Sittenwidrige Mithaftung von Angehörigen

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

14. 11. 2000


Aktenzeichen

XI ZR 248/99 (Stuttgart)


Leitsatz des Gerichts

  1. Mitdarlehensnehmer ist nur, wer ein eigenes Interesse an der Kreditgewährung hat und über die Auszahlung und Verwendung der Darlehensvaluta mitentscheiden darf, Mithaftender, wer der Bank nicht als gleichberechtigter Darlehensnehmer gegenübersteht.

  2. Eine krasse finanzielle Überforderung des mitverpflichteten Ehepartners oder nahen Angehörigen ist grundsätzlich erst dann zu bejahen, wenn der Betroffene voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag. Anderweitige Sicherheiten des Gläubigers sind nur zu berücksichtigen, soweit sie das Haftungsrisiko des Mitverpflichteten auf ein rechtlich vertretbares Maß beschränken.

  3. In den Fällen der krassen finanziellen Überforderung besteht eine tatsächliche (widerlegliche) Vermutung, dass sich der Ehegatte oder nahe Angehörige bei der Übernahme der Mithaftung nicht von seinen Interessen und von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und dass das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen Hauptschuldner und Mithaftenden in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.

  4. Der Erwerb bloßer mittelbarer Vorteile aus einem Betriebsmittelkredit des Hauptschuldners ist nicht geeignet, die tatsächliche Vermutung einer unzulässigen Willensbeeinflussung zu widerlegen.

  5. Die gegen die guten Sitten verstoßende Mithaftungsabrede ist nach § 139 BGB teilweise aufrechtzuerhalten, wenn die Vertragsschließenden bei Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes an Stelle der unwirksamen Regelung eine andere auf das zulässige Maß beschränkte vereinbart hätten und sich der Vertragsinhalt in eindeutig abgrenzbarer Weise in den nichtigen Teil und den von der Nichtigkeit nicht berührten Rest aufteilen lässt (Bestätigung von BGHZ 107, 351 = NJW 1989, 2681 = LM § 139 BGB Nr. 71).

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Mitverpflichtung der Bekl. aus einem Darlehensvertrag. Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Am 6. 4. 1992 schloss die klagende Sparkasse mit dem inzwischen geschiedenen Ehemann der Bekl., dem Alleininhaber eines Montagebetriebs, einen Darlehensvertrag über 47000 DM zu einem auf fünf Jahre festgeschriebenen Zinssatz von 9%, rückzahlbar in monatlichen Raten von 800 DM. Der Vertrag wurde von der Bekl. als Darlehensnehmerin mitunterzeichnet. Nach dem Willen der Vertragsparteien sollten mit dem Kredit die Geschäftsverbindlichkeiten des damaligen Ehemanns der Bekl. umgeschuldet und gemeinsame Restschulden der Eheleute in Höhe von 9190,71 DM abgelöst werden. Zur Sicherung des Darlehens wurden der Kl. eine Lebensversicherung der Bekl. und zwei Lebensversicherungen ihres damaligen Ehemanns übertragen. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses betreute die damals 26 Jahre alte Bekl., die den Friseurberuf erlernt hat, ihre vier Kinder im Alter von einem bis acht Jahren. Ferner half sie für ein geringes Entgelt im Betrieb ihres damaligen Ehemanns aus. Die Darlehensraten wurden bis Oktober 1996 über das Geschäftskonto des geschiedenen Ehemanns der Bekl. vertragsgemäß bezahlt. Nachdem weitere Tilgungsleistungen ausgeblieben waren, kündigte die Kl. mit Schreiben vom 24. 2. 1997 den Darlehensvertrag fristlos und verwertete daraufhin die Sicherungszwecken dienenden Lebensversicherungen. Nach deren Verwertung verblieb am 12. 3. 1998 eine Restschuld von 15143,23 DM zuzüglich 3906,39 DM Zinsrückstände. Mit der Klage nimmt die Kl. die Bekl., die im September 1994 eine Teilzeitbeschäftigung mit einem monatlichen Nettoverdienst von 840 DM aufgenommen hat, als Gesamtschuldnerin neben ihrem geschiedenen Ehemann auf Zahlung von 19049,62 DM zuzüglich Zinsen in Anspruch.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat ihr in Höhe von 9190,71 DM zuzüglich Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgte die Kl. den abgewiesenen Teil ihres Klageantrags weiter, während die Bekl. die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebte. Die Revisionen hatten keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat die Mitunterzeichnung des Darlehensvertrags durch die Bekl. für einen gegen die guten Sitten verstoßenden und zum überwiegenden Teil nichtigen Schuldbeitritt gehalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Bei dem streitgegenständlichen Darlehen handele es sich hauptsächlich um einen für den damaligen Ehemann der Bekl. bestimmten Betriebsmittelkredit. Bei wertender Betrachtung habe die Bekl. nicht die Stellung einer Kreditnehmerin, sondern einer bloßen Mitschuldnerin erlangt. Da sie mit ihren monatlichen Einnahmen aus der Mitarbeit im Betrieb ihres geschiedenen Ehemanns weder die in den Monatsraten enthaltenen Zinsen hätte aufbringen, noch innerhalb von fünf Jahren ein Viertel der Hauptschuld (ohne Zinsen) hätte tilgen können, sei sie durch den Schuldbeitritt finanziell krass überfordert worden. Auf die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden und die zukünftigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse ihres damaligen Ehemanns komme es im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung nicht an. Die sicherungshalber abgetretenen Lebensversicherungen seien ausweislich der 1997 erzielten Verwertungserlöse von durchschnittlich 4500 DM bei Abschluss des Vertrags nicht so wertvoll gewesen, dass sie das Haftungsrisiko und damit die finanzielle Leistungsunfähigkeit der Bekl. beseitigt oder entscheidend verringert hätten.

