Direktionsrecht - Einschränkung des Aufgabenbereichs
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
23. 06. 1993
Aktenzeichen
5 AZR 337/92
Auch dann, wenn der Arbeitgeber kraft seines Direktionsrechts grundsätzlich befugt ist, den Arbeitsbereich des Arbeitnehmers zu verkleinern, muß seine Maßnahme billigem Ermessen entsprechen (§ 315 III BGB). Dazu gehört, daß alle wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt sind (Bestätigung der bisherigen Rspr., vgl. insb. BAGE 33, 71 = AP § 611 BGB - Direktionsrecht - Nr. 26).
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, ob die bekl. Stadt verpflichtet ist, dem Kl. die Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, einzuräumen. Der Kl. ist seit September 1966 bei der Bekl. als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Er bezieht seit dem 1. 7. 1986 Gehalt nach der Vergütungsgruppe IVa des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT). Damals wurde - wie auch in anderen Fällen seiner Höhergruppierung - sein Arbeitsvertrag ausdrücklich geändert. Die Bekl. hat im März 1989 hausintern die Stelle des Leiters des Standesamts ausgeschrieben. Dessen Tätigkeit war darin wie folgt abgegrenzt: Der Aufgabenbereich umfaßt die Leitung des Standesamts, die Sachgebietsleitung des Gewerbe-, Ordnungs- und Sozialwesens sowie die Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung. Der Kl. bewarb sich unter dem 22. 3. 1989 um die Stelle. Mit Schreiben vom 31. 5. 1989 entsprach die Bekl. seiner Bewerbung. In diesem Schreiben heißt es u.a.:
"Übertragung der Aufgaben des Leiters des Standesamts, der Sachgebietsleitung des Gewerbe-, Ordnungs- und Sozialamts sowie die Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung. Hausinterne Stellenausschreibung vom 15. 3. 1989. Ihre Bewerbung vom 22. 3. 1989.
Sehr geehrter Herr L, entsprechend Ihrer o.a. Bewerbung werden Sie ab 1. 8. 1989 von der Gebührenstelle/Liegenschaftsamt in das Standesamt als Sachgebietsleiter umgesetzt".
Die Bekl. hat den Kl. anschließend aber nicht mit der Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, betraut. Dagegen wendet sich der Kl. mit seiner Klage. Er hat geltend gemacht, sein Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung umfasse auch die Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung. Durch die Annahme seiner Bewerbung für die Stelle mit den umschriebenen Aufgaben und die schriftliche Übertragung dieser Aufgaben sei eine vertragliche Änderung seiner bisherigen Tätigkeit zustande gekommen. Eine Einschränkung seiner Vertretungsbefugnis hätte spätestens in dem Schreiben der Bekl. vom 31. 5. 1989 erfolgen müssen. Der Schriftform (§ 4 II BAT) habe die Vertragsänderung nicht bedurft, da es sich nicht um eine Nebenabrede, sondern um den Austausch von Hauptpflichten handele. Im übrigen sei es im öffentlichen Dienst nicht üblich, die auszuübende Tätigkeit ausdrücklich in den Arbeitsvertrag aufzunehmen. Der Kl. begehrt, die Bekl. zu verpflichten, ihm bei Verhinderung des Abteilungsleiters I dessen Vertretung zu übertragen.
Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Bekl. hat das LAG die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der der Kl. Erfolg hatte.
Auszüge aus den Gründen:
Es läßt sich gegenwärtig noch nicht abschließend beurteilen, ob die Klageforderung begründet ist; dazu bedarf es weiterer Sachaufklärung.
I. Die Bekl. hat dem Kl. die neuen Aufgaben kraft ihres Direktionsrechts übertragen.
1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Bekl. den Kl. für die Zeit ab 1. 8. 1989 zu Recht nicht mit der Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, betraut hat. Dieses Geschehen ist während des Rechtsstreits dadurch überholt, daß die Bekl. dem Kl. mit Schreiben vom 6. 12. 1990 die zunächst mitübertragene Vertretung ausdrücklich entzogen hat und die Klageforderung - die Bekl. zu verpflichten, dem Kl. bei Verhinderung des Abteilungsleiters I, dessen Vertretung zu übertragen - sich nunmehr auf diesen Sachverhalt bezieht.
2. Mit dem LAG ist davon auszugehen, daß die Übertragung bestimmter Vertretungsbefugnisse auf den Kl. nicht - was zulässig gewesen wäre - durch Vertrag, sondern kraft Direktionsrechts der Bekl. erfolgt ist. Das ergibt sich aus dem Schreiben der Bekl. an den Kl. vom 31. 5. 1989, worin es u.a. heißt, der Kl. werde entsprechend seiner Bewerbung ab 1. 8. 1989 von der Gebührenstelle/Liegenschaftsamt in das Standesamt als Sachgebietsleiter "umgesetzt". Insofern hat die Bekl. schon durch die Wortwahl klar zu erkennen gegeben, daß sie von ihrem Direktionsrecht Gebrauch machen wolle. Das konnte der Kl. auch nicht anders verstehen. Früher war sein Arbeitsvertrag bei Höhergruppierung mehrfach ausdrücklich geändert worden, wie zum 1. 10. 1978 (VergGr. Vb) und zum 1. 7. 1986 (VergGr. IVa). Im Streitfall hat die Bekl. dem Kl. jedoch kein Angebot auf Vertragsänderung unterbreitet, sondern ihn "umgesetzt". Diese Zuweisung eines neuen Tätigkeitsbereichs kraft Direktionsrechts war zulässig, weil die zugewiesenen neuen Tätigkeiten - worüber die Parteien auch gar nicht streiten - innerhalb des Bereichs der Tätigkeiten nach der VergGr. IVa BAT lagen, in die der Kl. seit dem 1. 7. 1986 eingestuft war.
3. Das auf dem Arbeitsvertrag beruhende Weisungsrecht des Arbeitgebers ist wesentlicher Bestandteil eines jeden Arbeitsverhältnisses. Bei der Ausübung dieses Rechts steht dem Arbeitgeber regelmäßig ein weiter Raum zur einseitigen Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu (BAGE 33, 71 (75) = AP § 611 BGB - Direktionsrecht - Nr. 26 (zu III 1)). Es ermöglicht dem Arbeitgeber, die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht im einzelnen nach Zeit, Art und Ort zu bestimmen (BAGE 47, 314 (321) = NZA 1985, 321 = AP § 2 KSchG1969 Nr. 6 (zu II 3b); BAGE 47, 363 (375) = NZA 1986, 21 = AP § 611 BGB - Direktionsrecht - Nr. 27 (zu B III 2bb)). Dabei darf der Arbeitgeber auch einen Wechsel in der Art der Beschäftigung des Arbeitnehmers herbeiführen (BAGE 33, 71 (75) = AP § 611 BGB - Direktionsrecht - Nr. 26 (zu III 1)).
Im öffentlichen Dienst erstreckt sich das Direktionsrecht des Arbeitgebers auf alle Tätigketien, deren Merkmale in der Vergütungsgruppe aufgeführt sind, in die der Angestellte eingestuft ist. Danach kann dem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Tätigkeit zugewiesen werden, die den Merkmalen seiner Vergütungsgruppe entspricht, sofern nicht ausnahmsweise Billigkeitsgesichtspunkte entgegenstehen (BAG, AP § 611 BGB - Direktionsrecht - Nr. 17 (zu II 4); BAG, AP § 611 BGB - Direktionsrecht - Nr. 24 (zu II); BAG, AP § 24 BAT Nr. 10). Diese Überlegung geht von dem Regelfall aus, daß der Arbeitnehmer nach den im öffentlichen Dienst üblichen Musterverträgen für einen allgemein umschriebenen Aufgabenbereich eingestellt wurde, in dem lediglich die Vergütungsgruppe festgelegt ist.
4. Der Kl. ist bei der Bekl. als Angestellter beschäftigt. Seine Einstufung in VergGr. IVa BAT erfolgt zum 1. 7. 1986. Seit diesem Zeitpunkt hat er Anspruch auf Zuweisung lediglich solcher Tätigkeiten, die den Merkmalen dieser Vergütungsgruppe entsprechen. Derartige Aufgaben hat der Kl. zunächst als Amtsleiter bei der Gebührenstelle/Liegenschaftsamt verrichtet. Soweit die Bekl. ihm mit Schreiben vom 31. 5. 1989 die Aufgaben als Leiter des Standesamts einschließlich der Sachgebietsleitung des Gewerbe-, Ordnungs- und Sozialwesens sowie der Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, zugewiesen hat, handelt es sich um Tätigkeiten, die ebenfalls nach VergGr. IVa zu vergüten sind. Eine Änderung des Arbeitsvertrags ist durch die Zuweisung der neuen Tätigkeiten nicht zustande gekommen. Die Übertragung des neuen Aufgabenbereichs war vielmehr aufgrund einseitiger Weisung der Bekl. zulässig. Dabei ist nicht entscheidend, daß der Kl. sich auf die Stellenausschreibung der Bekl. förmlich beworben und damit zum Ausdruck gebracht hat, daß er mit einer Änderung seiner Arbeitsbedingungen einverstanden sei. Die Ausübung des Direktionsrechts setzt nicht einen entgegenstehenden Willen des Arbeitnehmers voraus, sie ist auch dann zulässig, wenn sie im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer erfolgt.
II. Es ist zu prüfen, ob die Bekl. dem Kl. mit Schreiben vom 6. 12. 1990 zu Recht die Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, entzogen hat.
1. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers kann durch Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag eingeschränkt sein. Auch soweit es danach grundsätzlich ausgeübt werden kann, darf es nur nach billigem Ermessen i.S. des § 315 III BGB ausgeübt werden (BAGE 33, 71 (75) = AP § 611 BGB - Direktionsrecht -Nr. 26 (zu III 1); BAGE 47, 314 (321) = NZA 1985, 321 = AP § 2 KSchG1969 Nr. 6 (zu II 3b); BAGE 47, 363 (375) = NZA 1986, 21 = AP § 611 BGB - Direktionsrecht - Nr. 27 (zu B III 2cbb); BAGE 61, 77 (83) = NJW 1989, 593 = NJW 1989, 1948 L = AP § 2 BeschFG1985 Nr. 4 (zu B II 1); Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis, 1966, S. 45).
2. Das LAG muß die Sache daher noch einmal daraufhin überprüfen, ob die Bekl. bei ihrer Maßnahme vom 6. 12. 1990 sich an die Grundsätze der Billigkeit gehalten hat. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob die zunächst übertragene Vertretung des Abteilungsleiters I, Allgemeine Verwaltung, sich auf die gesamte Abteilungsebene bezog oder lediglich auf die Vertretung des Abteilungsleiters, soweit dadurch die Aufgabenbereiche des Kl. im Standesamt und in den weiteren zugewiesenen Arbeitsbereichen betroffen waren. Die Grundsätze der Billigkeit sind gewahrt, wenn alle wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt sind (vgl. nur BAG, AP § 1 TVG - Tarifverträge: Rundfunk -Nr. 4, m.w.Nachw.). Die bisher von der Bekl. vorgebrachte Begründung für ihre Maßnahme, der Kl. habe über Arbeitsüberlastung im Standesamt geklagt, kann solange nicht als billigenswert angesehen werden, wie nicht feststeht, in welchem Umfang der Kl. durch die Vertretung des Abteilungsleiters zusätzlich in Anspruch genommen worden wäre. Dabei muß bedacht werden, daß die Bekl. mit dem Entzug der Vertretungstätigkeit dem Kl. die Chance auf Bewährung in einer Aufstiegsstellung entzog und die Ausübung des Direktionsrechts daher i.R. des § 315 III BGB besonderer Begründung bedurfte.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen