Weiterbildung zum Facharzt

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

24. 10. 1990


Aktenzeichen

6 AZR 37/89


Leitsatz des Gerichts

  1. Die an Universitätskliniken zur Weiterbildung zum Facharzt in der Patientenversorgung tätigen Ärzte sind keine wissenschaftlichen Hilfskräfte i. S. des § 3g BAT. Ein vertraglicher Ausschluß von Mehrarbeitsvergütung verstößt daher gegen die unmittelbar und zwingend geltenden Vorschriften des BAT.

  2. Eine Anordnung von Bereitschaftsdiensten und Überstunden liegt auch vor, wenn der Arbeitgeber diese Tätigkeiten kennt und duldet. Dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitgeber die geleisteten Dienste ganz oder teilweise bezahlt.

    1. Tarif- und arbeitsvertragliche Ansprüche verfallen gem. § 70 BAT, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht worden sind. Vor Fälligkeit des Anspruchs kann eine Geltendmachung nicht rechtswirksam erfolgen.

    2. Wird für Bereitschaftsdienste und Überstunden kein Freizeitausgleich gewährt, so wird ein Anspruch auf Bereitschaftsdienstvergütung nach Ablauf des dreimonatigen Ausgleichszeitraums (SR 2c Nr. 8 IV 1 BAT), ein Anspruch auf Überstundenvergütung nach Ablauf des einmonatigen Ausgleichszeitraums (§ 17 V 1 BAT) fällig. Ein späterer Fälligkeitszeitpunkt kann vereinbart werden.

    3. Endet das Arbeitsverhältnis vor Ablauf des Ausgleichszeitraums, so werden Vergütungsansprüche zu diesem Zeitpunkt fällig.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die tarifgebundenen Parteien streiten über die Verpflichtung des Bekl. zur Vergütung von Bereitschaftsdiensten und Überstunden nach den Bestimmungen des BAT. Die Kl. sind Ärzte. Sie waren an verschiedenen Universitätskliniken des Bekl. in der ärztlichen Krankenversorgung beschäftigt. Die Tätigkeit diente u. a. der Weiterbildung mit dem Ziel der Gebietsanerkennung (früher: Facharztanerkennung). Eine Hilfstätigkeit in Forschung und Lehre übten die Kl. ganz überwiegend nicht aus. Die Kl. hatten bei der Einstellung ein Wahlrecht, ob sie nach den Bestimmungen des BAT oder als wissenschaftliche Hilfskräfte beschäftigt werden wollten. Sie entschieden sich für die zweite Vertragsgestaltung und wurden dementsprechend in ihren Arbeitsverträgen als "hauptberufliche wissenschaftliche Hilfskräfte (Art. 25 III BayHSchLG)" bezeichnet. Vergütung und Arbeitszeit regelten sich nach beamtenähnlichen Grundsätzen. In sämtlichen Arbeitsverträgen, mit Ausnahme des Arbeitsvertrages des Kl. 2 vom 20. 7. 1983, wurde über die Regelung des Art. 80 BayBG hinaus die Bezahlung einer Mehrarbeit ausgeschlossen. Die Vergütung wurde auch nur insoweit gewährt. Die Kl. waren im Rahmen ihrer ärztlichen Tätigkeit verpflichtet, dienstplanmäßig Bereitschaftsdienste und Überstunden zur Sicherstellung der ärztlichen Patientenversorgung zu leisten. Ihre Tätigkeit unterschied sich nicht von der Tätigkeit derjenigen Ärzte, die der Bekl. aufgrund von Arbeitsverträgen nach Maßgabe des BAT beschäftigte. Die Kl. erstellten auf den vom Bekl. zur Verfügung gestellten Formularen monatliche Nachweise über geleistete Bereitschaftsdienste und Überstunden. Diese Formulare, die die Grundlage für die Vergütungsabrechnung durch die Verwaltung bilden, wurden vom jeweiligen Klinikvorstand oder seinem beauftragten Vertreter zur Bescheinigung der sachlichen Richtigkeit der abgegebenen Stunden unterzeichnet.

