Fürsorge- und Aufklärungspflicht des Arbeitgebers

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

17. 10. 2000


Aktenzeichen

3 AZR 605/99


Leitsatz des Gerichts

  1. Den Arbeitgeber treffen jedenfalls dann erhöhte Hinweis- und Aufklärungspflichten, wenn er im betrieblichen Interesse den Abschluss eines Aufhebungsvertrages vorschlägt, der Arbeitnehmer offensichtlich mit den Besonderheiten der ihm zugesagten Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes nicht vertraut ist, sich der baldige Eintritt eines Versorgungsfalles (Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach längerer Krankheit) bereits abzeichnet und durch die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses außergewöhnlich hohe Versorgungseinbußen drohen (Versicherungsrente statt Versorgungsrente).

  2. Unter diesen Umständen reichen der allgemeine Hinweis auf mögliche Versorgungsnachteile und die bloße Verweisung an die Zusatzversorgungskasse unter Einräumung einer Bedenkzeit nicht aus. In einem solchen Fall ist der Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass sich seine Zusatzversorgung bei Abschluss des Aufhebungsvertrages beträchtlich verringern kann. Auch über die Ursache dieses Risikos (Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vor Eintritt eines Versorgungsfalles) hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in groben Umrissen zu unterrichten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. verlangt von der Bekl. den Ersatz des Versorgungsschadens, der ihr durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages entstanden ist.

Die am 6. 9. 1938 geborene Kl. war von März 1975 bis zum 29. 2. 1996 bei der Bekl. als Reinigungskraft beschäftigt. Nachdem absehbar war, dass die Kl. auf Grund ihres Gesundheitszustandes ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben konnte, beantragte sie im Oktober 1995 bei der Zusatzversorgungskasse der Bekl. eine sog. Rentenprobeberechnung. Diese wurde mit Datum vom 2. 11. 1995 erstellt. Auf dem Entwurf ist vermerkt: „Ausgelaufen am 6. 11. 1995“. Die Zusatzversorgungskasse machte auf Seite 1 der Rentenprobeberechnung darauf aufmerksam, dass die Kl. bei einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versicherungsfalles nicht eine dynamisierte Versorgungsrente von monatlich 924,22 DM, sondern lediglich eine nicht dynamisierte Versicherungsrente von monatlich 157,31 DM erhalten werde. Auch im Begleitschreiben zur Rentenprobeberechnung wies die Zusatzversorgungskasse auf diese Folgen hin. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Kl. vom Inhalt dieser Schriftstücke vor oder nach Abschluss des Aufhebungsvertrages Kenntnis erhielt.

Mit Schreiben vom 9. 11. 1995 teilte die Kl. der Bekl. mit:

„Aus gesundheitlichen Gründen möchte ich in den Ruhestand gehen. Ich bitte um Prüfung und baldige Benachrichtigung.“

Am 18. 12. 1995 fand zwischen den Parteien ein Gespräch statt, an dem zur Unterstützung der Kl. das Mitglied des örtlichen Personalrats M. J. teilnahm. Die Kl. bat bei dieser Unterredung um eine Versetzung auf einen Arbeitsplatz außerhalb des Reinigungsbereichs. Die Bekl. sah sich dazu, jedenfalls kurzfristig, außerstande. Sie bot der Kl. den Abschluss eines Aufhebungsvertrages zum 29. 2. 1996 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 18500 DM an. Wie sich die Bekl. zu den versorgungsrechtlichen Risiken äußerte, ist zwischen den Parteien streitig.

Der Aufhebungsvertrag wurde am 15. 1. 1996 abgeschlossen. Mit Bescheid vom 12. 9. 1997 bewilligte die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz der Kl. rückwirkend zum 1. 9. 1996 die am 18. 11. 1996 beantragte Rente wegen einer seit 30. 8. 1996 vorliegenden Erwerbsunfähigkeit. Da die Kl. bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bei der Zusatzversorgungskasse nicht mehr pflichtversichert war, erhält sie keine Versorgungs-, sondern lediglich eine um ein Vielfaches geringere Versicherungsrente.

Die Kl. hat von der Bekl. Schadensersatz wegen falscher Auskunftserteilung oder unzureichender Aufklärung über die Folgen des Aufhebungsvertrages gefordert. Sie hat behauptet, vor Abschluss des Aufhebungsvertrages sei sie weder von der Bekl. noch von der Zusatzversorgungskasse über den Unterschied zwischen Versicherungs- und Versorgungsrente aufgeklärt worden. Sie habe nicht gewusst, dass sie keine Versorgungsrente erhalte, wenn sie im Zeitpunkt des Versicherungsfalles in keinem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis mehr stehe. Sie habe sich sowohl in dem am 18. 12. 1995 mit der Bekl. geführten Gespräch als auch beim Abschluss des Aufhebungsvertrages nach den Auswirkungen auf ihre Zusatzversorgung erkundigt. Die Mitarbeiter der Bekl. hätten erklärt, dass sie eine monatliche Zusatzrente von etwa 900 DM erhalten werde. Auch der Berater der Zusatzversorgungskasse habe ihr das mündlich mitgeteilt. Erst nachdem ihr der Rentenbescheid der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz zugegangen sei und sie daraufhin bei der Zusatzversorgungskasse eine Versorgungsrente beantragt habe, sei dem von ihr eingeschalteten Personalratsmitglied M. J. eine Kopie des Schreibens zur Verfügung gestellt worden. Erst auf diesem Weg habe die Kl. Kenntnis vom Inhalt der Rentenprobeberechnung erlangt. Sie hat gemeint, wegen ihrer Unerfahrenheit habe die Bekl. ihr den Unterschied zwischen Versorgungs- und Versicherungsrente erläutern müssen und sie über die konkreten betriebsrentenrechtlichen Folgen des Aufhebungsvertrages aufklären müssen. Da dies unterblieben sei, müsse die Bekl. Schadensersatz leisten. Sie müsse den Aufhebungsvertrag so abändern, dass die Kl. erst am 31. 8. 1996 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheide. Falls dies nicht möglich sei, müsse die Bekl. selbst die bei der Zusatzversorgung entstandenen Nachteile ausgleichen. Zumindest müsse die Bekl. ihr eine den Grundsätzen des § 2 Abs. 1 BetrAVG entsprechende Zusatzversorgung verschaffen, weil die Regelung des § 18 Abs. 2 BetrAVG, auf der die Unterscheidung zwischen Versorgungs- und Versicherungsrente beruhe, verfassungswidrig sei. Die Kl. hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bis zum 31. 8. 1996 fortbestanden hat,

2. hilfsweise festzustellen, dass die Bekl. verpflichtet ist, die Kl. hinsichtlich der Zusatzversorgungsansprüche so zu stellen, als ob sie erst mit Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente zum 1. 9. 1996 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden wäre,

3. höchst hilfsweise festzustellen, dass die Bekl. verpflichtet ist, die Kl. hinsichtlich der Zusatzversorgungsansprüche so zu stellen, wie es einer Berechnung ihrer Zusatzversorgungsansprüche nach § 2 Abs. 1 BetrAVG entspricht.

Die Bekl. hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, sie habe der Kl. keine Auskunft über die Höhe der ihr zustehenden Zusatzversorgung erteilt, sondern ihr, wie bei der Bekl. üblich, geraten, sich über die Auswirkungen des Aufhebungsvertrages bei der Zusatzversorgungskasse zu erkundigen. Das Schreiben der Zusatzversorgungskasse vom 2. 11. 1995 sei am 6. 11. 1995 abgesandt worden und der Kl. zugegangen, bevor sie den Aufhebungsvertrag unterzeichnet habe. Die Bekl. hat die Ansicht vertreten, sie habe ihre Aufklärungspflichten nicht verletzt. Sie habe sich darauf beschränken dürfen, der Kl. mitzuteilen, dass der Aufhebungsvertrag sich auf die Zusatzversorgung negativ auswirken könne, und die Kl. unter Einräumung einer ausreichenden Bedenkzeit aufzufordern, bei der Zusatzversorgungskasse eine Auskunft einzuholen. Die Bekl. sei nicht verpflichtet gewesen, der Kl. die komplizierten Einzelheiten der Zusatzversorgung zu erläutern. Der Kl. stehe auch deshalb kein Schadensersatzanspruch zu, weil die Zusatzversorgungskasse sie über die Risiken des Aufhebungsvertrages umfassend informiert habe. Soweit § 18 BetrAVG verfassungswidrig sei, stünden der Kl. keine Ansprüche gegen die Bekl. zu. Zum einen müsse sich die Kl. an die Zusatzversorgungskasse halten. Zum anderen könne § 18 BetrAVG bis zu einer gesetzlichen Neuregelung weiter angewandt werden.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat das Personalratsmitglied M. J. und den früheren Personalsachbearbeiter S. R. als Zeugen darüber vernommen, ob der Kl. im Gespräch vom 18. 12. 1995 mitgeteilt worden sei, dass sich durch Abschluss des Aufhebungsvertrages bei der Zusatzversorgung negative Auswirkungen ergeben könnten, oder ob ihr in diesem Gespräch mitgeteilt worden sei, dass sie von der Zusatzversorgungskasse eine Rente in Höhe von etwa 900 DM erhalten werde. Auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme hat das LAG die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Die Revision der Kl. hat teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet, soweit das LAG den Hauptantrag der Kl. auf Feststellung einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgewiesen hat. Soweit die Kl. ihren ersten Hilfsantrag auf Ausgleich ihrer Vermögensschäden weiter verfolgt, ist die Revision begründet. Den tatsächlichen Feststellungen des LAG ist nicht zu entnehmen, ob der Kl. ein Schadensersatzanspruch gegen die Bekl. zusteht. Insoweit ist der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts nach § 565 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.


I.

Das LAG hat den Hauptantrag der Kl. auf Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis bis zum 31. 8. 1996 fortbestanden habe, zu Recht abgewiesen. Die Parteien haben das Arbeitsverhältnis durch einen wirksamen Aufhebungsvertrag zum 29. 2. 1996 beendet. Die von der Kl. geltend gemachte Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten hat keine Auswirkungen auf die Gültigkeit des Aufhebungsvertrages (vgl. BAG vom 10. 3. 1988 - 8 AZR 420/85 - AP Nr. 99 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 6 [I 3 der Gründe]). Die Kl. hat den Aufhebungsvertrag nicht angefochten. Selbst wenn die Bekl. zum Schadensersatz verpflichtet ist, muss sie nur die Versorgungsschäden ausgleichen, nicht aber das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten über den vereinbarten Beendigungszeitpunkt hinaus fortsetzen. Den Abschluss eines Verlängerungsvertrages für einen zurückliegenden Zeitraum kann die Kl. schon deshalb nicht verlangen, weil in der Vergangenheit keine Dienstleistungen mehr erbracht werden können und ein auf eine unmögliche Leistung gerichteter Vertrag nach § 306 BGB nichtig ist (vgl. BAG vom 28. 6. 2000 - 7 AZR 904/98 - AP Nr. 6 zu § 1 KSchG1969 Wiedereinstellung = ZIP 2000, 1781ff. [I B der Gründe] m.w.N.).


II.

Mit ihrem Hilfsantrag verlangt die Kl. einen Ausgleich der Versorgungsschäden, die ihr durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versorgungsfalles entstehen. Die Kl. hat einen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung, wenn die Bekl. ihre arbeitsvertraglichen Informationspflichten beim Abschluss des Aufhebungsvertrages durch ein ihr zuzurechnendes, schuldhaftes Verhalten ihrer Mitarbeiter verletzte. Der Schadensersatzanspruch kann zwar nicht auf falsche Auskünfte der Bekl. gestützt werden. Das LAG hat aber noch näher zu prüfen, ob die Bekl. zu einer intensiveren Belehrung der Kl. verpflichtet war und wie sich etwaige Aufklärungsmängel auswirkten.


1.

Erteilt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Auskünfte, so müssen sie richtig und vollständig sein (ständige Rechtsprechung seit BAG vom 24. 5. 1963 - 1 AZR 66/62 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst = BAG 14, 193, 195; vgl. u.a. BAG vom 23. 5. 1989 - 3 AZR 257/88 - AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen Nr. 28 [2b der Gründe] m.w.N.). Das LAG hat es auf Grund der Zeugenaussagen für nicht bewiesen gehalten, dass die Bekl. der Kl. falsche oder irreführende Auskünfte erteilte. Hieran ist der Senat gebunden (§ 561 ZPO). Die Beweiswürdigung des LAGs ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Kl. hat gegen die Begründung des Beweisergebnisses keine Verfahrensrügen erhoben. Das LAG hat auch zu Recht angenommen, dass die Kl. die Beweislast für die von ihr behauptete falsche Beratung durch die Bekl. trägt (vgl. BAG vom 9. 7. 1991 - 3 AZR 354/90 - ZTR 1992, 116ff. [1b der Gründe]).


2.

Die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitgebers beschränken sich nicht darauf, den Arbeitnehmern keine falschen Auskünfte zu erteilen. Den Arbeitgeber können bei einer einver nehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses Hinweis- und Aufklärungspflichten treffen. Im vorliegenden Fall musste die Kl. vor Abschluss des Aufhebungsvertrages darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihr bei der Zusatzversorgung sehr hohe Einbußen drohten und dieses Risiko auf einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhte. Das LAG hat festzustellen, ob die Hinweise der Bekl. diesen Anforderungen genügten oder auf Grund der von der Zusatzversorgungskasse erteilten Auskünfte entbehrlich waren.


a)

Voraussetzungen und Umfang der Hinweis- und Aufklärungspflichten ergeben sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der jeder Partei zuzubilligende Eigennutz findet seine Grenze an dem schutzwürdigen Lebensbereich des Vertragspartners (BAG vom 13. 11. 1984 - 3 AZR 255/84 - AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen = BAG 47, 169, 175). Die Interessen des Arbeitgebers und des versorgungsberechtigten Arbeitnehmers sind gegeneinander abzuwägen. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (vgl. u.a. BAG vom 13. 11. 1984 - 3 AZR 255/84 - AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen = BAG 47, 169, 173; vom 10. 3. 1988 - 8 AZR 420/85 - AP Nr. 99 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht [II 2a der Gründe]. Die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits sind stets zu beachten (vgl. u.a. BAG vom 13. 12. 1988 - 3 AZR 322/87 - AP Nr. 23 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen [1a der Gründe]). Gesteigerte Hinweispflichten können den Arbeitgeber vor allem dann treffen, wenn der Aufhebungsvertrag auf seine Initiative hin und in seinem Interesse zustande kommt (vgl. BAG vom 3. 7. 1990 - 3 AZR 382/89 - AP Nr. 24 zu § 1 BetrAVG = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 7 [II 2a der Gründe]). I.d.R. muss sich zwar der Arbeitnehmer vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages selbst über die Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Klarheit verschaffen. Durch das Angebot eines Aufhebungsvertrages kann der Arbeitgeber aber den Eindruck erwecken, er werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen, atypischen Versorgungsrisiken aussetzen (vgl. BAG vom 3. 7. 1990 - 3 AZR 382/89 - AP Nr. 24 zu § 1 BetrAVG).


b)

Nach diesen Kriterien hatte die Bekl. gegenüber der Kl. eine Belehrungspflicht. Die Kl. durfte darauf vertrauen, dass es ihr die Bekl. durch sachgerechte Hinweise ermöglichen werde, das Ausmaß der zu erwartenden Versorgungsnachteile zu klären und eine durchdachte Entscheidung über den Abschluss des Aufhebungsvertrages zu treffen.


aa)

Der Aufhebungsvertrag kam auf das Angebot der Bekl. hin zustande. Durch das vorzeitige Ausscheiden der Kl. wurde deren Stelle frei. Dies lag im betrieblichen Interesse.

Die Kl. hatte mit Schreiben vom 9. 11. 1995 lediglich mitgeteilt, dass sie aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand gehen wolle, und die Bekl. um Prüfung gebeten. Die Worte „in Ruhestand gehen“ deuten darauf hin, dass die Kl. möglichst bald Rente beziehen wollte. Sie war bereits längere Zeit krank und arbeitsunfähig. Bei Abschluss des Aufhebungsvertrages war absehbar, dass sie ihre bisherige Tätigkeit künftig nicht mehr ausüben könne. Auf Grund ihres Gesundheitszustandes war damit zu rechnen, dass in überschaubarer Zeit der Versorgungsfall der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eintreten werde. Die Bekl. konnte nicht annehmen, die Kl. wolle unabhängig von den versorgungsrechtlichen Folgen vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Zudem hatte die Kl. laut Aktenvermerk des Personalsachbearbeiters R. am 18. 12. 1995 um eine Umsetzung auf einen Arbeitsplatz außerhalb des Reinigungsdienstes gebeten. Statt dessen schlug die Bekl. vor, das Arbeitsverhältnis vorzeitig gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 18.500 DM aufzulösen. Die Bekl. hatte demnach die Initiative zum Abschluss des Aufhebungsvertrages ergriffen und den Vertragsinhalt festgelegt.


bb)

Da die Bekl. mit ihrem Vertragsangebot eine außergewöhnliche Gefahrenquelle schuf, traf sie eine besondere Hinweispflicht.

Obwohl das Arbeitsverhältnis der Kl. nach § 52 Abs. 1 BMT-G II nicht mehr ordentlich kündbar war, schlug die Bekl. ein kurzfristiges Ausscheiden vor. Wäre die längste tarifliche Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende (§ 50 Abs. 2 BMT-G II) eingehalten worden, so hätte das Arbeitsverhältnis bis zum Eintritt des Versorgungsfalles fortbestanden. Der Kl. hätte dann nicht nur eine Versicherungs-, sondern eine Versorgungsrente zugestanden. Die angebotene Abfindung stellte für die Kl. einen Anreiz zum kurzfristigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis dar. Die Höhe der Abfindung stand jedoch in einem krassen Missverhältnis zu den Versorgungsrisiken.


cc)

Die Bekl. konnte unschwer erkennen, dass die Kl. ein außergewöhnliches Informationsbedürfnis hatte und Hinweise der Bekl. erwartete.

(1) Das Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers steigt, wenn die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses im zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang mit dem Ruhestand steht (BAG vom 13. 11. 1984 - 3 AZR 255/84 - AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen = BAG 47, 169, 175f.). Für einen derartigen Zusammenhang reicht es aus, dass sich die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abzeichnet und deshalb nicht zu erwarten ist, dass der Arbeitnehmer in ein neues Arbeitsverhältnis eintreten werde. Muss sich der Arbeitnehmer darauf einstellen, dass er gegebenenfalls nach Kranken- und Arbeitslosengeldbezug seinen Lebensunterhalt künftig im wesentlichen aus Rentenleistungen zu bestreiten hat, ist ihm i.d.R. an einer möglichst ungeschmälerten Betriebsrente gelegen. Der Arbeitgeber darf sein Interesse an einer möglichst schnellen Vertragsbeendigung nicht einseitig in den Vordergrund stellen. Die erforderliche Interessenabwägung wird häufig ergeben, dass er den Arbeitnehmer auf die nachteiligen betriebsrentenrechtlichen Auswirkungen des Aufhebungsvertrages hinweisen muss. Dies gilt besonders dann, wenn der Arbeitgeber die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses veranlasst hat (BAG vom 13. 11. 1984 - 3 AZR 255/84 - AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen = BAG 47, 169, 176f.).

(2) Ist ein Arbeitnehmer längere Zeit krank und fühlt er sich seiner bisherigen Tätigkeit gesundheitlich nicht mehr gewachsen, so kommt selbst einer Bitte um Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine entscheidende Bedeutung zu (BAG vom 13. 11. 1984 - 3 AZR 31/82 - [nicht veröffentlicht], [II 1 der Gründe]). Dadurch entfällt nicht das Bedürfnis, über die drohenden atypischen Rentennachteile von erheblichem Gewicht aufgeklärt zu werden.

(3) Die als Reinemachefrau tätige Kl. war auf Grund ihrer Vorbildung und ihres Kenntnisstandes offenkundig nicht in der Lage, die mit dem Aufhebungsvertrag verbundenen Versorgungsrisiken zu erkennen und zu bewerten. Frau M. J., die dem örtlichen Personalrat angehörte, unterstützte zwar die Kl. und war bei den Gesprächen mit der Bekl. anwesend. Die Bekl. konnte aber auch bei Personalratsmitgliedern nicht ohne weiters davon ausgehen, dass sie das komplizierte Zusatzversorgungssystem ausreichend durchschauen. Frau J. sagte als Zeugin aus, dass sie die Unterscheidung zwischen Versorgungs- und Versicherungsrente nicht gekannt habe. Weder sie noch die Kl. erweckten den Eindruck, dass sie keine Informationen der Bekl. benötigten. Im Schreiben vom 9. 11. 1995 hat die Kl. mit ihrer Bitte um Prüfung sogar erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass sie eine versorgungsrechtliche Beratung des Arbeitgebers benötige und erwarte.


c)

Die Bekl. musste zwar keine detaillierte Auskunft erteilen, sondern durfte die Kl. an die Zusatzversorgungskasse verweisen (vgl. BAG vom 13. 11. 1984 - 3 AZR 255/84 - AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen = BAG 47, 169, 174; vom 10. 3. 1988 - 8 AZR 420/85 - AP Nr. 99 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht [II 2a der Gründe]). Sie musste aber wenigstens das Problembewusstsein der Kl. wecken und sie so beraten, dass sie sich bei der Zusatzversorgungskasse sachgerecht erkundigen und Missverständnisse vermeiden konnte. Die Einräumung einer Bedenkzeit ändert nichts daran, dass die Kl. auf das Gespräch bei der Zusatzversorgungskasse ausreichend vorbereitet werden musste.

Die Bekl. war nicht verpflichtet, die Kl. über die versorgungsrechtlichen Einzelheiten zu unterrichten und die Einbußen bei der Zusatzversorgung genau zu berechnen. Auch die Abgrenzung von Versorgungs- und Versicherungsrente musste die Bekl. nicht näher erläutern. Sie durfte sich jedoch nicht darauf beschränken, die Kl. ohne weiteren Hinweis an die Zusatzversorgungskasse zu verweisen. Auch die bloße Bemerkung, dass durch eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses Nachteile bei der Zusatzrente entstehen könnten, genügte nicht.


aa)

Beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages ergeben sich aus der kürzeren Dienstzeit und der Berechnung des Teilanspruchs nach § 2 Abs. 1 BetrAVG üblicherweise Rentennachteile, mit denen jeder Arbeitnehmer rechnen muss. Der Kl. drohten indessen für sie nicht voraussehbare, weit darüber hinausgehende Versorgungsschäden. Auf dieses atypische Risiko musste die Bekl. aufmerksam machen. Die Kl. war darauf hinzuweisen, dass sich ihre Zusatzversorgung beträchtlich verringern konnte.


bb)

Außerdem musste die Kl. wenigstens in groben Umrissen über die Ursache dieses außergewöhnlichen Risikos unterrichtet werden. Ihr musste mitgeteilt werden, dass die erheblichen Versorgungseinbußen dann drohten, wenn die Kl. aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, bevor ihr die gesetzliche Alters-, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente zustand. Die Bekl. musste es der Kl. ermöglichen, sich bei der Zusatzversorgungskasse gezielt zu informieren. Ohne ausreichende Hinweise der Bekl. war damit zu rechnen, dass die Kl. bei der Zusatzversorgungskasse unzureichende Fragen stellte, dort unvollständige Auskünfte erhielt oder die Ausführungen der Zusatzversorgungskasse missverstand. Der vorliegende Fall zeigt anschaulich, dass die Kl. auf das Gespräch mit der Zusatzversorgungskasse vorbereitet werden musste.

Die Kl. hat behauptet, sie habe bei der Zusatzversorgungskasse die Auskunft erhalten, dass sie eine Zusatzrente von ungefähr 900 DM erwarten könne. Eine derartige Auskunft war, wie das LAG richtig ausgeführt hat, „im Hinblick auf die Versorgungsrente durchaus zutreffend“. Das LAG hat offengelassen, ob der Kl. und Frau J. bei der Beratung durch die Zusatzversorgungskasse „das Risiko im Hinblick auf die sogenannte Versicherungsrente klar geworden ist“. Die Bekl. müsse sich einen etwaigen Beratungs- oder Verständnismangel nicht zurechnen lassen. Dem LAG ist insoweit zu folgen, als es eine Verpflichtung der Bekl. zu einer detaillierten Beratung verneint und die Zusatzversorgungskasse nicht als Erfüllungsgehilfen der Bekl. angesehen hat. Die Bekl. musste jedoch durch einen Hinweis auf das atypisch hohe Versorgungsrisiko und dessen Ursachen dazu beitragen, Beratungs- und Verständnismängel zu begrenzen. Wenn dies unterblieben war, konnte die Bekl. bei Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht davon ausgehen, dass die betriebsrentenrechtlichen Fragen durch die Zusatzversorgungskasse ausreichend geklärt worden waren.


3.

Waren die Hinweise der Bekl. ungenügend, so verletzten die mit der Gesprächsführung betrauten Mitarbeiter der Bekl. fahrlässig (§ 276 BGB) die Informationspflichten gegenüber der Kl.. Dafür hat die Bekl. nach § 278 BGB einzustehen. Für die Mitarbeiter der Personalabteilung war leicht zu erkennen, dass weder die Kl. noch Frau J. das komplizierte Zusatzversorgungssystem näher kannten und vor einer Beratung durch die Zusatzversorgungskasse eine Einstiegshilfe benötigten.


4.

Die Klage ist jedoch unbegründet, wenn entweder die Bekl. ihren Hinweis- und Aufklärungspflichten nachkam oder wenn die Kl. schon vor Abschluss des Aufhebungsvertrages von der Zusatzversorgungskasse mündlich oder schriftlich über die konkreten Auswirkungen des Aufhebungsvertrages unterrichtet worden war. Bei einer rechtzeitigen und ausreichenden Information durch die Zusatzversorgungskasse wären die unzureichenden Hinweise der Bekl. für die Versorgungsschäden nicht ursächlich geworden.


a)

Die Rentenprobeberechnung, die vom 2. 11. 1995 datiert, macht auf Seite 1 ausdrücklich darauf aufmerksam, dass die Kl. keinen Anspruch auf die dynamisierte Versorgungsrente von 924,22 DM habe, sondern lediglich die nicht dynamisierte Versicherungsrente von monatlich 157,31 DM erhalte, wenn sie vor Eintritt des Versicherungsfalles aus dem öffentlichen Dienst ausscheide. Auch in dem lediglich aus einer Seite bestehenden Begleitschreiben wird auf diese Folgen „nachdrücklich hingewiesen“. Diese Schriftstücke enthalten eine detaillierte Beschreibung des drohenden Versorgungsrisikos.


b)

Die Hinweise der Bekl. sollten es der Kl. ermöglichen, sich bei der Zusatzversorgungskasse exakte, für sie nachvollziehbare Auskünfte über die versorgungsrechtlichen Auswirkungen des Aufhebungsvertrages zu beschaffen. Erhielt die Kl. diese Informationen, so spielt es keine Rolle mehr, ob sie von der Bekl. ausreichend auf das Gespräch vorbereitet worden war. In welcher Form die Zusatzversorgungskasse die erforderlichen Auskünfte erteilte, ist unerheblich. Auch mündliche Erläuterungen genügen, wenn sie hinreichend klar und Missverständnisse ausgeschlossen waren.


c)

Die Bekl. hat zu beweisen, dass die Kl. schon vor Abschluss des Aufhebungsvertrages von der Zusatzversorgungskasse erfuhr, mit welchen konkreten Versorgungseinbußen bei der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechnen war. Derjenige, der vertragliche Aufklärungspflichten verletzt, ist dafür beweispflichtig, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten und den Geschädigten ausreichend aufgeklärt hätte (vgl. u.a. BAG vom 15. 10. 1985 - 3 AZR 612/83 - AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 41 [III 1 der Gründe]; BGH vom 16. 11. 1993 - XI ZR 214/92 - BGHZ 124, 151, 159 m.w.N.). Die Kl. musste belehrt werden, damit sie problembewusst wurde und eine sachgerechte Beratung durch die Zusatzversorgungskasse ohne Missverständnisse erreichen konnte. Ist nicht mehr feststellbar, ob die Kl. auf Grund einer unzureichenden Belehrung der Bekl. eine ungenügende Auskunft der Zusatzversorgungskasse erhielt oder die Erklärungen der Zusatzversorgungskasse missverstand, so ist auch diese Unklarheit durch den Pflichtverstoß der Bekl. bedingt. Der Schutzzweck der verletzten Hinweispflicht erfordert es, dass diese Unklarheit zu Lasten der Bekl. geht.


d)

Die Kl. hat behauptet, sie habe die Rentenprobeberechnung der Zusatzversorgungskasse erst nach Abschluss des Aufhebungsvertrages erhalten. Die Zusatzversorgungskasse habe ihr mündlich mitgeteilt, dass sie mit einer monatlichen Zusatzrente von etwa 900 DM rechnen könne. Falls die Hinweise der Bekl. unzureichend waren, hat sie zu beweisen, dass die Kl. schon vor Abschluss des Aufhebungsvertrages über die Rentenprobeberechnung verfügte oder mündlich von der Zusatzversorgungskasse unmissverständlich über die versorgungsrechtlichen Folgen des Aufhebungsvertrages unterrichtet worden war. Bei der Aufklärung des Sachverhalts wird das LAG folgendes zu beachten haben:

Weder für normale Postsendungen noch für Einschreiben besteht zwar ein Anscheinsbeweis, dass eine zur Post gegebene Sendung den Empfänger auch erreicht (BAG vom 14. 7. 1960 - 2 AZR 173/59 - AP Nr. 3 zu § 130 BGB; BGH vom 17. 2. 1964 - II ZR 87/61 - LM BGB § 130 Nr. 7 = NJW 1964, 1176f.; vom 24. 4. 1996 - VIII ZR 150/95 - NJW 1996, 2033, 2035 [II 2 der Gründe] m.w.N.). Unter Umständen kann jedoch der Zugang durch zusätzliche aussagekräftige Indizien nachgewiesen werden. Das Gespräch, das Frau J. nach der Behauptung der Bekl. im Schriftsatz vom 2. 10. 1988 S. 2/3 in der Versorgungsangelegenheit der Kl. mit einer Mitarbeiterin der Zusatzversorgungskasse führte, könnte Anhaltspunkte dafür enthalten, dass der Kl. bereits im November 1995 die schriftliche Auskunft der Zusatzversorgungskasse vorlag. Auch das Verhalten der Kl. kann unter Umständen Rückschlüsse zulassen. Zunächst wollte die Kl. aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Im Gespräch vom 18. 12. 1995 bat sie jedoch um eine Umsetzung. Dies legt die Frage nahe, ob sie zwischenzeitlich von der Zusatzversorgungskasse auf die Folgen einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses hingewiesen worden war und deshalb ihre Absichten änderte. Ob dem Verhalten der Kl. und den Äußerungen Frau J. eine Indizwirkung zukommt und gegebenenfalls wie stark sie ist, hat das LAG im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 ZPO) zu prüfen.

War die Kl. bereits von der Zusatzversorgungskasse ausreichend unterrichtet worden, so war die Verletzung der Hinweispflicht durch die Bekl. jedenfalls nicht ursächlich. Den Parteien wird Ge legenheit gegeben, ihren Sachvortrag und ihre Beweisangebote auch insoweit zu ergänzen.


e)

Waren die Hinweise der Bekl. ungenügend und wurde die Kl. vor Abschluss des Aufhebungsvertrages von der Zusatzversorgungskasse nicht unmissverständlich über die erwarteten Versorgungseinbußen informiert, so ist zunächst davon auszugehen, dass fehlende Kenntnisse der Kl. für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und die damit verbundenen Versorgungsschäden ursächlich waren. Für die kurzfristige Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhielt die Kl. zwar eine Abfindung. Sie war jedoch gemessen an den Renteneinbußen unverhältnismäßig niedrig. I.d.R. wahrt ein Arbeitnehmer bei sachgerechter Belehrung seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise und verhält sich nicht rentenschädigend (BAG vom 17. 12. 1991 - 3 AZR 44/91 - AP Nr. 32 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 57 [3 der Gründe] m.w.N.). Wenn die Bekl. behaupten will, dass dies im vorliegenden Fall nicht zutrifft, hat sie darzulegen und zu beweisen, weshalb die Kl. die Versorgungsnachteile in Kauf genommen und den Aufhebungsvertrag auf jeden Fall geschlossen hätte (vgl. BAG vom 13. 12. 1988 - 3 AZR 252/87 - AP 22 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen = EzA BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 53 [1c der Gründe] m.w.N.).


5.

Wenn sich die von der Bekl. nicht ausreichend belehrte Kl. auf falsche oder missverständliche mündliche Auskünfte der Zusatzversorgungskasse verließ und den Aufhebungsvertrag abschloss, bevor sie die schriftliche Rentenprobeberechnung erhielt, so trifft sie kein mitwirkendes Verschulden (§ 254 Abs. 1 BGB). Die Kl. durfte auch auf mündliche Auskünfte der Zusatzversorgungskasse vertrauen. Sie hatte keinen Anlass, deren Richtigkeit in Zweifel zu ziehen. Soweit sie nicht zielgerichtet gefragt oder die Ausführungen der Zusatzversorgungskasse missverstanden hatte, verwirklichte sie dadurch gerade das Risiko, das die Bekl. durch ihre Hinweise ausräumen sollte.


III.

Der zweite Hilfsantrag ist nur dann anhängig, wenn sowohl der Hauptantrag als auch der erste Hilfsantrag abgewiesen werden. Die Kl. möchte mit dem „äußerst hilfsweise“ gestellten Antrag wenigstens erreichen, dass die Bekl. ihre eine nach den Grundsätzen des § 2 Abs. 1 BetrAVG zeitratierlich gekürzte Versorgungsrente verschafft. Das LAG hat angenommen, die Kl. könne nicht von der Bekl., sondern lediglich von der Zusatzversorgungskasse eine verfassungsgemäße Berechnung der Zusatzversorgungsrente verlangen. Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, unter welchen Voraussetzungen sich der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer nicht an die Zusatzversorgungskasse halten muss, sondern seinen Arbeitgeber in Anspruch nehmen kann. Ausgehend von den Beschlüssen des BVerfG vom 15. 7. 1998 (1 BvR 1554/89, 963 und 964/94 - BVerfG 98, 365 = AP Nr. 26 zu § 18 BetrAVG = EzA BetrAVG § 18 Nr. 10) steht der Kl. der geltend gemachte Verschaffungsanspruch nicht zu.


1.

Die Unterscheidung zwischen Versorgungs- und Versicherungsrente in den Leistungsbestimmungen der Zusatzversorgungskasse beruht auf § 18 Abs. 2 BetrAVG. Das BVerfG hat in den Beschlüssen vom 15. 7. 1998 (AP Nr. 26 zu § 18 BetrAVG) festgestellt, dass § 18 BetrAVG insgesamt mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Diese Vorschrift ist aber nicht für nichtig erklärt worden. Der Gesetzgeber ist lediglich verpflichtet, eine verfassungsgemäße Regelung der Versorgungsanwartschaften von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes zu treffen. Dafür hat ihm das BVerfG eine Frist bis zum 31. 12. 2000 zugebilligt. Bis zur Neuregelung kann § 18 BetrAVG weiter angewandt werden.


2.

Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung einen Handlungsspielraum. Die für die Privatwirtschaft geltenden Bestimmungen muss er nicht auf den öffentlichen Dienst übertragen (Schaub Arbeitsrechts-Handbuch 9. Aufl. § 81 Rn. 548). Er darf die Folgen der Verfassungswidrigkeit für die Vergangenheit eingrenzen, um Haushaltsbelastungen und einen unangemessenen Verwaltungsaufwand zu vermeiden (BVerfG 15. 7. 1998 - AP Nr. 26 zu § 18 BetrAVG [II 3 der Gründe]). Dies führt dazu, dass die Kl. bis zur Neuregelung keine höhere Zusatzversorgung verlangen kann. Ihr könnte gegen die Bekl. allenfalls dann ein Anspruch auf Verschaffung einer höheren Betriebsrente zustehen, wenn entweder die Zusatzversorgungskasse ihre Leistungsbestimmungen der gesetzlichen Neuregelung nicht ausreichend anpasst oder weder die Zusatzversorgungskasse noch der Gesetzgeber verfassungsgemäße Vorschriften erlassen.

Vorinstanzen

LAG Köln

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht; Sozialrecht

Normen

BGB §§ 611, 242, 254, 276, 278, 306; BetrAVG §§ 1, 18