Kündigung einer Honorarverteilungsregelung - Kündigungsmöglichkeiten und -fristen bei einem auerschuldverhältnis.
Gericht
OLG München
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
27. 09. 1995
Aktenzeichen
15 U 6473/94
Der Kl., Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik der Universität M., verlangt vom Bekl., dem damaligen Chefarzt und einzigem liquidationsberechtigten Arzt dieser Klinik, für die Zeit von Januar bis August 1989 Beteiligung an der Honorarverteilung aus der Behandlung ambulanter Privatpatienten im bisherigen Umfang aus der Zeit bis 31. 12. 1988. Der Kl., Nervenarzt und Professor für Allgemeine Psychopathologie, trat 1966 in die Psychiatrische Klinik und Poliklinik der Universität M. ein und wurde im jahre 1968 dort Oberarzt. Klinikdirektor war seinerzeit Professor Dr. K, der Bekl. war dessen Nachfolger und ist inzwischen in Pension. Zwischen Professor Dr. K und dem Kl. bestand die Praxis, daß das Honorar für die Behandlung ambulanter Privatpatienten nach Abzug der an die Universität abzuführenden Sachkosten dem Kl. zufloß, soweit er die Behandlung durchgeführt hatte. Im Jahre 1971 wurde der Bekl. Nachfolger von Professor Dr. K. Nach Fortführung der zwischen dem Kl. und Professor Dr. K gepflogenen Regelung für ein bis zwei Jahre verlangte der Bekl. für seinen Verwaltungsaufwand einen Honoraranteil von 4 %, dem der Kl. zustimmte. Diese Vereinbarung wurde viele Jahre praktiziert, bis es im Jahre 1986 und 1987 dadurch zu Störungen kam, daß der Kl. - sich gegen das alleinige Liquidationsrecht des Bekl. wendend - selbst das Liquidationsrecht in Anspruch nehmen wollte. Nachdem das zuständige Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst den Kl. mit Schreiben vom 1. 12. 1987 darauf hingewiesen hatte, daß er nicht befugt sei, die Behandlung von Privatpatienten selbst zu liquidieren, und ihn aufgefordert hatte, hiervon Abstand zu nehmen, erklärte der Kl. mit Schreiben vom 22. 1. 1988 an das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, private Liquidationen eingestellt zu haben und nicht mehr privat zu liquidieren. Mit Schreiben vom 30. 3. 1988 stellte der Bekl. dem Kl. anheim, sich wieder an der privatärztlichen Tätigkeit des Bekl. beteiligen zu können unter Einhaltung der vom Bekl. aufgestellten Regelungen. Der Kl. erklärte mit Schreiben vom 7. 4. 1988 an den Bekl., weiterhin daran interessiert zu sein, im Rahmen des Liquidationsrechts des Bekl. Privatpatienten zu behandeln. Im Jahre 1988 wurden bis zum 31. 12. 1988 die Honorare aus der ambulanten Behandlung von Privatpatienten im früher üblichen Schlüssel zwischen dem Bekl. und dem Kl. verteilt (4 % nach Abzug der Unkosten verblieben dem Bekl.). Nachdem zum 1. 7. 1988 eine neue Fassung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in Kraft getreten war, nach der die allgemeine Delegation von Behandlungsleistungen nicht mehr möglich war, sondern eine vermehrte fachliche Weisung und Aufsicht des liquidationsberechtigten Arztes (Bekl.) im konkreten Fall erforderlich war, beabsichtigte der Bekl., den Verteilungsschlüssel neu zu bestimmen, da künftig seine Aufsicht und fachliche Weisung im Einzelfall möglich sein müsse und hierfür auch ein höherer Aufwand entstehen würde. In der Oberarztbesprechung vom 22. 12. 1988 erklärte daher der Bekl. dem Kl. und den anderen beteiligten Ärzten, daß ab 1. 1. 1989 der Verteilungsschlüssel dahin geändert werde, daß der Bekl. 40 % des nach Abzug von Sachkosten und Nutzungsentgelt verbleibenden Honorarbetrags selbst beanspruche. Der Kl. erklärte sich mit dieser Neuregelung nicht einverstanden, woraufhin der Bekl. ihm erklärte, daß er mit der Behandlung seiner Privatpatienten durch den Kl. nicht einverstanden sei und ihn erst dann zu einer Behandlung hinzuziehe, wenn der Kl. ausdrücklich schriftlich die für alle Oberärzte geltenden Regeln des Bekl. anerkenne, was der Kl. jedoch nicht tat. In der Folgezeit kam es zumindest bis zum August 1989 noch zur Behandlung von Privatpatienten durch den Kl., der dem Bekl. zur Erstellung der Liquidation entsprechende Unterlagen zuleitete, worauf der Bekl. an die Privatpatienten die entsprechenden Rechnungen erteilte. Hiervon erhielt der Kl. den Honoraranteil nach dem vom Bekl. zum 1. 1. 1989 neu eingeführten Verteilungsschlüssel (40 % zugunsten des Bekl.). Der Kl. ist der Auffassung, der Bekl. habe das über ein Jahrzehnt gepflogene Verteilungsverhältnis nicht einseitig ändern können, zumal sich auch nach Änderung der GOÄ im Ablauf der Behandlungen nichts geändert habe, insbesondere der Bekl. in bezug auf die vom Kl. behandelten Patienten keine eigenen Leistungen erbracht habe. Er fordert nun den Differenzbetrag zwischen beiden Abrechnungsmodi für den Zeitraum von Januar bis August 1989.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte überwiegend Erfolg.