Angesichts der krassen finanziellen Überforderung sei im Zweifel davon auszugehen, dass die Bekl. sich nur aus emotionaler Verbundenheit zu ihrem damaligen Ehemann auf das wirtschaftlich sinnlose Mithaftungsbegehren eingelassen habe. Diese tatsächliche Vermutung habe die Kl. nicht widerlegt.

Ein unmittelbares Interesse an der neuen Kreditaufnahme habe auf Seiten der Bekl. nur insoweit bestanden, als ein Teil des Darlehens zur Tilgung ihrer eigenen Schulden verwandt worden sei. Dagegen sei sie an der den Hauptzweck des Darlehensvertrags bildenden Finanzierung des Gewerbebetriebs ihres geschiedenen Ehemanns allenfalls mittelbar interessiert gewesen. Das reiche nicht aus, um der unbeschränkten Mithaftungsvereinbarung den Makel der Sittenwidrigkeit zu nehmen.

Indes sei der Schuldbeitritt gem. § 139 BGB insoweit wirksam, als mit dem Darlehen die gemeinsamen Schulden der Bekl. und ihres damaligen Ehemanns abgelöst worden seien. Da die Prozessparteien bei Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes entweder eine Mitverpflichtung in Höhe der ursprünglichen Haftung der Bekl. vereinbart oder diese bestehen gelassen hätten, sei eine Gesamtnichtigkeit selbst dann nicht gegeben, wenn die gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Rückzahlung des Kredits nicht teilbar sein sollte. Der durch die beschränkte Mithaftungsabrede gesicherte Teil der Darlehensforderung zuzüglich anteiliger Zinsen sei mangels entsprechender Tilgungsbestimmung auch nicht ganz oder teilweise erloschen, sondern werde nach den Regeln des § 366 II BGB nachrangig getilgt.

II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in allen wesentlichen Punkten stand.Gem. § 138 I BGB verstößt eine Schuldmitübernahme bei nicht ganz geringfügigen Bankkrediten auch ohne Hinzutreten den finanzschwachen Ehepartner bzw. nahen Angehörigen besonders belastender Umstände oder Verhältnisse im Allgemeinen gegen die guten Sitten und ist daher nichtig, wenn die Verpflichtung nicht auf Grund einer freien Entscheidung übernommen wurde, sondern die Bank die emotionale Bindung des Ehepartners oder des nahen Angehörigen an den Darlehensnehmer ausgenutzt hat. Davon ist hier im Hinblick auf die krasse finanzielle Überforderung der Bekl. auszugehen. Allerdings steht einer Aufrechterhaltung des Schuldbeitritts in Höhe der abgelösten gemeinsamen Verbindlichkeiten der geschiedenen Eheleute nach der Wertung des § 139 BGB kein Hinderungsgrund entgegen. Nach § 366 II BGB ist auch eine Tilgung des durch die beschränkte Mithaftungsvereinbarung gesicherten Teils der Darlehensforderung sowie der darauf entfallenden Zinsen nicht erfolgt.