Das ArbG hat den Klagen stattgegeben. Das LAG hat nach Verbindung der Rechtsstreite die Berufung des Bekl. zurückgewiesen. Die Revision führte hinsichtlich der Ansprüche der Kl. zu 1 und 4 zur Klageabweisung. Im übrigen wurde der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

B. Die Kl. haben Anspruch auf Bereitschaftsdienst- und Überstundenvergütung nach den Bestimmungen des BAT. Die Klagen sind jedoch nur teilweise begründet, weil die Kl. ihre Ansprüche nur zum Teil rechtzeitig gem. § 70 BAT geltend gemacht haben.

I. Der arbeitsvertraglich vereinbarte Ausschluß der Bezahlung von Mehrarbeit ist rechtsunwirksam. Die Bestimmungen des BAT gelten unmittelbar und zwingend, weil die Kl. keine vom persönlichen Geltungsbereich des BAT ausgenommenen wissenschaftlichen Hilfskräfte i. S. des § 3g BAT sind. Das ergibt die Auslegung dieser Vorschrift und die Durchführung des Vertrages der Parteien.

1. a) Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet das Adjektiv "wissenschaftlich" soviel wie "die Wissenschaft betreffend, zu ihr gehörend, auf ihr beruhend, in der Art einer Wissenschaft" (Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch VI, 1984, S. 761) oder "die Wissenschaft betreffend, dazu gehörend, darauf beruhend" (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache VI, 1981 S. 2893). Der Terminus "Wissenschaft" bedeutet im allgemeinen sprachlichen Sinne "durch Forschung, Lehre und überlieferte Literatur gebildetes, geordnetes und begründetes, für sicher erachtetes Wissen einer Zeit" (Brockhaus-Wahrig, aaO) bzw. "Wissen hervorbringende forschende Tätigkeit in einem Bereich" (Duden, aaO). Der Begriff "Hilfskraft" wird allgemeinsprachlich definiert als "Person zur Unterstützung, Mithilfe bei einer Arbeit" (Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch III, 1981 S. 556) oder als "jemand, der zur Mithilfe, Unterstützung bei bestimmten Arbeiten angestellt ist" (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache III, 1977, S. 1232). Das sich auf den Begriff "Hilfskraft" beziehende Adjektiv "wissenschaftlich" bezeichnet eine "mit bestimmten wissenschaftlichen Arbeiten beauftragte Hilfskraft" (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache VI, 1981, S. 2893). Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sind "wissenschaftliche Hilfskräfte" somit Personen, die zur Mithilfe und Unterstützung bei bestimmten wissenschaftlichen Arbeiten angestellt sind, d. h. für eine in Forschung und Lehre tätige Person unterstützende und zuarbeitende Tätigkeiten verrichten.

b) Die hochschulrechtliche Terminologie bestätigt diese Definition des allgemeinen Sprachgebrauchs. Mit der Verwendung des Begriffs "wissenschaftliche Hilfskräfte" haben die Tarifvertragsparteien im Jahre 1961 auf eine Gruppe von Hochschulangehörigen Bezug genommen, deren spezifische Aufgaben und Funktionen in der Reichsassistentenordnung (RAssO) vom 1. 1. 1940 festgelegt waren (Thieme, Deutsches HochschulR, 1. Aufl. (1956), S. 299; Clemens-Scheuering-Steingen-Wiese, BAT, Stand: Juni 1990, § 3 Rdnr. 8; Uttlinger-Breier-Kiefer-Hoffmann, BAT, Stand: 1. 10. 1990, § 3 Rdnr. 7). Nach § 15 RAssO sollten sie"zur Wahrnehmung von wissenschaftlichen Hilfstätigkeiten bestellt" werden. Im Gebiet des bekl. Freistaatsgalt zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 3g BAT das bayerische Hochschullehrergesetz vom 15. 11. 1948 (BayGVBl, S. 254), welches in Art. 38 Nr. 2 eine Regelung für die wissenschaftlichen Hilfskräfte enthielt. Ein entscheidungserheblicher Bedeutungswandel des Begriffs "wissenschaftliche Hilfskraft" ist seitdem nicht eingetreten (so auch Böhm-Spiertz-Sponer-Steinherr, BAT, Stand: Oktober 1990, § 3 Vorb. Rdnr. 4; Hannig, PK-BAT, § 3 Rdnr. 11). Mit Inkrafttreten des Hochschulrahmengesetzes vom 26. 1. 1976 (BGBl I, 185) ist die Rechtsstellung der wissenschaftlichen Hilfskräfte in § 36 III HochSchRG geregelt. Sie werden der Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter i. S. des § 53 HochSchRG zugeordnet (Denninger-Becker, HRG, 1984, § 53 Rdnr. 14). Im Bereich des Bekl. gilt für wissenschaftliche Hilfskräfte insbesondere Art. 25 BayHSchLG. Nach beiden Regelungen besteht das Hauptmerkmal der wissenschaftlichen Hilfskräfte in der Verpflichtung zum Erbringen von wissenschaftlichen Dienstleistungen gem. § 53 I 1 HochSchRG, Art. 25 I 1 und Art. 22 I 1 BayHSchLG. Hierunter sind Tätigkeiten zu verstehen, mit denen der wissenschaftliche Mitarbeiter bei Forschung und Lehre anderen unterstützend zuarbeitet und damit die Aufgabe der jeweiligen Einrichtung, der er zugeordnet ist, zu erfüllen hilft (Denninger-Becker, § 53 Rdnr. 3). Als wissenschaftliche Dienstleistungen kommen darüber hinaus die Mitarbeit bei allen den Professoren obliegenden Dienstaufgaben in Betracht, etwa bei Prüfungen, und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses oder der Studienberatung (Thieme, Deutsches HochschulR, 2. Aufl. (1986), S. 590 Rdnr. 531). Entscheidend für die Einstufung als wissenschaftliche Dienstleistung ist stets, welche Nähe der Mitarbeiter zur wissenschaftlichen Tätigkeit hat (Thieme, S. 207 Rdnr. 195).

c) Damit muß davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien den Begriff der wissenschaftlichen Hilfskraft ursprünglich und auch nach wie vor mit dem beschriebenen Inhalt verwendet und angewandt wissen wollen (vgl. BAGE 42, 272 (277) = AP § 611 BGB Nr. 61; BAG, Urt. v. 14. 6. 1989 - 4 AZR 139/89, unveröff.). Im Ergebnis zu Recht werden daher die geltenden hochschulrechtlichen Funktionsbezeichnungen den verschiedenen Tatbeständen des § 3g BAT zugeordnet (Clemens-Scheuering-Steingen-Wiese, § 3 Rdnr. 8; Böhm-Spiertz-Sponer-Steinherr, § 3 Rdnr. 17; Uttlinger-Breier-Kiefer-Hoffmann, § 3 Rdnr. 7, S. 30.12 ff.; Crisolli-Tiedtke-Ramdohr, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand: August 1990, § 3 BAT Rdnr. 9c). Ärztliche Tätigkeiten im Rahmen der regulären Patientenversorgung sind nach diesen Kriterien nicht den wissenschaftlichen Dienstleistungen zuzuordnen, da kein unmittelbarer Bezug zur wissenschaftlichen Tätigkeit in Forschung und Lehre besteht.

