Kaskoversicherung: Klausel über Mehrwertsteuererstattung nur bei tatsächlicher Entrichtung der Mehrwertsteuer durch den Versicherungsnehmer ist überraschend

Gericht

LG Braunschweig


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

14. 06. 2001


Aktenzeichen

10 S 30/01


Leitsatz des Gerichts

Eine Klausel in den AKB eines Kaskoversicherers, wonach der Versicherer die Mehrwertsteuer im Rahmen des Ausgleichs von Wiederherstellungskosten nur dann ersetzt, wenn der VN diese tatsächlich entrichtet hat, ist überraschend i. S. d. § 3 AGBG mit der Folge, dass sie nicht Vertragsbestandteil geworden ist.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Der Kl. forderte restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.

Sein bei der Bekl. vollkaskoversicherter Pkw Alfa Romeo erlitt Anfang Juni 2000 einen Unfallschaden. Die Reparaturkosten betrugen netto 18771,42 DM, mit Mehrwertsteuer 21 774,85 DM. Die Einstandspflicht der Bekl. war dem Grunde nach unstreitig. Der Kl. ist als Privatmann nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Dennoch zahlte die Bekl. unter Berufung auf § 13 Abs. 5 S. 4 AKB nur den Nettobetrag an ihn aus und zog hiervon noch 176 DM für Wertverbesserungen und 650 DM für die vertraglich festgelegte Selbstbeteiligung des Kl. ab, zahlte folglich 17 945,42 DM. Die letztgenannten Abzüge akzeptierte der KI., forderte aber den Differenzbetrag zwischen Brutto? und Nettoreparaturkosten ein. Aus § 13 Abs. 5 S. 4 AKB ergibt sich, dass die Mehrwertsteuer nur dann zu ersetzen ist, wenn sie vom VN tatsächlich gezahlt wurde. Der Kl. entrichtete diese aber selbst nicht (weil er das Fahrzeug offensichtlich nicht bzw. anderweitig reparieren ließ). Der Kl. forderte die Bekl. am 17. 7. 2000 vergeblich zu einer weiteren Zahlung von 2325,26 DM bis zum 28. 7. 2000 auf.

Das AG hat der Klage stattgegeben.

Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

1. Die Bekl. ist dem Kl. aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag zur Zahlung des nach dem Reparaturkostengutachten kalkulierten Mehrwertsteuerbetrags in Höhe von 2975,27 DM verpflichtet.

2. Der Zahlungsverpflichtung der Bekl. steht § 13 Abs. 5 S. 4 der dem Versicherungsvertrag der Parteien zugrunde gelegten AKB der Bekl. i. d. F. vom 1. 1. 1999 nicht entgegen, nach der der Versicherer die Mehrwertsteuer nur ersetzt, wenn der VN diese tatsächlich entrichtet hat. Denn diese Vorschrift ist eine überraschende Klausel i. S. d. § 3 AGBG und deshalb nicht Vertragsbestandteil geworden.

a) Die Vorschriften des AGBG sind anwendbar, da es sich bei den AKB der Bekl. um AGB i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 AGBG handelt. Die Klauseln der AKB der Bekl. wurden nicht etwa bei Vertragsschluss von den Parteien im Einzelnen ausgehandelt und vereinbart, sondern sind als allgemeine und vorformulierte Bedingungen Grundlage jedes zwischen der Bekl. und einem VN geschlossenen Kfz?Vollkaskoversicherungsvertrags.

b) § 13 Abs. 5 S. 4 AKI3 der Bekl. ist nicht Vertragsbestandteil geworden, weil diese Klausel nach den Umständen, insbesondere dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich ist, dass der Kl. nicht mit ihrer Verwendung zu rechnen brauchte.

Der Inhalt einer Klausel unterfällt § 3 AGBG, wenn er objektiv ungewöhnlich ist und ihm subjektiv ein Überraschungsmoment dergestalt innewohnt, dass der Vertragspartner mit der Klausel nicht zu rechnen braucht (Heinrichs in Palandt, BGB 60. Aufl. 2001 § 3 AGBG Rdn. 1 und 2).

Ob eine Klausel objektiv ungewöhnlich ist, ist nach den Gesamtumständen zu beurteilen (Heinrichs aaO); die Ungewöhnlichkeit kann sich insbesondere aus der Unvereinbarkeit mit dem Leitbild des Vertrags (BGHZ 121, 107 [113] = VersR 1993, 481 [482]) oder aber einer erheblichen Abweichung vom dispositiven Recht (BGH NJW 1992, 1236) oder von den üblichen Vertragsbedingungen (Heinrichs aaO) ergeben.

Ob die Klausel subjektiv überraschend ist, d. h. ob eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Verwendungsgegners und des Klauselinhalts besteht, beurteilt sich regelmäßig nach den Erkenntnismöglichkeiten des typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden (BGHZ 101, 29 [33]).

aa) § 13 Abs. 5 S. 4 AKB der Bekl. ist objektiv ungewöhnlich, weil die Klausel von den Grundsätzen abweicht, die in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung für die Erstattung der Mehrwertsteuer im Rahmen des Ausgleichs von Wiederherstellungskosten einer beschädigten Sache gebilligt wurden, die über viele Jahre hinweg auch für die Kaskoversicherung galten und in wesentlichen Bereichen heute noch gelten.

Im dispositiven gesetzlichen Schadensersatzrecht ist die Frage der Erstattung der Mehrwertsteuer im Rahmen des Ausgleichs der Wiederherstellungskosten einer beschädigten Sache nicht geregelt. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass ein Geschädigter die Erstattung der Mehrwertsteuer auf die Reparaturkosten auch dann verlangen kann, wenn er den Schadensumfang nur gutachterlich feststellen lässt, auf eine Reparatur aber verzichtet oder diese von privater Hand durchführen lässt, die Mehrwertsteuer also nicht tatsächlich anfällt, sondern auf Grundlage des Gutachtens nur "fiktiv" abgerechnet wird (BGHZ 61, 56 = VersR 1973, 964; BGH Vers13 1989, 1056 = NJW 1989, 3009; Heinrichs aaO § 249 BGB Rdn. 8 m. w. N.). Dies ergibt sich aus der Dispositionsfreiheit des Geschädigten, nach der es ihm freigestellt ist, ob er den aufgrund des Sachverständigengutachtens festgestellten Schadensbetrag tatsächlich für die Wiederherstellung verwendet oder anderweitig einsetzt (BGHZ 61, 56 = VersR 1973, 964; Heinrichs aaO Rdn. 4 und 8). Denn auch bei der nur fiktiv abgerechneten Mehrwertsteuer handelt es sich nicht um die Geltendmachung einer tatsächlich nicht abgeführten Steuer, sondern um einen echten Schadensposten, dem kein anrechenbarer Vorteil gegenübersteht.

Der Mehrwertsteueranteil ist trotz getrennter Ausweisung als leistungsbezogene Abgabe auf den Verbrauch ein allgemeiner Kostenfaktor, der in den Preis der Leistung Eingang gefunden hat (BGH VersR 1985, 354 = NJW 1985, 1222). Der Geschädigte hat einen Anspruch auf Herstellung des Zustands, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 S. 1 BGB), und zwar im Fall der Beschädigung einer Sache nach Wahl des Geschädigten durch Leistung des dazu erforderlichen Geldbetrags (§ 249 S. 2 BGB). Dieser vom Geschädigten zu beanspruchende Geldbetrag bestimmt sich nach den finanziellen Aufwendungen, die von einer ordentlichen Werkstatt im Rahmen der üblichen Vergütung für die Reparatur des Fahrzeugs zu erbringen sind und die sich durch Gutachten ausgewählter Sachverständiger ermitteln lassen. Hierzu gehört aber auch die Mehrwertsteuer, da der Geschädigte für die Wiederherstellung in einer Werkstatt Preise zahlt, die die Mehrwertsteuer umfassen.

Die Kammer verkennt nicht, dass diese für den Schadensanspruch aus Delikt oder Gefährdung geltenden Grundsätze nicht ohne weiteres auf das Recht der Fahrzeugversicherung übertragen werden können, da der Versicherer Schadensersatz gern. § 1 Abs. 1 VVG nur "nach Maßgabe des Vertrags" schuldet.

Allerdings war für die vor dem Wegfall der Genehmigungspflicht durch das BAV geltenden AKB der Kraftfahrtversicherungsunternehmen, in denen eine derartige Klausel wie § 13 Abs. 5 S. 4 AKB der Bekl. (Stand 1. 1. 1999) nicht enthalten war, höchstrichterlich ebenso anerkannt, dass der Kaskoversicherer dem Geschädigten auch dann den auf die Reparaturkosten entfallenden Mehrwertsteuerbetrag zu zahlen hat, wenn der geschädigte VN das Fahrzeug von privater Hand oder gar nicht reparieren lässt (BGH VersR 1985, 354 = NJW 1985, 1222). Die damals maßgebliche Klausel der AKB sah vor, dass der Versicherer die "erforderlichen Kosten der Wiederherstellung" schuldete. Auf das Bereicherungsverbot nach § 55 VVG konnte sich der Versicherer nicht stützen, weil der VN, der sich entschloss, auf die Wiederherstellung zu verzichten, seine Stellung nicht in einer Weise verbesserte, der im Verhältnis zum Versicherer Gewicht zukam, da die Entschädigung nur die Einbußen ausglich, die der VN durch den Schadensfall erlitt (BGH NJW 1985, 1222). Gleiches galt für die Wiederherstellung durch private Hand; hierbei setzte der VN den überschießenden Betrag zur Kompensation bestehender Nachteile wie Aufwendungen an Zeit und Mühen zur Ermittlung einer entsprechenden Reparaturgelegenheit sowie erhöhten Risiken in Bezug auf Mängelfreiheit und Durchsetzbarkeit von Gewährleistungsansprüchen ein (BGH VersR 1985, 354 = NJW 1985, 1222).

bb) Diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zur Pflicht zur Erstattung der auf die Reparaturkosten entfallenden Mehrwertsteuer sowohl im dispositiven gesetzlichen Schadensersatzrecht als auch unter Geltung der vor dem Wegfall der Genehmigungspflicht durch das BAV geltenden AKB der Kraftfahrtversicherungsunternehmen hat den Erwartungshorizont eines typischen VN derart geprägt, dass eine die Mehrwertsteuererstattung bei nur fiktiver Schadensabrechnung ausschließende Klausel für ihn subjektiv überraschend kommt (AG Wuppertal zfs 2001, 122; AG Koblenz DAR 2000, 73).

Die Kammer vermag sich in diesem Zusammenhang der Auffassung des LG München I in NJW?RR 2001, 169, und des AG Düsseldorf vom 17. 1. 2001 (56 C 10936/00), der typischerweise zu erwartende Durchschnittskunde verbinde mit dem Begriff AKB in aller Regel keine besondere Vorstellung, nicht anzuschließen. Der durchschnittliche VN einer Kaskoversicherung wird sich nach Ansicht der Kammer vielmehr vorstellen, den Geldbetrag vom Versicherer zu erhalten, der seiner durch das Schadensereignis eingetretenen, objektiv messbaren Werteinbuße ? gegebenenfalls abzüglich einer vereinbarten Selbstbeteiligung ? entspricht. Diese Werteinbuße umfasst aber auch die auf die Reparaturkosten entfallende Mehrwertsteuer als allgemeinen Kostenfaktor. Die Regelung in § 13 Abs. 5 S. 4 AKB der Bekl. weicht indes so erheblich von dieser durch die oben dargelegte höchstrichterliche Rechtsprechung und den vor dem Wegfall der Genehmigungspflicht durch das BAV geltenden Vertragsbedingungen geprägten Vorstellung eines typischerweise zu erwartenden durchschnittlichen VN ab, dass auch der Kl. bei verständiger Würdigung mit einer solchen Klausel nicht zu rechnen brauchte.

Der Klausel kommt auch subjektiv ein Überrumpelungseffekt zu, da sie drucktechnisch nicht besonders hervorgehoben worden ist. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass die Klausel als solche ohne weiteres verständlich ist und an systematisch zutreffender Stelle, nämlich der Beschreibung der Ersatzleistungen, zu finden ist. Wegen ihres überraschenden Inhalts hätte sie nach Auffassung der Kammer aber darüber hinaus drucktechnisch besonders gekennzeichnet werden müssen ? z. B. durch Fettdruck oder besonderes Einrücken ?, damit sich die Klausel in erkennbarer Weise von den übrigen Bestimmungen der AKB der Bekl. abhebt. Die Klausel befindet sich stattdessen ohne besondere Hervorhebung inmitten eines im Fließtext gesetzten, neun Absätze umfassenden Paragraphen, der insgesamt etwa eine halbe Seitenspalte einnimmt, wobei die Klausel selbst nicht einmal allein in einem Absatz steht.

Das AG hat darüber hinaus zutreffend darauf hingewiesen, dass es unerheblich ist, ob inzwischen annähernd alle Versicherer diese Klausel benutzen.

3. Weil § 13 Abs. 5 S. 4 AKB der Bekl. nicht Vertragsbestandteil geworden ist, braucht nicht entschieden zu werden, ob die Klausel als Konkretisierung einer Hauptleistungspflicht des Versicherers einer Inhaltskontrolle nach § 9 Abs. 2 AGBG überhaupt zugänglich ist und ihr gegebenenfalls standhält.

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht

Normen

AGBG § 3; AKB § 13