Fürsorge- und Aufklärungspflicht des Arbeitgebers

Gericht

BAG


Datum

10. 03. 1988


Aktenzeichen

8 AZR 420/85


Leitsatz des Gerichts

  1. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer darüber unterrichten muß, welche Auswirkungen die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, ergibt sich aus einer Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Billigkeitsgesichtspunkten, wobei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.

  2. Teilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der von sich aus darum bittet, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzuheben, mit, daß mit einer Sperrzeit zu rechnen sei, über deren Dauer das Arbeitsamt entscheidet, so hat er seine Unterrichtungspflicht erfüllt. Ein Arbeitnehmer, der trotz dieses Hinweises den Auflösungsvertrag schließt, ohne sich beim Arbeitsamt über die Auswirkungen zu erkundigen, die dieser Schritt nach Arbeitslosenversicherungsrecht hat, kann von dem Arbeitgeber keinen Schadenersatz dafür verlangen, daß der Anspruch auf Arbeitslosengeld durch die Bedingungen des Auflösungsvertrags beeinträchtigt wird.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. ist türkische Staatsangehörige. Sie war seit 1969 bei der Bekl. als Arbeiterin beschäftigt. In den Monaten Oktober und November 1983 bot die Bekl. türkischen Arbeitnehmern, die in ihre Heimat zurückkehren wollten, an, ihre Arbeitsverhältnisse einvernehml. aufzuheben. Der Kl. war ein solches Angebot nicht unterbreitet worden. Sie teilte jedoch von sich aus der Personalabteilung der Bekl. mit, auch sie sei bereit, gegen Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Am 11. 11. 1983 schlossen die Parteien einen schriftl. Vertrag, nach dem das Arbeitsverhältnis am 30. 11. 1983 endete und die Kl. "für die mit der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Nachteile" eine Abfindung in Höhe von netto 11900,- DM erhielt.

Die Kl. meldete sich ab 1. 12. 1983 für eine Halbtagsbeschäftigung und ab Juli 1984 für eine Ganztagsbeschäftigung arbeitslos. Da das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentl. Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden war, ordnete das ArbA gemäß § 117 Abs. 2 und 3 AFG das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bis zum 12. 3. 1984 an. Außerdem bestimmte es nach § 119 AFG eine Sperrzeit von 8 Wochen. Die Kl. erhielt vom 13. 3. 1984 an Arbeitslosengeld in Höhe von 127,20 DM und vom 12. 7. 1984 an in Höhe von 232,80 DM wöchentl.

Im Schreiben an die Bekl. vom 22. 2. 1984 erklärte die Kl., daß sie von dem Aufhebungsvertrag zurücktrete, diesen außerdem anfechte, ihre Arbeitskraft wieder anbiete, aber bereit sei, über den Abschluß eines neuen Aufhebungsvertrags mit einer höheren Abfindung zu verhandeln. Die Kl. hat geltend gemacht, der Aufhebungsvertrag sei nichtig. Außerdem schulde die Bekl. ihr für die Zeit von Januar 1984 bis Januar 1985 Lohn, jedenfalls aber Schadenersatz in Höhe des Lohns, abzügl. des erhaltenen Arbeitslosengeldes. Die Kl. hat die Auffassung vertreten, die Bekl. habe sie darauf hinweisen müssen, daß mit einer 8wöchigen Sperrzeit und dem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld zu rechnen sei und daß sie sich über die Einzelheiten vorher beim ArbA erkundigen müsse. Bei Kenntnis der nachteiligen Auswirkungen auf das Arbeitslosengeld hätte sie den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Die Kl. hat beantragt festzustellen, daß der zwischen den Parteien am 11. 11. 1983 geschlossene Vertrag über die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses nichtig ist, ferner die Bekl. zu verurteilen, an sie 26020,80 DM brutto an Lohn (für die Zeit von Januar 1984 bis Januar 1985) abzügl. 8913,60 DM Arbeitslosengeld zu zahlen.

Die Bekl. hat Klageabweisung beantragt und erklärt, sie rechne hilfsweise mit dem an die Kl. gezahlten Betrag von 11900,- DM gegen die Klageforderung auf. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe die Kl. ausreichend unterrichtet. Eine Pflicht des Arbeitgebers, auf die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist hinzuweisen, bestehe jedenfalls dann nicht, wenn ein Arbeitnehmer, wie hier die Kl., von sich aus die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses verlange. In diesem Fall müsse sich der Arbeitnehmer selbst informieren. Außerdem spreche der Aufhebungsvertrag von "vorzeitiger" Beendigung des Arbeitsverhältnisses Er habe somit - für die Kl. erkennbar - den Hinweis enthalten, daß die Kündigungsfrist nicht eingehalten werde. Verbindl. Angaben über die Länge der zu erwartenden Sperr- oder Ruhenszeiten habe sie nicht machen können, da diese vom Einzelfall abhänge. Einen allgemeinen Hinweis habe sie gegeben. Außerdem hätte die Kl. den Aufhebungsvertrag auch bei Kenntnis seiner sozialrechtl. Auswirkungen geschlossen. Schließl. sei sie allenfalls nach § 242 BGB verpflichtet, die Abfindung um den Betrag des der Kl. entgangenen Arbeitslosengeldes zu erhöhen.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Die Revision der Kl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Zutreffend hat das LAG angenommen, daß die Kl. die begehrte Zahlung nicht als die vereinbarte Vergütung nach § 615 BGB verlangen kann. Die Kl. hat die Bekl. dadurch, daß sie dieser im Schreiben vom 22. 2. 1984 ihre Arbeitskraft angeboten hat, nicht in Annahmeverzug gesetzt. Das Arbeitsverhältnis war durch den Aufhebungsvertrag vom 11. 11. 1983 mit Ablauf des 30. 11. 1983 beendet worden, bestand also im Zeitpunkt des Arbeitsangebots der Kl. nicht mehr.

1. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß der Aufhebungsvertrag nicht nach § 142 Abs. 1 i. V. mit § 123 Abs. 1 BGB nichtig ist. Tatsachen, aus denen sich ergibt, daß die Bekl. eine arglistige Täuschung begangen hat, hat die Kl. im Zeitpunkt der letzten mündl. Verhandlung vor dem LAG nicht mehr behauptet. Dies ergibt sich aus den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsurteiles.

2. Ebensowenig ist der Aufhebungsvertrag nach § 142 Abs. 1 i. V. mit § 119 Abs. 1 BGB nichtig. Zwar hat die Kl. im Schreiben vom 22. 2. 1984 die Anfechtung "aus allen rechtl. Gesichtspunkten" erklärt und sie damit auch auf § 119 BGB gestützt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes hat die Kl. damit gerechnet, daß ihr die Abfindung in weit größerem Umfang erhalten bleibe, als dies tatsächl. der Fall gewesen ist. Dieser Irrtum der Kl. ist aber kein zur Anfechtung nach § 119 BGB berechtigender Erklärungs- oder Inhaltsirrtum. Er betrifft vielmehr den Beweggrund, der die Kl. zum Abschluß des Aufhebungsvertrags veranlaßte, und stellt sich daher als ein Motivirrtum dar, der im Interesse des Rechtsverkehrs unbeachtl. ist (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 46. Aufl., § 119 Anm. 7a).

3. Zutreffend hat das LAG auch angenommen, daß die von der Kl. behauptete Verletzung des Arbeitsvertrags durch die Bekl. keine Auswirkungen auf die Gültigkeit des Aufhebungsvertrags hatte. Eine Vertragsverletzung kann einen Anspruch auf Schadenersatz begründen (§§ 280, 286, 249 BGB), die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts hat sie jedoch nicht zur Folge.

II. Die Kl. kann den mit der Klage geltend gemachten Betrag auch nicht als Schadenersatz von der Bekl. fordern. Die Bekl. hat ihre Hinweispflicht gegenüber der Kl. nicht verletzt.

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß Grundlage einer etwaigen Hinweispflicht der Bekl. im vorliegenden Fall das Arbeitsverhältnis war, das noch bestand, als die Parteien über den Inhalt des Aufhebungsvertrags verhandelten. Das LAG meint weiter, die Bekl. sei verpflichtet gewesen, die Kl. auf die aus dem Vertragswortlaut nicht erkennbaren nachteiligen Auswirkungen hinzuweisen, die die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte; dies folge daraus, daß die Bekl. den Wortlaut des Vertrags und dessen Inhalt einseitig bestimmt habe. An dieser Aufklärung habe es die Bekl. fehlen lassen. Dem ist nicht zu folgen.

2. Zu der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer über die Folgen unterrichten muß, die die einvernehml. Auflösung des Arbeitsverhältnisses für Ansprüche des Arbeitnehmers gegen Dritte hat, hat das BAG bereits Stellung genommen. In den Urt. vom 13. 11. 1984 (BAG 47, 169 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen) und vom 18. 9. 1984 (3 AZR 118/82 - AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen) hat es Grundsätze darüber aufgestellt, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang der Arbeitgeber auf Versorgungsschäden hinweisen muß, die dem Arbeitnehmer bei einvernehml. Auflösung des Arbeitsverhältnisses drohen.

a) Der Arbeitnehmer muß sich grundsätzl. vor Abschluß eines Vertrags, durch den das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden soll, über die rechtl. Folgen dieses Schritts Klarheit verschaffen, wenn er von diesen die Beendigung abhängig machen will. Der Arbeitgeber muß den Arbeitnehmer allerdings aufklären, wenn die Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Billigkeitsgesichtspunkten und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, daß der Arbeitnehmer durch eine sachgerechte und vom Arbeitgeber redlicherweise zu erwartende Aufklärung vor der Auflösung des Arbeitsverhältnisses bewahrt werden muß, weil er sich durch sie in bezug auf die Altersversorgung aus Unkenntnis selbst schädigen würde. Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen ist normalerweise davon auszugehen, daß ein Arbeitnehmer, der von sich aus um Auflösung des Arbeitsverhältnisses bittet oder ein Auflösungsangebot des Arbeitgebers nach Bedenkzeit annimmt, die Folgen dieses schwerwiegenden Entschlusses bedacht und sich notfalls erkundigt hat. Erkundigt der Arbeitnehmer sich vor Auflösung des Arbeitsverhältnisses beim Arbeitgeber nach dem rechtl. Schicksal seiner Versorgungsansprüche, muß der Arbeitgeber sich entscheiden, ob er die Frage beantworten oder an den Träger der Versorgung zur Beantwortung weiterleiten will. Entschließt der Arbeitgeber sich, die Frage selbst zu beantworten, haftet er für die Folgen von Fehlern, die ihm dabei unterlaufen. Eine Hinweispflicht besteht nur insoweit, als der Arbeitgeber mit der Unkenntnis des Arbeitnehmers rechnen muß. Sie besteht nicht, wenn der Arbeitnehmer die Vertragsbeendigung selbst vorschlägt und so begründet, daß etwaige durch die Auflösung des Verhältnisse entstehende Nachteile offenbar keine Rolle spielen sollen (vgl. BAG, aaO).

b) Nach Auffassung des Senats sind diese Grundsätze auch in Fällen wie dem vorliegenden anzuwenden. Auch hier geht es um die Auswirkungen, die die einvernehml. Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Ansprüche des Arbeitnehmers hat, die nach Wegfall des Lohnanspruchs dazu bestimmt sind, seine Lebensgrundlage zu sichern. In beiden Fällen können die Vertragspartner durch zweckmäßiges Verhalten, insbesondere dadurch, daß sie den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Bestimmungen des Renten- oder Arbeitslosenversicherungsrechts anpassen, nachteilige Auswirkungen auf die Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Träger der Versorgung oder gegen die Arbeitsverwaltung vermeiden.

c) Daraus ergibt sich, daß dem LAG nicht zu folgen ist, soweit es meint, die Bekl. habe ihre Unterrichtungspflicht gegenüber der Kl. dadurch verletzt, daß sie diese nicht über den konkreten Zusammenhang zwischen der vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses und dem Ruhen des Arbeitslosengeldes gemäß § 117 AFG hingewiesen hat. Die Bekl. hat vielmehr ihrer Pflicht genügt, indem sie die Kl. an das ArbA verwiesen hat, nachdem diese die Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses von sich aus wünschte.

Das LAG hat festgestellt, daß die Angestellte B. der Bekl. mit der Kl. über eine Sperrzeit gesprochen hat, die möglicherweise verhängt werde und über deren Dauer das ArbA entscheide. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht daraus, daß die Angestellte B. nur die Sperrzeit erwähnt hat, hergeleitet, die Unterrichtung durch die Bekl. sei unvollständig gewesen, weil sie sich nicht auch auf die Rechtsfolge des § 117 AFG (Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld) bezogen habe. Dadurch, daß die Angestellte B. die Möglichkeit einer Sperrzeit erwähnte, wurde ihr Hinweis nicht zu einer unvollständigen Auskunft, die die Bekl. nach den vorgenannten Grundsätzen schadenersatzpflichtig macht. Die Auskunft der Angestellten B. war, für die Kl. erkennbar, nicht abschließend. Durch diesen Hinweis erhielt die Kl. Gelegenheit, nach Rücksprache mit dem ArbA zu erfahren, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses für sie wirtschaftl. sinnvoll war. Es war zu erwarten, daß sie, hätte sie dem ArbA den ihr bereits bekannten Inhalt des beabsichtigten Auflösungsvertrags mitgeteilt, auch darüber unterrichtet worden wäre, welche Auswirkungen sich nach § 117 AFG auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld ergaben. Für die Kl. bestand, wenn sie die Auflösung des Arbeitsverhältnisses davon abhängig machen wollte, auch deshalb Anlaß, den Hinweis der Angestellten B. aufzugreifen und sich beim ArbA über die Höhe ihrer Ansprüche zu erkundigen, weil die Maßnahme der Bekl., wie die Kl. wußte, an sich nur Arbeitnehmer betraf, die in die Türkei zurückkehren wollten und somit nach § 100 AFG ohnehin keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte. Die Kl. hatte von sich aus angeregt, an der Aktion der Bekl. teilnehmen zu dürfen, obwohl sie in der BR bleiben wollte. Sie konnte daher billigerweise nicht davon ausgehen, daß die Bekl. im einzelnen geprüft hatte, welche Auswirkungen bei ihr die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld haben würde und daß die Bekl. dafür die Verantwortung übernehmen wollte. Vielmehr lag es für die Kl. nahe, sich wegen der Folgen der Vertragsauflösung bei der zuständigen Behörde zu erkundigen, die die Bekl. ihr genannt hatte.

III. Da die Bekl. bereits ihre Hinweispflicht gegenüber der Kl. nicht verletzt hat, kommt es auf die vom Berufungsgericht verneinte Frage, ob das Verhalten der Bekl. für den Schaden der Kl. ursächlich war, nicht an.

Vorinstanzen

LAG BadWürtt.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht; Sozialrecht

Normen

BGB §§ 611, 119, 123, 142, 249, 280, 286, 615; AFG §§ 100, 117, 119