Schadensersatzpflicht der Bank wegen Verleitens zur Aktienspekulation auf Kredit

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

28. 01. 1997


Aktenzeichen

XI ZR 22/96 (Zweibrücken)


Leitsatz des Gerichts

Eine Bank, die ihren unerfahrenen Kunden dazu verleitet, in Aktien auf Kredit zu spekulieren, ist regelmäßig zum Ersatz des durch die Spekulation entstehenden Schadens verpflichtet.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. wendet sich im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung der Bekl. aus einer notariellen Grundschuldbestellungsurkunde. Der Kl., ein Schmuckhändler, wandte sich Anfang Juni 1985 an die Bekl., um bei der Anlage eines Betrags von 80000 DM beraten zu werden. Nach Einzahlung dieses Betrags auf ein neu eröffnetes Kontokorrentkonto kaufte er auf Empfehlung des Anlageberaters der Bekl., des Zeugen L, Standard-Aktien. Nach weiteren Bareinzahlungen von insgesamt 25000 DM und einer Reihe von Aktiengeschäften, die im wesentlichen auf Initiative des Zeugen L durchgeführt worden waren, betrugen per 31. 12. 1986 der Sollsaldo auf dem Kontokorrentkonto ca. 1,2 Mio. DM und der Depotwert ca. 1,307 Mio. DM. Im Januar 1987 wurde der Sollsaldo durch Verkäufe auf knapp 20000 DM zurückgeführt, wuchs durch Neukäufe bis zum 12. 6. 1987 wieder auf ca. 675000 DM an. An diesem Tage bot die Bekl. dem Kl. einen schon im Jahre 1985 in Aussicht gestellten Kredit in Höhe von 1 Mio. DM bei variablem Zins „zum Zweck des Kaufs von festverzinslichen Wertpapieren und deutschen Standardaktien" an, den der Kl. am 8. 7. 1987 akzeptierte und dessen Inanspruchnahme auf dem bisherigen Girokonto gebucht wurde. Als Sicherheit räumte der Kl. der Bekl. an seinem Grundbesitz eine Buchgrundschuld in Höhe von 300000 DM ein und unterwarf sich in der Bestellungsurkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung; außerdem verpfändete er die vorhandenen und die anzuschaffenden Wertpapiere. Bei bis über 13 % steigenden Kreditzinsen führten nach und nach insbesondere im Jahre 1987 eintretende Kursverluste zu einer Unterdeckung des Kredits, so daß Wertpapierverkäufe notwendig wurden. Das Depot wurde schließlich 1991 ganz aufgelöst und der Erlös dem Kontokorrentkonto gutgebracht. Da der Kl. für den noch offenen Darlehensrest keine weiteren Sicherheiten beibrachte, kündigte die Bekl. das Darlehen bei einem Sollstand von 626644,77 DM. Der Kl. ist der Auffassung, die Bekl. hafte aus einer ihm durch den Anlageberater gemachten Garantiezusage, daß er bei den Wertpapiergeschäften keine Verluste erleiden würde; im übrigen habe sie auch ihre Pflichten aus dem Depotbetreuungsvertrag bzw. dem Beratungsvertrag verletzt. Daraus sich ergebende Schadensersatzansprüche stellt er der Forderung entgegen.


Das LG hat die Klage abgewiesen. Das BerGer. hat die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt, soweit sie den Betrag von 208881,59 DM nebst Zinsen übersteigt. Hiergegen richtete sich die Revision der Bekl. ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

1. Das BerGer. hat den Nachweis für den Abschluß eines Garantievertrags, aufgrund dessen die Bekl. dem Kl. für Verluste aus Wertpapiergeschäften einzustehen habe, als nicht geführt angesehen, aber angenommen, daß die Bekl. wegen Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten ersatzpflichtig sei:

Die Initiative bei den Wertpapiergeschäften auf Kredit sei von dem Zeugen L ausgegangen, „der dem Kl. zu einem größeren Engagement geraten habe, wenn dieser richtig Geld verdienen“ wolle, und der die Risiken eines kreditfinanzierten Aktienerwerbs als nur theoretisch heruntergespielt habe, statt darüber realistisch aufzuklären. Der Kl. habe wegen Verletzung dieser Aufklärungspflicht einen aufgerechneten Ersatzanspruch, der unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens auf zwei Drittel des unstreitigen Gesamtschadens von 626644,77 DM zu bemessen sei.

