Wegfall des Erfordernisses einer Erschwerung des Sich-Entziehen-Könnens und nähert sich damit stark der Auffassung von Saenger (in: Erman, § 1 HWiG Rdnr. 44), wonach eine derartige Erschwerung völlig überflüssig sei. Sinn und Zweck des Haustürgeschäftewiderrufsgesetzes ist es jedoch, den Verbraucher letztlich vor der Gefahr einer Überrumpelung zu schützen. Kann sich aber ein Verbraucher unschwer - wie im vorliegenden Fall - den Verkaufsbemühungen entziehen, besteht der gesetzliche Schutzzweck des Haustürgeschäftewiderrufsgesetzes nicht. Gegen die vom OLG Dresden vorgenommene weite Auslegung des Begriffs der Freizeitveranstaltung spricht auch der Verlauf des Gesetzgebungsvorhabens zum Haustürgeschäftewiderrufsgesetz. Nach dem ursprünglichen Entwurf (BT-Dr 8/130, S. 4), sollten Vertragsverhandlungen in Räumen und Verkaufsständen auf Messen und Märkten solchen in ständigen Geschäftsräumen gleichstehen und damit generell von der Anwendbarkeit des Gesetzes ausgenommen sein. Gemäß der Begründung der zum Gesetz gewordenen Fassung (BT-Dr 10/2876, S. 9f., 11) sind dann aber bewusst nicht etwa alle Vertragsverhandlungen auf Messen und Märkten in § 1 I Nr. 2 HWiG aufgenommen worden; vielmehr wird entscheidend u.a. darauf abgestellt, ob es bei den Freizeitveranstaltungen dem Kunden erschwert wird, sich den Vertragsverhandlungen zu entziehen.
Die Zahlung eines Eintrittsgelds selber spricht im Übrigen eher gegen als für die Anwendbarkeit des Haustürgeschäftewiderrufsgesetzes, da ein Besucher die Zahlung des Eintrittsgelds mit den angebotenen Ausstellungsobjekten in Zusammenhang bringt, so dass ein eventueller Kaufentschluss nicht auf einem Dankbarkeitsgefühl beruhen kann.
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