Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die Presse - Faulste Mitarbeiterin Deutschlands
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
18. 02. 1999
Aktenzeichen
8 AZR 735/97 (Hamm)
Die Pressefreiheit (Art. 5 I 2 GG) vermag keine ehrverletzenden Berichte über Tatsachen aus der Intimsphäre eines Arbeitnehmers zu rechtfertigen.
Eine Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld wegen Mittäterschaft oder Beihilfe zu einer unerlaubten Handlung setzt die tatrichterliche Feststellung eines Tatbeitrags voraus.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. fordert Schmerzensgeld und Unterlassung ehrenrühriger Behauptungen. Die Kl. trat zum 1. 4. 1995 als kaufmännische Angestellte in die Dienste der Bekl. zu 1. Die Bekl. zu 2 ist die Geschäftsführerin der Bekl. zu 1. Laut Impressum des Anzeigenblattes „Wöchentlicher Stellenmarkt„ ist die Bekl. zu 1 für den Vertrieb und das Rechenzentrum dieser Wochenzeitung verantwortlich. Die Bekl. zu 3 wird im Impressum dieses Wochenblattes unter der Bezeichnung „Redaktion„ angegeben. Der Bekl. zu 4 ist der verantwortliche Chefredakteur der Wochenzeitung. Die Kl. wurde im Juni 1995 schwanger. Ab August 1995 meldete sie sich zunehmend arbeitsunfähig krank. Die Berechtigung der ärztlichen Atteste wurde von der Bekl. zu 1 angezweifelt. Schließlich erklärte die Bekl. zu 1 mit Schreiben vom 10. 10. 1995 die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Kl. erhob Kündigungsschutzklage. Kurze Zeit später erschien in der Ausgabe 43/95 des Anzeigenblattes ein mit dem Kürzel „HB„ gezeichneter redaktioneller Beitrag folgenden Inhalts:
„Die faulste Mitarbeiterin Deutschlands: In 3 Monaten nur 3 Tage gearbeitet. Sie könnte die Königin der Tagediebe sein … Ihr Verhalten ist schräg und unehrlich: In 3 Monaten arbeitete sie ganze 3 Tage. Jetzt ruft sie das Arbeitsgericht an, es soll ihr zu allem Unrecht noch helfen, ihre Faulheit zu unterstützen. Arbeitsrecht in Deutschland … im Jahre 1995! … Nach dem zweiten Monat plötzlich wird sie krank. Immerhäufiger. Am Anfang waren es nur ein oder zwei Tage, dann schon mal eine Woche, später sogar 4 Wochen hintereinander. Und was hat sie? Der Arzt verweigert jede Auskunft, beruft sich stur auf sein Standesrecht als Mediziner. Die Firma muss zahlen, Ina fehlt immer mehr. Zunächst waren es nur Erkältungskrankheiten, die sie von der Arbeit abhielten. Und plötzlich war es ein Baby, das sie ‚vielleicht‘ erwartete! Vielleicht? Derselbe Arzt war über Wochen unfähig zu sagen, ob tatsächlich eine Schwangerschaft vorliegt oder nicht. Er schützte sie wohl. Die Firma zahlt weiter … Und sie war schwanger. Von wem, weiß sie wohl selbst nicht, ist auch egal. Ina M war nun immer und immer wieder krank. Und Ina M ging trotzdem immer und immer wieder reiten … ja auf dem Pferd, ganz oben, hopidihop … ohne Rücksicht auf das Baby. Sie war plötzlich kerngesund - auf dem Rücken des Pferdes. Und tat ihr mal das Bäuchlein weh, war es der liebe gute Onkel Doc, der sie liebevoll wieder für Wochen krank schrieb. Die Firma zahlte, zahlte und zahlte, Ina lachte, lachte und lachte …! Sie muss sich fast totgelacht haben über so viel Dummheit ihrer Firma und über so viel Blödheit des verkalkten Arztes. So skrupellos kann man sich verhalten, wenn man ein Kind bekommt. Das alles ist möglich …! Hoch zu Ross auf ihrem Pferd war sie von Arbeitskolleginnen auch weiterhin zu sehen, sie grüßte sie, schadenfroh, ironisch, dumm-frech! … Ina reitet noch immer. Trotz Schwangerschaft. Jeden Tag. Sie ist putzmunter, obwohl sie ihr seniler Arzt noch immer wochenlang erneut krank schreibt …„
Mit der am 27. 12. 1995 beim ArbG Dortmund eingereichten Klage hat die Kl. zunächst nur die Bekl. zu 1 und 2 auf Unterlassung, Widerruf und Zahlung eines Schmerzensgelds in Anspruch genommen. Am 21. 3. 1996 hat sie ihre Klage auf die Bekl. zu 3 und 4 erweitert. Die Kl. hat behauptet, der Bekl. zu 4 sei der „Konzernherr„ und auch ihr Vorgesetzter gewesen. Er sei der eigentliche Kopf der Angelegenheit und Verfasser des beanstandeten Artikels. Sie hat geltend gemacht, der Artikel sei in sachlichen Behauptungen falsch und im übrigen grob ehrenrührig. Es sei auch klar, dass sie mit „Ina M„ gemeint gewesen sei, denn ihr Vorname sei nicht geändert worden und sämtliche Arbeitskollegen hätten sofort gewusst, auf wen sich der Artikel beziehe. Die Bekl. zu 1 hafte, weil sie bzw. ihre Mitarbeiter vertrauliche Informationen aus dem Personalbereich an Dritte weitergegeben hätten. Die Bekl. zu 2 sei für unerlaubte Handlungen der Gesellschaft persönlich verantwortlich. Die Kl. hat in erster Instanz beantragt, (1) die Bekl. zu 3 und 4 als Gesamtschuldner zu verurteilen, unter Androhung von Zwangsgeld bis zu 500000 DM, ersatzweise Zwangshaft, es zukünftig zu unterlassen, die Kl. als faulste Mitarbeiterin Deutschlands, Königin der Tagediebe, als schräg und unehrlich zu bezeichnen, (2) die Bekl. zu 3 und 4 zu verurteilen, die Behauptung, die Kl. sei bei ihrem früheren Arbeitgeber unehrenhaft und wegen Faulheit entlassen worden, zu widerrufen, (3) alle Bekl. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kl. ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, (4) und gegen die nicht vertretenen Bekl. ein Versäumnisurteil zu verkünden.
Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kl. hat das LAG das Urteil des ArbG zum Teil abgeändert und die Bekl. zu 3und 4 als Gesamtschuldner verurteilt, es bei Meidung eines Zwangsgeldes von bis zu 500000 DM ersatzweise Zwangshaft zu unterlassen, die Kl. als faulste Mitarbeiterin Deutschlands, Königin der Tagediebe, als schräg und unehrlich zu bezeichnen, sowie die Bekl. zu 1 bis 4 als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kl. 4000 DM zu zahlen. Im übrigen hat das LAG die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Bekl. zu 1 bis 4 ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter. Die Revisionen der Bekl. zu 3 und 4 hatte keinen Erfolg; die Revisionen der Bekl. zu 1 und 2 führten zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Auszüge aus den Gründen:
A. Das LAG hat im wesentlichen ausgeführt, die Bekl. zu 3 und 4 hätten in schwerwiegender Weise das Persönlichkeitsrecht der Kl. verletzt. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme habe sich herausgestellt, dass zumindest die Arbeitskolleginnen der Kl., die mit der Fertigung des Blattes und dessen Vertrieb befasst waren, durchaus gewusst hätten, dass die angeblich arbeitsscheue „Ina M„ in Wahrheit die Kl. sein sollte.
Der beanstandete Artikel enthalte schwere Kränkungen. In der maßlosen Brandmarkung der Kl. liege in jedem Falle eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung unabhängig davon, ob gewisse Fakten, wie z.B. das Ausreiten während des „Krankfeierns„ zuträfen oder nicht. Es könne auch dahinstehen, ob der Bekl. zu 4 Verfasser des Artikels gewesen sei, denn sowohl er als Chefredakteur als auch die Bekl. zu 3 seien für den Inhalt des Blattes verantwortlich. Die Bekl. zu 1 und 2 seien als Mittäter bzw. Beteiligte i.S. von § 830 BGB verantwortlich. Die in dem beanstandeten Artikel erscheinenden personenbezogenen Daten und sonstigen Angaben könnten nur über die Arbeitgeberin an den Verfasser des Artikels gelangt sein. Ohne die Mitwirkung der Bekl. zu 1 und der für sie handelnden Geschäftsführerin, der Bekl. zu 2, sei der von der Kl. beanstandete Schmähartikel kaum denkbar. Der Kl. sei für die entstandene Kränkung ein Schmerzensgeld in Höhe von4000 DM zuzusprechen. Dabei habe die Kammer berücksichtigt, dass einerseits die Kl. durchaus massiv gekränkt worden sei, andererseits der Kreis derjenigen, der außer der Kl. selbst von dem Artikel Notizgenommen und hierbei gewusst habe, dass es sich bei „Ina M„ nur um die Kl. habe handeln können, relativ klein gewesen sei. Darüber hinaus könne die Kl. von den Bekl. zu 3 und 4 Unterlassung der Beschimpfung als „faulste Mitarbeiterin Deutschlands, Königin der Tagediebe„ und die Qualifizierung als „schräg und unehrlich„ beanspruchen. Dieser Anspruch folge aus § 1004 BGB. Die bisherige Ehrverletzung indiziere die Wiederholungsgefahr. Der weitergehende Unterlassungsantrag sei zurückzuweisen, weil die im Übergang vom Widerrufs- zum Unterlassungsanspruch liegende Klagänderung nicht sachdienlich gewesen sei und die Bekl. widersprochen hätten.
B. Die Revisionen der Bekl. zu 3 und 4 sind hinsichtlich der Verurteilung zur Unterlassung bestimmter Erklärungen unzulässig. Die Revisionsbegründungen entsprechen insoweit nichtden Voraussetzungen gem. § 72 V ArbGG, § 554 III Nr. 3 ZPO. Danach muss sich die Revisionsbegründung auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer die Aufhebung beantragt wird, widrigenfalls die Revision für den nicht begründeten Teil unzulässig ist (st. Rspr. des BAG; vgl. nur NZA 1998, 45 = AP Nr. zu § 3572ArbGG1979; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl. [1994], § 554 Rdnr. 6). Bezieht sichdie Revision auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinne, muss zu jedem Anspruch eine ausreichende Begründung gegeben werden. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Mit ihrer Klage macht die Kl. neben dem Schmerzensgeldanspruch einen Unterlassungsanspruch geltend. Diesem Unterlassungsanspruch hat das BerGer. zum Teil unter Berufung auf § 1004 BGB stattgegeben. In ihrer Revisionsbegründung befassen sich die Bekl. zu 3 und 4 ausschließlich mit dem Schmerzensgeldanspruch und gehen auf den Unterlassungsanspruch nicht ein. Aus ihren Ausführungen zum Schmerzensgeldanspruch ergibt sich auch nicht mittelbar, dass sie davon ausgingen, die Kl. weiterhin als „faulste Mitarbeiterin Deutschlands, Königin der Tagediebe, als schräg und unehrlich„ bezeichnen zu dürfen. Damit sind die Revisionen der Bekl. zu 3 und 4 hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs nicht ordnungsgemäß begründet und unzulässig.
C. Revisionen hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs
I. Revisionen der Bekl. zu 3 und 4. Das LAG hat mit Recht angenommen, dass die Bekl. zu 3 und 4 der Kl. gem. §§ 823 I, 830, 847 BGB i.V. mit Art. 1, 2 I GG die Zahlung eines Schmerzensgelds schulden. Die Bekl. zu 3 und 4 haben mit der von ihnen zu vertretenden Presseveröffentlichung in der Ausgabe 43/95 des Anzeigenblattes „Wöchentlicher Stellenmarkt„ das Persönlichkeitsrecht der Kl. schwer verletzt. Das LAG hat zutreffend festgestellt, dass die Anonymisierung des Sachverhalts unzureichend war, Rückschlüsse auf die wahre Identität der Kl. zu vermeiden. Der Artikel enthält eine ganze Reihe beleidigender Behauptungen, die nicht durchweg mit der den Bekl. zu 3 und 4 zukommenden Pressefreiheit (Art. 5 I 2 GG) gerechtfertigt werden können. Die Bekl. zu 3 und 4 haben nicht nur über die geringfügige Arbeitsleistung der Kl. berichtet, sondern haben ohne zwingende Notwendigkeit Details aus der Intimsphäre der Kl. veröffentlicht. Insbesondere bestand keine sachliche Berechtigung der Bekl. zu 3 und 4, beiläufig in dem Artikel zu bezweifeln, ob die Kl. den Erzeuger des erwarteten Kindes kenne. Diese völlig unangebrachte Ehrverletzung brauchte die Kl. nicht hinzunehmen. Die anzustellende Interessenabwägung fällt deshalb zugunsten des Persönlichkeitsrechtsschutzes der Kl. aus.
Die Höhe des von den Tatsacheninstanzen festgesetzten Schmerzensgeldes ist in der Revisionsinstanz lediglich eingeschränkt überprüfbar. Hiervon ausgehend sind rechtserhebliche Fehler des BerGer. nicht feststellbar. Insbesondere hat das BerGer. ausreichend berücksichtigt, dass lediglich ein kleiner Kreis der Leser des Anzeigenblattes den Artikel mit der Kl. In Verbindung bringen konnte. Soweit die Revision geltend macht, das LAG habe unzureichend berücksichtigt, dass die Kl. während der ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit den Reitsport betrieben habe, könnte hierin allenfalls eine Provokation der Arbeitgeberin und der Kolleginnen der Kl. gesehen werden, doch ist nicht erkennbar, inwiefern diese etwaige Vertragspflichtverletzung der Kl. beleidigende Äußerungen in einem Presseorgan rechtfertigen oder in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten.
II. Revisionen der Bekl. zu 1 und 2. Die Revisionen der Bekl. zu 1 und 2 sind begründet. Die vom BerGer. ausgesprochene Verurteilung der Bekl. zu 1 und 2 als Gesamtschuldnerinnen zur Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 4000 DM ist nicht durch tatsächliche Feststellungen des BerGer. gerechtfertigt. Eine Mittäterschaft der Arbeitgeberin der Kl. und ihrer Geschäftsführerin an den von den Bekl. zu 3 und 4 zu vertretenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist nicht festgestellt worden. Ebenso wenig hat das BerGer. die tatsächlichen Voraussetzungen einer Beihilfe zu der von der Bekl. zu 3 und 4 begangenen unerlaubten Handlung festgestellt. Vielmehr beschränkt sich das BerGer. auf eine Mutmaßung, wenn es annimmt, ohne die Bekanntgabe persönlicher Daten der Kl. Wäre es „kaum„ zur Veröffentlichung im Anzeigenblatt gekommen. Irgendwelche tatsächlichen Vorgänge, die von der Bekl. zu 1 und 2 zu vertreten wären, bezeichnet es hingegen nicht. Darüber hinaus hat das BerGer. nicht zwischen geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen und solchen Tatsachen unterschieden, die der Verschwiegenheitspflicht nicht unterliegen. Des weiteren hat es die sich aufdrängende Überlegung unterlassen, ob nicht Arbeitnehmer des Unternehmens der Bekl. zu 3 aus eigener Anschauung die tatsächlichen Grundlagen des streitigen Berichts kannten. Dabei hat das BerGer. vollkommen außer acht gelassen, dass nach der eigenen Behauptung der Kl. der Bekl. zu 4 ihr Vorgesetzter und der eigentliche Kopf der Angelegenheit gewesen sei. Darüber hinaus spricht gegen eine Beihilfe der Bekl. zu 1 und 2, dass das BerGer. die Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht aus den im Artikel mitgeteilten (wahren) Tatsachenbehauptungen, sondern aus unwahren Tatsachenbehauptungen und herabsetzenden Werturteilen gefolgert hat. Dass diese unwahren Tatsachenbehauptungen und herabsetzenden Werturteile auf Informationen oder Anregungen der Bekl. zu 1 und 2 beruhten, hat das BerGer. weder festgestellt noch unterstellt. Damit scheidet eine Mithaftung der Bekl. zu 1 und 2 für die von den Bekl. zu 3 und 4 geschuldete Schmerzensgeldzahlung aus. Insofern ist die Berufung der Kl. gegen das klagabweisende Urteil des ArbG zurückzuweisen.
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