2. Das hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung stand. Das BerGer. geht zutreffend davon aus, daß die Bekl. nach den konkreten Umständen des Falls den Kl. pflichtwidrig zu Wertpapiergeschäften auf Kredit geraten hat. Grundsätzlich ist eine kreditgewährende Bank nicht verpflichtet, ihren Kunden über die Risiken der Verwendung des Kredits aufzuklären. Das gilt auch dann, wenn der Kunde den Kredit zur Wertpapierspekulation nutzen will (vgl. BGHZ 114, 177 (182f.). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn im Einzelfall ein besonderes Aufklärungs- und Schutzbedürfnis des Darlehensnehmers besteht und nach Treu und Glauben ein Hinweis der Bank geboten ist, z.B. weil diese selbst einen zusätzlichen Gefährdungstatbestand gesetzt hat oder über einen relevanten Wissensvorsprung verfügt (vgl. BGH, WM 1987, 1546; Senat, LM § 276 (Cc) BGB Nr. 26 = WM 1990, 920 (922), jew. m.w.Nachw.).

Hier hat der Anlageberater der Bekl. den Kl., dem es darum ging, seine Ersparnisse in Höhe von 80000 DM in Standardwerten anzulegen, zu einer Spekulation auf Kredit verleitet, bei der die Leistungsfähigkeit des Kl. übersteigende Verluste absehbar waren und Gewinne nur unter besonders günstigen, aber unwahrscheinlichen Umständen anfallen konnten. Der Zeuge L hat eingeräumt, daß die Initiative zu den Aktiengeschäften überwiegend von ihm ausgegangen sei und daß er dem Kl. erklärt habe, daß man - wenn man „richtig gut Geld verdienen“ wolle - nicht nur mit 80000 DM, sondern „höher“ einsteigen müsse. Diesem vom Anlageberater vorgegebenen Ziel entsprechend gewährte die Bekl. Kredit, zunächst in Form genehmigter Kontoüberziehung, dann aufgrund Kreditvertrags vom 12. 6./8. 7. 1987. Dabei sollte nach der vertraglichen Zweckbestimmung der Kredit nur „zum Kauf von festverzinslichen Wertpapieren und deutschen Standardwerten" verwendet werden. Um die - variablen - Kreditzinsen des Millionenkredits finanzieren zu können, war es erforderlich, eine Rendite zu erzielen, die die Kreditzinsen und die anfallenden Spesen abdeckte. Die Spekulation konnte also nur bei steigenden Kursen und stabilen oder fallenden Kreditzinsen erfolgreich sein; bei steigenden Kreditzinsen und stagnierenden oder fallenden Kursen drohten erhebliche Verluste wegen des aufgrund Unterdeckung durchgeführten Notverkaufs des verpfändeten Depots. Diese Gefahr war im vorliegenden Fall besonders groß, weil einerseits der variabel zu verzinsende Kredit in einer Phase niedrigen Zinses gewährt wurde und mittelfristig eine Zinssteigerung - wie sie denn auch mit einem Ansteigen auf über 13 % zu beobachten war - in Rechnung gestellt werden mußte, und andererseits die Rendite im wesentlichen durch Aktiengeschäfte erzielt werden sollte, die schon in der Phase niedriger Zinsen und leicht steigender Aktienkurse einen solchen Gewinn kaum abwarfen, wie der Vergleich von Schuldenstand und Depotbestand per 31. 12. 1986 ausgewiesen hatte. Die Bekl. hat über ihren Anlageberater den Kl. als Inhaber eines mit Eigenmitteln aufgebauten Depots verleitet, einen seine wirtschaftlichen Verhältnisse weit übersteigenden Kredit aufzunehmen, um die jeweils von ihrem Anlageberater vorgeschlagenen Spekulationsgeschäfte zu finanzieren. Während diese Anlagegestaltung für sie laufende Einnahmen durch Kreditzinsen und Effektenprovisionen entstehen ließ, war für den Kl. das Scheitern der Anlage durch deren Art bei steigenden Kreditzinsen oder sinkenden Aktienkursen so gut wie sicher.

Die Bekl. hätte unter diesen Umständen dem - nach den Feststellungen des BerGer. in Aktiengeschäften unerfahrenen - Kl. nicht zur Aktienspekulation auf Kredit raten dürfen. Durch Verletzung der Pflicht aus dem konkludent abgeschlossenen Beratungsvertrag (vgl. dazu BGHZ 123, 126 (128)) hat die Bekl. sich nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung schadensersatzpflichtig gemacht. Der durch die Pflichtverletzung entstandene Schaden ist in Höhe von 626644,77 DM unstreitig; dabei ist der Einsatz der verlorenen Eigenmittel zutreffend nicht berücksichtigt worden. Durch die den Ersatzanspruch ermäßigende Annahme eines kl. Mitverschuldens im angefochtenen Urteil ist die Bekl. nicht beschwert.

Auch die von der Revision erhobenen Einwendungen gegen den Beginn der Zinszahlungspflicht greifen nicht durch: Entgegen ihrer Auffassung ist das BerGer. richtig davon ausgegangen, daß es an Darlegungen der Bekl. für einen bereits vor Klageerhebung eingetretenen Verzug fehlt.

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht