Gebührenbelastung von Strom-Tarifkunden bei Wechsel zu Konkurrenzversorger rechtswidrig
Gericht
OLG Naumburg
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
25. 06. 2001
Aktenzeichen
1 U (Kart) 1/01
Die Genehmigung einer Tarifklausel eines Stromlieferanten durch eine Landesbehörde nach § 13 II der Bundestarifordnung Elektrizität schließt eine kartellrechtliche Überprüfung dieser Klausel nicht aus.
Die Erhebung einer Gebühr durch einen Stromlieferanten und Netzbetreiber für den Fall, dass ein Kunde den Stromliefervertrag beendet und den Stromlieferanten wechseln möchte („Wechselgebühr“), stellt eine unbillige Behinderung anderer Stromlieferanten i.S. des § 20 I GWB dar und damit zugleich einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung als Netzbetreiber i.S. des § 19 I GWB.
Eine Verwirklichung des Ziels des Energiewirtschaftsgesetzes 1998, den bis dahin weitgehend monopolistisch strukturierten Markt der Stromversorgung im Sinne eines fairen, diskriminierungsfreien Wettbewerbs zu liberalisieren, ist nur gewährleistet, wenn die Netzzugangskosten für alle Beteiligten gleich sind. Dies wiederum setzt voraus, dass im Fall eines (wettbewerbsrechtlich erwünschten) „Tarifhoppings“ die dem Netzbetreiber erwachsenden Aufwendungen weder dem wechselwilligen Kunden noch dem neuen Stromlieferanten auferlegt, sondern in den allgemeinen Netzkosten aufgefangen werden.
Zum Sachverhalt:
Der Kl., ein Wettbewerbsverein, begehrt von der Bekl. (MEAG), einem Stromversorgungsunternehmen, im Wesentlichen die Unterlassung der Belastung ihrer Kunden mit einer „Wechselgebühr“, durch welche diesen im Falle des Wechsels zu einem anderen Stromlieferanten Kosten entstehen. Der Kl., zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, die Interessen seiner unmittelbar und mittelbar verbundenen Mitglieder durch Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und sonstiger rechtswidriger Verhaltensweisen zu fördern, zählt neben Einzelfirmen überregionale Organisationen, Einzelhandelsverbände und auch den Hauptverband des Deutschen Einzelhandels e.V. zu seinen Mitgliedern. Die Bekl. betreibt in Halle ein Stromnetz, an welches jeder Haushalt angeschlossen ist. Überdies vertreibt sie Strom. Während vor der Liberalisierung des Energiewirtschaftsrechts durch das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24. 4. 1998 jeder Tarifkunde im Raum Halle nur mit der Bekl. einen Stromlieferungsvertrag abschließen konnte, kann er sich nunmehr seinen Stromlieferanten aussuchen; so wird Strom - unabhängig von dem Netzbetreiber - auch über den Einzelhandel vertrieben, etwa über die bundesweit tätigen Unternehmen Q, O oder P, welche teilweise direkt, teilweise als Mitglieder des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels Mitglied des Kl. sind. Auf Grund §§ 5ff. EnWG müssen die jeweiligen Eigentümer der Stromnetze (Netzbetreiber) diese Dritten gegen Bezahlung zur Verfügung stellen. Die Art und Weise der (Fremd-)Nutzung der Netze ist dabei in einer Vereinbarung zwischen der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDE), der Deutschen Verbundgesellschaft (DVG), dem Verband Kommunaler Unternehmer (VKU), der Arbeitsgemeinschaft Regionaler Energieversorgungsunternehmen (ARE), dem Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) sowie dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vom 13. 12. 1999 (im Folgenden: Verbändevereinbarung) geregelt. Demnach erfolgt die Netznutzung auf Grund eines Vertrags zwischen dem Stromkunden und dem Netzbetreiber; parallel hierzu schließt der Kunde einen Stromlieferungsvertrag mit dem Lieferanten. Abweichungen zwischen Einspeisung und Entnahme sind technisch und vertraglich so vorgesehen, dass Bilanzkreise gebildet werden, zwischen denen ein sog. Bilanzausgleich vorgenommen wird. Die Kosten der laufenden Netznutzung einschließlich der Systemdienstleistungen nach einem Lieferantenwechsel werden im Wesentlichen durch die Nutzungsentgelte abgegolten. Die den Netzbetreibern entstehenden Kosten durch Bildung, Abwicklung und Abrechnung der Bilanzkreise können gem. Nr. 3.4 der Verbändevereinbarung den Verursachern in Rechnung gestellt werden. Die allgemeinen Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden sind in einer Rechtsverordnung geregelt, welche auf Grund der Ermächtigung des § 7 II EnWG erlassen wurde (AVBEltV). Gem. § 32 I AVBEltV ist eine ordentliche Kündigung eines Stromlieferungsvertrags mit einer Frist von einem Monat zum Ende des Kalendermonats möglich, jedoch erstmals zum Ablauf eines Jahres. Von der Möglichkeit, den Stromlieferungsvertrag ordentlich zu kündigen, machen pro Monat ca. 1000 Kunden der Bekl. Gebrauch. Die allgemeinen Tarife für die Versorgung mit Elektrizität sind in der Bundestarifordnung Elektrizität auf der Grundlage des § 7 I EnWG durch Rechtsverordnung vom 18. 12. 1989 geregelt (BTOElt). Gem. § 12 BTOElt bedürfen Tarife und ihre einzelnen Bestandteile behördlicher Genehmigung. Gleiches gilt gem. § 13 II BTOElt für Regelungen über Entgelte zur Erstattung sonstiger mit den Tarifen nicht abgegoltener Kosten. In den „Ergänzenden Bedingungen der MEAG“ ist folgende Klausel enthalten, welche mit Bescheid vom 13. 3. 2000 durch das Ministerium für Wirtschaft und Technologie des Landes Sachsen-Anhalt gem. § 13 BTOElt genehmigt wurde:
„Einstellung der Versorgung gem. § 33 AVBEltV sowie Lieferantenwechsel. Die Kosten der Einstellung und Wiederaufnahme der Versorgung sowie ein Lieferantenwechsel sind vom Kunden nach dem tatsächlichen Aufwand, mindestens jedoch mit einer Pauschale von 44 DM zu bezahlen. Erfolgt nach einer Einstellung keine Wiederaufnahme der Versorgung, wird dem Kunden mindestens die Hälfte der vorgenannten Pauschale berechnet.“
Das LG hat der Bekl. antragsgemäß die Verwendung dieser Klausel untersagt; der Bekl. wurde des Weiteren untersagt, über dieses Verbot hinaus von Tarifkunden, die mit der Bekl. einen Stromlieferungsvertrag abschließen wollen oder abgeschlossen haben, für den Fall des Lieferantenwechsels eine „Wechselgebühr“ oder ein sonstiges Entgelt zu verlangen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Bekl. blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
… 2.1. Der Kl. hat gegen die Bekl. aus § 33 GWB i.V. mit § 19 I, IV Nr. 4 GWB sowie i.V. mit § 20 I GWB einen Anspruch auf Unterlassung der Erhebung einer Wechselgebühr entsprechend dem Ausspruch in Nr. 3 des Tenors der angefochtenen Entscheidung und damit insb. - soweit das LG hierauf erkannt hat (Nr. 1 des Urteilstenors) - einen Anspruch auf Unterlassung der Benutzung der streitgegenständlichen Klausel in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
2.1.1. Das beanstandete Verhalten der Bekl. ist einer kartellrechtlichen Überprüfung nicht entzogen. Dem steht nicht entgegen, dass die beanstandete Klausel durch Bescheid vom 13. 3. 2000 des Ministeriums für Wirtschaft und Technologie des Landes Sachsen-Anhalt genehmigt wurde. Dass das Ministerium insoweit - entgegen der missverständlichen Darstellung der Bekl. in erster Instanz - nicht als Landeskartellbehörde gehandelt hat, ergibt sich aus dem Inhalt des von der Bekl. vorgelegten Bescheids. Die hier erfolgte Genehmigung nach § 13 II BTOElt schließt eine kartellrechtliche Überprüfung gerade nicht aus, da die Überwachung der Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes durch die zuständigen Landesbehörden neben eine Kontrolle nach dem GWB tritt (Möschel, WuW 1999, 5 [13f.]), wie sich im Übrigen auch aus § 6 I 4 EnWG, welcher auf die §§ 19 IV, 20 I GWB Bezug nimmt, ergibt (vgl. Britz, in: Ludwig/Odenthal, Recht der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Stand Mai 2000, § 6 EnWG Rdnrn. 91ff.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Prüfung der Angemessenheit der Kundentarife eine gänzlich andere Zielrichtung hat, als die Prüfung der wettbewerblichen Auswirkungen von Tarifen. Dies wird gerade an dem hier zu entscheidenden Fall deutlich. Der Kl. argumentiert eben nicht damit, dass das Entgelt angesichts der von der Bekl. dargelegten Aufwendungen als solches überhöht sei, sondern im Hinblick auf die Auswirkungen dieses Wechselentgelts auf den Wettbewerb.
2.1.2. Der Kl. ist ein rechtsfähiger Verband zur Förderung gewerblicher Interessen i.S. des § 33 GWB und als solcher befugt, Ansprüche aus dieser Vorschrift geltend zu machen. (Wird ausgeführt.)
2.1.3. Sowohl bei § 19 GWB als auch bei § 20 GWB handelt es sich um Vorschriften, die den Schutz eines anderen i.S. des § 33 GWB bezwecken. § 19 I, IV GWB schützt denjenigen, der durch den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung geschädigt wird; § 20 GWB ist Schutzgesetz zu Gunsten der Unternehmen, die behindert oder diskriminiert werden (Bechtold, GWB, 3. Aufl., § 33 Rdnr. 4).
2.1.4. Die Bekl. ist Normadressatin der §§ 19 und 20 GWB. Sie ist zum einen Stromlieferantin und als solche der Konkurrenz anderer Stromlieferanten ausgesetzt. Andererseits ist sie aber auch Netzbetreiberin und als solche marktbeherrschend i.S. des § 19 II Nr. 1 GWB, weil sie in ihrem Netzgebiet über ein natürliches Monopol verfügt.
Der sachlich relevante Markt ist dabei die Bereitstellung von Netzdurchleitungsdienstleistungen durch den Netzbetreiber (vgl. den Bericht der Arbeitsgruppe Netznutzung Strom der Kartellbehörden des Bundes und der Länder v. 19. 4. 2001 [im Folgenden: Arbeitsgruppe], S. 8, unter Hinw. auf BKartA, WuW/DE-V 149 - Berliner Stromdurchleitung; Lutz, RdE 1999, 192 [106]; Schultz, in: Langen/Bunte, GWB, 9. Aufl., § 19 Rdnr. 152), wobei sich die Existenz eines solchen Marktes bereits aus § 6 EnWG ergibt. Hiernach wird den Betreibern derartiger Netze auferlegt, ihr Versorgungsnetz für Durchleitungen zur Verfügung zu stellen. Der räumlich relevante Markt ergibt sich aus der geographischen Lage der Energieversorgungsnetze (Arbeitsgruppe, S. 8).
Es spricht einiges dafür, dass der Bekl. auch auf dem Markt für die Belieferung von Endkunden eine marktbeherrschende Stellung zukommt, soweit dieser räumlich mit dem Bereich ihres Stromnetzes identisch ist. Die Bekl. hat früher unstreitig alle Endkunden versorgt und daher einen ganz erheblichen Teil an „Altkunden“ übernommen, zumal auch das bestehende Liefernetz als im Wettbewerb vorteilhafter Faktor in die Abwägung einzubeziehen wäre. Hinreichende Angaben, um dies abschließend zu beurteilen - insb. verifizierbare Angaben über Marktanteile, Finanzkraft usw. (vgl. Möschel, WuW 1999, 4 [9]) - fehlen allerdings. Einer weiteren Aufklärung bedurfte es jedoch nicht, da die marktbeherrschende Stellung auf dem Markt der Netzdurchleitungsdienstleistungen bereits ausreichend ist, um die Anwendbarkeit der §§ 19, 20 GWB hier zu rechtfertigen.
2.1.5. Die Erhebung einer Wechselgebühr stellt eine unbillige Behinderung anderer Stromlieferanten i.S. des § 20 I GWB dar und - da ein behinderndes Entgelt niemals angemessen i.S. des § 19 I, IV Nr. 4 GWB sein kann (zutr. Arbeitsgruppe, S. 49) - zugleich einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung i.S. des § 19 I GWB.
2.1.5.1. Eine Behinderung liegt immer dann vor, wenn eine Maßnahme für das Wettbewerbsverhalten des betroffenen Unternehmens nachteilig ist (BGHZ 81, 322 [327] = NJW 1982, 46 - Original-VW-Ersatzteile II; BGHZ 116, 47 [57] = NJW 1992, 1817 - Amtsanzeigen; BGH, NJW 1998, 3778 = BB 1998, 2334 - Schilderpräger im Landratsamt). Dies steht hier außer Frage. Angesichts der unstreitig geringen Tarifunterschiede zwischen den Anbietern liegen die zu erwartenden Einsparungen wechselwilliger Kunden für eine Vielzahl von Kunden in einem Bereich, in welchem die Erhebung einer „Wechselgebühr“ geeignet ist, den Anreiz zum Wechsel des Stromlieferanten in einem erheblichen Umfange herabzusetzen, wenn nicht ganz zu unterbinden.
Für das Vorliegen einer Behinderung i.S. des § 20 GWB ist irrelevant, ob das Wechselentgelt vom Stromkunden oder vom neuen Lieferanten verlangt wird. Das Gesetz untersagt gleichermaßen die mittelbare wie die unmittelbare Behinderung, da es für die behindernde Wirkung keinen Unterschied macht, ob direkt beim Kunden ein Entgelt für den Wechsel zu einem anderen Versorgungsunternehmen eingefordert wird, oder ob das betroffene Unternehmen dieses selbst bezahlen muss. In beiden Fällen wird an den Wechsel zu einem anderen Versorgungsunternehmen ein wirtschaftlicher Nachteil geknüpft, der die wettbewerblichen Betätigungsmöglichkeiten des neuen Lieferanten schmälert (Verfügung d. Bayrischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Technologie als Landeskartellbehörde v. 12. 11. 2000, WuW 2001, 187; LG Düsseldorf, Urt. v. 16. 5. 2001 - 12 O 395/00).
2.1.5.2. Die Behinderung ist auch unbillig. Ob dies der Fall ist, ergibt sich
aus einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung der auf die
Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB (BGH, NJW 2000, 809 =
GRUR 2000, 344; Bechtold, § 20 Rdnr. 36, jeweils m.w. Nachw.).
2.1.5.2.1.
Entsprechend dem Vortrag der Bekl. ist dabei davon auszugehen, dass die
Inrechnungstellung von Wechselkosten im Interesse ihres Geschäftsbereichs „Netz“
erfolgt, und nicht im Interesse des Geschäftsbereichs „Vertrieb“. Dies ergibt
sich insbesondere aus den Darlegungen der Bekl. im Schriftsatz vom 30. 11. 2000.
Dort hat sie der Behauptung des Kl., die erhobene Gebühr diene der Abgeltung der
Änderung der Endablesung, ausdrücklich widersprochen. Die im Einzelnen
dargelegten Schritte bei einem Lieferantenwechsel gehen nur insoweit über die
„üblichen“ Aufwendungen, die ein Vertragspartner bei Kündigung eines
Dauerschuldverhältnisses hat, hinaus, als die Bekl. auf Grund ihrer
Doppelstellung als Stromlieferant und Netzbetreiber in ihrer letztgenannten
Funktion für die Zuordnung des Kunden zu dem jeweils „richtigen“ Bilanzkreis und
damit zusammenhängende Verwaltungsaufgaben zuständig ist.
2.1.5.2.2. Bei der
vor diesem Hintergrund durchzuführenden Abwägung ist neben den Interessen der
Bekl. auch das Interesse der wechselwilligen Kunden sowie derjenigen, die Kunden
der Kl. bleiben wollen, in die Abwägung einzubeziehen (LG Düsseldorf, Urt. v.
16. 5. 2001 - 12 O 395/00; Arbeitsgruppe, S. 49f.). Die Abwägung geht dabei im
Ergebnis zu Lasten der Bekl. aus.
