Berufsunfähigkeitsrente schließt Krankentagegeld aus

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

25. 01. 1989


Aktenzeichen

IV a ZR 178/87


Leitsatz des Gerichts

Nicht nur eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern auch eine Berufsunfähigkeitsrente aus einer privaten Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung schließt ein Krankentagegeld nach Buchst. A Ziff. 2 Satz 3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung nach dem Tarif V aus.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der bei der D-AG als Flugzeugführer angestellte Kl. hat bei der Bekl. eine ab 1. 1. 1973 laufende Versicherung über Krankentagegeld abgeschlossen. Der Versicherung liegen zugrunde die „Musterbedingungen 1978 des Verbandes der privaten Krankenversicherung" (MB/KT 78) und die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung nach dem Tarif V“ (Tarif V). Außerdem hat der Kl. bei der G eine ab 1. 10. 1982 laufende Lebensversicherung abgeschlossen, in die eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung eingeschlossen ist, nach welcher der Kl. bei einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % keine Prämien mehr für beide Versicherungen zu zahlen braucht und bis zum 1. 10. 2004 eine Berufsunfähigkeitsrente erhält. Für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung sind vereinbart die „Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung“ sowie Ziffer 3 einer Zusatzvereinbarung. ... Im Dezember 1983 stürzte der Kl. zu Hause und erlitt dabei Kopfverletzungen, die zu Funktionsstörungen des Gehirns führten. Daraufhin wurde er ab 27. 12. 1983 als Pilot fluguntauglich und arbeitsunfähig. Im Berufungsrechtszug hat sich herausgestellt: Die letzte ärztliche Untersuchung im Frühjahr 1987 deutet auf eine endgültige Fluguntauglichkeit des Kl. hin. Sein Arbeitsverhältnis zur D-AG besteht noch, ohne daß der Kl. für diese irgendeine Tätigkeit ausübt oder von ihr ein Gehalt erhält. Die Bekl. zahlte dem Kl. wegen seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der vereinbarten Karenzzeiten ein Krankentagegeld von täglich insgesamt 220 DM. Die G zahlt ihm ab 1. 7. 1985 eine Berufsunfähigkeitsrente von täglich 147,56 DM. Am 1. 10. 1985 stellte die Bekl. unter Hinweis auf § 15a MB/KT 78 und Buchstabe A Ziffer 2 S. 3 Tarif V die Zahlung des Krankentagegeldes ein, weil der Kl. mit dem Bezug der Berufsunfähigkeitsrente seine Versicherungsfähigkeit für das Krankentagegeld verloren habe. Diese Bedingungen lauten in Buchstabe A Ziffer 2 Tarif V: „Versicherungsfähig sind für die Zeit ihrer Erwerbstätigkeit alle im Tätigkeitsgebiet des Versicherers wohnenden selbständig Erwerbstätigen und Arbeitnehmer im Alter von 16 bis 65 Jahren. Eine Weiterversicherung von Personen über 65 Jahre kann zu besonderen Bedingungen vereinbart werden. Nicht versicherungsfähig ist, wer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld bezieht." Der Kl. begehrt von der Bekl. die Weiterzahlung des Krankentagegeldes über den 30. 9. 1985 hinaus und verlangt mit seiner Klage 10000 DM als Teilbetrag für die Zeit vom 1. 10. 1985 bis zum 31. 1. 1986.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben (s. OLG Frankfurt, VersR 1987, 928). Die zugelassene Revision des Kl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Das Berufungsurteil (zustimmend Martin, in: Prölss-Martin, VVG, 24. Aufl., § 15 MB/KT Anm. 2) hält den Angriffen der Revision stand.

Das BerGer. hat ausgeführt, als Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld im Sinne der Tarifbedingung Buchst. A Ziff. 2 S. 3 Tarif V sei nicht nur eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung anzusehen, sondern auch eine Berufsunfähigkeitsrente aus einer privaten Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, wie sie der Kl. von der G erhält. Die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe sind unbegründet.

1. Die Revision meint, unter einer „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ i. S. von Buchst. A Ziffer 2 S. 3 des Tarif V sei ausschließlich eine Rente nach § 1246 RVO und § 23 AVG zu verstehen, nicht aber eine Rente aus einer privaten Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Dem kann nicht gefolgt werden.

a) Entgegen der Ansicht der Revision läßt sich eine solche Einschränkung des Begriffs „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ nicht aus dem Wortlaut der genannten Bestimmung entnehmen. Wie die Revision selbst einräumt, gibt es keinen allgemeinen Begriff der Berufsunfähigkeit. Dieser Begriff wird daher in § 15 lit. b MB/KT eigenständig und teilweise abweichend von § 1246 II RVO und § 23 II AVG definiert. Auch im Rahmen der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung gibt es nach der Erfahrung des Senats unterschiedliche Definitionen des Begriffs der Berufsunfähigkeit. Der Wortlaut von Buchst. A Ziffer 2 S. 3 des Tarifs V bietet daher keinen Anhalt für die Annahme der Revision, daß unter einer „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ ausschließlich eine Rente nach § 1246 RVO oder § 23 AVG zu verstehen sei.

b) Auch Inhalt, Sinn und Zweck des § 15 MB/KT und der genannten Tarifbedingung sprechen gegen die von der Revision begehrte einschränkende Auslegung. Nach ihnen verspricht die Bekl. unter anderem Krankentagegeld nur für den Fall, daß die Erwerbsfähigkeit der versicherten Person vorübergehend beeinträchtigt ist. Im Gegensatz dazu ist nicht nur vorübergehend in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt, wer berufsunfähig geworden ist. Der Bezieher einer Berufsunfähigkeitsrente, mag sie von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung oder einem Privatversicherer gewährt werden, hat jedenfalls nachgewiesen, daß er dauernd oder zumindest auf nicht absehbare Zeit in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist. Das nimmt der Versicherer berechtigterweise zum Anknüpfungspunkt für den Beendigungsgrund des § 15 lit. a MB/KT. Dieser Grundsatz der Spezialität zwischen Krankentagegeld- und Berufsunfähigkeits-Versicherung ist auch im Sozialversicherungsrecht durchgeführt. Denn nach § 183 III RVO endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird. Dem BerGer. ist daher darin zu folgen, daß unter einer Rente wegen Berufsunfähigkeit im Sinne von Buchst. A Ziffer 2 S. 3 Tarif V auch eine Rente aus einer privaten Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu verstehen ist, zumal die Bedingung nicht darauf abstellt, ob die Rente von einem Sozialversicherungsträger gewährt wird, und daher davon auszugehen ist, daß zwischen öffentlichrechtlichen und privaten Renten nicht unterschieden werden soll.

2. Unbegründet ist auch die Ansicht der Revision, auf die Gewährung einer Rente aus der privaten Berufsunfähigkeits-Versicherung könne es nicht ankommen, weil dabei verfahrensmäßig die Feststellung einer tatsächlichen Berufsunfähigkeit nicht sichergestellt sei, wie dies im sozialversicherungsrechtlichen Bereich der Fall sei. In der Privatversicherung werden die Voraussetzungen für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente in den AVB normiert. Das Vorliegen der Voraussetzungen wird im Streitfall von den ordentlichen Gerichten ebenso überprüft, wie das im sozialgerichtlichen Verfahren der Fall ist. Die Berufsunfähigkeitsrente wird auch von dem privaten Versicherer dem Versicherungsnehmer nicht aufgedrängt. Sie setzt stets einen Antrag des Versicherungsnehmers voraus (vgl. hier § 4 I der AVB der G für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung).

3. Der Revision kann auch nicht zugegeben werden, daß die Berücksichtigung von Renten aus privater Berufsunfähigkeits-Versicherung für den Kreis der Versicherten zu einer verschiedenen vertraglichen Umschreibung des versicherten Risikos führe. Der oben unter 1 b erörterte Zweck der Tarifbedingung und des § 15a MB/KT trägt der Tatsache Rechnung, daß der Bezieher einer Berufsunfähigkeitsrente typischerweise keinen Arbeitsverdienst mehr hat, dessen Verlust durch das Krankentagegeld ausgeglichen werden könnte. Daher kann es auch nicht darauf ankommen, in welcher Höhe der Versicherungsnehmer gegenüber dem Berufsunfähigkeitsrisiko abgesichert ist. Auch der Bezug einer sozialversicherungsrechtlichen Berufsunfähigkeitsrente, die auch nach Ansicht der Revision Leistungen aus der Krankentagegeld-Versicherung ausschließt und deren Höhe von den jeweiligen individuellen Verhältnissen abhängt, bietet keine Gewähr dafür, daß der Versicherungsnehmer sein früheres Nettoeinkommen erreicht. Daher kann es entgegen der Ansicht der Revision auch nicht darauf ankommen, ob der Kl. für seine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung eine erhöhte Prämie bezahlt hat.

4. Der Revision kann auch nicht darin gefolgt werden, daß das BerGer. den Leistungsausschluß mit dem hier nicht einschlägigen Bereicherungsverbot des § 55 VVG begründet habe. Es hat vielmehr zutreffend erkannt, daß wegen der Spezialität der Berufsunfähigkeits- und der Krankentagegeldversicherung Leistungen aus beiden Versicherungen zwar nacheinander, jedoch nicht gleichzeitig zu gewähren sind, wie das auch im Bereich der Sozialversicherung der Fall ist.

5. Daraus folgt auch, daß die in den AVB der Bekl. getroffene Regelung für den Versicherungsnehmer nicht überraschend ist. Sie kann auch nicht als unklar angesehen werden. Die von der Revision vertretene Auffassung, daß unter „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ nur die von einem Sozialversicherungsträger gewährte Rente zu verstehen sei, begründet nach den Ausführungen unter 1. nur die Auslegungsbedürftigkeit der Klausel, nicht aber eine Unklarheit, die zur Anwendung der Regelung in § 5 AGB-Gesetz führen könnte.

6. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob dem Kl. die private Berufsunfähigkeitsrente nur aufgrund einer Fiktion für eine in Wirklichkeit nur vorübergehende Berufsunfähigkeit gewährt wird. Wie die Bekl. in der Revisionserwiderung zutreffend ausführt, ist es für den Wegfall der Versicherungsfähigkeit nach Buchst. A Ziffer 2 S. 3 Tarif V unerheblich, unter welchen Voraussetzungen die Berufsunfähigkeitsrente im Einzelfall gewährt wird. Entscheidend ist allein die hier unstreitige Tatsache der Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit.

7. Die Revision war daher zurückzuweisen, ohne daß es darauf ankam, ob der Kl. nach § 15b MB/KT 78 berufsunfähig ist.

Rechtsgebiete

Sozialrecht