Abfindung; Erstattung des Arbeitslosengeldes
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
25. 03. 1992
Aktenzeichen
5 AZR 254/91
Es bedarf einer ausdrücklichen Regelung in einem Vergleich, wenn eine Abfindung im Kündigungsschutzprozeß (§§ 9, 10 KSchG) entgegen § 117 II AFG nicht um den darauf entfallenden Anteil der Arbeitslosenunterstützung gekürzt werden soll, sondern die auf die Bundesanstalt übergegangenen Ansprüche vom Arbeitgeber getragen werden sollen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, ob der Bekl. der Kl. das der Bundesanstalt für Arbeit erstattete Arbeitslosengeld zurückzahlen muß, nachdem er sich mit der Kl. im Kündigungsschutzprozeß ohne dessen Berücksichtigung auf Zahlung einer Abfindung geeinigt hatte. Die Kl. beschäftigte den Bekl. seit 1975 als Mitarbeiter im Außendienst und hatte ihn nach einem Streit über das Ausfüllen von Tätigkeitsberichten am 31. 5. 1989 fristlos entlassen. Dagegen hatte der Bekl. Kündigungsschutzklage erhoben und sich mit der Kl. in jenem Rechtsstreit am 19. 9. 1989 auf Vorschlag des Gerichts wie folgt verglichen:
"1. Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Beschäftigungsverhältnis der Parteien durch betrieblich veranlaßte Kündigung der Bekl. am 31. 5. 1989 geendet hat.
2. Die Bekl. gewährt dem Kl. zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG, 3 Nr. 9 EStG in Höhe von 18550 DM abzugsfrei.
Die Bekl. gewährt dem Kl. darüber hinaus eine Abgeltung für 5,5 Urlaubstage. Es besteht Einigkeit darüber, daß dem Kl. kein Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld zusteht.
3. In Anrechnung auf vorstehende unter Nr. 2 genannte Beträge übernimmt der Kl. von der Bekl. zum DEKRA-Schätzwert (Händler-Verkaufswert + Mehrwertsteuer) den von ihm gefahrenen Firmenwagen Typ Fiat Ritmo 105 Tc, amtl. Kennzeichen R. Die Schätzkosten übernimmt die Bekl.
4. Die Bekl. erteilt dem Kl. ein wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis.
5. Die Bekl. verzichtet auf das vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot.
6. Damit sind alle gegenseitigen Ansprüche der Parteien erledigt.
7. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben."
Das Arbeitsamt Reutlingen hatte der Kl. zuvor durch Schreiben vom 19. 6. 1989, das bei ihr am 21. 6. 1989 einging, davon unterrichtet, daß der Bekl. seit dem 1. 6. 1989 Arbeitslosengeld bezieht. Gleichzeitig hat das Arbeitsmat die Kl. auf ihre Rückgriffsansprüche gem. § 117 AFG für den Fall hingewiesen, daß die Kl. über den Kündigungszeitpunkt hinaus Arbeitsentgelt oder gleichwertige Leistungen erbringt.
Dessen ungeachtet hat die Kl. Ende September 1989 nach Abschluß des gerichtlichen Vergleiches einen Gesamtbetrag von 13497,98 DM an den Bekl. gezahlt. Das ist die vereinbarte Abfindung von 18550 DM und eine Urlaubsabgeltung von 1347,98 DM, vermindert um den Kaufpreis für den vom Bekl. übernommenen PKW in Höhe von 6400 DM.
Mit Schreiben vom 23. 10. 1989 forderte das Arbeitsamt Reutlingen von der Kl. unter Bezugnahme auf seine Anzeige vom 19. 6. 1989 das dem Bekl. in der Zeit vom 1. 6. 1989 bis zum 1. 8. 1989 gezahlte Arbeitslosengeld von 4467,90 DM zurück. Die Kl. hat daraufhin diesen Betrag an die Bundesanstalt für Arbeit bezahlt und fordert ihn nun in diesem Rechtsstreit vom Bekl. zurück. Nach Auffassung der Kl. hat der Bekl. die Abfindung in Höhe dieses Betrages ohne rechtlichen Grund erhalten, weiol sein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung zuvor teilweise auf die Bundesansatlt für arbeit übergangen und wegen eines Versehens ihres Buchhalters von der an den Bekl. gezahlten Abfindung nicht gezogen worden sei.
Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat die Berufung zurückgeweisen. Die Revision der Bekl. blieb erfolglos.
Auszüge aus den Gründen:
III. Die Ausführungen der Revision vermögen nicht zu überzeugen. Das LAG hat zu Recht der Klage stattgegeben, weil der Bekl. um die Abfindung insoweit ungerechtfertigt bereichert ist (§ 812 I BGB), wie der Anspruch auf die Bundesanstalt übergegangen und von der Kl. erfüllt worden ist.
1. Der Bekl. hat, wie § 812 I BGB voraussetzt, eine Leistung (Abfindung) erhalten, die ihm in Höhe des auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen Anspruchs nicht mehr zustand. Das ergibt sich aus § 115 SGB X i. v. mit § 117 IV AFG, wonach die Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Falle einer unwirksamen Kündigung im Umfang der Leistung der Bundesanstalt für Arbeit auf diese übergehen. Zwar hat die Kl. an den Bekl. über den Zeitpunkt der fristlosen Kündigung hinaus kein Arbeitsentgelt gezahlt. Nach § 117 II 1 AFG steht der Zahlung des Arbeitsentgelts die Gewährung einer Abfindung gleich; denn wenn der Arbeitslose nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist eine Abfindung erhält, ruht sein Anspruch auf Arbeitslosengeld in dem in § 117 II und II AFG näher geregelten Umfang ebenfalls. Der Bekl. hat damit das Arbeitslosengeld in der vom Arbeitgeber erstatteten Höhe zu Unrecht erhalten.
Der Übergang des Anspruchs auf die Bundesanstalt für Arbeit tritt nicht schon durch die Bewilligung des Arbeitslosgengeldes ein, sondern erst durch die Zahlung (BAG, AP § 113 AVAVG (a. F. Nr. 5; BAG, NJW 1984, 76 = AP § 117 AFG Nr. 3 (zu II 4a)). Im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses am 19. 9. 1989 war an den Bekl. das Arbeitslosengeld bereits gezahlt worden, denn dieses hat er in der Zeit vom 1. 6. bis 1. 8. 1989 erhalten.
Voraussetzung für diesen Forderungsübergang ist allerdings die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 31. 5. 1989. Das ist in der Revisionsinstanz noch zu prüfen, weil die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung am 31. 5. 1989 nur die Parteien selbst bindet und nicht gegen die Bundesanstalt für Arbeit wirkt, auf die der Anspruch übergegangen ist (BAG, NJW 1984, 76 = AP § 117 AFG Nr. 3 (zu II 5b)). Die Ausführungen des LAG herizu sind aber frei von Rechtsirrtum, denn es hat insb. darauf hingewiesen, daß dallein schon wegen des Alters und der langen Betriebszugehörigkeit von 14 Jahren die Kl. wegen des Vorwurfs fehlender Berichterstattung das Arbeitsverhältnis allenfalls hätte fristgemäß und nicht fristlos kündigen können (S. 9 der Entscheidungsgründe). Dagegen wird von der Revision auch nichts vorgebracht.
2. Die Klage wäre nur dann abzuweisen, wenn die Parteien im vergleich vereinbart hätten, daß der Bekl. die Abfindung ohne Abzug des von der Bundesanstalt für Arbeit gewährten Arbeitslosengeldes erhalten sollte. Insoweit kommt es auf den Wortlaut des Vergleichs und auf dessen Auslegung an. Prozeßvergleiche können von den RevGer. unbeschränkt und selbständig ausgelegt werden (BAGE 42, 244 = AP § 21 TVAL II Nr. 2; BAG, NJW 1984, 76 = AP § 117 AFG Nr. 3 (zu II 1)).
Das LAG hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, daß die Parteien über die Berücksichtigung des Arbeitslosengeldes im Rahmen der Abfindung keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen haben. Das ist unstreitig. Zwar heißt es in dem Vergleich, daß der Bekl. die Abfindung "abzugsfrei" erhalten solle. Daraus allein kann aber nicht entnommen werden, daß ihm die Rückzahlung des Arbeitslosengeldes erspart bleiben sollte. Die Vereinbarung einer "abzugsfreien" Gewährung der Abfindung bezieht sich offensichtlich auf die Steuerfreiheit (auf die einleitend hingewiesen wird durch Bezugnahme auf § 3 Nr. 9 EStG) und auf den fehlenden Abzug laufender Sozialabgabe. Der Hinweis der Revision auf die Verrechnung der Abfindung mit dem Kaufpreis für das Kraftfahrzeug ergibt in diesem Zusammenhang nichts.
Ebensowenig kann der Bekl. etwas aus der Vereinbarung im Rahmen des Vergleiches herleiten, daß mit der Zahlung der Abfindung alle gegenseitigen Ansprüche erledigt sein sollten. Damit ist über den Erstattungsanspruch des Arbeitsamtes nichts gesagt. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß der Arbeitnehmer - wie im Streitfall auch - im Falle einer rechtsunwirksamen fristlosen Kündigung einen Anspruch auf Arbeitslosenentgelt gehabt hätte. Dieser Anspruch wird im Regelfall durch die Zahlung einer Abfindung mit ausgeglichen, wenn die Parteien es vereinbarungsgemäß bei dem ursprünglich vom Arbeitgeber gewollten Beendigungszeitpunkt lassen. Im Falle der Fortzahlung des Arbeitsentgelts wäre die Arbeitslosenunterstützung ebenfalls zu berücksichtigen gewesen mit der Folge, daß der Arbeitnehmer sich die Arbeitslosenunterstützung auf seinen Lohn- oder Gehaltsanspruch anrechnen lassen und der Arbeitgeber diesen Betrag der Bundesanstalt für Arbeit erstatten müßte. Es kann ohne jeglichen Hinweis im Vergleich keine Verpflichtung des Arbeitgebers angenommen werden, daß er neben der Abfindung auch noch den Anspruch auf Rückzahlung des Arbeitslosengeldes gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit erfüllen wollte (ebenso BSG, Urt. vom 23. 6. 1981 - 7 RAr 29/90 - SozR 4100, § 117 AFG Nr. 7, S. 47 und 48). Mangels hinreichender Anhaltspunkte kann auch nicht durch eine ergänzende Vertragsauslegung (§ 157 BGB9 der Kl. die Verpflichtung auferlegt werden, den Erstattungsanspruch des Arbeitsamtes ohne Rückgriff gegen den Bekl. zu erfüllen. Es ist schon fraglich, ob hier eine Regelungslücke besteht. Davon könnte man nur ausgehen, wenn die Parteien an den Erstattungsanspruch des Arbeitsamtes gedacht und für diesen Fall eine Vereinbarung getroffen hätten. Wenn die Kl. aber zusätzlich zur Abfindung diesen Betrag übernehmen sollte, kommt das einer Erhöhung der Abfindung und damit einer Änderung und nicht nur einer Ergänzung der Vereinbarung gleich.
3. Der Rückforderungsanspruch der Kl. scheitert nicht an § 814 BGB. Diese Vorschrift greift erst ein, wenn der Leistende nicht nur die Tatumstände kennt, aus denen sich ergibt, daß er nicht verpflichtet ist, sondern er auch weiß, daß er nach der Rechtslage nichts schuldet (BGH, NJW 1991, 919 (920, zu II) m. w. Hinweisen auf die st. Rspr.). So liegt der Streitfall nicht. Vielmehr hat die Kl. die Rechtslage nur falsch beurteilt.
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