A. Revision der Kl.: Die Revision der Kl. ist unbegründet.

1. Ihrer Ansicht, die Bekl. sei nach den getroffenen Vereinbarungen nicht nur zur Sicherung des Rückzahlungsanspruchs in die Haftung einbezogen worden, sondern zusammen mit ihrem damaligen Ehemann in jeder Beziehung gleichberechtigte Mitdarlehensnehmerin, kann nicht gefolgt werden. Von solchen echten Mitdarlehensnehmern, bei denen eine Sittenwidrigkeit des Darlehensvertrags auch bei krasser finanzieller Überforderung grundsätzlich nicht in Betracht kommt, kann in aller Regel nur bei Personen ausgegangen werden, die ein eigenes Interesse an der Kreditgewährung haben, sich als Gesamtschuldner verpflichten und im Wesentlichen gleichberechtigt über die Verwendung der Darlehensvaluta mitentscheiden (Nobbe, BankR - Aktuelle höchst- und obergerichtliche Rspr., Rdnr. 1328). So liegen die Dinge, wie das BerGer. zutreffend ausgeführt hat, hier jedoch nicht.

Zwar sollten die neuen Kreditmittel nach dem Willen der Vertragsparteien nicht nur zur Umschuldung der Geschäftsverbindlichkeiten des damaligen Ehemanns der Bekl., sondern auch zur Ablösung der gemeinsamen Restschulden aus einem Allzweckdarlehen und einem Girovertrag verwandt werden. Dies bedeutet aber nicht, dass der Kl. von Anfang an zwei gleichberechtigte Darlehensnehmer gegenüberstanden. Denn abgesehen davon, dass der ganz überwiegende Teil des Kredits für die Finanzierung des Gewerbebetriebs benötigt wurde, deutet nichts darauf hin, dass es ohne die von der Kl. mit dem damaligen Ehemann der Bekl. vereinbarte Umschuldungsmaßnahme überhaupt zum Abschluss des Darlehensvertrags gekommen wäre. Dass die formelle Mitantragstellung der Bekl. Sicherungszwecken dienen und keine echte Gläubigerstellung begründen sollte, ist im Übrigen von der Kl. in den Vorinstanzen nicht substanziiert bestritten worden.

2. Die Mithaftungsübernahme überforderte die Bekl. finanziell in krasser Weise.

a) Wie der erkennende Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss an den Großen Senat vom 29. 6. 1999 (NJW 1999, 2584 = LM H. 11/1999 § 765 BGB Nr. 138a = WM 1999, 1556 [1559]) näher dargelegt hat, ist eine krasse finanzielle Überforderung des mitverpflichteten Ehepartners oder nahen Angehörigen bei nicht ganz geringfügigen Bankschulden grundsätzlich dann zu bejahen, wenn er voraussichtlich nicht einmal in der Lage ist, die laufenden Zinsen mit seinen eigenen finanziellen Mitteln auf Dauer aufzubringen. In einem solchen Falle spricht ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine widerlegliche tatsächliche Vermutung dafür, dass sich der Ehegatte oder nahe Angehörige bei der Übernahme der Mithaftung nicht von seinen Interessen und von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen dem Hauptschuldner und dem Mithaftenden in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (vgl. BGHZ 136, 346 [351] = NJW 1997, 3372 = LM H. 5/1998 § 765 BGB Nr. 120; BGH, NJW 1998, 894 = LM H. 5/1998 § 138 [Bb] BGB Nr. 84 = WM 1997, 235 [236], insoweit in BGHZ 137, 292, nicht abgedr.; BGH, NJW 1999, 135 = LM H. 3/1999 § 138 [Bb] BGB Nr. 90 = WM 1998, 2366 [2367]; NJW 1999, 58 = LM H. 3/1999 § 765 BGB Nr. 132 = WM 1998, 2327 [2328], und NJW 2000, 1182 = LM H. 9/2000 § 138 [Bb] BGB Nr. 97 = WM 2000, 410 [411]).

Auf dieser Betrachtungsweise beruht - anders als die Revision der Kl. meint - auch die angefochtene Entscheidung. Zwar hat das BerGer. in Anlehnung an die frühere, spätestens seit der Entscheidung vom 27. 1. 2000 (BGH, NJW 2000, 1182 = LM H. 9/2000 § 138 [Bb] BGB Nr. 97 = WM 2000, 410 [411]) überholte Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH ausgeführt, dass die Bekl. mit ihren monatlichen Einnahmen aus der Mitarbeit im Betrieb ihres damaligen Ehemanns voraussichtlich nicht ein Viertel der Hauptsumme (ohne Zinsen) innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren hätte aufbringen können. Nach den an gleicher Stelle getroffenen rechtsfehlerfreien Feststellungen hätte der Lohn aber auch nicht zur ordnungsmäßigen Bedienung der laufenden Zinsen ausgereicht. Da die Bekl. bei Abgabe der Mithaftungserklärung ihre vier, damals ein, zwei, sechs und acht Jahre alten Kinder betreute, war entgegen der Ansicht der Revision jedenfalls innerhalb der acht- bis neunjährigen Laufzeit des Darlehens nicht mit einer ganz- oder halbtägigen Ausübung des erlernten Friseurberufs zu rechnen und konnte angesichts der bestehenden Unterhaltspflichten erst recht kein pfändbares Einkommen aus einer solchen Tätigkeit erwartet werden. Für eine Vereinbarung der Parteien, dass die Mithaftungsabrede nur im Falle einer wesentlichen Verbesserung der Einkommens- oder Vermögensverhältnisse der Bekl. gelten sollte, ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.

b) Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bekl. ist das Leistungsvermögen ihres Ehemanns nicht zu berücksichtigen, sondern nur ihr eigenes pfändbares Einkommen und Vermögen. Die Bürgschaft oder Mithaftung wird in aller Regel gerade für den Fall der Insolvenz des Hauptschuldners oder anderer Leistungshindernisse vereinbart. Auf diese Situation ist deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (s. Senat, NJW 1999, 2584 = LM H. 11/1999 § 765 BGB Nr. 138a m.w. Nachw.) im Rahmen der Prüfung der finanziellen Möglichkeiten des mitverpflichteten Ehepartners oder nahen Angehörigen abzustellen. Diese Auffassung wird auch vom IX. Zivilsenat des BGH geteilt. Seinen früheren gegenteiligen Standpunkt hat er inzwischen ausdrücklich aufgegeben (BGH, NJW 2000, 1182 = LM H. 9/2000 § 138 [Bb] BGB Nr. 97 = WM 2000, 410 [412]).

3. Das von der Bekl. übernommene Haftungsrisiko wurde durch die der Kl. zur Sicherheit übertragenen Lebensversicherungen der Bekl. und ihres Ehemanns nicht entscheidend herabgemindert.

a) Bei der Beurteilung der finanziellen Überforderung sind nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH anderweitige Sicherheiten des Kreditgebers grundsätzlich nur dann zu berücksichtigen, wenn sie das Haftungsrisiko des Mitverpflichteten oder Bürgen in rechtlich gesicherter Weise auf ein vertretbares Maß beschränken (vgl. BGHZ 136, 347 [352f.] = NJW 1997, 3372 = LM H. 5/1998 § 765 BGB Nr. 120; BGH, NJW 1999, 58 = LM H. 3/1999 § 765 BGB Nr. 132 = WM 1998, 2327 [2328], und NJW 2000, 1182 = LM H. 9/2000 § 138 [Bb] BGB Nr. 97 = WM 2000, 410 [412]; s. ferner Senat, NJW 1999, 2584 = LM H. 11/1999 § 765 BGB Nr. 138a). Gemessen an diesen strengen Grundsätzen hat das BerGer. den abgetretenen Lebensversicherungen zu Recht keine wesentliche Bedeutung beigemessen.

