Mangelbegriff bei Fahrzeug der Spitzenklasse

Gericht

OLG Düsseldorf


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

23. 02. 1996


Aktenzeichen

22 U 202/95


Leitsatz des Gerichts

  1. Entscheidend für den nach den Neufahrzeug-Verkaufsbedingungen vertraglich vereinbarten Maßstab des Standes der Technik ist nicht der Standard der Serie, aus der das beanstandete Fahrzeug stammt, sondern der Entwicklungsstand aller nach allgemeiner Zweckbestimmung und Fahrzeugklasse vergleichbaren Kfz.

  2. Eine nur in einem bestimmten Betriebszustand, der sich im normalen Fahrbetrieb nicht sehr oft einstellt, kurzfristig auftretende Veränderung des Verbrennungsgeräusches des Motors, die zudem einem unbefangenen Fahrzeuginsassen nicht störend auffällt und von diesem überhaupt erst bemerkt wird, wenn er durch Beschreibungen und Hinweise dafür sensibilisiert worden ist, stellt auch bei einem Fahrzeug der Spitzenklasse keine nachteilige Abweichung vom vertraglich geschuldeten Stand der Technik dar.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Kl. kaufte im Frühjahr 1993 von der Bekl. einen Pkw des Typs Mercedes 300 SD zum Preise von 97132,68 DM. Sie behauptet, beim Betrieb des Fahrzeuges trete im Drehzahlbereich zwischen 2800 und 3500 UpM regelmäßig ein untypisches schabendes bzw. kratzendes Motorgeräusch auf, das derart gravierend sei, daß es selbst außenstehenden Dritten auffalle, und begehrt im Wege der Wandlung des Kaufvertrages die Rückzahlung des Kaufpreises einschließlich Vertragskosten und Aufwendungen auf das Fahrzeug, sowie abzüglich von Gebrauchsvorteilen.

Das LG hat der Klage im wesentlichen stattgegeben, das BerGer. hat sie abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Ein Mangel des Fahrzeuges, der die Kl. gem. §§ 459, 462 BGB zur Wandlung des Kaufvertrages berechtigen würde, läßt sich nicht feststellen. Insbesondere kann in dem von der Kl. beanstandeten, beim Betrieb des Fahrzeuges auftretenden Geräusch ein Fehler, der den Wert des verkauften Kraftfahrzeuges oder seine Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen Gebrauch aufhebt oder mehr als nur unerheblich mindert (§ 459 I BGB), nicht erblickt werden.

I. Daß bei dem Betrieb des verkauften Fahrzeugs ein vom sonstigen Klangbild des Motors abweichendes Geräusch auftritt, wenn unter Vollast das Gaspedal ein wenig zurückgenommen wird, ist durch die Feststellungen des Sachverständigen H sowie durch die Aussagen der Zeugen erwiesen. Es wird von der Bekl. auch nicht in Zweifel gezogen.

1. Entgegen der Auffassung des LG liegt in dieser Besonderheit jedoch kein Mangel des Fahrzeugs i.S. des § 459 I BGB. Das nur in bestimmten Betriebszuständen des Fahrzeugs auftretende Geräusch stellt keine wesentliche Abweichung von der vertraglich geschuldeten, dem Stand der Technik entsprechenden Fehlerfreiheit des verkauften Fahrzeugs dar (vgl. Abschn. VII Ziff. 1 der Neufahrzeug-Verkaufsbedingungen).

Zutreffend geht das LG allerdings davon aus, daß es danach nicht darauf ankommt, ob sich die Geräuschentwicklung des Fahrzeugs der Kl. bezogen auf die Serie des betreffenden Fahrzeugtyps innerhalb des Streubereichs bewegt. Entscheidend für den vertraglich vereinbarten Maßstab des Standes der Technik ist nicht der Standard der Serie, aus der das beanstandete Fahrzeug stammt, sondern der Entwicklungsstand aller nach allgemeiner Zweckbestimmung und Fahrzeugklasse vergleichbaren Kfz (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 5. Aufl., Rdnrn. 425ff.; OLG Köln, NJW-RR 1991, 1340 (1341); sowie ähnlich bereits Senat, OLGR 1995, 143 L). Das galt nach in der Rechtsprechung wohl überwiegender Ansicht auch schon für die bis Ende Juni 1991 geltende Fassung der Neufahrzeug-Verkaufsbedingungen ("... dem jeweiligen Stand der Technik des Typs des Kaufgegenstandes entsprechende Fehlerfreiheit"), so daß es nicht darauf ankommt, welche Fassung der AGB der Bekl. in den Kaufvertrag mit der Kl. einbezogen worden sind.

Ein Fehler des der Kl. verkauften Fahrzeuges kann deshalb nicht schon verneint werden, weil - wie die Bekl. geltend macht - sein Geräuschverhalten im serienbedingten Streubereich liegt, das beanstandete Geräusch also den Rahmen der durch die Bauart bedingten und allen Fahrzeugen dieses Typs anhaftenden Geräuschentwicklung nicht übersteigt.

Andererseits stellt der Umstand, daß in einem bestimmten Betriebszustand des Fahrzeugs ein Motorgeräusch auftritt, das bei vergleichbaren Fahrzeugen anderer Hersteller in derselben Situation nicht zu beobachten ist, für sich allein noch keine nachteilige Abweichung vom vertraglich geschuldeten "Stand der Technik" dar.

Etwas anderes muß allerdings dann gelten, wenn das auftretende Geräusch aufgrund seiner Lautstärke oder seiner Frequenz in einem nicht mehr hinzunehmenden Maße störend wirkt. Wann dies der Fall ist, kann nicht nach einem für alle Kfz einheitlichen Maßstab beurteilt werden. Es liegt auf der Hand, daß die Anforderungen an den technischen Standard bei einem teuren Modell der Spitzenklasse, wie dem hier in Rede stehenden, wesentlich höher sind als bei Fahrzeugen der Mittelklasse oder gar bei einem Kleinwagen (Reinking/Eggert, Rdnr. 428). Das gilt ganz besonders für die Wahrnehmbarkeit von Motor- und Fahrgeräuschen im Fahrzeuginneren. Der Fahrzeugtyp "Mercedes 300 SD" zählt sogar - wie der Sachverständige unter Ziffer 4.3 seines schriftlichen Gutachtens vom 10. 11. 1994 mit dem Hinweis auf eine von der Zeitschrift "auto motor und sport" durchgeführte vergleichende Untersuchung betont hat - zu den besonders geräuscharmen Kfz. ("... besser als bei jedem anderen Diesel der Welt"). Die Schwelle, bis zu der beim Betrieb des Fahrzeuges entstehende Geräusche im Fahrzeuginneren hinzunehmen sind, ist deshalb im vorliegenden Fall verhältnismäßig niedrig anzusetzen. Gleichwohl läßt sich nicht feststellen, daß das der Kl. verkaufte Exemplar hinsichtlich der Geräuschentwicklung im Fahrbetrieb von dem für diese Serie geltenden hohen Standard wesentlich abweicht.

Das beanstandete Geräusch tritt zum einen nicht ständig während der Fahrt auf, sondern nur in einem ganz bestimmten Betriebszustand, der sich im normalen Fahrbetrieb nicht sehr oft einstellt: Der Fahrzeugführer muß bei Vollastbetrieb, wie z.B. an einer starken Steigung der Fahrbahn, das Gas etwas zurücknehmen.

Zum anderen ist es so wenig auffällig, daß es von einem nicht dafür sensibilisierten Fahrzeuginsassen kaum wahrgenommen wird: Der Sachverständige hat bei den im Rahmen seiner Begutachtung durchgeführten Probefahrten zunächst überhaupt kein ungewöhnliches und auffälliges Geräusch bemerkt und zwar auch dann nicht, als der Zeuge Wi das Fahrzeug geführt und Betriebszustände herbeigeführt hat, in denen nach seiner Erfahrung das Geräusch auftrat. Erst bei anschließenden weiteren Probefahrten, in deren Verlauf er als Fahrzeugführer der Beschreibung des Zeugen Wi entsprechende Betriebszustände herbeigeführt hatte, hat der Sachverständige seinen Ausführungen zufolge eine leichte Veränderung des Klangbildes zwischen "Vollast" und "Fastvollast" bemerkt, die er weder als ungewöhnlich laut noch aufgrund eines besonderen Frequenzspektrums als störend, insbesondere nicht als Kratz- oder Schabegeräusch empfunden hat. Zwar haben die Zeugen Wa, G und P ebenfalls bestätigt, daß sie das von dem Zeugen Wi beschriebene Geräusch an dem Fahrzeug der Kl. gehört haben. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß es sich bei allen genannten Zeugen um Kfz-Meister handelt, die zuvor durch die Beschreibungen und Hinweise des Zeugen Wi - in ähnlicher Weise wie dieser selbst - für das Geräusch sensibilisiert worden waren, und daß sie - anders als der Sachverständige zu Beginn der Probefahrten - eben nicht unbefangen sondern mit gezielter Aufmerksamkeit auf mögliche Veränderungen des Verbrennungsgeräusches des Motors geachtet haben. Aus diesem Grunde ist auch dem Umstand keine besondere Bedeutung beizumessen, daß der Zeuge G - wie er bei seiner Vernehmung eingeräumt hat - dem Ehemann der Kl., der ihm bei einer Probefahrt das Geräusch vorgeführt hatte, zunächst erklärt hat, auch er wäre damit nicht zufrieden. Dies um so weniger, als der Zeuge in seiner weiteren Aussage klargestellt hat, auch er habe das ihm vorgeführte und danach auch von ihm selbst herbeigeführte Geräusch nicht als so störend empfunden, daß man mit ihm "nicht leben könnte"; er habe sich bei der genannten Äußerung in dem Bemühen, einem Kunden zu helfen, von der - später als falsch erkannten - Vorstellung leiten lassen, das beanstandete Geräusch werde sich durch einen leichten Eingriff beheben lassen ...

Eine nur gelegentlich unter ganz bestimmten Umständen kurzzeitig auftretende Veränderung des Motorgeräuschs ("leichte Veränderung des Klangbildes zwischen Vollast und Fastvollast"), die zudem einem unbefangenen Fahrzeuginsassen nicht störend auffällt und von diesem überhaupt erst bemerkt wird, wenn er durch Beschreibungen und Hinweise dafür sensibilisiert worden ist, stellt auch bei einem Fahrzeug der Spitzenklasse keine nachteilige Abweichung vom vertraglich geschuldeten Stand der Technik dar und ist deshalb auch nicht als Mangel i.S. des § 459 I BGB anzusehen. Abzustellen ist insoweit nicht auf die Wahrnehmungen und Empfindungen eines zudem fachlich geschulten Beobachters, der in bestimmten Betriebszuständen gezielt auf das Geräusch eines Motors achtet, nachdem er über dessen Eigenart und die Umstände seines Auftretens unterrichtet worden ist, sondern auf die Wahrnehmungen und Empfindungen eines durchschnittlichen, nicht besonders für das Geräusch sensibilisierten Fahrzeugführers oder - insassen.

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht

Normen

§ 459 I BGB