Kostenerstattungsanspruch bei vom Bundesausschuß noch nicht anerkannter ärztlicher Behandlungsmethode

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

16. 09. 1997


Aktenzeichen

1 RK 28/95


Leitsatz des Gerichts

  1. § 135 I SGB V schließt die Leistungspflicht der Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden solange aus, bis diese vom zuständigen Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen als zweckmäßig anerkannt sind.

  2. Hat der Bundesausschuß über die Anerkennung einerneuen Methode ohne sachlichen Grund nicht oder nicht zeitgerecht entschieden, kann ausnahmsweise ein Kostenerstattungsanspruch des Versicherten nach § 13 III SGB V in Betracht kommen, wenn die Wirksamkeit der Methode festgestellt wird. Läßt sich die Wirksamkeit aus medizinischen Gründen nur begrenzt objektivieren, hängt die Einstandspflicht der Krankenkasse davon ab, ob sich die fragliche Methode in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion durchgesetzt hat (Fortführung von BSGE 76, 194 = NJW1996, 2451 = NZS 1996, 169 = SozR 3-2500 § 27 Nr. 5).

  3. Zu den Begriffen der „neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode„ und der „besonderen Therapierichtung„.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. begehrt Kostenerstattung für eine vertragsärztlich nicht zugelassene Behandlung. Der im Juli 1987 geborene Kl. war über seinen Vater bei der bekl. Ersatzkasse versichert. Er leidet an einer „Duchenneschen Muskeldystrophie„ (DMD), die erfahrungsgemäß zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr erste Symptome zeigt, zwischen dem achten und 12. Lebensjahr zur Gehunfähigkeit und meist vor dem 20. Lebensjahr zum Tode führt. Die genauen Ursachen dieses Krankheitsverlaufs sind unbekannt, so daß in ihn nicht gezielt (kausal) eingegriffen werden kann. Üblicherweise wird eine symptomorientierte Behandlung mit Krankengymnastik, Cortisonpräparaten und Operationen durchgeführt. Seit September 1992 wird der Kl. beim Arzt für Allgemeinmedizin B behandelt, der keine Kassenzulassung besitzt. Neben Thymuspeptiden, Zytoplasma und homöopathischen Mitteln werden hochfrequente Schwingung („Bioresonanztherapie„) angewandt. Bis Ende 1994 hat der Kl. hierfür einen Betrag von etwa 10000DM aufgewandt. Die Ärzte der Orthopädischen Klinik der Technischen Hochschule A. halten den bisherigen Krankheitsverlauf für günstig. Den am 8. 3. 1993 gestellten Antrag auf Übernahme der Behandlungskosten lehnte die Bekl. mit Bescheid vom 19. 4. 1993 und Widerspruchsbescheid vom 11. 4. 1994 gegenüber dem Vater des Kl. ab und berief sich auf Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes, in denen die Wirksamkeit der durchgeführten Behandlung bestritten wurde. Das SG hat die Klage abgewiesen, weil die Behandlung nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Das LSG hat der Klage stattgegeben. Die Revision der Bekl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. … Nach § 13 III SGB V sind dem Versicherten Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, daß die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann (Voraussetzung 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Voraussetzung 2) und sich der Versicherte deshalb die Leistung selbst beschafft. Wie sich aus § 13 I SGB V ergibt, tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung; er besteht deshalb nur, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sind. Mit der Durchbrechung des Sachleistungsgrundsatzes (§ 2 II SGB V) trägt § 13 III SGB V dem Umstand Rechnung, daß die gesetzlichen Krankenkassen eine umfassende medizinische Versorgung ihrer Mitglieder sicherstellen müssen (vgl. §§ 1 I 1, 27 I 1, 70 I 1 SGB V) und infolgedessen für ein Versagen des Beschaffungssystems - sei es im medizinischen Notfall (vgl. § 76I 2 SGB V) oder infolge eines anderen unvorhergesehenen Mangels - einzustehen haben. Wortlaut und Zweck der Vorschrift lassen die Abweichung vom Sachleistungsprinzip nur in dem Umfang zu, in dem sie durch das Systemversagen verursacht ist (Senat, BSGE 79, 125 [126f.] = NJW 1997, 1661 =SozR 3-2500 § 13 Nr. 11, S. 51f.). …
Eine unaufschiebbare Leistung i.S. der Voraussetzung 1 liegt nicht vor, denn darin werden nur Leistungen erfaßt, bei denen eine vorherige Einschaltung der Krankenkasse - insbesondere aus Zeitgründen - nicht verlangt werden kann. Zur näheren Prüfung in dieser Richtung gibt der Sachverhalt keinen Anlaß.

Die Voraussetzungen des § 13 III SGB V sind nicht erfüllt, weil die Bekl. die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt hat. Die immunbiologische Therapie gehört nicht zu den von den gesetzlichen Krankenkassen geschuldeten Leistungen. Das ergibt sich aus § 135 SGB V i.V. mit den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-RL). § 135 I 1 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. 12. 1988 (BGBl I,2477) schreibt vor, daß neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden dürfen, wenn der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 I 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat.

