Haftung bei zeitweiliger Übernahme des Steuers vom mitreisenden Halter
Gericht
OLG Celle
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
11. 11. 1987
Aktenzeichen
9 U 288/86
Überlässt der Eigentümer eines Pkw einem anderen auf gemeinsamer Reise zeitweise die Führung des Kraftfahrzeugs, so kann hieraus allein kein stillschweigender Haftungsausschluss hinsichtlich einer Beschädigung des Pkw hergeleitet werden.
Mangelnde Fahrpraxis des Fahrers begründet nur dann ein nach § 254 BGB zu berücksichtigendes Selbstverschulden desjenigen, der sich ihm anvertraut, wenn die Fahrt von vornherein erkennbar mit besonderen Schwierigkeiten verbunden war.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Parteien unternahmen im Pkw des Kl. eine gemeinsame Urlaubsfahrt. Es war vereinbart, dass sie sich beim Fahren abwechseln und die Benzinkosten aufteilen. Der Bekl. verursachte als Führer des Kfz einen Unfall, bei dem dieses erheblich beschädigt wurde. Die auf vollen Schadensersatz gerichtete Klage hatte in erster und zweiter Instanz Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Der Bekl. haftet dem Kl. nach § 823 I BGB auf vollen Schadensersatz.
1. Das LG hat zutreffend ausgeführt, dass der Bekl. den Unfall und damit die Beschädigung des Fahrzeugs des Kl. schuldhaft - eine Beschränkung der Haftung gemäß § 708 BGB auf grobe Fahrlässigkeit kommt hier nicht in Betracht - verursacht hat. Das greift der Bekl. mit der Berufung auch nicht an.
2. Ein stillschweigender vertraglicher Haftungsverzicht lässt sich hier nicht feststellen.
a) Ein solcher entfällt freilich noch nicht deswegen ohne weiteres, weil dem Bekl. grobe Fahrlässigkeit zur Last fiele. Zum einen ist ein stillschweigender Haftungsausschluss auch für Fälle grober Fahrlässigkeit denkbar (vgl. dazu BGH, VersR 1980, 384 (386)). Zum anderen dürfte dem Bekl., wie schon das LG angenommen hat, keine grobe Fahrlässigkeit zur Last fallen.
b) Einen stillschweigenden Haftungsausschluss hat die Rechtsprechung in den Fällen, in denen sich der Halter eines Pkw in seinem eigenen Fahrzeug durch einen anderen fahren ließ, in Anwendung des § 242 BGB unter - im wesentlichen - zwei Voraussetzungen angenommen: Die Haftung musste für den Fahrer des für ihn fremden Fahrzeugs wegen des damit verbundenen unüberschaubar großen Risikos unzumutbar sein, was dann bejaht wurde, wenn unter der Geltung der alten Fassung des § 11 Nr. 3 AKB Haftungsansprüche des Halters wegen eines Personenschadens gegen den mitversicherten Fahrer von der Haftpflichtversicherung ausgeschlossen waren; zum anderen musste der Fahrer das Steuer ausschließlich oder ganz überwiegend im Interesse des Eigentümers und Halters übernommen haben (BGH, VersR 1978, 625 f.; NJW 1979, 414 f.; NJW 1980, 1681 ff.; VersR 1980, 384 ff.). Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Zwar bestand wegen eines am Fahrzeug eintretenden Sachschadens auch hier kein Versicherungsschutz, weil der Haftpflichtversicherer nicht für den Sachschaden einzutreten hat, den der - mitversicherte - Fahrer an dem benutzten Fahrzeug selbst verursacht. Das damit verbundene Risiko, das ein fremder Fahrer eingeht, ist aber nicht so unüberschaubar groß und damit unzumutbar wie im Fall von nichtversicherten Personenschäden. Vor allem war hier - anders als in den letzteren Fällen - das Haftungsrisiko nicht ungleich, sondern zwischen dem Kl. als Eigentümer und Halter auf der einen und dem Bekl. als Fahrer auf der anderen Seite gleichverteilt; der Kl. weist darauf zu Recht hin. Da die Parteien sich auf der Urlaubsfahrt am Steuer abwechselten, konnte es jedem von ihnen passieren, dass er durch einen Fahrfehler einen Unfall verursachte und dabei das Fahrzeug beschädigte. Traf dies den Kl., musste er den Schaden allein tragen. Anknüpfungspunkte für eine anderweitige, stillschweigend getroffene Regelung sind nicht ersichtlich; der Bekl. hat dem Kl., der auf das insoweit ihn treffende Risiko hingewiesen hat, auch nicht widersprochen.
Auch die zweite der oben genannten beiden Voraussetzungen fehlt hier. Anders als in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen, in denen der Fahrer das Steuer allein im Interesse des Fahrzeughalters übernommen hatte, hatten die Parteien im vorliegenden Fall ein gemeinsames Interesse daran, sich auf der langen Urlaubsfahrt nicht zu überanstrengen und sich deshalb die "Arbeit" des Fahrens zu teilen. Dem entsprach das auf beiden Seiten gleichermaßen vorhandene Risiko, im Fall eines verschuldeten Unfalls für eine Beschädigung des Fahrzeugs einstehen zu müssen, und zwar der Kl., weil ihm das Fahrzeug gehörte, der Bekl., weil er jenem den dann entstehenden Schaden ersetzen musste. Gesichtspunkte, die es nach Treu und Glauben gebieten könnten, den Bekl. von dem ihn treffenden Risiko freizustellen, sind unter solchen Umständen nicht vorhanden.
3. Der Kl. hat auch nicht unter gesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten wenigstens die Hälfte seines Schadens selbst zu tragen. Zwar dürften die Parteien in der Tat ein Gesellschaftsverhältnis eingegangen sein, weil ein derartiges Vorhaben, wie sie es durchgeführt haben, über eine bloße Gefälligkeit des täglichen Lebens hinausgeht (vgl. dazu BGH, NJW 1979, 414 (415)). Daraus ergibt sich aber noch nicht ohne weiteres, dass alle auf der Urlaubsfahrt im Zusammenhang mit dem Fahrzeug entstehenden Aufwendungen und insb. auch solche, die auf einem von einer der Parteien verschuldeten Unfall beruhten, aufzuteilen gewesen wären.
Ausdrücklich haben die Parteien nur die Aufteilung der Benzinkosten - und den Wechsel am Steuer - vereinbart. Dass der Bekl. sich an dem Wertverlust, den das Fahrzeug auf der Reise erlitt, sowie an den festen Kosten wie Steuer, Versicherung und dergleichen nicht zu beteiligen brauchte, ist zwischen den Parteien unstreitig; der Kl. hat, was den Wertverlust betrifft, darauf ausdrücklich hingewiesen, und der Bekl. hat dem nicht widersprochen. Die Behauptung des Kl., es sei vereinbart worden, dass Verwarnungsgelder, Geldbußen und ähnliches derjenige zu zahlen habe, der sich ordnungswidrig verhalten habe, bestreitet der Bekl. nicht; das ist in der mündlichen Berufungsverhandlung, in der diese Frage erörtert wurde, klargestellt worden. Unter diesen Umständen fehlt es an einer tatsächlichen Grundlage für die Annahme, die Parteien hätten sich stillschweigend darauf geeinigt, einen unfallbedingten Fahrzeugschaden unabhängig davon, wer von ihnen ihn verursachte und ggf. verschuldete, untereinander aufzuteilen.
4. Der Bekl. greift das Urteil des LG vor allem mit der Begründung an, der Kl. müsse sich ein - sogar überwiegendes - Mitverschulden anrechnen lassen, weil er sich ihm, dem Bekl., trotz seiner geringen Fahrpraxis anvertraut und überdies nicht für eine Vollkaskoversicherung gesorgt habe. Unter beiden Gesichtspunkten lässt sich indessen ein Mitverschulden nicht begründen.
Mangelnde Fahrpraxis des Fahrers begründet nur dann ein nach § 254 BGB zu berücksichtigendes Selbstverschulden desjenigen, der sich ihm anvertraut, wenn die Fahrt von vornherein erkennbar mit besonderen Schwierigkeiten verbunden war (BGH, NJW 1965, 1075 (1076); Grunsky, in: Münch-Komm, 2. Aufl., § 254 Anm. 36). Dafür ist hier weder etwas vorgetragen noch ersichtlich. Im Übrigen ist insoweit auch der Umstand nicht ohne Bedeutung, dass beide Parteien über etwa die gleiche - geringe - Fahrpraxis verfügten und gegenseitig dem Fahrkönnen des jeweils anderen vertrauten.
Eine Vollkaskoversicherung ist, anders als der Bekl. geltend macht, auch für einen Zahnarzt nicht selbstverständlich. Wenn er auf einen solchen Versicherungsschutz Wert legte, hätte er sich darüber vorher vergewissern müssen. Tatsächlich hat er sich darüber damals offenbar selbst keine Gedanken gemacht.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen