Ruhen des Arbeitslosengeldes wegen Abfindung

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

12. 12. 1984


Aktenzeichen

7 RAr 87/83


Leitsatz des Gerichts

§ 117 II AFG gilt auch bei vorzeitiger Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. wendet sich gegen die teilweise Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld. Sie war aufgrund eines Dienstvertrages vom 9. 8. 1977 an als Dramaturgin und Mitarbeiterin in der Leitung des Schauspielhauses mit Schauspielverpflichtung beschäftigt. Nach § 2 des Dienstvertrages sollte das Beschäftigungsverhältnis am 8. 8. 1979 enden. Der Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht vom 23. 11. 1977 (TVM) war Bestandteil des Dienstvertrages. Aufgrund von Unstimmigkeiten teilte der Generalintendant H der Kl. in Schreiben vom 28. 11., 3. 12. und 7. 12. 1977 mit, daß er das Arbeitsverhältnis zum 31. 12. 1978 als beendet ansehe. Nach verschiedenen Verhandlungen schlossen die Bet. am 19. 4. 1978 einen außergerichtlichen Vergleich mit dem Inhalt, daß das Beschäftigungsverhältnis der Parteien am 31. 12. 1977 beendet worden sei und die Kl. eine Abfindung in Höhe von 10000 DM steuerfrei gem. § 3 Nr. 9 EStG erhalte. Der Kl. wurde nach Antragstellung von dem bekl. Arbeitsamt für die Zeit vom 23. bis 28. 1. 1978 und vom 30. 1. bis 29. 7. 1978- insgesamt 162 Tage - Arbeitslosengeld bewilligt und gezahlt. Nachdem die Bekl. von der an die Kl. gezahlten Abfindung erfahren hatte, hob sie wegen Ruhens des Anspruchs vom 23. 1. bis 31. 3. 1978 (§ 117 II AFG) die Bewilligung in diesem Umfang gem. § 151 AFG auf. Der Widerspruch der Kl. blieb ohne Erfolg.

Das SG hat den Bescheid, aufgehoben und festgestellt, daß der Anspruch der Kl. auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 23. 1. bis 31. 3. 1978 nicht zum Ruhen gebracht worden sei. Auf die zugelassene Berufung der Kl. hat das LSG die Klage abgewiesen. Die Revision der Kl. wurde zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... II. ... Die in dem angefochtenen Bescheid ... ausgesprochene Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld ist nicht zu beanstanden; der Anspruch der Kl. auf Arbeitslosengeld für diese Zeit hat nach § 117 II und III AFG geruht.

Grundlage für die Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes ist § 151 I AFG i.d.F. vom 25. 6. 1969 (BGBl I, 582). Hiernach werden Entscheidungen, durch die Leistungen nach dem AFG gewährt worden sind, insoweit aufgehoben, als die Voraussetzungen für die Leistung nicht vorgelegen haben oder wie das aufgrund der Zahlung der Abfindung der Fall ist - nachträglich weggefallen sind. Diese Vorschrift gilt auch, wenn ein Ruhenstatbestand vorliegt (vgl. BSGE 46, 20 [22] = SozR 4100 § 117 Nr. 2), und ist trotz ihrer Streichung durch Art. II § 2 Nr. 1 Buchst. a SGB X vom 18. 8. 1980 (BGBl I, 1469) maßgebend geblieben, wenn es - wie hier - lediglich um die Entscheidung über die Anfechtung eines Aufhebungsbescheides geht (st. Rspr. des Senats, vgl. BSG, SozR 1200 § 31 Nr. 1; SozR 4100 § 115 Nr. 1; SozR 4220 § 3 Nr. 1).

Nach § 117 II 1 AFG in der seit dem 1. 1. 1978 geltenden Fassung des 4. AFG-Änderungsgesetzes (4. AFG-ÄndG) vom 12. 12. 1977 (BGBl I, 2557) ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistungen erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist. Dies ist hier der Fall. Das Arbeitsverhältnis der Kl. ist vorzeitig beendet worden.

Nach den Feststellungen des LSG war das Arbeitsverhältnis der Kl. zwar bis zum 8. 8. 1979 befristet, sollte sich jedoch gem. § 2 I TVM bei nicht rechtzeitig erfolgter Nichtverlängerungsmitteilung einer Partei um ein Jahr (eine Spielzeit) verlängern. Da somit zum Zeitpunkt. des Vertragsabschlusses trotz der im Arbeitsvertrag vereinbarten Beendigungsfrist das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht endgültig feststand, hat das LSG das Arbeitsverhältnis der Kl. als unbefristet, für zwei Jahre nicht ordentlich kündbar und dann jährlich bis zum 31. 10. "zum Ende der Spielzeit lösbar angesehen. Nach der Rechtsprechung des BAG handelt es sich dagegen bei Verträgen dieser Art mit Bühnenpersonal um befristete Arbeitsverträge, wobei die Befristung des Vertrages grundsätzlich zulässig ist, es sei denn, daß sie objektiv funktionswidrig verwendet wird, was immer dann anzunehmen ist, wenn der durch die Kündigungsschutzbestimmungen gewährleistete Bestand des Arbeitsverhältnisses vereitelt wird und dafür kein sachlich rechtfertigender Grund vorliegt. Nur in dem zuletzt genannten Falle gilt das Arbeitsverhältnis als unbefristet, während in allen anderen Fällen von einem befristeten Arbeitsverhältnis auszugehen ist (vgl. BAGE 35, 309 ff. [314 f.] m.w. Nachw.) Dabei scheidet nach der Rechtsprechung des BAG eine unmittelbare oder auch nur analoge Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes bei der Befristung aus. Insbesondere stellt die Nichtverlängerungsmitteilung, mit der der Arbeitgeber seine Absicht mitteilt, das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers nicht über die Befristung hinaus zu verlängern, keine die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auslösende Kündigung dar und ist im Rahmen der Zulässigkeit der Befristung auch nicht ordentlichen Kündigungen gleichzustellen (vgl. BAGE 35, 309 [320 ff.] m.w. Nachw.; BVerwG, MDR 1966, 265). Der Senat ist zwar an einer eigenen Auslegung des § 2 TVM nicht gehindert und kann diese Bestimmung in vollem Umfange gem. § 162 SGG nachprüfen, da es sich hier um eine Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bühnenverein-Bundesverband deutscher Theater und den Genossenschaften Deutscher Bühnen-Angehöriger handelt, die für alle deutschen Theater im Bundesgebiet gilt, ihr Geltungsbereich sich somit über den Bereich des BerGer. hinaus erstreckt (vgl. Präambel zum TVM). Im vorliegenden Falle bedarf jedoch weder die Frage der Befristung des Arbeitsverhältnisses noch deren sachliche Rechtfertigung einer abschließenden Stellungnahme. Die für das Arbeitsverhältnis geltende Beendigungsfrist ist nämlich keinesfalls eingehalten worden. Bei der Annahme eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses galt mangels abweichender einzelvertraglicher Vereinbarung die in § 622 I BGB normierte ordentliche Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Schluß eines Kalenderviertejahres, so daß, selbst wenn die Schreiben des H an die Kl. vom 28. 11. 1977 oder 3. bzw. 7. 12. 1977 eine ordentliche Kündigung enthielten, diese erst zum 31. 3. 1978 hätte wirksam werden können. Ein befristetes Arbeitsverhältnis hätte aber abgesehen von einer außerordentlichen Kündigung - seitens des Arbeitgebers überhaupt nicht vor dem 8. 8. 1979 beendet werden können, wie das LSG zutreffend festgestellt hat.

Der Senat teilt die Auffassung des LSG, daß die Anwendbarkeit des § 117 II AFG nicht nur auf Arbeitsverhältnisse zu beschränken ist, die ordentlich kündbar sind und im Falle einer solchen Kündigung den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes unterliegen. Bei befristeten Arbeitsverhältnissen, die mit Erreichen des dafür vereinbarten Termins ohne weiteres enden, ist vorbehaltlich einer ausdrücklich abweichenden Vereinbarung die ordentliche Kündigung stets ausgeschlossen (§ 620 II BGB), da die Befristung den Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Endtermin garantieren soll. Diese Arbeitsverhältnisse unterliegen mangels ordentlicher Kündigungsmöglichkeit nicht den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes (vgl. Schaub, Arbeitsrechts-Hdb., 5. Aufl. § 39 I, S. 163; Becker, GK-KSchG, 2. Aufl., § 620 BGB Rdnrn. 14, 15; Schwerdtner, in: MünchKomm, § 620 V Rdnr. 48; Hanau-Adomeit, ArbR, 6. Aufl. [1981], S. 202, 219 f.). Entgegen der Auffassung der Kl. ist die Anwendbarkeit des § 117 II AFG auf befristete Arbeitsverhältnisse jedoch nicht ausgeschlossen. Dies folgt schon aus dem Gesetzeswortlaut. Zwar läßt sich dies nicht - wie das LSG angenommen hat - dem § 117 II 3 AFG entnehmen, da dieser Satz nur die Dauer des Ruhens bei zeitlich begrenztem oder unbegrenztem Ausschluß der ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber regelt., wie z.B. bei älteren Arbeitnehmern mit langjähriger Betriebszugehörigkeit oder bei Betriebsratsmitgliedern usw. (vgl. Eckert-Hess-Maibaum, GK-AFG, § 117 Anm. 24 ff., 29; Hennig-Kühl-Heuer, AFG, Stand: Juni 1982, § 117 Anm. 5, S. 194b); diese Regelung enthält aber keine Aussage über die Dauer des Arbeitsverhältnisses. Entscheidend ist jedoch der Absatz 3 Satz 2 Nr. 2 des § 117 AFG. Er bestimmt, daß der Anspruch nicht über den Tag hinaus ruht, an dem das Arbeitsverhältnis infolge einer Befristung, die unabhängig von der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestanden hat, geendet hätte. Wäre § 117 II AFG - wie die Kl. behauptet - auf befristete Arbeitsverhältnisse von vornherein nicht anwendbar, so ginge die Regelung des Absatzes 3 Satz 2 Nr. 2 ins Leere. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden.

Hinzu kommt, daß der mit der Vorschrift verfolgte Zweck es nicht rechtfertigen würde, die Zahlung von Leistungen i.S. des § 117 II 1 AFG bei vorzeitiger Beendigung befristeter Arbeitsverträge anders zu behandeln, als dies in solchen Fällen für unbefristete Arbeitsverträge gilt. Der § 117 AFG beruht auf der Erwägung, daß der Arbeitslose nicht der Leistungen der Versichertengemeinschaft bedarf, solange er keinen Lohnausfall hat. Daher ruht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat (§ 117 I AFG). Ebenso bedarf der Arbeitslose keines Arbeitslosengeldes, soweit er bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Entschädigung für den Lohnausfall erhält. Die Ruhensvorschriften des § 117 II und III AFG enthalten die unwiderlegbare Vermutung, daß in den wegen vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährten Abfindungen, Entschädigungen und ähnlichen Leistungen in pauschaliertem Umfange auch Arbeitsentgeltanteile enthalten sind, wenn auch nach Alter und Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers in unterschiedlichem Umfange. Dieses Arbeitsentgelt soll nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers mit Hilfe des § 117 AFG erfaßt werden (BT-Dr V/2291 zu § 106; vgl. BSG, SozR 4100 § 117 Nr. 3, sowie Senat, Breithaupt-Slg. 1982, 239 = Dienstblatt R der Bundesanstalt für Arbeit - DBlR - Nr. 2438a zu § 119 AFG, und DBlR Nr. 2727 zu § 117 AFG; ebenso Schönefelder-Kranz-Wanka, AFG, Stand: Juni 1978, § 117 Rdnr. 12). Diese Vermutung betrifft sachgerecht aber auch Leistungen, die wegen vorzeitiger Beendigung von befristeten Arbeitsverhältnissen gewährt werden. Der Auffassung der Kl., daß § 117 II AFG nur auf ordentlich kündbare und den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes unterliegende Arbeitsverhältnisse Anwendung finden kann, vermag sich der Senat deshalb nicht anzuschließen. Zu Recht hat das LSG auch die Kausalität zwischen der erhaltenen Abfindung und der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bejaht. (Wird näher ausgeführt.)

Der Anspruch der Kl. auf Arbeitslosengeld ruhte somit unabhängig davon, ob es sich uni ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis gehandelt hat, nach § 117 II i.V. mit III 1 AFG bis zum 31. 3. 1978, wie das LSG auch im Ergebnis zutreffend festgestellt hat ...

Vorinstanzen

LSG Hamburg, V ARBf 26/81, 09.06.1983

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht; Sozialrecht