1. Zwischen den Parteien bestand seit 1971 eine ohne jede Einschränkungen und damit als verbindlich praktizierte Regelung, nach der der Kl. (Oberarzt) an den Privateinnahmen des Bekl. (Chefarzt) aus der ambulanten Behandlung von Privatpatienten quotenmäßig beteiligt wurde. Angesichts der erheblichen Geldbeträge, der Verantwortung im ärztlichen Bereich und der beträchtlichen Zeitspanne dieser Praxis muß von einem beiderseitigen Rechtsbindungswillen im Sinne eines Vertrags ausgegangen werden. Zwischen den Parteien bestand also ein Vertrag eigener Art (§ 305 BGB).
Ein Arbeits- oder Dienstverhältnis zwischen Oberarzt und Chefarzt wird für diesen Bereich deshalb nicht angenommen, weil der Oberarzt seine gesamten Leistungen aufgrund seines Arbeitsvertrags mit dem Krankenhausträger erbringt und folglich auch im Liquidationsbereich des Chefarztes nur aufgrund seiner Verpflichtung gegenüber dem Krankenhausträger tätig wird, BAG, NZA 1994, 1002.
Der Chefarzt erhält in der Regel - so auch hier - als erlaubte Nebentätigkeit die Befugnis, Einrichtungen und Personal der Klinik für seine privaten Behandlungen zu bemühen und muß dafür an die Klinik einen bestimmten Prozentsatz abgeben. In welchem Umfange der dann die Behandlungen tatsächlich durchführende nachgeordnete Arzt beteiligt wird, ist mangels gesetzlicher Regelung in Bayern auch Anlaß dieses Verfahrens. Vorliegend haben allerdings die Parteien durch ihre jahrzehntelange Praxis vertragliche Grundlagen geschaffen, wie sie in ihrem Verhältnis diese Frage regeln wollen. Zwischen dem Kl. (Oberarzt) und dem Bekl. (Chefarzt) bestand über ein Jahrzehnt die fragliche Regelung dahin, daß der Bekl. nach Abzug der Sachkosten 4 % der Honorare einnehmen sollte. Diese einvernehmliche Handhabung wurde in den Jahren 1986 und 1987 nicht dadurch beendet, daß der Kl. ein Liquidationsrecht in eigener Person beanspruchte. Denn unbestritten haben beide Parteien ungeachtet dieser Störungen im Jahre 1988 ihre Honorarverteilung im früher üblichen Sinne fortgesetzt. Dafür, daß dies nur vergleichsweise geschehen sei, wie der Bekl. behauptet, liegen nicht genügend Anhaltspunkte vor. Ein Vergleich erfordert ja u.a. eine beiderseitige Übereinstimmung. Dafür ist nicht genügend dargetan.
2. Kündigung dieses Vertrags
a) In der Oberarztbesprechung vom 22. 12. 1988 hat der Bekl. den Verteilungsschlüssel gekündigt und damit eine Änderungskündigung ausgesprochen. Der Kl. hat dieser Änderung widersprochen, weshalb es u.a. nicht zu einer umgehenden einvernehmlichen Änderung gekommen ist. Relevant ist daher die Kündigungsfrist:
b) § 627 BGB kann nach Auffassung des Senats unter Beachtung der Grundsätze des BAG (NZA 1994, 1002) nicht eingreifen. Zwar hat das BAG dort nur über ein direktes Arbeits-Verhältnis entschieden (welches nur im Verhältnis Oberarzt zur Klinik besteht). Doch ist in dieser Entscheidung auch klargelegt, daß Weisungsbefugnisse im weiteren Sinne zur Gestaltung der Arbeitsleistung in der Hand des Krankenhausträgers liegen, weshalb für ein und dieselbe Tätigkeit nicht der Krankenhausträger einerseits und zugleich der Chefarzt andererseits weisungsbefugt, leitungsbefugt etc. sein können. Diese Leitungs- und Gestaltungsbefugnisse müssen rechtlich in einer Hand liegen.
c) Nach Auffassung des Senats ist die vorliegende jahrzehntelange Honorarverteilungspraxis der Parteien nach den Regeln eines Dauerschuldverhältnisses zu behandeln und so auch kündbar. Das bedeutet:
aa) Eine außerordentliche Kündigung (mit Wirkung wie vom Bekl. beabsichtigt zum 1. 1. 1989) ist unter entsprechender Anwendung von §§ 554a, 626, 723 BGB möglich (Palandt/Heinrichs, BGB, 54. Aufl., Vorb. § 241 Rdnr. 18). Bei einer wesentlichen Änderung der zugrundeliegenden Verhältnisse scheidet jedoch eine außerordentliche Kündigung aus, wenn eine Anpassung des Vertrags möglich ist (Palandt/Heinrichs, Vorb. § 241 Rdnr. 19), wie das hier schon nach dem eigenen Vorschlag des Bekl. (künftig: 40 %) unzweifelhaft der Fall ist. Eine fristlose und außerordentliche Kündigung schied demnach aus, die Frage konnte nur sein, ab wann und in welcher Höhe eine andere Honorarverteilung am Platze war, seit die GOÄ zum 1. 7. 1988 geändert worden war. Die - hier mögliche - Vertragsanpassung muß nach Auffassung des Senats synchron laufen mit der Frist zur ordentlichen Kündigung, soll diese nicht unterlaufen werden.
bb) Schuldverhältnisse sind nach der Rechtsprechung des BGH und dem Schrifttum unter Einhaltung bestimmter Fristen ordentlich kündbar (BGH, LM § 242 (Bc) BGB Nr. 8; Staudinger/Schmidt, BGB, 12. Aufl., Vorb. §§ 241f. Rdnr. 328; Kramer, in: MünchKomm, 3. Aufl., Vorb. § 241 Rdnr. 87; Soergel/Teichmann, BGB, 12. Aufl., § 241 Rdnr. 9). Da eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt, ist - sofern auch eine vertragliche Regelung fehlt - die Interessenabwägung im Einzelfall dafür entscheidend, wie lange die Kündigungsfrist läuft. Der BGH hat in LM § 242 (Bc) BGB Nr. 8 zum Kündigungszeitpunkt und der Dauer der Kündigungsfrist im Falle eines anderen Dauerschuldverhältnisses entschieden (Leitsatz):
„Ob, zu welcher Zeit und unter Einhaltung welcher Kündigungsfrist der Herausgeber eines Kalenders, der die drucktechnische Herstellung, die Verpackung und den Versand des Kalenders einem Dritten vertraglich auf unbestimmte Zeit überlassen hat, dieses Dauerschuldverhältnis kündigen kann, läßt sich, falls es insoweit an ausdrücklichen Vereinbarungen fehlt, nur unter Berücksichtigung aller wesentlichen Begleitumstände unter Abwägung der Interessenlage der Vertragsparteien nach Treu und Glauben und den Verkehrssitten ermitteln (Postkalender)."
Bei der Abwägung waren die Interessen beider Parteien und die Zeitdauer ihrer einvernehmlichen vertraglichen Regelung zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen war, daß die geplante Änderung auch bereits laufende, vom Kl. wahrgenommene Behandlungen erfaßte. Zu berücksichtigen war, daß die zugewiesenen Nebeneinnahmen hier wie in allen übrigen vergleichbaren Fällen einen wesentlichen Bestandteil des monatlichen Verdienstes ausmachen und bei einem Wegfall oder einer erheblichen Änderung durchaus die Frage eines Wechsels der Arbeitsstelle erwogen werden könnte. Von ganz besonderer Bedeutung aber ist es, daß das Gesetz Verträge von längerer Dauer hinsichtlich der Kündigung besonders schützt. So ist gerade für Dienstverhältnisse in § 624 BGB vorgesehen:
„Ist das Dienstverhältnis für die Lebenszeit einer Person oder für längere Zeit als fünf Jahre eingegangen (- letzteres trifft hier zu -), so kann es von dem Verpflichteten nach dem Ablaufe von fünf Jahren gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Monate."
Für Dauerschuldverhältnisse wird § 624 BGB analog angewendet (Palandt/Heinrichs, Vorb. § 241 Rdnr. 22, m. Hinw. auf BGH, NJW 1972, 1129). Die alternativ hierzu befürwortete Analogie zu § 723 BGB trifft den vorliegenden Fall nicht in gleichem Maße, wie dies in § 624 BGB zutrifft. Die „jederzeit“ mögliche Kündigung widerspricht auch den Grundsätzen der oben zitierten Entscheidung des BGH, wonach eine angemessene Frist gewahrt werden muß.
Nach Abwägung aller Umstände unter besonderer Betonung der immerhin
17jährigen Praxis dieser Honorarabrechnung sieht der Senat die
Kündigungsregelung in § 624 S. 2 BGB (analog) als angemessen an, also eine
sechsmonatige Kündigungsfrist. Die Kündigung am 22. 12. 1988 durch den Bekl.
wirkte damit zum 30. 6. 1988.
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