Übernachtungen des Kindes beim nichtsorgeberechtigten Elternteil
Gericht
OLG Hamm
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
18. 10. 1989
Aktenzeichen
5 UF 273/89
Bei ansonsten in zeitlich angemessenem Umfang bestehenden Besuchskontakten kommen Übernachtungen eines kleineren (hier: 4-jährigen) Kindes beim nichtsorgeberechtigten Elternteil gegen den Willen des Sorgeberechtigten in der Regel nicht in Betracht.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
I.
Vorliegend geht es um das Ausmaß der dem Grunde nach nicht umstrittenen Umgangsbefugnis des Vaters mit der am 27. 9. 1985 geborenen A.
Die Eltern (beide 1957 geboren) haben sich am 20. 10. 1988 getrennt. Zwischen ihnen läuft ein Scheidungsverfahren. Durch Beschluss v. 28. 2. 1989 hat das AmtsG die elterliche Sorge während des Getrenntlebens der Mutter übertragen. Diese hat eine Ausbildung als pharmazeutisch-technische Assistentin und ist als Pharmareferentin tätig. Sie hat eine neue Lebensgemeinschaft begründet und erwartet aus dieser im Dezember ein Kind. Nach Scheidung ihrer Ehe will sie ihren neuen Lebensgefährten heiraten. Der Vater ist als Verkaufsfahrer bei einer Tiefkühl-Firma tätig.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das AmtsG dem Regelungsantrag des Vaters teilweise entsprochen. Er hat danach das Recht, das Kind an jedem zweiten Wochenende von samstags 9 Uhr bis sonntags 17 Uhr bei sich zu haben, ferner an den zweiten hohen Feiertagen in der Zeit von 9 bis 17 Uhr. Außerdem darf er zweimal im Jahr mit dem Kind an Spielnachmittagen in der von ihm besuchten Kindertagesstätte teilnehmen.
Zur Begründung hat das AmtsG im Wesentlichen ausgeführt: Die getroffene Regelung entspreche am besten dem Wohl des Kindes. Es habe eine enge Bindung an den Vater. Deshalb sei es erforderlich, dass es ihn relativ häufig sehe. Dem entspreche es, dass die Wochenendbesuche mit einer Übernachtung verbunden seien. Die Befürchtungen der Mutter, die sich auf vorher in Erscheinung getretene Depressionen des Vaters stützten, erschienen nicht als durchschlagend.
Mit der Beschwerde möchte die Mutter erreichen, dass das periodische Umgangsrecht auf jeden zweiten Samstag in der Zeit von 9 bis 18 Uhr beschränkt werde. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Entsprechend der Übung in sonstigen Fällen komme bei einem Kind im Alter bis zu 6 Jahren allenfalls eine auf Tagesstunden begrenzte Besuchszeit in Betracht. Hier sei besonders zu beachten, dass sie (Mutter) in Kürze wieder über eine intakte Familie verfüge, in die das Kind sich eingewöhnen müsse. Diese Phase würde nachhaltig gestört, wenn der Vater die Möglichkeit hätte, die Tochter 14täglich über das Wochenende zu sich zu nehmen. Damit würde das Kind hin- und hergerissen und überfordert. Außerdem hätten die Eltern gravierende Unterschiede in ihren Erziehungsmethoden. Der Vater dürfte auch aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sein, über das Wochenende die Versorgung der Tochter sicherzustellen.
Die Mutter beantragt:
den angefochtenen Beschluss aufzuheben, soweit dem Vater das Recht eingeräumt worden ist, A. über jeden zweiten Samstag in der Zeit von 9 bis 18 Uhr hinaus zu sich zu nehmen.
Der Vater beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach einer seines Erachtens im Vordringen befindlichen Auffassung der Rechtsprechung und Literatur sollten Kinder möglichst häufig mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil zusammen sein und auch bei ihm übernachten. Das gelte sicherlich, wenn das Kind - wie hier - schon vorher mit der Wohnung des umgangsberechtigten Elternteils vertraut gewesen sei. Der Hinweis der Beschwerde, Wochenendbesuche wirkten sich störend auf eine künftige Familienbildung aus, könne gegenüber den berechtigten Belangen des Kindes und des nichtsorgeberechtigten Elternteils keine entscheidende Rolle spielen. Das Kind werde durch die Wochenendbesuche beim Vater nicht hin- und hergerissen. Die unterschiedlichen Erziehungsmethoden der Eltern ergänzten sich und wirkten daher positiv. Seine (des Vaters) Erkrankung liege mehrere Jahre zurück und sei vollständig überwunden.
Auszüge aus den Gründen:
II.
Die nach § 621 e ZPO zulässige Beschwerde führt zu dem von der Mutter gewünschten Ergebnis, dass die angeordneten Übernachtungen des Kindes bei dem Vater entfallen und das periodische Besuchsrecht sich auf jedes zweite Wochenende von Samstag 9 bis 18 Uhr erstreckt.
Die Befugnis des Vaters zum persönlichen Umgang mit A. ist dem Grunde nach nicht umstritten. Es geht um die zeitliche Ausgestaltung im Einzelnen. Da die Eltern sich insoweit nicht vollständig einigen können, hat gemäß § 1634 II BGB das FamG zu entscheiden.
Die Ausgestaltung der Umgangsbefugnis des nichtsorgeberechtigten Elternteils mit dem Kind liegt im tatrichterlichen Ermessen. Dabei ist insbesondere folgendes beachtlich: Dem Kind und dem nichtsorgeberechtigten Elternteil soll die Möglichkeit bleiben, ihre personale Beziehung aufrechtzuerhalten; gleichzeitig darf das Kind in seiner prinzipiellen Zuordnung zum Sorgeberechtigten nicht irritiert und keinen Spannungen und Widersprüchen ausgesetzt werden, die in der Reifeentwicklung schädlich sind (Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 2. Aufl., Teil III Rz. 219 = S. 531). Was die Häufigkeit des Umgangs betrifft, so verbietet sich von der genannten Zielsetzung her an sich jede Schematisierung. Das nach den Umständen des Einzelfalles zu findende Maß des Umgangs hängt vor allem vom Alter des Kindes, der Intensität seiner bisherigen Beziehungen zum Umgangsberechtigten, von der Entfernung der Wohnorte der Eltern, aber auch von den sonstigen Interessenbindungen des Kindes und der Eltern ab.
Der Vater wohnt in E., die Mutter in W. Die Wohnorte liegen nahe beieinander, so dass von daher einem (im Grundsatz nicht umstrittenen) Umgangsrecht in kürzeren Abständen nichts im Wege steht. Die emotionalen Beziehungen des Kindes sind erkennbar zu beiden Elternteilen recht gut, zumal in der Vergangenheit - wenn auch in einem im einzelnen streitigen Umfang - der Vater sich an der Erziehung wie vor allem auch an der Pflege des Kindes beteiligt hat.
Die Beschwerdeführerin möchte es - insoweit im Ansatz mit dem angefochtenen Beschluss übereinstimmend - bei einem periodischen Umgangsrecht an jedem zweiten Wochenende belassen. Allerdings wendet sie sich gegen Übernachtungen des Kindes beim Vater.
Die Zeitdauer des jeweiligen Kontaktes des nichtsorgeberechtigten Elternteils mit dem Kind ist möglichst so zu bemessen, dass sich eine oft vorhandene Anfangsscheu legen und eine wirkliche Vertrautheit bilden kann. Kind und Vater müssen etwas wirklich Sinnvolles miteinander unternehmen können. Diesen Gesichtspunkten wird bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass der Vater auch nach der Vorstellung der Mutter die Befugnis haben soll, mit dem Kind an jedem zweiten Samstag von 9 bis 18 Uhr Kontakt zu pflegen.
Was die Frage der Übernachtung beim Vater betrifft, so hält der Senat die Besorgnis der Mutter, er könne aus gesundheitlichen Gründen die Versorgung der Tochter über einen so langen Zeitraum, insbesondere nachts, nicht sicherstellen, für nicht hinreichend begründet. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die bei dem Vater in der Vergangenheit aufgetretenen Krankheitszustände dazu führen könnten, dass er sich nunmehr der Tochter nicht hinreichend widmen kann. Auch erscheinen die übrigen Befürchtungen der Mutter, insbesondere dass Übernachtungen des Kindes beim Vater in der Folgezeit Schwierigkeiten bei ihrer Einbindung in die neue Familie bringen könnten, nicht gerechtfertigt.
Allerdings ist zu bedenken, dass A. mit gerade vier Jahren noch relativ klein ist. Jaeger (in Johannsen/Henrich, Eherecht, § 1634 BGB Rz. 27, m. w. N.) vertritt zwar die Auffassung, dass man bei einer vorhandenen vertrauensvollen, innigen Bindung des Kindes zum Umgangsberechtigten - wie erkennbar hier - an sich auch bei kleineren Kindern nicht vor längeren Besuchen mit einer Übernachtung scheuen sollte. Vorliegend ist aber zu bedenken, dass angesichts der bestehen bleibenden Gesamtregelung (periodisches Umgangsrecht alle 14 Tage ganztags, Teilnahme des Vaters an Spielnachmittagen, Umgang an den zweiten hohen Feiertagen, ebenfalls ganztags) die Übernachtung zur Festigung der Beziehungen zwischen Vater und Kind nicht erforderlich erscheint. A. selbst hat bei ihrer Anhörung durch den Senat zu erkennen gegeben, dass sie sich offenbar an das in den letzten Monaten praktizierte Maß des periodischen Umgangs mit ihrem Vater (jeweils von 9 bis 18 Uhr ohne Übernachtung) gewöhnt hat und dass für sie der jeweilige Samstag der "Besuchstag" ist. A. hat - auch auf Nachfrage - von sich aus in keiner Weise zu erkennen gegeben, dass sie beim Vater übernachten möchte.
Hinzu kommt, dass die Eltern gerade über diese Übernachtungsmöglichkeit streiten. Auch ohne die Übernachtungen verbleibt ein zeitlich durchaus angemessener Umgang zwischen Vater und Kind. Deshalb erscheint es unter den gegebenen Umständen dem Senat zur Vermeidung von Nachteilen für die Entwicklung des Kindes (Loyalitätskonflikte wegen des Streites der Eltern hinsichtlich der Übernachtungen u. ä.) erforderlich, eine Regelung ohne Übernachtung vorzunehmen. Das führt im Ergebnis dazu, dass die (punktuell gegensätzlichen) Interessen der Eltern und das Interesse des Kindes angemessen berücksichtigt und ausgeglichen werden.
Wenn - wie zu erwarten - der Umgang A.'s mit ihrem Vater in Zukunft konfliktfrei verläuft und die Lebensverhältnisse der beiden Elternteile sich weiter konsolidiert haben, sollten sie sich angesichts des Älterwerdens des Kindes auch auf Übernachtungen beim Vater verständigen, wobei diese behutsam angebahnt werden sollten.
Nach allem war auf die Beschwerde der angefochtene Beschluss abzuändern mit den Nebenfolgen, wie sie sich aus den §§ 13 a FGG und 131 KostO ergeben.
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