Dabei kann offenbleiben, welcher Zeitraum für die zukünftige Wertentwicklung von Lebensversicherungen oder anderen Sicherheiten vernünftigerweise prognostizierbar ist und unter welchen Voraussetzungen bloße Erwerbsaussichten des Mitverpflichteten zu berücksichtigen sind. Denn da zwischen der Mithaftungsvereinbarung und der Verwertung der Lebensversicherungen ein Zeitraum von mehr als fünf Jahren liegt und mit dem Gesamterlös dennoch nicht einmal ein Drittel der ursprünglichen Darlehensschuld getilgt werden konnte, war nicht von Beginn an gewährleistet, dass die Bekl. im Sicherungsfalle nur noch in einem sie nicht mehr unzumutbar belastenden Umfang haften würde. Entgegen der Auffassung der Revision ist auf die Sicherheiten auch nicht im Rahmen einer „Gesamtwürdigung“ der damaligen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen Eheleute Rücksicht zu nehmen, weil es aus den bereits dargelegten Gründen allein auf die Finanzkraft der Bekl. ankommt.

b) Die Kl. muss die danach gegebene finanzielle Leistungsunfähigkeit der Bekl. als bekannt gegen sich gelten lassen. Nach banküblichen Gepflogenheiten überprüfen Kreditinstitute die geforderten Sicherheiten vor der Hereinnahme mit kaufmännischer Sorgfalt auf ihre Werthaltigkeit. Sieht eine Bank - wie hier - davon ab, befragt sie also insbesondere den Betroffenen nicht nach seinen derzeitigen und zukünftigen finanziellen Möglichkeiten, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass sie die die krasse finanzielle Überforderung begründenden objektiven Tatsachen und Verhältnisse schon bei Vertragsabschluss kannte oder sich ihnen bewusst verschlossen hat (vgl. BGH, NJW 1996, 513 = LM H. 4/1996 § 138 [Bc] BGB Nr. 85 = WM 1996, 53 [54]; NJW 1999, 58 = LM H. 3/1999 § 765 BGB Nr. 132 = WM 1998, 2327 [2329] m.w. Nachw., und NJW 2000, 1182 = LM H. 9/2000 § 138 [Bb] BGB Nr. 97 = WM 2000, 410 [412]).

4. Die angesichts der krassen finanziellen Überforderung der Bekl. bestehende tatsächliche Vermutung, dass sie sich bei der Übernahme der Mithaftung nicht von einer realistischen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos, sondern von ihrer emotionalen Bindung an ihren damaligen Ehemann hat leiten lassen und die Kl. dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat, hat die darlegungs- und beweisbelastete Kl. nicht ausgeräumt.

a) Nach Ansicht des erkennenden Senats ist ein auf einen freien Willensentschluss hindeutendes oder ein Handeln allein aus emotionaler Verbundenheit voll ausgleichendes Eigeninteresse des finanziell krass überforderten Ehepartners an der Darlehensgewährung allerdings grundsätzlich zu bejahen, wenn er zusammen mit dem Ehepartner ein gemeinsames Interesse an der Kreditgewährung hat oder ihm aus der Verwendung der Darlehensvaluta unmittelbare und ins Gewicht fallende geldwerte Vorteile erwachsen sind. Bei wirtschaftlicher Betrachtung besteht dann kein wesentlicher Unterschied zu den Fällen, in denen die Eheleute den Kredit als gleichberechtigte Vertragspartner aufgenommen und verwandt haben. In solchen Fällen muss sich der nur aus Sicherungsgründen in die Haftung einbezogene Mitverpflichtete daher bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB wie ein echter Mitdarlehensnehmer behandeln lassen (s. Senat, NJW 1999, 2584 = LM H. 11/1999 § 765 BGB Nr. 138a m.w. Nachw.).

b) Damit ist jedoch der Erwerb bloßer mittelbarer geldwerter Vorteile aus einem von dem Hauptschuldner aufgenommenen Betriebsmittelkredit grundsätzlich nicht zu vergleichen (Senat, NJW 1999, 2584 = LM H. 11/1999 § 765 BGB Nr. 138a m.w. Nachw.). Der gegenteilige Standpunkt führt zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung der Ehepartner selbstständiger Unternehmer ohne Rücksicht auf ihre eigene finanzielle Leistungsfähigkeit und Berufsausbildung. Insbesondere ist die Unterhaltsbedürftigkeit des einen Partners für sich genommen kein triftiger Grund, um ihm gegen seinen ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen das unternehmerische Risiko des anderen aufzubürden, zumal sich häufig nicht einmal ein innerer Zusammenhang zwischen den Unterhaltsleistungen und der Darlehensgewährung zuverlässig feststellen lässt. Auch diese differenzierende Betrachtungsweise wird inzwischen vom IX. Zivilsenat des BGH jedenfalls bei krasser finanzieller Überforderung des Bürgen geteilt (BGH, NJW 2000, 1182 = LM H. 9/2000 § 138 [Bb] BGB Nr. 97 = WM 2000, 410 [412f.]). Von hier entscheidungsrelevanten Meinungsunterschieden in der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen der Erwerb bloßer mittelbarer Vorteile des Bürgen oder Mitverpflichteten aus der Darlehensaufnahme einen angemessenen Interessenausgleich darstellt, kann daher entgegen der Auffassung der Revision keine Rede mehr sein.

