Keine Billigkeitskontrolle bei vereinbarten Stromanschlußkosten

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

10. 05. 1990


Aktenzeichen

VII ZR 209/89 (Hamburg)


Leitsatz des Gerichts

Hat ein Abnehmer den Preis des Anschlusses für sein Haus an das Elektrizitätsnetz individuell mit dem Stromversorgungsunternehmen vereinbart, so kommt eine gerichtliche Billigkeitskontrolle entsprechend § 315 III BGB regelmäßig nicht in Betracht.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Kl. verlangt vom Bekl. restlichen Werklohn für den Anschluß seines Wohnhauses an das städtische Stromnetz. Sie hat in H. das Monopol für die Versorgung mit Elektrizität. Der Bekl. hat sich mit der Kl. über den Umfang der von ihm selber zu verrichtenden Grabungsarbeiten mit entsprechendem Preisabzug von 20 DM/m sowie den Umfang der von der Kl. zu erbringenden Leistungen verständigt, hat sich mit der Aufstellung der zu erwartenden Kosten einverstanden erklärt und den Auftrag erteilt. Die den Abmachungen entsprechende Rechnung von 5735,34 DM hat er jedoch nicht bezahlt, sondern im Klageverfahren die grobe Unbilligkeit der Rechnung geltend gemacht.

Das LG hat die Klage, abgesehen von einem im Prozeß anerkannten Teilbetrag von 2500 DM, abgewiesen. Das OLG hat den Bekl. verurteilt, auch den Restbetrag von 3235,34 DM und Zinsen zu bezahlen. Die zugelassene Revision des Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. geht davon aus, daß pauschalierte, von einem Monopolunternehmen der Energieversorgung festgesetzte Preise im Einzelfall durch die Zivilgerichte gem. § 315 III BGB auf ihre Billigkeit überprüft werden können. Das stimmt mit der gefestigten Rechtsprechung des BGH überein (vgl. BGHZ 73, 114 (116) = NJW 1979, 597 = LM § 315 BGB Nr. 21; Senat, NJW 1987, 1828 (1829) = BGHR § 315 III BGB - Daseinsvorsorge Nr. 1 jeweils m. w. Nachw.).

II. Das BerGer. ist zu der Überzeugung gelangt, das von der Kl. verlangte Entgelt sei hier gleichwohl nicht auf seine Billigkeit zu überprüfen.

Die Kl. habe in ihrem Vertrag mit dem Bekl. keine Pauschalpreisliste angewandt und den Preis auch nicht durch einseitige Leistungsbestimmung festgesetzt. Vielmehr habe sie ein Entgelt individuell mit dem Bekl. vereinbart. Beide Parteien seien dazu befugt gewesen. Daß die Kl. sich dabei tatsächlich an ihre behördlich genehmigte Preisliste gehalten habe, sei unerheblich. Nachdem sie erfüllt habe, müsse der Bekl. seinerseits gem. § 631 I BGB bezahlen. Wenn er den Preis bei Vertragsschluß für übersetzt gehalten hätte, dann hätte er gleich Widerspruch erheben müssen, selbst wenn die Kl. ihm wahrscheinlich kein Gehör geschenkt hätte. Die von der Rechtsprechung eröffnete Möglichkeit einer Billigkeitskontrolle solle Bürger vor Preisdiktaten von Monopolunternehmen schützen. Sie solle dagegen nicht einer späteren Vertragsuntreue zum Erfolg verhelfen. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Entgegen der Ansicht der Revision ist die Kl. nicht ausnahmslos gehindert, mit Abnehmern Individualvereinbarungen über Preise zu treffen. Das gilt auch für Abnehmer, die nach den Allgemeinen Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung bedient werden (Tarifkunden). Richtig ist lediglich, daß der Raum für solche Vereinbarungen stark eingeschränkt ist. Die Elektrizitätsversorgung durch die Kl. findet im Rahmen einer allgemeinen Anschluß- und Versorgungspflicht sowie eines Anschluß- und Benutzungszwanges statt (§§ 6 I, 7 II EnWG; § 3 I Abs. 1 Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21. 6. 1979, BGBl I, S. 684 - AVBEltV). Die Gestaltung der zwischen den Parteien streitigen Preise für einzelne Leistungen ist teilweise verordnungsrechtlich vorgegeben (BundestarifO Elektrizität v. 26. 11. 1971, BGBl I, 1856, zuletzt geändert durch VO v. 30. 1. 1980, BGBl I, 122). Im übrigen ergeben sich die Preise grundsätzlich aus den von der zuständigen Behörde genehmigten „Ergänzenden Bestimmungen (der Kl.) zur AVBEltV“ und der Preisliste „für sonstige Leistungen". Wie weit trotzdem individuelle Preisvereinbarungen mit Abnehmern rechtlich möglich sind, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Für die Revision sind mehrere Gesichtspunkte entscheidend:

a) Es ist ohne weiteres zulässig, in den Preisregelungen nicht enthaltene Einzelheiten individualvertraglich festzulegen und dadurch in dem vorgegebenen Rahmen ergänzende Bestimmungen zu treffen.

b) Wegen Besonderheiten eines Falles kann sich die Notwendigkeit ergeben, andere Preise anzusetzen, als allgemein vorgesehen, also das Preisgefüge abzuändern. Das folgt bereits aus der Zulässigkeit der gerichtlichen Billigkeitskontrolle monopolistisch festgesetzter Preise. Diese Kontrolle kann allgemein den Listenpreis betreffen, kann sich aber auch auf seine Anwendung in einem Einzelfall beschränken. Hier muß die Möglichkeit gegeben sein, von vornherein einen auch im Sonderfall angemessenen Preis zu vereinbaren. Ein Versorgungsunternehmen kann vernünftigerweise nicht verpflichtet sein, zunächst einen unbilligen Preis zu verlangen, der erst in einem gerichtlichen Verfahren auf das gebotene Maß zurückgeführt werden könnte.

Das Senatsurteil vom 16. 3. 1978 (LM § 6 EnergiewirtschaftsG Nr. 9 = WM 1978, 730) steht dem nicht entgegen. Dort wird lediglich betont, daß es den Energieversorgungsunternehmen verwehrt ist, freie Vereinbarungen unabhängig von den Allgemeinen Versorgungsbedingungen zu treffen. Preisvereinbarungen in einem Fall, dem die allgemeinen Preisvorgaben nicht gerecht werden, können dagegen durchaus geboten sein.

2. Das BerGer. ist hier aufgrund der getroffenen Feststellungen ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, daß die Parteien sich über den Preis der von der Kl. verrichteten Arbeiten individuell geeinigt haben.

a) Zunächst sind die Parteien über den Umfang der Arbeiten der Kl. einig geworden. Auf Wunsch des Bekl. sind aus dem umfassenden Angebot „Herstellen des Hausanschlusses“ die Eigenleistungen des Bekl. herausgenommen worden. Er hat den 61 m langen Graben, in welchem das Kabel von der Straße bis zum Haus verlegt worden ist, selber ausgehoben. Ferner haben sich die Kl. und der Bekl. darüber verständigt, daß die Eigenleistungen mit 20 DM je laufenden Meter angesetzt und von dem im Angebot der Kl. genannten Pauschalpreis für den Hausanschluß abgezogen werden sollten. Dieser Teilpreis läßt sich der Preisliste der Kl. für sonstige Leistungen nicht entnehmen. Er ist von der Kl. vorgeschlagen und vom Bekl. akzeptiert worden. Der Bekl. hat ihn übrigens auch im anschließenden Gerichtsverfahren nicht in Frage gestellt.

b) Mit der Veränderung der Gesamtleistung der Kl. sowie der Bewertung der vom Bekl. erbrachten Eigenleistung haben die Parteien zugleich den Pauschalpreis verändert, den die Kl. anfänglich angesetzt hatte. Sie haben zum einen den Gesamtpreis von 6251 DM um 1220 DM, also in nicht unerheblichem Umfang herabgesetzt. Zum anderen haben sie die Pauschale für die von der Kl. schließlich erbrachten Leistungen neu festgesetzt. Auch das ist individuell für den Vertrag mit dem Bekl. geschehen. Insoweit ergeben sich aus der Preisliste der Kl. ebenfalls keine Bestimmungen, weil dort keine Teilleistungen ausgewiesen sind. Die Kl. hat ihre Preisvorstellung genau beziffert. Der Bekl. hat seine Annahme ausdrücklich erklärt.

c) Die Preisvereinbarung der Parteien verliert ihren individuellen Charakter nicht dadurch, daß die Kl. ihre Vorschläge teilweise aus ihrer Preisliste für sonstige Leistungen, die Bestandteil ihrer ergänzenden Bestimmungen ist, hergeleitet hat. Sie hat den Wert der Eigenleistungen des Bekl. von dem ursprünglich vorgeschlagenen, mit der Preisliste übereinstimmenden Pauschalpreis für die Gesamtleistung „Hausanschluß" abgezogen. Dabei ist für den Hausanschluß des Bekl. ein Preis gebildet worden, der sich der Preisliste nicht ohne zusätzliche Entscheidungen entnehmen läßt und die ausdrückliche Zustimmung des Bekl. gefunden hat. Von einer einseitigen Festlegung des Gesamtpreises durch die Kl. kann unter solchen Umständen nicht gesprochen werden.

3. Zu Recht hat das BerGer. entschieden, daß die von den Parteien getroffene individuelle Preisvereinbarung es ausschließt, nachträglich die Billigkeit des Preises gem. § 315 III BGB gerichtlich zu überprüfen.

a) Die von der Rechtsprechung entwickelte Billigkeitskontrolle setzt grundsätzlich voraus, daß Preise einseitig festgesetzt worden sind. Ihr Ziel ist nicht, von Amts wegen einen gerechten Preis zu ermitteln. Es geht dabei um die Prüfung, ob eine einseitige Bestimmung sich in den Grenzen hält, die durch § 315 III BGB gezogen sind (vgl. BGH, LM § 315 BGB Nr. 12 = WM 1971, 1456 (1457); LM LuftVZO Nr. 5/6 = WM 1978, 1097 (1099) m. w. Nachw.). Haben dagegen Vertragsparteien in einem Individualvertrag Einvernehmen über einen Preis erzielt, ist die Rechtfertigung entfallen, § 315 BGB als Grundlage einer gerichtlichen Korrektur heranzuziehen.

b) Entgegen der Ansicht der Revision verliert dadurch der Bekl. nicht jeden wirksamen Rechtsschutz. Hat ein Abnehmer Bedenken wegen des Preises, braucht er insoweit nur von einer Einigung abzusehen. Dann ergibt sich von selber die Situation einseitiger Preisbestimmung durch das Unternehmen mit der Folge, daß eine gerichtliche Billigkeitskontrolle herbeigeführt werden kann. Die Anforderungen an den Abnehmer sind entsprechend dem Schutzzweck der Billigkeitskontrolle denkbar gering. Bei eindeutiger Sachlage braucht er einer einseitigen Preisvorgabe nicht einmal zu widersprechen. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist der fehlende Widerspruch gegen die Preisvorstellungen des Versorgungsunternehmens ohne Belang, wenn das Unternehmen in seinem Angebot darauf hingewiesen hat, daß entsprechend den Allgemeinen Versorgungsbedingungen die dort ausgewiesenen Baukostenzuschüsse und Hausanschlußkosten pauschal erhoben würden, und wenn diese Kosten auch ohne Veränderung und ohne jeden Anhaltspunkt für ein Einverständnis des dort Bekl. in Rechnung gestellt werden (Senat, NJW 1987, 1828 (1829) = BGHR § 315 III BGB - Daseinsvorsorge Nr. 1). Hat demgegenüber ein Abnehmer keine Bedenken wegen des Preises und bringt er dies auch zum Ausdruck, wie es der Bekl. getan hat, so besteht kein Bedarf für eine gerichtliche Billigkeitskontrolle. Spätere Einwendungen im Prozess zielen dann nicht mehr auf einen Kundenschutz ab, sondern stellen sich lediglich als Versuch dar, von einer rechtsgeschäftlich verbindlichen Willenserklärung abzurücken.

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht

Normen

BGB § 315 III