Zu Aufklärungs- und Beratungspflichten einer Bank bei Ablauf einer Optionsfrist.

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

24. 07. 2001


Aktenzeichen

XI ZR 329/00 (KG)


Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die klagende Bank nimmt den Bekl. auf Ausgleich des Schuldsaldos auf seinem Depoterträgniskonto in Anspruch. Am 29. 2. 1988 eröffnete der Bekl., ein Soziologiestudent, der im Sommer 1997 die Diplomprüfung ablegte, das als Kontokorrent geführte Depoterträgniskonto und wickelte darüber in den folgenden Jahren zahlreiche Wertpapiergeschäfte ab, die teilweise zu Totalverlusten führten. Er erhielt von der Kl. am 30. 12. 1993 die Broschüre „Basisinformationen über Börsentermingeschäfte“ und unterzeichnete eine Rahmenvereinbarung über „Einzelheiten zum Abschluss von Börsentermingeschäften“ sowie die Unterrichtungsschrift der Kl. über „Wichtige Informationen über Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften“. Im Januar 1994 erwarb er über die Kl. 50 Optionsschein aus einer japanischen DM-Industrieanleihe. Ein Optionsschein berechtigte zum Bezug von 47,3854 Aktien des Emittenten zum Stückpreis von 1702 JPY. Mit Schreiben vom 7. 10. 1997 erinnerte die Kl. den Bekl. an den bevorstehenden Verfall der Optionsscheine am 5. 11. 1997 und wies auf die Möglichkeiten hin, die Optionsscheine zu verkaufen oder die Optionen auszuüben. In unmittelbarem Anschluss daran heißt es im zweiten Satz des Schreibens: „Auf Grund der aktuellen Kurslage gehen wir davon aus, dass Sie an einer Optionsausübung nicht interessiert sind. Sofern Sie das Optionsrecht ausüben möchten, erteilen Sie uns bitte Ihren Auftrag auf der beiliegenden Optionserklärung …“. Ferner enthielt das Schreiben eine kurze Zusammenfassung der Optionsbedingungen, darunter die Angabe des Optionspreises von 1702 JPY pro Aktie und die Mitteilung der aktuellen Börsenkurse in Höhe von 0,05 DM für den Optionsschein und 122 JPY für die Aktie. Anschließend wird ausgeführt: „Wenn Sie Ihre Optionsscheine weder ausüben noch bis zum letzten Handelstag verkaufen, werden wir die Optionsscheine ca. 4 Wochen nach Endfälligkeit ohne weitere Anzeige an Sie als wertlos ausbuchen. Auf Grund der Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte können wir nur bei Vorlage eines Auftrages für Sie tätig werden. Für eine aktuelle Beratung steht Ihnen Ihr Anlageberater jederzeit gerne zur Verfügung.“ Dem Schreiben war eine formularmäßige Optionserklärung beigefügt, die der Bekl. am 9. 10. 1997 unterzeichnete und der Kl. zuleitete. Diese ließ daraufhin die Option weisungsgemäß in Tokio ausüben und belastete das Konto des Bekl. für 2369 Aktien der Emittentin zu einem Kurs von 1702 JPY mit umgerechnet 60155,55 DM. Das Konto weist infolge dessen einen Schuldsaldo von 59297,50 DM auf. Mit der Klage begehrt die Kl. Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen. Der Bekl. beruft sich darauf, dass er bei Ausübung des Optionsrechts nicht mehr termingeschäftsfähig gewesen sei und dieses Geschäft wegen Irrtums angefochten habe. Hilfsweise rechnet er mit einem Schadensersatzanspruch auf, weil die Kl. ihn fehlerhaft beraten habe.

