Anrechnung von in der ehemaligen DDR zurückgelegten Dienstzeiten durch Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

27. 09. 2000


Aktenzeichen

IV ZR 140/99 (Karlsruhe)


Leitsatz des Gerichts

Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) darf sich gegenüber einem Versorgungsberechtigten nicht auf eine Satzungsänderung berufen, nach der sie in der ehemaligen DDR zurückgelegte Dienstzeiten nicht anrechnet, wenn der Versorgungsberechtigte vor der Satzungsänderung gemäß dem Tarifvertrag West in den öffentlichen Dienst übernommen und zur Versicherung bei der VBL angemeldet worden war.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. war ehemals bei den Berliner Verkehrsbetrieben in Ostberlin (Büro für Verkehrsplanung beim Magistrat) beschäftigt. An deren Stelle trat ab 1. 1. 1991 die Senatsverwaltung Berlin für Bauen, Wohnen und Verkehr. Diese meldete den Kl. zum 1. 4. 1991 bei der Bekl. zur Versicherung an. Nach Erreichen der Altersgrenze teilte die Bekl. dem Kl. unter dem 26. 2. 1998 mit, dass er nach § 37 der Satzung der Bekl. (VBLS) ab 1. 1. 1998 eine Versorgungsrente für Versicherte von monatlich 205,72 DM erhalte. In dieser Mitteilung berücksichtigte die Bekl. gem. § 29 X VBLS 81 Umlagemonate, nämlich vom 1. 4. 1991 bis 31. 12. 1997, und als Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 42 II 1a, aa VBLS 87 Monate, nämlich vom 1. 10. 1990 bis 31. 12. 1997. Vor dem 1. 10. 1990 zurückgelegte Zeiten, die der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu Grunde liegen, blieben unberücksichtigt. Die Bekl. stützte sich dabei auf § 42 VBLS i.d.F. der 28. Satzungsänderung vom 20. 10. 1995 (im Folgenden n.F.), der auszugsweise wie folgt lautet:

§ 42. Gesamtversorgungsfähige Zeit.
(1) Gesamtversorgungsfähige Zeit sind die bis zum Beginn der Versorgungsrente (§ 62) zurückgelegten Umlagemonate (§ 29 X).
(2) Als gesamtversorgungsfähige Zeit gelten
a) bei einem Versorgungsrentenberechtigten, der eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält, die Kalendermonate,
aa) die in der gesetzlichen Rentenversicherung als Beitragszeiten … - mit Ausnahme der vor dem 3. 10. 1990 zurückgelegten Zeiten im Beitrittsgebiet, wenn die Pflichtversicherung erstmals nach dem 2. 10. 1990 begonnen hat - der Rente zu Grunde liegen … abzüglich der Umlagemonate (I) zur Hälfte …

Die Berechnung der Bekl. führte zu einer Gesamtversorgung von 1200,06 DM. Da diese niedriger ist als die gesetzliche Rente, hat sie dem Kl. nur eine so genannte Versicherungsrente als Mindestrente gem. § 40 I i.V. mit § 44a 1 Nr. 1 VBLS in der vorgenannten Höhe zuerkannt. Der Kl. hat die Auffassung vertreten, die Bekl. müsse bei der Errechnung seiner Versorgungsrente die Zeit zwischen 1947 und dem Beitritt der neuen Länder zum Bundesgebiet am 3. 10. 1990 nach § 42 VBLS a.F. berücksichtigen. Diese Vorschrift enthält nicht die oben unter § 42 IIa aa VBLS n.F. wiedergegebene Ausnahmeregelung über die Nichtanrechnung der Versicherungszeiten im Beitrittsgebiet. Die Nichtberücksichtigung gemäß der aktuellen Fassung der Satzung stelle eine Ungleichbehandlung innerhalb der Versichertengemeinschaft dar. Insgesamt seien von ihm in der gesetzlichen Rentenversicherung 604 Monate zurückgelegt worden, so dass die nach Abzug der Umlagemonate verbleibenden 523 Monate zur Hälfte, also mit 262 Monaten angerechnet werden müssten.

Die Klage mit dem Ziel, festzustellen, dass die Bekl. verpflichtet sei, dem Kl. ab 1. 1. 1998 eine monatliche Versorgungsrente in satzungsgemäßer Höhe zu gewähren, wobei die gesamtversorgungsfähige Zeit nach § 42 IIa aa VBLS so zu berechnen sei, dass die Ausnahme, wonach vor dem 3. 10. 1990 zurückgelegte Zeiten im Beitrittsgebiet nicht berücksichtigt werden, keine Anwendung finde, wurde vom LG abgewiesen. Das BerGer. hat ihr stattgegeben. Die Revision der Bekl. blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat ausgeführt, die durch die 28. Satzungsänderung vorgenommene Änderung des § 42 II 1 VBLS sei für das Versicherungsverhältnis des Kl. nicht wirksam geworden. Die Neuregelung halte der Inhaltskontrolle nicht stand. Der Personenkreis, der - wie der Kl. - erstmals nach dem 2. 10. 1990 und vor dem In-Kraft-Treten der 28. Satzungsänderung bei der Bekl. pflichtversichert worden sei, werde durch § 42 II 1a aa VBLS entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Die Regelung verstoße deshalb gegen § 9 AGBG und sei unwirksam. Während ein Versicherter aus den alten Bundesländern im Alter des Kl., der zunächst nur in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert war und erst nach dem 3. 10. 1990 bei der Bekl. pflichtversichert worden sei, bei gleichem gesamtversorgungsfähigen Entgelt eine dynamische Versorgungsrente in erheblicher Höhe erhalte, habe der Kl. nach der Mitteilung der Bekl. nur einen Anspruch auf eine statische Versicherungsrente von 205,72 DM. Für diese Ungleichbehandlung gebe es keine sachlichen Gründe.

Die Bekl. könne sich auch nicht darauf berufen, § 42 II 1 VBLS n.F. sei „conditio sine qua non“ für die Einführung der Zusatzversorgung im Tarifgebiet Ost ab dem 1. 1. 1997 gewesen. Dieses Argument greife jedenfalls nicht im Verhältnis zum Kl. Denn für diesen habe die Pflichtversicherung bei der Bekl. schon unabhängig von diesem Tarifvertrag im Jahre 1991 unter der Geltung der alten Fassung des § 42 II 1 VBLS begonnen. Mit der Neuregelung sei ihm daher nicht erstmals eine Rechtsposition neu gewährt worden, die er vorher nicht gehabt habe. Vielmehr sei ihm eine Rechtsposition, die er innegehabt habe, teilweise entzogen worden.

Diese Ausführungen des BerGer. sind jedenfalls im Ergebnis richtig. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.

II. Es kann für die Entscheidung des vorliegenden Falles dahinstehen, ob die Neuregelung des § 42 II 1 VBLS wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam ist mit der möglichen Folge, dass auch denjenigen Bediensteten die alte Regelung zugute käme, die erst nach der Satzungsänderung bei der Bekl. versichert worden sind. Jedenfalls darf sich die Bekl. dem Kl. gegenüber nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf den neu geregelten § 42 II 1 VBLS berufen.

1. Durch die Anmeldung seines Arbeitgebers bei der Bekl. zum 1. 4. 1991 wurde der Kl. als Begünstigter der Gruppenversicherung in den Vertrag einbezogen. Zu diesem Zeitpunkt galt § 42 VBLS noch i.d.F. vor der 28. Satzungsänderung. Berechnet man die Leistung der Bekl. auf der Grundlage des § 42 VBLS a.F., so erhält der Kl. zumindest 1914,60 DM monatlich. Das ergibt sich aus dem Schreiben der Bekl. vom 4. 6. 1998 an das AG Karlsruhe. Demgegenüber berechnet die Bekl. ihre Leistung nach § 42 II 1 VBLS n.F. auf monatlich 205,72 DM. Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass in diesem Unterschied für den Kl. ein erheblicher Nachteil liegt. Diesen braucht der Kl. nicht hinzunehmen. Denn er durfte - als er am 1. 4. 1991 in die Zusatzversorgung einbezogen wurde - darauf vertrauen, dass die Bekl. ihre Satzung nicht in einer Weise ändern werde, die nachträglich zu einer solch erheblichen Verminderung seiner Bezüge aus der Zusatzversorgung führen würde. Der Kl. hatte zu jenem Zeitpunkt keine Anhaltspunkte für die Annahme, er werde später mit derartigen Verminderungen rechnen müssen.