Die immunbiologische Therapie ist eine neue Behandlungsmethode i.S. von § 135 SGB V. Allerdings erläutert das Gesetz nicht näher, wann eine Behandlungsmethode als „neu„ anzusehen ist. Nach dem Normzweck muß danach unterschieden werden, ob eine Methode schon bisher zur vertragsärztlichen Versorgung gehört hat. Der Bundesausschuß soll darüber wachen, daß die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht auf unwirksame oder unwirtschaftliche Untersuchungs- und Behandlungsverfahren ausgedehnt wird. Von daher kann es nicht darauf ankommen, wann das betreffende Verfahren entwickelt und erstmals eingesetzt wurde - sonst könnte der Umfang der vertragsärztlichen Versorgung ohne Qualitätsprüfung allein durch Zeitablauf erweitert werden. Vielmehr ist, wovon auch der Bundesausschuß in Nr. 4 NUB-RL i.d.F. vom 4. 12. 1990 ausgeht, die Beschränkung auf „neue„ Methoden als Abgrenzung zu denjenigen medizinischen Maßnahmen zu verstehen, deren Qualität aufgrund der tatsächlichen Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung bereits feststeht oder unterstellt wird. Diese Auslegung wird durch die neuere Rechtsentwicklung bestätigt. Durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung(2. GKV-NOG) vom 23. 6. 1997 (BGBl I, 1520) ist den Bundesausschüssen der Ärzte und Krankenkassen aufgegeben worden, (auch) die von Vertragsärzten bereits bisher abrechenbaren Leistungen auf ihren diagnostischen oder therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit hin zu überprüfen. Ergibt sich dabei, daß eine Leistung den genannten Anforderungen nicht genügt, so ist sie von der weiteren Anwendung in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung ausgeschlossen (§ 135 I 2 u. 3 SGB V). Mit der Unterscheidung zwischen neuen und bereits eingeführten Leistungen macht das Gesetz deutlich, daß die Abgrenzung danach erfolgen soll, ob eine Methode schon bisher Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung war oder nicht.

Als noch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung gehörig und damit „neu„ i.S. des § 135 I SGB V sieht der Bundesausschuß gem. Nr. 5 NUB-RL solche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden an, die noch nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) enthalten oder die dort zwar aufgeführt sind, deren Indikationen aber eine wesentliche Änderung oder Erweiterungerfahren haben (zu letzterem vgl. 6. Senat, SozR 3-5533 Nr. 3512 Nr. 1, S. 2ff.; zum Verhältnis von NUB-RL und EBM ferner BSGE 79, 239 = NZS 1997, 337 = SozR 3-2500§ 87 Nr. 14). Ob allein durch die Prüfung anhand des EBM alle noch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zählenden neuen Methoden verläßlich erfaßt werden können oder ob es, etwa im Streit um die Anerkennung einer neuartigen Arzneimitteltherapie, weiterer Kriterien bedarf, braucht aus Anlaß des vorliegenden Rechtsstreits nicht entschieden zu werden. Jedenfalls ist die immunbiologische Therapie bisher nicht Bestandteil des vertragsärztlichen Leistungsspektrums. Das LSG hat festgestellt, daß sie von Vertragsärzten nicht angewandt wird. Es handelt sich auch nicht um eine Methode, deren Bewährung in der vertragsärztlichen Versorgung - beispielsweise wegen der Verwandtschaft zu anerkannten Methoden - so außer Zweifel stünde, daß sie vom Sinn und Zweck des § 135 I 1 SGB V nicht erfaßt würde.

Zur medizinischen Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der immunbiologischen Therapie hat sich der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen bisher nicht geäußert. . . . Letztlich kommt es darauf jedoch nicht an, weil das Gesetz den Einsatz neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden von einer vorherigen Anerkennung durch den Bundesausschuß abhängig macht, die bezüglich der immunbiologischen Therapie nicht vorliegt. § 135 I SGB V bezweckt die Sicherung der Qualität der Leistungserbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung; es soll gewährleistet werden, daß neue medizinische Verfahren nicht ohne Prüfung ihres diagnostischen bzw. therapeutischen Nutzens und etwaiger gesundheitlicher Risiken in der vertragsärztlichen Versorgung angewandt werden. Das ist zum Schutz der Versichertengemeinschaft vor unwirtschaftlicher Behandlung gleichermaßen wichtig wie zum Schutz des Versicherten vor unerprobten Methoden, deren Nebenwirkungen von ihren Befürwortern nicht immer richtig eingeschätzt werden. Die Regelung ist deshalb in der Art eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt gefaßt: Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sind solange von der Abrechnung zu Lasten der Krankenkassen ausgeschlossen, bis der Bundesausschuß sie als zweckmäßig anerkannt hat.

Allerdings befaßt sich § 135 SGB V vordergründig nicht mit den Leistungsansprüchen der Versicherten. Als Teil des Vierten Kapitels des SGB V über die „Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern„ legt die Vorschrift vielmehr in erster Linie für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Zahnärzte fest, unter welchen Voraussetzungen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht und abgerechnet werden dürfen. Trotzdem wird durch § 135 SGB V ebenso wie durch andere kassenarztrechtliche Vorschriften, die bestimmte Arten von Behandlungen aus der vertragsärztlichen Versorgung ausschließen oder ihre Anwendung an besondere Bedingungen knüpfen, zugleich der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten Leistungen festgelegt: Darf der Arzt eine Behandlungsmethode nicht als Kassenleistung abrechnen, weil sie nach den NUB-RL ausgeschlossen oder nicht empfohlen ist, gehört sie auch nicht zur „Behandlung„ i.S. des § 27 I 1 SGB V, die der Versicherte als Sachleistung oder im Wege der Kostenerstattung beanspruchen kann.

Im Kern ist diese Frage in § 2 II SGB V entschieden. Satz 1der Vorschrift beschränkt den Anspruch des Versicherten grundsätzlich auf Sach- und Dienstleistungen, über die nach Satz 2 mit den Leistungserbringern entsprechend den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge abzuschließen sind. Nach der darin zum Ausdruck kommenden Konzeption soll durch das Leistungserbringungsrecht im Vierten Kapitel des SGB V gewährleistet werden, daß den Versicherten die gesamte Krankenpflege als Sachleistung zur Verfügung gestellt wird. Dementsprechend haben die zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern zu schließenden Verträge und die als Bestandteil dieser Verträge von den Bundesausschüssen der Ärzte und Krankenkassen zu beschließenden Richtlinien die für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung notwendigen ärztlichen und nichtärztlichen Leistungen vollständig und abschließend zu erfassen. Wenn die Vertragspartner oder die Bundesausschüsse in diesem Zusammenhang zum Erlaß leistungskonkretisierender oder leistungsbeschränkender Vorschriften ermächtigt werden, kann das nur bedeuten, daß durch diese Vorschriften die im Dritten Kapitel des SGB V nur in Umrissen beschriebene Leistungsverpflichtung der Krankenkasse präzisiert und eingegrenzt werden soll.

Das zeigt sich auch daran, daß das Gesetz für beide Bereiche dieselben inhaltlichen Kriterien vorgibt. §§ 2 I 3 und 70 I 1 SGB V verlangen übereinstimmend einen Versorgungsstandard nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Die Merkmale in §§ 12 I 1 und 70 I 2 SGB V sind ebenfalls gleich: Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Geringfügige Unterschiede im Wortlaut einzelner Vorschriften beruhen auf der besonderen Betonung bestimmter Merkmale im jeweiligen Zusammenhang und bedeuten keine inhaltliche Abweichung. Der Verwirklichung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten dienen gem. § 92 I 1 SGB V auch die in § 135 I SGB V angesprochenen Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Als Vorschriften zur Qualitätssicherung haben die NUB-RL vor allem den Zweck, den im Gesetz nicht näher umschriebenen allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 I 3 SGB V) näher zu bestimmen. Gerade der in §§ 2 I 3, 70 I 1 SGB V geforderte Qualitätsstandard kann im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Versichertem nicht anders definiert werden als zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse bzw. Kassenärztlicher Vereinigung.

Die systematischen Zusammenhänge zwischen dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB V bestätigen dieses Ergebnis und widerlegen zugleich die vom LSG vertretene und auch im Schrifttum (Schulin, Hdb. des SozialversicherungsR I, § 106Rdnr. 105; Estelmann/Eicher, SGb 1991, 247 [256]) anzutreffende These von einem Vorrang des Leistungsrechts vor dem Leistungserbringungsrecht. Der Versicherte darf seinen Leistungsanspruch nur innerhalb der Vorgaben des Leistungserbringungsrechts verwirklichen, denn er ist im Regelfall durch §§ 15 I, 76 I 1 SGB V darauf beschränkt, sich die benötigte ärztliche und zahnärztliche Versorgung bei den zugelassenen Ärzten oder Zahnärzten zu beschaffen, die ihrerseits an die Vorgaben des Vierten Kapitels und speziell der gem. § 2 II 2SGB V über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen abzuschließenden Verträge gebunden sind (§ 95 III 2 SGB V). In der Person des Leistungserbringers sind beide Bereiche miteinander verzahnt; mit der Abgabe der Leistung an den Versicherten erfüllt der Arzt sowohl die Leistungsverpflichtung der Krankenkasse als auch seine eigene, aus der Kassenzulassung folgende Verpflichtung, sozialversicherte Patienten nach Maßgabe der für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Vorschriften zu behandeln. Bei einem derartigen Ineinandergreifen verschiedener Rechtsbeziehungen würden unterschiedliche Leistungsstandards zu unüberbrückbaren Widersprüchen führen.

Die Auffassung, das Leistungserbringungsrecht sei dem Leistungsrecht untergeordnet, verkennt im übrigen die Bedeutung, die der Entscheidung des behandelnden Arztes für die Entstehung und den Umfang von Leistungsansprüchen im Krankenversicherungsrecht zukommt. Sie unterstellt, daß sich dem Dritten Kapitel des SGB V mittels Gesetzesauslegung durchsetzbare Ansprüche auf konkrete medizinische Maßnahmen entnehmen lassen, die mit den einschlägigen Ergebnissen des Leistungserbringungsrechts verglichen werden und diese im Falle der Unvereinbarkeit verdrängen können (so in der Tendenz auch Entscheidungen des 3. Senats des BSG zur Rechtslage vor dem 1. 1. 1989: vgl. BSGE 63, 102 = SozR 2200 § 368e Nr. 11; BSGE 64, 255 = NJW 1989, 2349 =SozR 2200 § 182 Nr. 114; BSGE 70, 24 = SozR 3-2500 § 12 Nr. 2). Diese Auffassung hat die neuere Rechtsprechung jedoch aufgegeben. Danach ergeben sich aus den Vorschriften des Dritten Kapitels nur ausnahmsweise konkrete Leistungsansprüche. In der Regel wird dem Versicherten dort lediglich ein ausfüllungsbedürftiges Rahmenrecht auf „Behandlung„ durch einen Arzt oder Zahnarzt oder auf „Versorgung„ mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln in Aussicht gestellt. Zwar sind die geschuldeten Leistungen insofern noch näher umschrieben, als sie nach § 2 I 3 SGB V hinsichtlich Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, nach § 12 I SGB V ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig sein und nach § 27 I 1 SGB V bestimmten Zielen dienen müssen. Damit sind jedoch die Voraussetzungen der Leistungspflicht nur sehr vage bezeichnet; welche Behandlungsmaßnahmen sich daraus für den erkrankten Versicherten im einzelnen ergeben, bedarf der näheren Konkretisierung. In der Regel erlauben die genannten Merkmale lediglich die negative Ausgrenzung von Maßnahmen, die nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, weil sie bestimmten Mindestanforderungen nicht genügen (vgl. z.B. BSG, SozR 3-2500 § 27Nr. 6). Positiv verdichtet sich das gesetzliche Rahmenrecht erst dann zum durchsetzbaren Einzelanspruch, wenn der - an Stelle der Krankenkasse kraft gesetzlichen Auftrags handelnde- Leistungserbringer festgelegt hat, welche Sach- oder Dienstleistungen zur Wiederherstellung oder Besserung der Gesundheit notwendig sind (inzwischen st.Rspr.: vgl. BSGE 73, 271 [279ff.] = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4, S. 18ff.; BSGE 78, 154 [155] = NJW 1997, 1657 = SozR 3-2500 § 39 Nr. 3, S. 8f.;Senat, SozR 3-2500 § 30 Nr. 8, S. 32f.; s. auch BSGE 77, 194 [200, 203] = NJW 1996, 2450 L = NZS 1996, 429 = SozR 3-2500 § 129 Nr. 1, S. 7, 10; BSG, SozR 3-2500 § 39 Nr. 4,S. 19f.). Insofern erfüllt der behandelnde Arzt nicht nur die Leistungsverpflichtung der Krankenkasse; vielmehr begründet und konkretisiert er sie auch. Da er dabei an die Vorschriften des Kassenarztrechts einschließlich der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen gebunden ist, ergibt sich zwangsläufig, daß diese auch den für Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte gleichermaßen verbindlichen Umfang des Leistungsanspruchs bestimmen (vgl. § 2 IV SGB V). durch das Leistungserbringungsrecht wird der leistungsrechtliche Anspruchsrahmen in materieller und formeller Hinsicht abgesteckt; außerhalb dieses Rahmens hat der Versicherte grundsätzlich keine Leistungsansprüche (so auch Schlenker, SGB 1992, 530 [533f.]).

Daß speziell die Regelung des § 135 I SGB i.V. mit NUB-RL unmittelbar das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung gestaltet, ist durch die zwischenzeitlich erfolgten Änderungen und Ergänzungen leistungsrechtlicher Bestimmungen im 2. GKV-NOG nochmals verdeutlicht worden. Der durch dieses Gesetz neu geschaffene § 56 SGB V eröffnet den Krankenkassen die Möglichkeit, ihr Leistungsangebot durch Satzungsregelung über den gesetzlichen Leistungsumfang hinaus zu erweitern und dabei, wie sich aus § 56 III 2 i.V. mit § 135 I 4 SGB V i.d.F. des 2. GKV-NOG ergibt, auch solche Leistungen vorzusehen, die nach Einschätzung der Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen den Anforderungen für eine Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens nicht in vollem Umfang entsprechen. Ferner können die Kassen nach § 63 II SGB V i.d.F. des 2. GKV-NOG Modellversuche zu Leistungen durchführen, die bisher nicht Gegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung sind, wobei jedoch nach § 63 IV SGB V solche Leistungen ausgenommen sind, über deren Eignung die Bundesausschüsse in den Richtlinien nach § 92 I 2 Nr. 5 SGB V eine ablehnende Entscheidung getroffen haben. Beide Regelungen setzen voraus, daß der Versicherte grundsätzlich auf die nach Maßgabe des § 135 I SGB V zulässigen neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden beschränkt ist. Mit der Ersetzung des Wortes „abrechnen„ durch das Wort„erbringen„ in § 135 I 1 SGB V hat der Gesetzgeber des 2. GKV-NOG auch terminologisch klargestellt, daß es sich nicht um eine bloße Abrechnungsvorschrift, sondern um eine den Leistungsumfang der Krankenversicherung konkretisierende Regelung handelt.

Ein Vorrang des Leistungsrechts in dem Sinne, daß der Versicherte sich eine nach den Vorschriften des Kassenarztrechts ausgeschlossene Behandlung unter Berufung auf deren Zweckmäßigkeit dennoch auf Kosten der Krankenkasse beschaffen könnte, läßt sich angesichts dieser rechtlichen Gegebenheiten auch nicht aus § 13 III SGB V herleiten. Die dortige Regelung schafft lediglich die rechtliche Grundlage dafür, daß der Versicherte ausnahmsweise eine privatärztliche Behandlung auf Kostenerstattungsbasis in Anspruch nehmen kann, wenn die Krankenkasse infolge eines Versagens des Beschaffungssystems nicht in der Lage ist, eine notwendige Behandlung als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Diese Möglichkeit ist nicht Ausdruck einer Verdrängung des „minderwertigen„ Leistungserbringungsrechts durch das „höherrangige„ Leistungsrecht, sondern dient dazu, unbeabsichtigte oder unvorhergesehene Versorgungslücken zu schließen. Zwar müssen dazu bestimmte Regeln des Sachleistungssystems durchbrochen werden, doch ändert das nichts daran, daß der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 III SGB V in derselben Weise mit leistungserbringungsrechtlichen Vorschriften verzahnt ist wie andere Leistungsansprüche. Soweit der angesprochene Zweck die Abweichung nicht rechtfertigt, bleibt die Bindung an die im Vierten Kapitel des SGB V festgelegten Modalitäten und Grenzen der Krankenbehandlung auch in den Anwendungsfällen dieser Vorschrift erhalten. In Anbetracht der aus § 2 II SGB V ersichtlichen Zielvorstellung eines lückenlosen Sachleistungssystems wäre es nicht verständlich, wenn das Gesetz einerseits dazu ermächtigte, Leistungen generell als nicht notwendig, unzweckmäßig oder unwirtschaftlich von der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen, andererseits aber dem Versicherten die Möglichkeit beließe, sich dieselben Leistungen auf Kosten der Krankenkasse außerhalb des Sachleistungssystems zu verschaffen. Die mit § 135 SGB V bezweckte Aufstellung verbindlicher Qualitätsstandards für die vertragsärztliche und vertragszahnärztliche Versorgung hätte keinen Sinn, wenn diese Standards für selbstbeschaffte Leistungen nicht gelten würden.

Der Ausschluß nicht anerkannter Untersuchungs- und Behandlungsmethoden aus der vertragsärztlichen Versorgung nach Maßgabe des § 135 I SGB V und die damit einhergehende Beschränkung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung verletzt kein Verfassungsrecht.

Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist es nicht zu beanstanden, daß § 135 I SGB V die für die vertragsärztliche Behandlung freigegebenen neuen Methoden nicht selbst nennt, sondern insoweit auf die NUB-RL verweist. Die gesetzliche Ausschlußregelung knüpft damit in zulässiger Weise an untergesetzliche Rechtsvorschriften an, zu deren Erlaß § 92 I 2 Nr. 5 SGB V die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen ermächtigt. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre die beschriebene Gesetzestechnik allerdings, wenn es sich bei den NUB-RL und anderen Richtlinien der Bundesausschüsse, wie früher von der Rechtsprechung angenommen, um rein verwaltungsinterne Durchführungsbestimmungen ohne Außenwirkung handelte (so noch BSGE 63, 102 [105] = SozR 2200 § 368eNr. 11 S. 28 [Arzneimittelrichtlinien]; BSGE 63, 163 [165ff.] = SozR 2200 § 368p Nr. 2, S. 7ff. [Arzneimittelrichtlinien]; ähnl. BSGE 73, 271 [287] = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4 S. 27[Heil- und Hilfsmittelrichtlinien]). Da § 135 I SGB V in der Art einer dynamischen Verweisung auf die NUB-RL in ihrer jeweiligen Fassung Bezug nimmt, würde dann die Entscheidung, ob eine neue Behandlungsmethode zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden darf, im Ergebnis einer zu außenwirksamer Rechtsetzung nicht befugten Verwaltungsinstanzüberlassen und damit der Gewaltenteilungsgrundsatz berührt. Ob eine Normsetzung durch Verweisung auf verwaltungsinterne Regelungen dennoch in bestimmten Grenzen zulässig sein kann, bedarf hier keiner Vertiefung, weil sich der Rechtscharakter der Richtlinien mit dem Inkrafttreten des SGB V am 1. 1. 1989 gewandelt hat. Nach den Vorschriften dieses Gesetzes sind die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nicht mehr bloße dem Innenrechtsbereich des Leistungserbringungsrechts zuzuordnende Verwaltungsvorschriften, die nach Maßgabe der jeweiligen Satzung von den Krankenkassen und den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten beachtet werden sollen (so früher § 368p III RVO). Gemäß §§ 92 VII, 82 I 2 SGB V sind sie nunmehr in die Bundesmantelverträge und die Gesamtverträge über die vertragsärztliche Versorgung eingegliedert und nehmen an deren normativer Wirkung teil. Für die vertragsunterworfenen Krankenkassen und Vertragsärzte setzen sie unmittelbar verbindliches, außenwirksames Recht (vgl. §§ 83 I 1, 95 III 2 SGB V und dazu im einzelnen BSGE 78, 70 [75] = SozR 3-2500 § 92 Nr. 6 S. 30m.w. Nachw.).

Die im Schrifttum gegen die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen erhobenen verfassungsrechtlichen Einwände (v. Zezschwitz, in: Freundesgabe für Söllner, 1990, S. 645; Papier, VSSR 1990, 123 [130ff.]; Wimmer, NJW 1995, 1577;ders., MedR 1996, 425; Ossenbühl, NZS 1997, 497) werden vom Senat nicht geteilt. Die Richtlinien der Bundesausschüsse sind Teil eines umfassenden Gefüges untergesetzlicher Normen, die von den zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung gebildeten Körperschaften der Krankenkassen und(Zahn-)Ärzte aufgrund gesetzlicher Ermächtigung gemeinsam zu dem Zweck erlassen werden, eine den Vorgaben des Gesetzes entsprechende ambulante ärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die dabei praktizierte Form der Rechtsetzung durch Kollektivverträge (Normsetzungsverträge) zwischen Krankenkassenverbänden und Kassenärztlichen Vereinigungen sowie ergänzende Regelungen, die von gemeinsamen Gremien der (Zahn-)Ärzte und Krankenkassen beschlossen werden, hat in der gesetzlichen Krankenversicherung eine lange, in die vorkonstitutionelle Zeit zurückreichende Tradition. Sie hat ihren Grund in zwei tragenden Prinzipien des deutschen Krankenversicherungsrechts, nämlich auf der einen Seite dem Sachleistungsgrundsatz und auf der anderen Seite dem Leitbild des freiberuflich tätigen Arztes als Träger der ambulanten medizinischen Versorgung. Ihrer Verpflichtung, den Versicherten die benötigten Leistungen als Naturalleistungen kostenfrei zu verschaffen und sich dazu der Mitwirkung niedergelassener Ärzte und anderer selbständiger Leistungserbringer zu bedienen, können die Krankenkassen nur durch Abschluß entsprechender Verträge mit den Leistungserbringern nachkommen. Das zur Erfüllung der Sachleistungsverpflichtung und zur Sicherung einer ausreichenden Versorgung bereits Anfang der 30er Jahre entwickelte und seither historisch gewachsene öffentlichrechtliche System kollektivvertraglicher Beziehungen zwischen den Krankenkassen bzw. ihren Verbänden und den Körperschaften der Ärzte und Zahnärzte setzt die Zuweisung von Normsetzungsbefugnissen andie Vertragspartner voraus; denn es kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn die in Gesamtverträgen und Mantelverträgen vereinbarten Regelungen nicht nur die vertragschließenden Körperschaften, sondern auch die durch sie repräsentierten Vertragsärzte und Versicherten binden. Zwar sieht das Grundgesetz die Schaffung materiellen Rechts durch Normenverträge nicht vor. Auch kann diese Art der Rechtserzeugung ungeachtet der Bezeichnung des Regelungskonzepts als „gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen„ nicht dem Bereich der autonomen Rechtsetzung zugeordnet werden, der im wesentlichen mitgliedschaftlich strukturierten Körperschaften zur eigenverantwortlichen Regelung der sie selbst betreffenden Angelegenheiten vorbehalten ist. Indessen vermag der Senat dem Grundgesetz keinen numerus clausus zulässiger Rechtsetzungsformen in dem Sinne zu entnehmen, daß neben den ausdrücklich genannten Instrumenten des formellen Gesetzes und der Rechtsverordnung sowie den vom BVerfG anerkannten Regelungstypen der autonomen Satzung und der Tarifvertragsnormen weitere Formen der Rechtsetzung schlechthin ausgeschlossen wären. Er hält deshalb, wie er im Urteil vom 16. 9. 1997 (NJW 1998, 2765 L) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 6. Senats des BSG (BSGE 78, 70 [77ff.] = SozR 3-2500 § 92 Nr. 6 S. 32ff.) näher ausgeführt hat, die gesetzliche Ermächtigung gemeinsamer Rechtsetzung durch die Körperschaften der Krankenkassen und Ärzte bzw. von diesen gebildete Ausschüsse im Ergebnis für verfassungsgemäß.