d) Dies ergibt sich auch aus dem Hochschulrahmengesetz selbst. Im Bereich der Medizin gehören zwar zuden wissenschaftlichen Dienstleistungen gem. § 53 I 3 HochSchRG, Art. 22 I 3 BayHSchLG auch Tätigkeiten in der Krankenversorgung. Nach § 54 HochSchRG, Art. 26 BayHSchLG sind jedoch hauptberuflich an der Hochschule tätige Personen mit ärztlichen Aufgaben den wissenschaftlichen Mitarbeitern "gleichgestellt". Hieraus wird deutlich, daß ärztliche Tätigkeiten für sich gesehen gerade keine wissenschaftlichen Dienstleistungen i. S. des § 53 I 3 HochSchRG, Art. 22 I 3 BayHSchLG (Denninger-Becker, § 54 Rdnr. 1) darstellen. Einer gesetzlichen Gleichstellung mit wissenschaftlichen Mitarbeitern hätte es nämlich nicht bedurft, wenn ärztliche Tätigkeiten in der Krankenversorgung als solche schon wissenschaftliche Dienstleistungen darstellten und zum Status eines wissenschaftlichen Mitarbeiters bzw. einer wissenschaftlichen Hilfskraft führten. Mit "Tätigkeiten in der Krankenversorgung" i. S. des § 53 I 3 HochSchRG, Art. 22 I 3 BayHSchLG sind daher nicht die regulären ärztlichen Aufgaben im Rahmen der Patientenversorgung gemeint, sondern es ist eine Krankenversorgung, die im Rahmen eines Unterrichts am Krankenbett erbracht wird (Denninger-Becker, § 53 Rdnr. 3).

e) Auch die Weiterbildung zum Facharzt kann nicht als wissenschaftliche Hilfstätigkeit qualifiziert werden. Gem. § 1 I WeiterbildungsO besteht das Ziel der Weiterbildung darin, Ärzten nach Abschluß ihrer Berufsausbildung im Rahmen einer mehrjährigen Berufstätigkeit eingehende Erfahrungen im jeweiligen Fachgebiet zu vermitteln. Diese mehrjährige weiterbildungsrelevante Berufstätigkeit ist nach der Anlage zur Weiterbildungsordnung in ihrem weitaus überwiegenden Teil im regulären Stationsdienst abzuleisten. Das Erfordernis der weiterbildungsrelevanten praktischen Tätigkeit im Rahmen der normalen stationären Patientenversorgung macht deutlich, daß es sich bei der Weiterbildung von ihren Inhalten und Zielsetzungen her nicht um eine Tätigkeit in Forschung und Lehre, mithin um keine wissenschaftliche Tätigkeit handelt.

Auch die Berücksichtigung der Tatsache, daß es sich vorliegend um eine Weiterbildung an einer Universitätsklinik handelt, vermag den ärztlichen Tätigkeiten kein wissenschaftliches Gepräge zu verleihen. Zum einen ist die ärztliche Weiterbildung nicht auf Universitätskliniken beschränkt, vielmehr stellen diese nur eine neben anderen möglichen Weiterbildungsstätten dar (§ 6 I WeiterbildungsO). Zum anderen stellt die ärztliche Tätigkeit an einer Universitätsklinik als solche auch deshalb keine wissenschaftliche Tätigkeit dar, weil Universitätskliniken nämlich nicht nur wissenschaftlichen Zwecken dienen, sondern Teil des Systems der öffentlichen Krankenversorgung sind (vgl. Thime, Deutsches HochschulR, 2. Aufl., S. 264 Rdnr. 248).

2. Nach den ungerügten und den Senat daher bindenden Feststellungen des LAG, wonach die Kl. nahezu ausschließlich im Rahmen der regulären ärztlichen Patientenversorgung tätig waren, wiedersprechen sich die Vertragsbezeichnung als "wissenschaftliche Hilfskräfte" und die tatsächliche Durchführung des Vertrages. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (vgl. BAGE 30, 163 (172) = AP § 611 BGB - Abhängigkeit - Nr. 26; BAGE 41, 247 (258) = AP § 611 BGB - Abhängigkeit - Nr. 42; BAGE 43, 102 (105) = AP § 10 AUeG Nr. 5; BAG, AP § 117 BetrVG1972 Nr. 3; zuletzt NZA 1991, 267) entscheidet aber über die rechtliche Einordnung eines Rechtsverhältnisses nicht die Bezeichnung oder die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge, sondern der Geschäftsinhalt. Widersprechen sich aber schriftliche Vereinbarungen und tatsächliche Durchführung des Vertrags, ist letztere maßgebend. Nur aus der praktischen Handhabung lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien ausgegangen sind und welche Stellung den Parteien hiernach tatsächlich zukommt.

II. Nach den somit unmittelbar und zwingend geltenden Vorschriften des BAT, die ein Wahlrecht des Kl. zwischen verschiedenen Vertragsgestaltungen ausschließen, hatten die Kl. grundsätzlich Anspruch auf Abgeltung ihrer Bereitschaftsdienststunden nach der SR 2c Nr. 8 III BAT sowie der geleisteten Überstunden gem. § 17 V 4 BAT.

1. Nach § 17 I BAT sind Überstunden, die auf Anordnung geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit (§ 15 I bis IV BAT) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen. Neben einer mündlichen, schriftlichen oder auch nur stillschweigenden Anordnung kann es genügen, wenn der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer geleistete Überstundenarbeit kennt und sie duldet (BAG, Urt. v. 27. 6. 1979 - 4 AZR 727/77, unveröff.). So angeordnete Überstunden sind grundsätzlich bis zum Ende des nächsten Kalendermonats durch entsprechende Arbeitsbefreiung auszugleichen. Für jede nicht ausgeglichene Überstunde ist die Überstundenvergütung (§ 35 III Unterabs. 2 BAT) zu zahlen. Das LAG hat bindend festgestellt, daß die Überstunden aufgrund einer dienstplanmäßigen Erteilung erbracht wurden. Damit lag eine "Anordnung" i. S. des § 17 I 1 BAT vor. Auch der Bekl. ging von einer Anordnung der Überstunden aus, da er die Überstundenvergütungen hinsichtlich eines Teils der insgesamt geleisteten Überstunden gezahlt hat und die weitergehende Bezahlung aus anderen Gründen als einer fehlenden Anordnung verweigert (vgl. dazu BAG, Urt. v. 20. 7. 1989 - 6 AZR 774/87, unveröff.).

2. Da auch die Bereitschaftsdienste dienstplanmäßig abgeleistet und vom Bekl. teilweise vergütet wurden, ist von einer Anordnung i. S. der SR 2c Nr. 8 I BAT auszugehen. Hinsichtlich der Bereitschaftsdienststunden mangelt es jedoch an einer Nebenabrede i. S. der SR 2c Nr. 8 V 1 BAT. Der Abschluß einer derartigen Nebenabrede hat zwar grundsätzlich konstitutive Wirkung für das Entstehen eines entsprechenden Vergütungsanspruches (st. Rspr., vgl. BAG, AP § 4 BAT Nr. 11 = NZA 1985, 811 L; AP § 17 BAT Nr. 5). Fehlt es an einer Nebenabrede, so werden die geleisteten Bereitschaftsdienste jedoch nach der tatsächlichen Belastung abgerechnet (BAG, NZA 1990, 848).

3. Die geleisteten Überstunden und Bereitschaftsdienststunden wurden nach den Feststellungen des LAG nicht durch Freizeitausgleich abgegolten (vgl. dazu BAG, Urt. v. 16. 2. 1989 - 6 AZR 325/87, v. 20. 7. 1989 - 6 AZR 774/87 und v. 7. 12. 1989 - 6 AZR 129/88, unveröff.). Eine Abgeltung durch Freizeitausgleich ist nicht mehr möglich. Dies ergibt sich zwar nicht schon aus dem Ablauf des einmonatigen (§ 17 V 1 BAT) bzw. dreimonatigen (SR 2c Nr. 8 IV 1 BAT) Ausgleichszeitraumes, da auch nach dessen Ablauf in beiderseitigem Einverständnis ein Freizeitausgleich gewährt werden kann (BAG, AP § 17 BAT Nr. 8). Die Unmöglichkeit folgt jedoch aus der Tatsache, daß die Arbeitsverhältnisse der Parteien nicht mehr bestehen.

III. Diese tarifvertraglichen Ansprüche des Kl. sind jedoch nur insoweit gem. § 17 V 4 BAT sowie SR 2c Nr. 8 III BAT i. V. mit §§ 26 I und 22 I BAT gegeben, als das Arbeitsverhältnis vor dem 31. 12. 1983 begründet worden ist.

1. Die Vergütungsordnung zum BAT (Anl. 1a, 1b) ist zum 31. 12. 1983 arbeitgeberseitig wirksam gekündigt worden (vgl. BAGE 50, 258 = NZA 1986, 337 L = AP § 74 BAT Nr. 2; BAGE 50, 277 = AP § 74 BAT Nr. 1; BAGE 49, 247 = AP § 74 BAT Nr. 3; BAG, Urt. v. 14. 6. 1989 - 4 AZR 139/89, unveröff.; Urt. v. 14. 2. 1990 - 4 AZR 562/89, unveröff.; Urt. v. 14. 2. 1990 - 4 AZR 575/89, unveröff.). Die Vergütungsordnung zum BAT galt mithin über diesen Zeitpunkt hinaus nur noch nachwirkend gem. § 4 V TVG (BAGE 50, 258 = NZA 1986, 337 L = AP § 74 BAT Nr. 2). Diese Nachwirkung erstreckt sich nicht auf erst nach Außerkrafttreten der tarifvertraglichen Regelungen begründete Arbeitsverhältnisse (BAGE 27, 22 (29) = AP § 4 TVG - Nachwirkung - Nr. 8; BAGE 50, 258 = NZA 1986, 337 L = AP § 74 BAT Nr. 2).

2. Die Nichtgeltung der Vergütungsordnung zum BAT bewirkt, daß ein tariflicher Vergütungsanspruch nicht entstehen kann. Nach der ständigen, zutreffenden Rechtsprechung des 4. Senats des BAG (BAGE 50, 258 (271 ff.) = NZA 1986, 337 L = AP § 74 BAT Nr. 2; BAGE 50, 277 (288 ff.) = AP § 74 BAT Nr. 1; BAG, Urt. v. 14. 2. 1990 - 4 AZR 562/89, unveröff.; Urt. v. 14. 2. 1990 - 4 AZR 575/89, unveröff.) vermögen die ungekündigt fortbestehenden Regelungen der §§ 22, 26 BAT nur in Verbindung mit der Vergütungsordnung zum BAT individuelle Rechtsansprüche zu erzeugen. Die weiter geltende Vorschrift des § 22 BAT ist zwar die Grundnorm der Vergütung der Angestellten, die jedoch bei nicht bestehender Vergütungsordnung prakisch nicht vollziehbar und daher für sich gesehen "inhaltsleer" ist (BAGE 50, 258 (272 ff.) = NZA 1986, 337 L = AP § 74 BAT Nr. 2; BAGE 50, 277 (288 ff.) = AP § 74 BAT Nr. 1; ebenso Wolf, PK-BAT, § 22 Rdnr. 5). In den angeführten Entscheidungen ging es zwar um Ansprüche auf die tarifliche Grundvergütung. Aufgrund der unmittelbaren rechtlichen Anknüpfung der Überstundenvergütung an die tarifliche Grundvergütung (§ 35 III Unterabs. 2 BAT) kann hierfür jedoch nichts anderes gelten.

IV. Die Kl. haben jedoch, soweit kein tarifvertraglicher Anspruch entstehen konnte, einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Vergütung der Bereitschaftsdienste und Überstunden erworben.

1. Infolge der Unwirksamkeit der Mehrarbeitsvergütungsklausel ist in den Arbeitsverträgen der Kl. eine Lücke entstanden, die den Regelungsplan der Parteien vervollständigungsbedürftig macht. Eine derartige, durch Wegfall einer unwirksamen Vereinbarung entstandene Vertragslücke, stellt eine der ergänzenden Vertragsauslegung zugängliche Regelungslücke dar (BGHZ 63, 132 (135 f.) = NJW 1975, 44; BGHZ 90, 69 (74) = NJW 1984, 1177). Diese ist entsprechend dem hypothetischen Parteiwillen zu ergänzen (BGHZ 90, 59 (74 ff.) = NJW 1984, 1177). Maßgebend ist, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (BGHZ 90, 69 (77) = NJW 1984, 1177). Unter Anlegung des in §§ 133, 157 BGB vorgegebenen Auslegungsmaßstabes ist daher danach zu fragen, wie die Parteien den Vertrag gestaltet hätten, wenn ihnen die nicht bedachte Unwirksamkeit der Klausel bewußt gewesen wäre (vgl. BGHZ 9, 273 (278) = NJW 1953, 937; BGHZ 60, 353 (362) = NJW 1973, 1190; BGHZ 84, 1 (7) = NJW 1982, 2184). Hierbei ist der gesamte Sinnzusammenhang des Vertragswerkes, ein von beiden Teilen anerkannter Vertragszweck sowie die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., S. 287).

2. Unter Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze bestehen zwei Möglichkeiten der Lückenausfüllung. Zum einen hätten die Parteien entsprechend den Richtlinien der Tarifgemeinschaft deutscher Länder über die Absenkung der Eingangsbezahlung im Bereich des BAT vom 21. 7. 1985 (abgedruckt bei Clemens-Scheuering-Steingen-Wiese, VergO BL, Bd. 1 Teil II, Besondere Vorb. S. 9 ff.) die Anwendung der Vergütungsordnung zum BAT vereinbaren können. Zum anderen hätten die Parteien eine Überstundenvergütung aus der VergGr. IIa BAT vereinbaren können. Von dieser Vertragsgestaltung ist auszugehen. Dies ergibt sich aus der von dem Bekl. nach dem Schreiben des Kultusministers vom 25. 1. 1979 (Nr. I B 2-5/31032) geübten Praxis mit Ärzten, die eine den klägerischen Tätigkeiten entsprechende Tätigkeit ausübten, eine Vergütung nach der VergGr. IIa BAT arbeitsvertraglich zu vereinbaren.

V. Die tarifvertraglichen und arbeitsvertraglichen Ansprüche der Kl. sind weitgehend verfallen, weil sie nicht rechtzeitig geltend gemacht sind. Soweit der Senat nicht beurteilen konnte, ob die Forderungen rechtzeitig geltend gemacht worden sind oder nicht, mußte der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das LAG zurückverwiesen werden.

1. Tarifvertragliche wie arbeitsvertragliche Ansprüche verfallen gem. § 70 BAT, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach deren Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden (hinsichtlich auf Arbeitsvertrag beruhender Ansprüche vgl. st. Rspr. seit BAGE 11, 150 = AP § 4 TVG - Ausschlußfristen - Nr. 27). Wird für angeordnete Bereitschaftsdienste und Überstunden kein Freizeitausgleich gewährt, so werden die Ansprüche auf Bereitschaftsdienstvergütung gem. SR 2c Nr. 8 IV 1 BAT nach Ablauf eines dreimonatigen Ausgleichszeitraums fällig (vgl. BAG, Urt. v. 20. 7. 1989 - 6 AZR 774/87, unveröff.). Die Ansprüche auf Überstundenvergütung werden gem. § 17 V 1 BAT nach Ablauf des einmonatigen Ausgleichszeitraums fällig (BAG, AP § 17 BAT Nr. 8; BAG, Urt. v. 20. 7. 1989 - 6 AZR 774/87, unveröff.; NZA 1990, 890 = EzA § 15 BAT Nr. 1; ebenso Pieper, BK-BAT, § 17 Rdnr. 28; Uttlinger-Breier-Kiefer-Hoffmann, § 17 Anm. 7). Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf des Ausgleichszeitraumes beendet wird. Ein Freizeitausgleich setzt den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses voraus. In diesem Fall werden die Ansprüche mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig. ...

Vorinstanzen

LAG München, 7 Sa 142/88, 24.08.1988

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

§§ 3b, 17 V 1, 4, 22, 26, 70, SR 2c Nr. 8 III, IV ; HochSchRG §§ 36 III, 53 I, 54; BayHSchLG Art. 22 I, 25, 26; Weiterbildungsordnung für Ärzte §§ 1 I, 6 I