Das LG hat den Bekl. antragsgemäß verurteilt. Seine Berufung ist erfolglos geblieben. Die - zugelassene - Revision des Bekl. hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Der Kauf der Optionsscheine und die Ausübung der Optionsrechte seien keine unverbindlichen Börsentermingeschäfte. Da es sich um abgetrennte Optionsscheine aus einer DM-Anleihe einer ausländischen Aktiengesellschaft handele, lägen Kassageschäfte vor. Zudem sei der Bekl. beim Kauf der Optionsscheine termingeschäftsfähig gewesen. Auf seine Termingeschäftsfähigkeit bei Ausübung der Optionsrechte als Folgegeschäft komme es nicht an. Einen zur Anfechtung berechtigenden Irrtum i.S. des § 119 I BGB habe der Bekl. nicht schlüssig vorgetragen bzw. nicht unter Beweis gestellt. Er habe auch keinen aufrechenbaren Schadensersatzanspruch wegen positiver Vertragsverletzung, Verschuldens bei Vertragsschluss oder gem. § 823 II BGB i.V. mit § 31 WpHG. Die Kl. habe den Bekl. auf Grund der vorangegangenen Spekulationsgeschäfte als einen in solchen Wertpapiergeschäften erfahrenen Anleger ansehen dürfen. Sie habe ihre Informations- und Beratungspflicht mit ihrem Schreiben vom 7. 10. 1997 anlage- und anlegergerecht erfüllt. Aus dem Schreiben gehe klar hervor, dass die Ausübung der Optionsrechte angesichts des aktuellen Kurses nicht empfehlenswert sei. Die wirtschaftliche Unsinnigkeit des Geschäfts habe die Kl. noch dadurch verdeutlicht, dass sie dem aktuellen Börsenkurs von 122 JPY den Optionspreis von 1702 JPY je Aktie gegenübergestellt habe. Die in dem Schreiben angebotene aktuelle Beratung habe der Bekl. nicht in Anspruch genommen.

II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung stand.

1. Die Kl. hat gegen den Bekl. einen Anspruch gem. § 607 I BGB auf Zahlung von 59297,50 DM. Sie kann die Rückzahlung des Überziehungskredits, den sie dem Bekl. auf seinem Konto gewährt hat, ohne Kündigung des Kontokorrentverhältnisses verlangen (vgl. BGHZ 73, 207 [209] = NJW 1979, 1164 = LM § 276 [Hb] BGB [L] Nr. 27).

a) Das Konto des Bekl. weist einen Saldo in Höhe von 59297,50 DM zugunsten der Kl. auf, weil diese es zu Recht mit dem Aufwendungsersatz- und Provisionsanspruch gem. §§ 670, 675 I BGB, § 396 HGB in Höhe von 60155,55 DM belastet hat, den sie als Kommissionärin durch den Erwerb der Aktien für den Bekl. nach Ausübung der Optionsrechte erworben hat.

b) Das Kommissionsgeschäft ist nicht gem. §§ 53 I, 60 BörsG unverbindlich. Die Ausübung der Optionsrechte war - ebenso wie der Erwerb der Optionsscheine - kein unverbindliches Börsentermingeschäft. Es handelt sich vielmehr um Geschäfte mit abgetrennten Optionsscheinen aus der Anleihe einer ausländischen Aktiengesellschaft, die nach ständiger Rechtsprechung des Senats Kassageschäfte sind (BGHZ 133, 200 [206] = NJW 1996, 2795 = LM H. 12/1996 BörsG Nr. 42; vgl. auch für Währungsoptionsscheine, die von einer DM-Auslandsanleihe abgetrennt wurden, NJW 1998, 994 = LM H. 6/1998 BörsG Nr. 46 = WM 1998, 274 [275] und für abgetrennte Aktienoptionsscheine aus Wandelschuldverschreibungen: BGHZ 114, 177 [179] = NJW 1991, 1956 = LM H. 1/1992 BörsG Nr. 29).

c) Der Bekl. hat seine Erklärung vom 9. 10. 1997, mit der er die Kl. beauftragte, die Optionsrechte auszuüben, nicht wirksam gem. §§ 119 I, 142 I BGB angefochten. Nach den rechtsfehlerfreien und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des BerGer. ist er für seine bestrittene Behauptung, seine Erklärung beruhe auf einem Irrtum i.S. des § 119 I BGB, beweisfällig geblieben.

2. Einen aufrechenbaren Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss, positiver Vertragsverletzung oder gem. § 823 II BGB i.V. mit § 31 II Nr. 2 WpHG hat das BerGer. zu Recht nicht für gegeben erachtet. Die Kl. hat gegenüber dem Bekl. keine Beratungs- oder Aufklärungspflichten verletzt.

a) Ob die Kl. dem Bekl. vor Ablauf der Optionsfrist Beratung oder Aufklärung schuldete (vgl. zu Beratungspflichten: BGHZ 100, 117 [118] = NJW 1987, 1815 = LM § 676 BGB Nr. 32; BGHZ 123, 126 [128] = NJW 1993, 2433 = LM H. 11/1993 § 276 [Cc] BGB Nr. 34; Senat, NJW-RR 2000, 1497 = LM H. 3/2001 § 276 [Cc] BGB Nr. 44 = WM 2000, 1441 [1442] und zu Aufklärungspflichten: Senat, NJW 1995, 1152 = LM H. 7/1995 § 607 BGB Nr. 152 = WM 1995, 566 [568] und Senat, NJW 1997, 2171 = LM H. 7/1997 § 276 [Fa] BGB Nr. 148 = WM 1997, 811 [812]), bedarf keiner Entscheidung, weil die Kl. etwaige Beratungs- und Aufklärungspflichten durch ihr Schreiben vom 7. 10. 1997 erfüllt hat.

Angesichts des drastischen Kursverfalls der Aktie der Emittentin war das wirtschaftlich einzig sinnvolle Verhalten, das für den Bekl. in Betracht kam, die Optionsrechte nicht auszuüben. Dies hat die Kl. dem Bekl. in ihrem Schreiben vom 7. 10. 1997 durch den Satz: „Auf Grund der aktuellen Kurslage gehen wir davon aus, dass Sie an einer Optionsausübung nicht interessiert sind.“ klar und leicht verständlich mitgeteilt. Die darin enthaltene Empfehlung, die Optionsrechte nicht auszuüben, wurde durch den weiteren Text des Schreibens bestätigt und begründet. Aus der Mitteilung des Optionspreises je Aktie in Höhe von 1702 JPY und des aktuellen Börsenkurses von 122 JPY ging klar hervor, dass die Ausübung der Option zu einem Erwerb der Aktien zu einem den Marktpreis um mehr als das 12fache übersteigenden Preis führen würde und deshalb den Interessen des Bekl. grob widersprach. Die Erwähnung der beiden anderen Möglichkeiten, auf den bevorstehenden Ablauf der Optionsfrist zu reagieren, nämlich des Verkaufs der Optionsscheine und der Ausübung der Optionsrechte, änderte an der Empfehlung, die Optionsrechte nicht auszuüben, nichts. Auch die Bitte um Unterzeichnung und rechtzeitige Rücksendung des beigefügten Formulars, sofern die Optionsrechte ausgeübt werden sollten, stellte die Empfehlung, die Optionsrechte nicht auszuüben, entgegen der Ansicht der Revision nicht in Frage. Dasselbe gilt für das beigefügte Formular, das nur wenige Sätze umfasst und klar erkennen lässt, dass es ein von der Empfehlung der Kl. abweichendes Verhalten betrifft.

Wenn der Bekl. den klar und leicht verständlich formulierten Text des lediglich eine Seite umfassenden Schreibens der Kl. vom 7. 10. 1997 und die nur drei Sätze enthaltende Anlage gleichwohl missverstanden hat, so ist dies darauf zurückzuführen, dass er das Schreiben der Kl. wie er selbst vorgetragen hat, lediglich überflogen, d.h. teilweise nicht oder völlig unzureichend zur Kenntnis genommen hat. Mit einem solchen grob nachlässigen Verhalten musste die Kl. insbesondere bei einem Akademiker wie dem Bekl., der bereits seit fast zehn Jahren zahlreiche Wertpapiergeschäfte abgeschlossen und dabei auch schon Totalverluste erlitten hatte, dem also das mit solchen Geschäften verbundene Risiko bekannt war, nicht rechnen.

Die Revision beruft sich in diesem Zusammenhang ohne Erfolg auf die Rechtsprechung des Senats zu den Aufklärungspflichten von gewerblichen Anlagevermittlungsgesellschaften, die das Anlegerpublikum auch vor solchen Geschäften schützen sollen, deren schlechte Aussichten es bei einiger geistiger Anstrengung vielleicht auch selbst hätte erkennen können (Senat, WM 1991, 127 [128]; BGHZ 124, 151 [155]; Senat, NJW-RR 1996, 947 = LM H. 10/1996 § 276 [Fb] BGB Nr. 77 = WM 1996, 1214 [1215] und Senat, NJW-RR 1997, 176 = LM H. 3/1997 § 276 [Fb] BGB Nr. 77a = WM 1997, 309 [310]). Diese gesteigerten Anforderungen an die Aufklärungspflichten von gewerblichen Anlagevermittlungsgesellschaften, die vielfach unaufgefordert unerfahrenen Bürgern telefonisch Börsentermingeschäfte anbieten, sind auf den Effektenhandel von Kreditinstituten nicht übertragbar (Senat, NJW 1998, 2675 = LM H. 11/1998 § 276 [Fa] BGB Nr. 152 = WM 1998, 1391). Sie betreffen inhaltlich nur Geschäfte, bei denen hohe Aufschläge auf die Börsenpreise eine realistische Gewinnchance von vornherein ausschließen. Darum geht es hier nicht. Das Schreiben der Kl. vom 7. 10. 1997 diente nicht der Aufklärung vor dem - lange zurückliegenden - Erwerb der Optionsscheine, sondern enthielt korrekte klar formulierte Informationen und eine ebensolche zutreffende Empfehlung für das zweckmäßige Verhalten bei Ablauf der Optionsfrist.

Damit hat die Kl. auch etwaige Pflichten aus § 31 II Nr. 2 WpHG, der auch Bedeutung für Inhalt und Umfang (vor-) vertraglicher Aufklärungspflichten hat (BGHZ 142, 345 [356] = NJW 2000, 359 = LM H. 4/2000 § 762 BGB Nr. 11), und aus Nr. 3.2. der Richtlinie des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel vom 26. 5. 1997 (BAnz v. 3. 6. 1997, S. 6586) zur Konkretisierung der §§ 31 und 32 WpHG für das Kommissions-, Festpreis- und Vermittlungsgeschäft der Kreditinstitute erfüllt.

b) Weitergehende Beratung und Aufklärung schuldete die Kl. dem Bekl. auch nach Eingang seiner Optionserklärung nicht. Der Bekl. hatte sich zwar mit Ausübung der Optionsrechte für ein Vorgehen entschieden, das nicht ihrer Empfehlung entsprach und ihm einen Vermögensnachteil in Höhe der Differenz zwischen Optionspreis und Kurswert der Aktie zufügte. Dies hätte die Kl., deren Mitarbeitern der aktuelle Börsenkurs der in Deutschland nur selten gehandelten japanischen Aktie nicht ohne weiteres gegenwärtig sein musste, nach Eingang der Optionserklärung, die selbst keine Angaben über Optionspreis und aktuellen Börsenkurs der Aktie enthielt, aber nur erkennen können, wenn sie sich den Inhalt des gesamten Geschäftsvorganges einschließlich ihrer Empfehlung vom 7. 10. 1997 vergegenwärtigt hätte. Dazu war die Kl. nicht verpflichtet. Sie hatte dem Bekl. mit Schreiben vom 7. 10. 1997 das wirtschaftlich einzig sinnvolle Vorgehen empfohlen und brauchte in der Folgezeit nicht zu überprüfen, ob der Bekl. ihrer Empfehlung folgte oder sich entgegen ihrer eindeutigen Empfehlung anders verhielt. Da der Bekl. ihr schriftliches Angebot zu weiterer Beratung nicht aufgegriffen hatte, war sie nicht gehalten, ihm von sich aus erneut weitere Beratung oder Aufklärung anzubieten. Sie konnte sich vielmehr darauf beschränken, den in der Optionserklärung erteilten klaren Auftrag - wie geschehen - an die Optionsstelle in Tokio weiterzuleiten, ohne ihn zu hinterfragen. Weitergehende Pflichten ergaben sich angesichts des vorausgegangenen Schreibens vom 7. 10. 1997 auch nicht aus § 31 I Nr. 1 und II Nr. 2 Richtlinie des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel.

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht

Normen

BGB §§ 276, 675 II; WpHG § 31