Handelt es sich nach alledem bei den NUB-RL um untergesetzliche Rechtsnormen, die i.V. mit § 135 I SGB V verbindlich festlegen, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Bestandteil des vertragsärztlichen Leistungsspektrums sind, so ist dem Versicherten, der sich eine vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nicht empfohlene Behandlung auf eigene Rechnung beschafft, im Kostenerstattungsverfahren der Einwand abgeschnitten, die Methode sei gleichwohl zweckmäßig und in seinem konkreten Fallwirksam gewesen bzw. lasse einen Behandlungserfolg zumindest als möglich erscheinen. Von der anderslautenden Rechtsprechung zur Rechtslage vor Inkrafttreten des SGB V (BSGE 70, 24 = NJW 1992, 1584 = SozR 3-2500 § 12 Nr. 2; BSGE 64, 255 = NJW 1989, 2349 = SozR 2200 § 182 Nr. 114, jew. m.w. Nachw.; für das Recht der privaten Krankenversicherung daran anknüpfend: BGHZ 133, 208 [215] = NJW 1996,3074 = LM AVB f. Krankheitskosten- u. Krankenhaustagegeldvers. Nr. 26, Bl. 3; zur Rechtslage im Beihilferecht vgl. BVerwG, NJW 1996, 801 [802] = Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 15, S. 9; NJW 1985, 1413 = Buchholz 238.927 BVO NWNr. 6) hat sich der Senat bereits im Urteil vom 5. 7. 1995 teilweise distanziert (BSGE 76, 194 = NJW 1996, 2451 = NZS 1996, 169 = SozR 3-2500 § 27 Nr. 5). Soweit er dort allerdings den Einwand zugelassen hat, die neue Methode sei generell und nicht nur im konkreten Einzelfall zweckmäßig, hält er an seiner Rechtsauffassung nicht fest. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Bundesausschuß die in Rede stehende Methode bereits geprüft und abgelehnt hat oder ob - wie im Fall der immunbiologischen Therapie - über die Anerkennung bisher nicht entschieden wurde, weil es an einem entsprechenden Antrag fehlt oder die erforderliche Begutachtung noch nichtabgeschlossen ist. Das Gesetz schließt eine Abrechnung zu Lasten der Krankenkasse nicht nur bei ablehnenden Entscheidungen des Bundesausschusses, sondern ausdrücklich auch für den Fall des Fehlens einer solchen Entscheidung aus, denn es soll sichergestellt werden, daß neue Behandlungsweisen erst nach ausreichender Prüfung in dem dafür vorgesehenen Verfahren in der gesetzlichen Krankenversicherung eingesetzt werden.

Ein Kostenerstattungsanspruch kann allerdings ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruht. Ein solcher Systemmangel kann (auch)darin bestehen, daß das Anerkennungsverfahren trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wird. Die Ermächtigung in § 92 I 2 Nr. 5 i.V. mit § 135 I SGB V besagt nicht, daß es dem Bundesausschuß freigestellt ist, ob und wann er sich mit einem Antrag auf Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode befassen und hierzu eine Empfehlung abgeben will. Ebensowenig kann es im Belieben der antragsberechtigten Körperschaften und Verbände stehen, ob überhaupt ein Verfahren vor dem Bundesausschuß in Gang gesetzt wird. Das präventive Verbot in § 135 I SGB V dient allein dem Zweck der Qualitätssicherung; nur soweit es dieser Zweck erfordert, ist der Ausschluß ungeprüfter und nicht anerkannter Heilmethoden aus der vertragsärztlichen Versorgung gerechtfertigt. Grundsätzlich zählen aber, wie die ausdrückliche Erwähnung des medizinischen Fortschritts in § 2 I 3 SGB V belegt, auch neue medizinische Verfahren zum Leistungsumfang der Krankenversicherung. Soweit sie sich als zweckmäßig und wirtschaftlich erweisen, dürfen sie den Versicherten nicht vorenthalten werden. Dem muß das Verfahren vor dem Bundesausschuß gerecht werden. Es muß gewährleisten, daß bei Vorlage der für die Beurteilung der Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit benötigten Unterlagen in vertretbarer Zeit eine Entscheidung über die Anerkennung der neuen Methode erreicht werden kann. Wird die Einleitung oder die Durchführung des Verfahrens willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder verzögert und kann deshalb eine für die Behandlung benötigte neue Therapie nicht eingesetzt werden, widerspricht das dem Auftrag des Gesetzes. Eine sich daraus ergebende Versorgungslücke muß zugunsten des Versicherten mit Hilfe des § 13 III SGB V geschlossen werden.

Anhaltspunkte dafür, daß das Fehlen einer Aussage zur immunbiologischen Therapie in den NUB-RL Folge eines Systemmangels in dem beschriebenen Sinne sein könnte, sind nicht aufgezeigt oder ersichtlich. Freilich hatte der Kl. im anhängigen Verfahren noch keine Gelegenheit zu entsprechendem Vortrag, weil es nach der Rechtsauffassung des LSG wie auch nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats auf diesen Gesichtspunkt nicht ankam. Trotzdem braucht der Senat die Sache nicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs an das BerGer. zurückzuverweisen, denn er muß die Klage unabhängig von etwaigen Versäumnissen des Bundesausschusses oder der nach § 135 I SGB V antragsberechtigten Stellen abweisen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, daß die umstrittene Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.

Eine ausfüllungsbedürftige Lücke in den NUB-RL und ein daraus sich ergebender Anspruch auf Kostenerstattung ist vor allem dann denkbar, wenn - bei unterstellter Untätigkeit des Bundesausschusses - über eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zu befinden ist, von deren Wirksamkeit das Gericht überzeugt werden kann.

Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen für die Drogensubstitution mit dem Hustenmittel Remedacen hat der Senat in diesem Sinne davon abhängig gemacht, ob der Erfolg der Ersatzdroge in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt werden kann (BSGE 76, 194 [199] = SozR 3-2500 § 27 Nr.5, S. 12). An diesem Erfordernis ist grundsätzlich festzuhalten. Die dabei auftretenden praktischen Schwierigkeiten sind beachtlich, sie können in der Regel aber - nötigenfalls mit Hilfe von Sachverständigen überwunden werden. Bei der Drogensubstitution zur Bekämpfung von Heroinsucht ist die „Therapie„ auf die Veränderung des Verhaltens des Patienten gerichtet; dabei spielen medizinische Zusammenhänge (etwa mögliche Nebenwirkungen) eine Rolle, sie stehen aber nicht im Vordergrund. Bei einem Massenphänomen wie der Drogensucht ist der Rückgriff auf soziologische Datenerhebungen denkbar, die den Gerichten den hier erforderlichen Wirksamkeitsnachweis erleichtern können. Die Forderung nach einem derartigen Nachweis liegt vor allem auch dann nahe, wenn die streitige Methode mit anerkannten Methoden verglichen werden kann.

Wirksamkeitsnachweise für die immunbiologische Therapie liegen nicht vor, so daß mit dieser Begründung eine den Anspruch nach § 13 III SGB V auslösende Lücke in der vertragsärztlichen Versorgung nicht zu rechtfertigen ist. Das LSG selbst ist nicht von der Wirksamkeit ausgegangen. Bei den im angefochtenen Urteil erwähnten Veröffentlichungen fehlen der Bezug zur Erkrankung des Kl. (vgl. Theurer, in: Dokumentation der besonderen Therapierichtungen und natürlichen Heilweisen in Europa [DbT] V, 1. Halbbd. 1992, S. 331 [343]; Pesic, ebda., S. 415 [419f.]) und die Bewertung der gegenseitigen Beeinflussung der einzelnen hier eingesetzten medizinischen Maßnahmen (vgl. Beckmann, EHK 1984, 680; Paffenholz/Theurer, Kassenarzt 1980, 1295). Auch das Urteil selbst enthält hierzu keine Feststellungen, denn darin wird lediglich zur Plausibilität der einzelnen Arznei- und Heilmittel Stellung genommen. Eine Behandlung ist in der gesetzlichen Krankenversicherung jedoch allenfalls dann geschuldet, wenn sie sich günstig auf den Gesamtgesundheitszustand des Versicherten auswirken kann und soll (vgl. §§ 1 I1, 27 I 1 SGB V). Besteht eine Behandlung aus mehreren Elementen, muß auch deren Zusammenwirken untersucht und bewertet werden.

Anders als bei der Drogensubstitution stößt ein Wirksamkeitsnachweis für eine Behandlung der DMD auf erhebliche Schwierigkeiten. Letztlich kann der Verlauf der Krankheit weder erklärt noch gezielt beeinflußt werden; nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse kommt bestenfalls eine symptomatische Behandlung in Frage. Die Bewertung von möglichen Therapien wirft nahezu ausschließlich medizinische Fragen auf; dabei spielen genetische, biochemische und molekularbiologische Zusammenhänge eine Rolle, die erst vor einigen Jahren erforscht worden sind. Das verhältnismäßig seltene Auftreten der DMD würde langjährige Untersuchungen voraussetzen, um genügend Patienten erfassen zu können. Der etwaige Erfolg einer Therapie kann wegen gleichzeitiger Entwicklungsfortschritte der jugendlichen Patienten nur schwer erkennbar sein. Bei einer Erkrankung mit meist tödlichem Ausgang wirft die Forderung nachwissenschaftlichen Versuchen, bei denen zur Kontrolle nachweislich unwirksame Mittel (Placebo) eingesetzt werden müssen, besondere ethische Probleme auf. Das wird auch von Befürwortern derartiger Versuche eingeräumt (vgl. Noseworthy, Neurology 1988 [38 Suppl. 2], 76 bei Fußn. 6).