c) Das BerGer. hat ein rechtlich vertretbares Interesse der Kl. an der Mitverpflichtung der Bekl. zu Recht auch nicht in der abstrakten Gefahr gesehen, ihr damaliger Ehemann könne sein ganzes Vermögen oder wesentliche Teile davon auf sie übertragen. Der Gesichtspunkt, solchen Vermögensverlagerungen vorzubeugen, war nach den eigenen Angaben der Kl. für das unbeschränkte Mithaftungsbegehren bedeutungslos, so dass er weder zum Inhalt noch zur Geschäftsgrundlage des Schuldbeitritts gemacht worden ist. Auf die strittige Frage, ob die in einer Mithaftungserklärung nicht zum Ausdruck gekommene Absicht des Kreditinstituts, Vermögensverlagerungen vorzubeugen, überhaupt eine unbeschränkte Mithaftung rechtfertigen kann, kommt es somit nicht an.

5. Die von der Kl. verlangte Mithaftungserklärung der Bekl. verstößt danach gegen die guten Sitten (§ 138 I BGB) und ist nichtig, soweit sie nicht den für die Ablösung der gemeinsamen Altschulden der Bekl. und ihres Ehemanns erforderlichen Teil des Darlehens betrifft.

B. Revision der Bekl.: Im Übrigen wird der Schuldbeitritt entgegen der Ansicht der Bekl. nicht von der Nichtigkeitsfolge des § 138 I BGB erfasst. Auch die Revision der Bekl. ist deshalb unbegründet.

1. Nach § 139 BGB bleibt bei Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts der von der Nichtigkeit nicht erfasste Teil bestehen, wenn dies dem hypothetischen Parteiwillen entspricht. Eine solche Teilnichtigkeit ist zwar in erster Linie gegeben, wenn nach Entfernung (sozusagen: „Hinausstreichen“) des unwirksamen Teils ein Vertragsinhalt übrig bleibt, der für sich allein genommen einen Sinn behält. Nach der Zielsetzung der Norm ist sie aber grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn die Vertragsschließenden an Stelle der unwirksamen Regelung, hätten sie die Nichtigkeit von Anfang an gekannt, eine andere auf das zulässige Maß beschränkte vereinbart hätten und sich der Vertragsinhalt in eindeutig abgrenzbarer Weise in den nichtigen Teil und den von der Nichtigkeit nicht berührten Rest aufteilen lässt (BGHZ 107, 351 [355f.] = NJW 1989, 2681 = LM § 139 BGB Nr. 71).

Das ist unter den hier gegebenen Umständen und Verhältnissen zu bejahen. Für die Bekl. war es nämlich schon für sich allein sinnvoll und vorteilhaft, wenn die bezüglich der alten Verbindlichkeiten begründete Primärhaftung vollständig erlischt und durch eine grundsätzlich auf den Sicherungsfall beschränkte Subsidiärhaftung ersetzt wird. Es ist daher, wie das BerGer. zutreffend ausgeführt hat, kein Grund für die Annahme ersichtlich, die Bekl. hätte als rational handelnde Vertragspartei keinen Schuldbeitritt in Höhe der abgelösten Schulden erklärt und auch keine vergleichbare Sicherungsabrede getroffen.

Die Anwendung des § 139 BGB steht - anders als die Revision der Bekl. meint - nicht in Widerspruch zum Schutzgedanken des § 138 BGB. Zwar dürfen sittenwidrige Rechtsgeschäfte für den Gläubiger nicht das Risiko verlieren, mit dem sie durch die gesetzlich angeordnete Nichtigkeitssanktion behaftet sind; das wäre aber der Fall, wenn er im Allgemeinen damit rechnen könnte, schlimmstenfalls durch gerichtliche Festsetzung das zu bekommen, was gerade noch rechtlich vertretbar und damit sittengemäß ist (vgl. BGHZ 68, 204 [207] = NJW 1977, 1233 = LM § 138 [Bb] BGB Nr. 40 L; BGH, NJW 1979, 1605 [1606]). Sittenwidrige und vor allem wucherische Rechtsgeschäfte sind daher grundsätzlich als Einheit zu werten und dürfen auch nicht durch eine geltungserhaltende Reduktion oder Umdeutung i.S. des § 140 BGB mit einem zulässigen Inhalt aufrechterhalten werden (BGHZ 68, 204 [207] = NJW 1977, 1233 = LM § 138 [Bb] BGB Nr. 40 L m.w. Nachw.; vgl. auch BGH, NJW 2000, 1182 = LM H. 9/2000 § 138 [Bb] BGB Nr. 97 = WM 2000, 410 [413]). Hier geht es aber nicht darum, dass der Richter für die Parteien an Stelle der sittenwidrigen Vereinbarungen eine Vertragsgestaltung findet, die auf die beiderseitigen Interessen hinreichend Rücksicht nimmt und die Nichtigkeitsfolge des § 138 BGB vermeidet. Vielmehr ist der sittenwidrige Teil der unbeschränkten Mithaftungsvereinbarung auf Grund der objektiven Umstände und Verhältnisse genau bestimmt und kann infolgedessen ohne weiteres ausgesondert werden.

2. Der Revision der Bekl. kann schließlich auch nicht gefolgt werden, soweit sie den durch die beschränkte Mithaftungsvereinbarung gesicherten Teil der Darlehensforderung auf Grund der erbrachten Darlehensraten und der Verwertung der sicherungshalber abgetretenen Lebensversicherungen für erloschen erachtet. Nach § 366 I BGB kann der Schuldner mehrerer Forderungen, wenn seine Leistung nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden ausreicht, selbst bestimmen, welche Schuld oder Schulden getilgt werden sollen. In Absatz 2 dieser Vorschrift ist eine ergänzende Regelung für den Fall vorgesehen, dass der Schuldner - wie hier - eine solche Bestimmung weder ausdrücklich noch stillschweigend getroffen hat. Diese Tilgungsbestimmung entspricht dem vermuteten Willen vernünftiger und redlicher Vertragsparteien. Widerspricht jedoch ausnahmsweise die gesetzlich normierte Reihenfolge der Kategorien des Absatz 2 (Fälligkeit, Sicherheit der Forderung, Lästigkeit, Alter der Schuld) ganz offensichtlich dem hypothetischen Parteiwillen, so ist allein dieser maßgebend (BGH, NJW 1969, 1846 [1847] = LM § 366 BGB Nr. 6). Daraus vermag die Revision aber für sich nichts herzuleiten.

Zwar hält die Revision es für ausgeschlossen, dass die Bekl. als ursprüngliche Mitdarlehensnehmerin einer Tilgungsvereinbarung zugestimmt hätte, nach der die über einen Zeitraum von rund vier Jahren geleisteten Tilgungsraten und die bei der Verwertung der Lebensversicherungen erzielten Erlöse ausschließlich mit den Geschäftsschulden ihres damaligen Ehemanns verrechnet werden sollen. Für diese Argumentation fehlt aber bereits die notwendige Tatsachengrundlage. Zwar hat das BerGer. es immerhin für möglich erachtet, dass die Prozessparteien bei Kenntnis der Nichtigkeit eines unbeschränkten Schuldbeitritts die Haftung der Bekl. aus den alten Darlehensverträgen bestehen gelassen hätten. Eine solche Entscheidung hätte aber im Hinblick auf die finanzielle Leistungsunfähigkeit der Bekl. und die schlechte Zukunftsprognose ersichtlich keinen Sinn ergeben. Da bei objektiver Betrachtungsweise davon auszugehen ist, dass die Bekl. ihre eigene Lebensversicherung in jedem Falle zur Sicherung des neuen Kredits abgetreten hätte, gibt es auch sonst keinen Grund, der die in § 366 II BGB normierte nachrangige Tilgung des am besten gesicherten Teils der Darlehensforderung als grob unbillig erscheinen lässt.

Rechtsgebiete

Bürgschafts- und Darlehensrecht

Normen

BGB §§ 138 I, 139, 366 II