"Hängende" Türen als Fehler eines Neufahrzeuges
Gericht
OLG Köln
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
13. 01. 1995
Aktenzeichen
19 U 78/94
Kommt es bei einem Neufahrzeug aufgrund der konstruktiven Auslegung der Türscharniere bereits nach kurzer Nutzungsdauer zu einem "Hängen" der Türen, so kann dies einen Fehler des Fahrzeuges im Sinne von § 459 I BGB darstellen. Entscheidend für den vertraglich vorausgesetzten Maßstab des Standes der Technik des Typs ist nicht der Standard der Marke, sondern der Entwicklung vergleichbarer Fahrzeuge insgesamt. Auch für Konstruktions- oder Fertigungsfehler einer ganzen Serie ist der Verkäufer zur Gewährleistung verpflichtet.
Auf ein dem Verkäufer durch AGB eingeräumtes Nachbesserungsrecht braucht sich der Käufer eines Neufahrzeuges nicht einzulassen, soweit der konstruktive Fehler nicht beseitigt werden soll und die vom Verkäufer vorgesehene Nachbesserung, die auf einer Weisung des Kfz-Herstellers beruht, keine wirksame Abhilfe verschaffen würde.
Auch wenn eine vom Verkäufer vorgenommene Nachbesserung nicht geeignet war, einen Fehler wirksam zu beseitigen, so kann hierin ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis im Sinne von § 208 BGB liegen, wenn hierin das Bewußtsein des Verkäufers zum Ausdruck kommt, daß ein Sachmangel vorliegt und er insoweit zur Gewährleistung verpflichtet ist.
Der Kl. begehrt von der Bekl. die Wandelung eines Kaufvertrages über einen Neuwagen. Der Kl. kaufte im Dezember 1991 einen VW Golf, der am 7. 4. 1992 ausgeliefert wurde. Anläßlich einer Inspektion am 17. 3. 1993 rügte der Kl. den Konstruktionsfehler der schwachen Türaufhängung. Die Bekl. stellte die Türen daraufhin lediglich ein. Dies konnte wegen der konstruktionsbedingten Ursache des Fehlers naturgemäß nicht zum Erfolg führen. Daraufhin erklärte der Kl., ohne der Bekl. eine weitere Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben, die Wandelung des Kaufvertrages.
Seine Klage hatte Erfolg.
Der Kl. hat gegen die Bekl. auf der Grundlage der §§ 459 I, 462, 467 S. 1, 346ff. BGB in Verbindung mit Abschnitt VII Nr. 4 der AGB der Bekl. einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen in Höhe von 16894,37 DM Zug um Zug gegen Rückgabe des gekauften Pkw, der im Tenor näher bezeichnet ist.
1. Der vom Kl. bei der Bekl. im Dezember 1991 gekaufte fabrikneue Pkw der Marke VW Golf CL, 1,4l, wies bei der Auslieferung am 7. 4. 1992 einen Fehler i.S. von § 459 I 1 BGB auf, der den Kl. zur Ausübung des Wandlungsrechtes nach Abschnitt VII Nr. 4 der AGB der Bekl. berechtigt. Denn es kommt bei dem Neufahrzeug aufgrund der konstruktiven Auslegung der Türscharniere bereits nach kurzer Nutzungsdauer zu einem "Hängen" der Türen; dies bedeutet eine negative Abweichung von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit. Wie der Sachverständige Z in seinem Gutachten vom 6. 10. 1993 festgestellt hat, hat sich die Fahrertür beim Fahrzeug des Kl. zur Schloßsäule hin leicht abgesenkt. In seiner ergänzenden Begutachtung vom 17. 1. 1994 hat er auch das Hängen der rechten Tür festgestellt. Dies beruht darauf, daß die Bolzen der Türscharniere stark ausgeschlagen sind. Diesen starken Abnutzungsgrad und Verschleiß der Scharnierbolzen hat der Sachverständige als für ein Neufahrzeug mit einer Laufleistung von unter 10000 km "ungewöhnlich" bezeichnet. Dies ist für ein Neufahrzeug indes nicht nur ungewöhnlich, sondern ein Sachmangel, da die konstruktive Auslegung der Türscharniere bei dem Fahrzeug nicht ordnungsgemäß ist, wie sich nicht zuletzt aus der Überschrift des eigenen Arbeitsblattes des Herstellerwerkes ergibt, welche die konstruktive Auslegung der Türscharniere und deren Reparatur zum Gegenstand hat.
Eine konstruktive Auslegung der Türscharniere, die "hängende Türen" zur Folge hat, widerspricht auch den kaufvertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Nach Abschnitt VII Nr. 1 der AGB der Bekl. leistet der Verkäufer Gewähr für "eine dem jeweiligen Stand der Technik des Typs des Kaufgegenstandes" entsprechende Fehlerfreiheit. Diese Anforderung ist mit einer Konstruktion der Türscharniere, die alsbald "hängende" Türen zur Folge hat, nicht erfüllt. Dabei ist unerheblich, ob bezogen auf die hier in Rede stehende Serie und den Fahrzeugtyp keine Minderwertigkeit vorliegt, weil bei der ganzen Serie dieses Fahrzeugtyps konstruktionsbedingt die gleichen Fehler auftreten können. Entscheidend für den vertraglich vereinbarten Maßstab des Standes der Technik des Typs ist nicht der Standard der Marke, sondern der Entwicklungsstand vergleichbarer Fahrzeuge insgesamt. Diese sind mit dem Begriff "Typ des Kaufgegenstandes" im Sinne der Bedingungen gemeint (Senat, OLG Rep 1991, 3 = VersR 1991, 699 = NJW-RR 1991, 1340 (1341); 12. Zivilsenat, OLG Rep 1992, 151 f.). Als Vergleichsfahrzeuge kommen nicht nur solche des betreffenden von demselben Hersteller produzierten Typs, sondern auch vergleichbare Fahrzeuge anderer Hersteller in Betracht, wobei der technische Entwicklungsstand der gesamten Autoindustrie als Maßstab dient (vgl.Reinking/Eggert, Der Autokauf, 7. Aufl., Rdnr. 428). Eine Beschränkung der Gewährleistung auf den Standard des Herstellers für sein Produkt würde demgegenüber bedeuten, daß für Konstruktionsfehler oder Fertigungsfehler einer ganzen Serie keine Gewähr geleistet werden müßte. Hiervon geht jedoch der durchschnittliche Neuwagenkäufer, dessen Verständnis maßgebend ist, bei seiner Kaufentscheidung nicht aus. Er erwartet vielmehr gerade, daß er ein dem allgemeinen Stand der Technik in der Automobilindustrie entsprechendes Fahrzeug und entsprechende Gewährleistungsrechte erhält. Dies hat der Senat bereits für serienbedingte Dröhngeräusche eines Kleinwagens entschieden (Senat, NJW-RR 1991, 1340 (1341) = NZV 1992, 188). Dies gilt auch für ein serienbedingtes "Hängen" von Türen, das - wie hier - seine Ursache in der konstruktiven Auslegung der Türscharniere des Neufahrzeuges hat. Wenn Türscharniere konstruktiv so ausgelegt sind, daß die Türen bei einer Laufleistung des Fahrzeuges von unter 10000 km bereits "hängen", ist dies bei einem Fahrzeug von westdeutscher Herkunft und der Preisklasse von 18303,70 DM nicht nur gänzlich ungewöhnlich, wie dies der Sachverständige ausgedrückt hat, vielmehr entspricht dies weder dem heutigen Stand der Fertigungstechnik, den ein durchschnittlicher Käufer eines Neuwagens erwarten darf, noch wird eine solche Eigenschaft den von einer hohen Qualitätserwartung geprägten Anschauungen des Verkehrs (vgl. hierzu Reinking/Eggert, Rdnr. 433) gerecht.
Wenn sich die Fahrertür nur dann leichtgängig schließen läßt, wenn sie angehoben wird, wird die Gebrauchstauglichkeit des Pkw zu dem gewöhlichen und nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch nicht unerheblich gemindert, wenn man berücksichtigt, wie oft die Türen bedient werden müssen. Auch das erforderliche Anheben der Beifahrertür ist nicht nur peinlich, sondern erfordert bei jeder Benutzung besondere Aufmerksamkeit bezüglich des Verhaltens des Beifahrers und schränkt den Komfort des Fahrzeuges ein.
2. Die Voraussetzungen des Wandlungsrechts nach Abschnitt VII Nr. 4 der AGB der Bekl. sind erfüllt. Der Kl. ließ am 17. 3. 1993 eine Inspektion am Fahrzeug durchführen und hat hierbei den Konstruktionsfehler der schwachen Türaufhängung gerügt. Die Bekl. hat als Abhilfe lediglich die Türen "eingestellt", obwohl die Bolzen der Türscharniere ausgeschlagen sind, wie sich aus dem Sachverständigengutachten ergibt. Trotz der konstruktiv fehlerhaften Auslegung der Türenscharniere sieht auch das Herstellerwerk in seinem Arbeitsblatt lediglich vor, daß eine Reparatur "nur wie folgt" vorzunehmen ist, wobei unter anderem lediglich die Scharniere "nach oben" verschoben und die Lackfehlstellen im Bereich der Scharniersäule "mit Pinsel" ausgebessert werden sollen. Auf eine derartige Nachbesserung, die den konstruktiven Fehler, nämlich die ausgeschlagenen Bolzen, nicht beseitigt, braucht sich der Kl. nicht einzulassen, da sie keine wirksame Abhilfe verschafft. Denn bereits kurze Zeit nach der am 17. 3. 1993 vorgenommenen Einstellung hat der Sachverständige in seinem Gutachten vom 6. 10. 1993 wiederum ein Absenken der Fahrertür und bei seiner ergänzenden Begutachtung am 17. 1. 1994 ein Hängen der Beifahrertür festgestellt. Mit Rücksicht hierauf sind weitere Nachbesserungsversuche für den Kl. unzumutbar. Ein weiteres kommt noch hinzu. Das Herstellerwerk hat mit Schreiben vom 1. 7. 1994 eingeräumt, daß es zu den hängenden Türen und dem Fehler bei der Fertigung der Fahrzeuge deswegen kommt, weil die Türen "beim Einstellen" in der unteren Scharnieranbindung "überdrückt" werden. Wenn die Bekl. demgegenüber vorträgt, das Hängen der Türen beruhe darauf, daß sie überdrückt worden seien, weil sich der Kl. "mit seinem stattlichen Gewicht beim Aussteigen auf die Tür stützt", so widerspricht dies nicht nur dem vorgenannten Schreiben des Herstellerwerkes. Deutlich wird hierin auch, daß die Bekl. zwar einen Fehler am Fahrzeug erkannt hat, aber diesen nachhaltig zu beseitigen nicht gewillt ist. Wer auf solche Art und Weise die "Übertünchung" eines Sachmangels statt dessen Beseitigung betreibt, kann sich auch nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB nicht mehr auf ein in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehenes Nachbesserungsrecht berufen.
