Aus Schreck wertvolle Schale fallen gelassen

Gericht

LG Wuppertal


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

29. 01. 2003


Aktenzeichen

19 O 403/02


Leitsatz des Gerichts

Lässt ein erschreckter Schädiger wegen eines unerwarteten Knalls, der durch das Zerplatzen eines Luftballons ausgelöst wurde, einen wertvollen Gegenstand fallen und wird dieser Gegenstand dadurch zerstört, dann stellt dies ein menschliches Handeln dar. Dieses Handeln unterliegt sowohl der Bewusstseinskontrolle, als auch der Willensteuerung des Schädigers. Es liegt eine sog. Schreckreaktion vor, die eine Verletzungshandlung im deliktischen Sinne ist und eine Haftung nach § 823 Abs. 1 Satz 1 BGB auslöst.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Auf einer Geburtstagsfeier interessierte sich der Bekl für eine im Wohnzimmerschrank der Kl stehende wertvolle Korbschale. Als er die Schale in seinen Händen hielt, zerplatzte plötzlich ein Luftballon, der zu Dekorationszwecken aufgehängt worden war. Der hierdurch erschreckte Bekl ließ die Korbschale fallen, die hierdurch zerstört wurde.

Das LG bejahte das Vorliegen einer schädigenden Handlung des Bekl und sein Verschulden.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl steht ein Schadensersatzanspruch im zugesprochenen Umfang aus §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB zu.

Die gem. § 823 Abs. 1 BGB erforderliche Rechtsgutverletzung ist durch die Zerstörung der Korbschale eingetreten.

Der Bekl hat die Schale fallen gelassen, als er sich durch das Zerplatzen eines Luftballons erschreckte. Eine Verletzungshandlung im deliktischen Sinne ist jedes menschliche Tun, das der Bewusstseinskontrolle und der Willenssteuerung unterliegt, also beherrschbar ist. Entgegen der Ansicht des Bekl ist das Fallenlassen der Schale auf Grund seines Erschreckens nicht als Reflexbewegung, sondern als so genannte Schreckreaktion einzuordnen, bei der die Handlungsqualität bejaht wird.

Zur Feststellung, ob dem Verhalten des Bekl Handlungsqualität zuzusprechen ist, ist auf die im Strafrecht vertretenen Handlungskriterien zurückzugreifen. Auf Grund der Nähe der Grundgedanken einer deliktischen Haftung zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit ist die Heranziehung der strafrechtlichen Kriterien zur Bestimmung der Handlungsqualität sachlich geboten. Beide Rechtsgebiete erfordern für das Vorliegen einer Handlung eine willkürliche Bewegung. Das Fallenlassen der Korbschale stellt eine typische so genannte Schreckreaktion dar. Bei dieser entstehen aus der Tiefe der Persönlichkeit ausbrechende Primitivreaktionen (sinnlose Ersatzhandlungen oder Handlungslähmungen) so schnell und unmittelbar, dass die so genannte Ich-Funktion als Kontrollinstanz erst gar nicht in Aktion treten kann (Spiegel, DAR 1968, 290). Danach ist die Frage, ob die betreffende Schreckhandlung in ihrer äußeren Beschaffenheit auch Inhalt des Wollens ist, der Täter als ihr So-Sein kennt, für den Handlungsbegriff nicht von Bedeutung. Sie ist vielmehr im Bereich des Verschuldens zu prüfen. Dabei wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass das Erschrecken grundsätzlich von solcher Intensität sein kann, dass eine totale Handlungsunfähigkeit eintreten kann. Dies ist am Einzelfall zu prüfen und vorliegend abzulehnen. Die Luftballons waren zu Dekorationszwecken aufgehängt und für jeden Gast erkennbar. Gleichfalls muss auf einer Feier damit gerechnet werden, dass der eine oder andere Ballon durch Zerplatzen kaputt geht, sei es, dass dieses von Gästen aus Spaß provoziert wird, sei es, dass ein Ballon aus anderen Gründen zerplatzt. Es ist davon auszugehen, dass der Betrachter eines Luftballons bereits beim Bemerken eines solchen auf einer Feier die latente Gefahr des Zerplatzens in sein Bewusstsein aufnimmt. Das Geräusch eines zerplatzenden Luftballons mag für den Bekl in dem Moment unerwartet gewesen sein. Doch kann nicht davon ausgegangen werden, dass er sich dadurch in dem Maße erschreckt hat, dass bei ihm eine völlige Handlungsunfähigkeit aufgetreten sein könnte, denn er hatte die Luftballons bereits vor dem Schadenseintritt wahrgenommen und konnte daher - wenn auch unterbewusst - das Geräusch sogleich zuordnen.

Eine Einordnung als Reflexhandlung, die die Handlungsqualität entfallen lassen kann, scheidet aus. Reflexhandlungen stellen nur dann keine Handlungen dar, wenn "die Erregung der motorischen Nerven nicht unter seelischem Einfluss steht" (OLG-Hamm, Urt. v. 16.7.1974, NJW 1975, 657 f.), sondern der körperliche Reiz sich unmittelbar vom Empfindungs- auf das Bewegungszentrum überträgt, so etwa der Fall bei unwillkürlichem Schließen der Augen unter dem Anprall eines Gegenstandes, beim Zusammenzucken unter einem Stromschlag oder bei ärztlichen Reflexprüfungen. Reflexhandlungen ist danach nur dann die Handlungsqualität abzusprechen, wenn sie "unwiderstehlich" sind (vgl. Spendel, Leipziger Kommentar, § 323a Rn 170), nicht dagegen, wenn sie sich unterdrücken lassen, wie z.B. das Niesen auf Niesreiz, weil sich hier der Betroffene tatsächlich "zurückhalten" kann und sich nicht so weit "gehen zu lassen" braucht (OLG Celle NdsRpfl 1962, 288). Schon bei der Einordnung des Fallenlassens als Reflexhandlung wäre diese nicht als unwiderstehlich anzusehen gewesen, da es durchaus möglich ist, einen Gegenstand auch dann weiterhin festzuhalten, wenn sich eine Person auf Grund eines anderen Ereignisses erschreckt. Dies umso mehr, als dem Bekl durchaus bewusst war, dass er einen kostbaren Gegenstand in den Händen gehalten hat, der im Regelfall von dem Haltenden dann gerade noch fester umklammert wird, damit der Schadensfall vermieden werden kann.

Das Fallenlassen der Korbschale durch den Bekl war ursächlich für die Zersplitterung der Schale in Einzelteile.

Dem Bekl fällt auch ein Verschulden i.S.d. § 276 Abs. 1 BGB zur Last. Er handelte fahrlässig, als er die Schale im Moment des Erschreckens zu Boden fallen ließ. Da er sich auf einer Geburtstagsfeier mit weiteren Gästen im Raum befand, musste ihm klar sein, dass das Begutachten der Schale ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit erforderte. Da sich der Bekl mit mehreren Menschen in einem Raum befand, die zudem noch miteinander feierten, musste ihm klar sein, dass er die Schale unter Umständen nicht ungestört begutachten konnte. Er musste damit rechnen, dass unerwartete Umstände, wie vorliegend z.B. das Zerplatzen des Luftballons, eintreten konnten. Unter diesen Bedingungen hätte er die Schale entweder bewusster festhalten müssen oder die Begutachtung der Schale von vornherein zumindest an einen Platz durchführen müssen, an dem er ungestört gewesen wäre. Da er dies nicht getan hat, handelte er fahrlässig.

Da die Klageforderung der Höhe nach unstreitig ist, war der Klage in vollem Umfang stattzugeben.

Rechtsgebiete

Allgemeines Zivilrecht

Normen

BGB § 823