2. Der Kl. konnte, wie aber die Bekl. meint, auch nicht annehmen, § 42 VBLS a.F. gestatte zur Ermittlung der gesamtversorgungsfähigen Zeit nicht den Einbezug von Versicherungszeiten in der ehemaligen DDR. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnis es bei der Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen ankommt (BGHZ 123, 83 [85] = NJW 1993, 2369 = LM § 9 [Bb] AGBG Nr. 20), kann dem Wortlaut des § 42 VBLS a.F., soweit sich für ihn der Sinn überhaupt erschließen lässt, eine solche Einschränkung nicht entnehmen. Selbst eine mit den Regeln der Satzung der Bekl. vertraute Person wird im Wege der Auslegung des § 42 VBLS a.F. keine Einschränkung für in der früheren DDR und schon seinerzeit nach dem Tarifvertrag West in den öffentlichen Dienst übernommene Beschäftigte entnehmen können. Dies mag aber dahinstehen. Denn der Kl. hatte im Zeitpunkt seiner Anmeldung bei der Bekl. keine Veranlassung, sich Rechtsrat bei einer kundigen Person einzuholen, nachdem weder die Bekl. noch sein Arbeitgeber ihn auf irgendwelche Leistungseinschränkungen bei der Versorgung hingewiesen haben.

3. Einen rechtfertigenden Grund für die den Kl. benachteiligende Leistungsminderung hat die Bekl. nicht dargetan. Er ist auch nicht ersichtlich.

a) Die Revision trägt vor, die 28. Satzungsänderung beruhe auf einer Grundentscheidung der beteiligten Sozialpartner. Diese gehe dahin, dass die gesamtversorgungsfähige Zeit für alle Versicherten, die nach dem 2. 10. 1990 bei der Bekl. versichert worden seien, anders als nach der alten Fassung des § 42 VBLS zu berechnen seien. Die maßgebenden Grundentscheidungen unterlägen nicht der gerichtlichen Nachprüfung. Dass die in der ehemaligen DDR zurückgelegten Versicherungszeiten bei der Berechnung der Zusatzversorgung nicht mit heranzuziehen seien, beruhe auf sachlichen, nämlich finanziellen Gründen. Die Mittel, die bei einer Einbeziehung aufzubringen gewesen wären, hätten insbesondere die Länder und Kommunen in den neuen Bundesländern finanziell überfordert. Die Einigung über die Nichtberücksichtigung der Rentenzeiten vor dem 3. 10. 1990 sei eine Grundbedingung für die Einführung der Zusatzversorgung in den neuen Bundesländern gewesen. Diese Argumentation greift jedenfalls für die Beurteilung des vorliegenden Falles nicht durch.

b) Richtig ist, dass die Frage der Finanzierbarkeit bei den Verhandlungen über die Einführung der Zusatzversorgung in den neuen Bundesländern eine erhebliche Rolle gespielt hat (vgl. Kiefer, ZTR 1996, 97). Die Gewerkschaften hatten die Einführung der Zusatzversorgung bei den Tarifverhandlungen immer wieder thematisiert. Bei den Verhandlungen in der Lohn- und Vergütungsrunde 1995 kam es zur Einigung über Eckpunkte, die in der Niederschrift über die Tarifverhandlungen vom 3. 5. 1995 festgehalten sind (wiedergegeben bei Kiefer, ZTR 1996, 97).

Alledem ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Einführung der Zusatzversorgung in den neuen Bundesländern auch davon abhängig sein sollte, dass dem Personenkreis, dem eine Zusatzversorgung nach dem alten § 42 VBLS bereits zugesagt war, durch nachträgliche Änderung der Anrechnungszeiten im Wesentlichen wieder entzogen werde. Insoweit handelt es sich jedenfalls nicht um eine Grundentscheidung der Tarifvertragsparteien.

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

VBLS § 42 II