Die Bekl. hat als Stromlieferant ein erhebliches Interesse an der Wechselgebühr, da hierdurch eine Schranke für den Kundenwechsel aufgebaut wird. Dieses Interesse an einer Beschränkung des Wettbewerbs durch Errichtung von Marktzutrittsschranken ist allerdings angesichts der auf Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB nicht berücksichtigungsfähig (Bayrisches Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie als Landeskartellbehörde, Untersagungsverfügung v. 10. 11. 2000, S. 10, GA Bd. I, Bl. 135). Demgegenüber besteht bei anderen Lieferanten ein erhebliches und schützenswertes Interesse an einem ungehinderten und diskriminierungsfreien Marktzutritt. Ungeachtet des Umstands, dass die Errichtung von Marktzutrittsschranken durch marktbeherrschende Unternehmen ohnehin der Intention des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen widerspricht, ist hierbei von besonderer Bedeutung, dass es eindeutige Intention des Energiewirtschaftsgesetzes 1998 war, Wettbewerb auf dem bis dahin weitgehend monopolistisch strukturierten Strommarkt zu erreichen (hierzu ausf. Büdenbender, JZ 1999, 62, sowie Möschel, WuW 1999, 5). Diese gesetzgeberische Grundentscheidung ist unzweifelhaft bei der Auslegung des GWB mit einzubeziehen (BKartA Vfg. v. 31. 8. 1999 - B-8-40100 - T - 99/99, zit. nach juris).
Die Bekl. hat in ihrer Eigenschaft als Netzbetreiberin allerdings ein legitimes Interesse daran, dass sie für die in dieser Funktion von ihr zu tätigenden Aufwendungen aus Anlass eines Kundenwechsels einen angemessenen Ausgleich erhält. Wie das Bayrische Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie als Landeskartellbehörde in der Untersagungsverfügung vom 10. 11. 2000 allerdings zu Recht ausführt, besteht ein wirtschaftliches Interesse des Netzbetreibers, die wechselbedingten Mehrkosten (pauschaliert) gerade dem Kunden in Rechnung zu stellen, der künftig von einem anderen Versorgungsunternehmen beliefert wird, nicht. Zutreffend führt es aus, dass das gleiche wirtschaftliche Ergebnis - voller Ersatz der Mehrkosten - sich auch dadurch erzielen lasse, dass die Mehraufwendungen in das Nutzungsentgelt der jeweiligen Spannungsebenen eingerechnet und auf alle Nutzer dieser Spannungsebene umgelegt werde, also dadurch, dass diese Kosten „sozialisiert“ werden. Der Grundsatz der Kostenorientierung, der sich aus §§ 1, 12 BTOElt ergibt, wird hierdurch entgegen der Auffassung der Bekl. nicht tangiert. Die Sozialisierung von besonderen Aufwendungen ist auch nach der derzeit praktizierten Handhabung nicht ungewöhnlich und wird beispielsweise bei Tod oder Umzug praktiziert. Wieso gerade der Fall des Lieferantenwechsels anders zu beurteilen und mit dem Grundsatz der Kostenorientierung nicht in Übereinstimmung zu bringen sein soll, erschließt sich dem Senat daher nicht. Zwar ist der Bekl. zuzugestehen, dass die Aufwendungen bei einem Lieferantenwechsel insoweit ungleich höher sind, jedoch handelt es sich dabei nur um ein graduelles, nicht um ein grundsätzliches Problem. Die ordentliche Vertragskündigung ist eine vom Gesetzgeber gewollte und sanktionierte Möglichkeit der Vertragsbeendigung und muss daher im Hinblick auf die Tarifstruktur grundsätzlich gleich behandelt werden wie andere Beendigungsgründe, beispielsweise eine außerordentliche Kündigung wegen Umzugs.
Andererseits ist es für den Netzversorger auf Grund der bereits zitierten gesetzgeberischen Grundentscheidung für einen diskriminierungsfreien Wettbewerb zwingend geboten, anfallende Aufwendungen wettbewerbsneutral umzulegen. Eine Tarifstruktur, welche selektiv den Wettbewerb gerade dort behindert, wo ein Wechsel zu einem anderen Stormlieferanten geplant ist, ist damit nicht zu vereinbaren. Die dem Netzbetreiber erwachsenden Aufwendungen durch das (wettbewerbsrechtlich erwünschte!) „Tarifhopping“ erwachsen auch und in gleicher Weise wie von der Bekl. dargelegt, wenn die Bekl. als Stromlieferantin überhaupt nicht an dem Vorgang beteiligt ist, wie beispielsweise beim Wechsel von einem Drittlieferanten zu einem anderen. Entsprechendes gilt auch, wenn ein Kunde von einem Drittlieferanten zu der Bekl. wechselt. Die hier beanstandete Wechselgebühr fällt in diesen Fällen nicht an, so dass das beanstandete Verhalten keine andere Funktion hat, als durch Ausnutzung der Monopolstellung im Bereich „Netz“ einseitig den Wettbewerb des Geschäftsbereichs „Vertrieb“ der Bekl. zu fördern. Selbst wenn jedoch die Bekl. als Netzbetreiberin - losgelöst von den Stromlieferungsverträgen - eine allgemeine Wechselgebühr verlangen sollte, würde dies nicht zu einer anderen Beurteilung führen können. Hierbei kann nicht unbeachtet bleiben, dass durch die Weiterversorgung eines großen Teils der „Altkunden“, die noch aus Zeiten eines monopolistisch ausgerichteten Stromlieferungsmarkts bei der Bekl. verblieben sind, auch eine solche Gebühr de facto zu einer wettbewerblichen Bevorteilung des Stromvertriebs der Bekl. - und damit einhergehend einer Behinderung ihrer Wettbewerber - führt.
Auch die Interessen der nicht wechselbereiten Kunden der Bekl. rechtfertigen die Erhebung einer Wechselgebühr nicht. Zutreffend weist die Arbeitsgruppe Netznutzung Strom der Kartellbehörden darauf hin, dass der Grundsatz verursachungsgerechter Kostenzuordnung kein Selbstzweck ist, sondern auf die kostenmäßige Auswirkung auf den Strombezug insgesamt - auch für diese Gruppe - abzustellen ist (Arbeitsgruppe, S. 50f.). Hierbei ist von der gesetzgeberischen Wertung auszugehen, die darauf abstellt, dass durch den Wettbewerb und die Erzielung wettbewerbsgerechter Preise insgesamt eine - auch preislich - optimale Versorgung der Verbraucher gewährleistet ist. Diese Erwartung hat sich auch erfüllt. So hat Büdenbender schon 1999 darauf hingewiesen, dass die Energieversorgungsunternehmen zur Vorbereitung auf den Wettbewerb Kostenmanagement betrieben, Organisationsstrukturen gestrafft und in erheblichem Umfang Personal abgebaut haben, wodurch bei den größten Energieversorgungsunternehmen Kostenentlastungen in Höhe von zweistelligen Mrd. DM erreicht wurden und - bei andauerndem Rationalisierungsprozess - eine spürbare Senkung der Energiepreise erreicht wurde (JZ 1999, 62). Dem entspricht es, wenn das LG Düsseldorf (Urt. v. 16. 5. 2001 - 12 O 395/00) auf die im dortigen Verfahren vorgelegten Pressemitteilungen der VDE vom 2. 5. 2000 und 27. 3. 2000 verweist, wonach die Stromrechnung eines Drei-Personen-Musterhaushalts im Zuge der Liberalisierung des deutschen Strommarkts von April 1998 bis April 2000 um 14% gesunken ist und diese Stromrechnung sogar um 25% niedriger hätte ausfallen können, wenn nicht die Steuern stark erhöht worden wären. Der Kl. hat als Anl. K 12 zum Schriftsatz vom 16. 5. 2001 eine Pressemitteilung der Bekl. selbst vorgelegt, wonach die im Zuge der „Ökosteuer“ angefallene Erhöhung der Energiepreise nicht an die Kunden der Bekl. weitergegeben wurde, und trägt unbestritten vor, dies sei zu Monopolzeiten undenkbar gewesen. Die Erwartung, dass auch die nicht wechselbereiten Kunden von dem Wettbewerbsdruck der wechselwilligen Kunden profitieren, ist daher begründet. Ein relevantes Interesse dieser Kundengruppe an der „Wechselgebühr“ vermag der Senat von daher nicht zu erkennen. Dass die wechselwilligen Kunden selbst kein Interesse an einer entsprechenden Gebühr haben, bedarf keiner weiteren Begründung.
2.1.5.2.3. Selbst wenn man zu Grunde legt, dass die in Rechnung gestellten Aufwendungen jedenfalls teilweise auch für Aufwendungen des Geschäftsbereichs „Vertrieb“ der Bekl. getätigt werden, ergibt sich keine für die Bekl. günstigere Beurteilung. Die Bekl. übt die marktbeherrschende Stellung als Netzbetreiber missbräuchlich aus, wenn sie bei einem Wechsel des Stromlieferanten Gebühren verlangt, die teilweise oder ganz ihrem Vertriebsbereich zuzuordnen sind.
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