3. Die Gewährleistungsansprüche des Kl. sind nicht gem. § 477 I BGB in Verbindung mit Abschnitt VII Nr. 1 der Verkaufsbedingungen verjährt, wonach der Verkäufer Gewähr leistet während eines Jahres seit Auslieferung. Der Kl. rügte nämlich bei der Fahrzeuginspektion am 17. 3. 1993 den Konstruktionsfehler der schwachen Türaufhängung, woraufhin die Bekl. eine Einstellung der Türen vornahm. In letzterem ist ein Anerkenntis i.S. von § 208 BGB zu sehen, das die einjährige Verjährungsfrist nach Abschnitt VII Nr. 1 der AGB, die nach Auslieferung des Fahrzeuges am 7. 4. 1992 begann, rechtzeitig unterbrochen hat. Es ist anerkannt, daß die Vornahme von Gewährleistungsarbeiten in dem Bewußtsein, zur Gewährleistung verpflichtet zu sein, ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis i.S. von § 208 BGB ist (vgl.BGH, NJW 1988, 254). Denn ein Anerkenntnis im Sinne dieser Vorschrift ist das rein tatsächliche Verhalten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, aus dem sich das Bewußtsein vom Bestehen des Anspruches unzweideutig ergibt (BGH, NJW 1988, 1260); einer rechtgeschäftlichen Willenserklärung bedarf es nicht. Auch wenn die von der Bekl. am 17. 3. 1993 unternommene Nachbesserung nicht geeignet war, den Konstruktionsfehler in der Türaufhängung zu beseitigen und wirksam Abhilfe zu schaffen, so kommt darin das Bewußtsein der Bekl. zum Ausdruck, daß ein Sachmangel vorliegt und sie insoweit zur Gewährleistung verpflichtet ist. Die neue Verjährungsfrist begann hiernach mit dem auf das Anerkenntnis folgenden Tag (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 53. Aufl., § 208 Rdnr. 1), so daß die während des Rechtsstreites mit Schriftsatz vom 12. 5. 1993 erhobene Rüge wegen der hängenden Türen die am 18. 3. 1993 erneut begonnene Verjährung rechtzeitig zu unterbrechen in der Lage war, ohne daß es einer Entscheidung bedarf, ob nach der Unterbrechung der Verjährung durch Anerkenntnis erneut der Lauf einer einjährigen Verjährungsfrist, wie sie in Abschnitt VII Nr. 1 der Verkaufsbedingungen genannt ist, oder nunmehr lediglich die gesetzliche - sechsmonatige - Verjährungsfrist des § 477 I 1 BGB zu laufen begann ...
4. Der Kl. kann aufgrund des berechtigten Wandlungsbegehrens und der erklärten Wandlung gem. den §§ 346 ff. BGB Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgewähr des gekauften Fahrzeuges verlangen. Auszugehen ist von einem Kaufpreis von 18303,70 DM. Der Kl. hat sein Wandlungsrecht durch die Weiterbenutzung des Fahrzeuges nicht verloren. Er hat sich jedoch gem. den §§ 467 S. 1, 347 S. 2, 987 bzw. 988, 818, 100 BGB die ihm durch die Benutzung des Fahrzeuges entstandenen Gebrauchsvorteile anrechnen zu lassen. Der Kl. ist mit dem Fahrzeug rund 11500 km gefahren. Der hierfür zu vergütende Nutzungswert ist gemäß § 287 ZPO auf den Betrag von 1409,33 DM zu schätzen. Der Betrag errechnet sich ausgehend von einer anzunehmenden Gesamtfahrleistung des Pkw von 150000 km aus 0,67 % des Kaufpreises pro gefahrene 1000 km (vgl. Senat, OLG Rep 1991, 3 = VersR 1991, 699 = NJW-RR 1991, 1340 (1341) = NZV 1992, 188; OLG Köln, NJW 1987, 2520; OLG Hamm, NJW-RR 1988, 1140).
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