Beschränken sich die Einwirkungsmöglichkeiten anerkannter Behandlungsmethoden aus den aufgezeigten Gründen auf eine mehr oder weniger vorübergehende und nur begrenzt objektivierbare Unterdrückung der Krankheitssymptome, genügt es nicht, sich zur Ablehnung der Kostenerstattung für noch nicht empfohlene Methoden auf den fehlenden oder mangelhaften Wirksamkeitsnachweis zu berufen. Denn das Gesetz verlangt lediglich einen Standard, der dem allgemeinanerkannten „entspricht„. Umgekehrt kann die fehlende medizinische Erkenntnis nicht bedeuten, daß jede Behandlungsmethode von der Krankenkasse zu bezahlen ist. Die Grundsätze des §§ 12 I und 27 I 1 SGB V verbieten es, die Erprobung neuer Methoden oder die medizinische Forschung zu den Versicherungsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu rechnen (vgl. Begr. zum FraktionsE des Gesundheits-ReformG, BT-Dr 11/2237, S. 157). Dem entspricht der Vergütungsabschlag für Forschung und Lehre bei ambulanten Krankenhausleistungen der Polikliniken nach § 120 III 2 SGB V.Im Zehnten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB V sind zwar Erprobungsregelungen vorgesehen, die nach § 63 S. 1 SGB V auch neue Leistungen beinhalten können; die am 1. 7.1997 in Kraft getretene Neufassung schließt Leistungen ausdrücklich mit ein, zu denen der Bundesausschuß noch nicht ablehnend Stellung genommen hat (vgl. § 63 IV 1 SGB V). Keinesfalls ist jedoch die Erprobung neuer Behandlungsmethoden bei einzelnen Versicherten gemeint, denn sie muß nach der ursprünglichen Fassung durch Satzung, nach der Neufassung durch Vereinbarungen mit den Leistungserbringern rechtlich abgesichert sein. Außerhalb dieses engen Rahmens dürfen die Finanzmittel der Solidargemeinschaft für die Erprobung schon deshalb nicht eingesetzt werden, weil unerprobte Methoden - wenn ihnen überhaupt eine Wirkung zukommt - auch unbekannte Nebenwirkungen haben können, für deren gesundheitliche Folgen wiederum die Krankenversicherung aufzukommen hat. Der Grundsatz, daß die gesetzlichen Krankenkassen für die Erprobung neuer Methoden nicht einzustehen haben, verdient gerade bei unerforschten Krankheiten besondere Beachtung: Bei Erkrankungen, deren Verlauf erklärt und mit geeigneten Mitteln beeinflußt werden kann, besteht weit seltener Veranlassung, Versuche mit unerprobten Methoden anzustellen.

Um bei der Prüfung des Kostenerstattungsanspruchs für eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode einerseits dem Gebot gerecht zu werden, dem erkrankten Versicherten alle gleichermaßen geeigneten Mittel zugute kommen zu lassen, ohne andererseits gegen das Verbot zu verstoßen, die Krankenkasse für Erprobungen einstehen zu lassen, gibt es nur zwei mögliche Ansätze: Entweder die Gerichte setzen sich mit der medizinisch-wissenschaftlichen Qualität der in Rede stehenden Methoden inhaltlich auseinander, um eine bisher nicht zustande gekommene Entscheidung des Bundesausschusses vorwegzunehmen bzw. zu ersetzen, oder sie beschränken sich auf die Prüfung, ob der neuen Methode in der medizinischen Fachdiskussion bereits ein solches Gewicht zukommt, daß eine Überprüfung und Entscheidung durch den Bundesausschuß veranlaßt gewesen wäre. Das richtet sich nicht nach medizinischen Kriterien (Wirksamkeit, Plausibilität, Erfolg im Einzelfall usw.), sondern nach der tatsächlichen Verbreitung in der Praxis und in der fachlichen Diskussion.

Diesem zweiten Ansatz folgt der Senat. Das Gesetz fragt nicht danach, welchen Qualitätsstandard der Richter aus eigener Anschauung oder aufgrund sachverständiger Beratung für anerkennungswürdig hält, sondern welcher Standard allgemein anerkannt ist und ob die zu beurteilende Methode diesem Standard entspricht. Damit bezieht es sich auf den Charakter der Medizin als Erfahrungswissenschaft. Erfolgreiche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden setzen sich über kurz oder lang in der medizinischen Ausbildung, bei den praktizierenden Ärzten, bei den Leistungsträgern und im Kreis der Patienten durch (in dieser Richtung auch - allerdings unter dem Gesichtspunkt der medizinischen Vertretbarkeit - Estelmann/Eicher, SGB 1991, 253). Ohne ein Mindestmaß an Anerkennung kann eine Methode das Stadium der medizinischen Erprobung bzw. Forschung noch nicht überwunden haben.

Die dadurch den Gerichten auferlegte Zurückhaltung in der medizinisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die „richtige„ Heilmethode hat in § 2 I 2 SGB V ihre Entsprechung. …

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

SGB V §§ 2 I 2, II, 12 I, 13 III, 27 I 1, 34 II 3, 70 I, 76 I 1, 92 I 2 Nr. 5, VII, 135 I 1