Sorgfaltsanforderungen für ec-Karten- und Geheimnummer-Verwahrung in Wohnung
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
17. 10. 2000
Aktenzeichen
XI ZR 42/00 (KG)
Zu den Voraussetzungen, unter denen die Art der Verwahrung von ec-Karte und Geheimnummer für ein Girokonto grob fahrlässig ist.
Die Kl. begehrt von der bekl. Sparkasse die Erstattung unberechtigter Barabhebungen an Geldausgabeautomaten, die ihrem Girokonto belastet worden sind. Die Kl., eine Ärztin, unterhielt bei der Bekl. ein privat und ein beruflich genutztes Girokonto. Für beide Konten hatte die Bekl. ihr je eine ec-Karte und eine persönliche Geheimnummer (Pin) erteilt. Die zu Grunde liegenden AGB der Bekl. für die Verwendung der ec-Karte (i. d. F. vom 15. 10. 1997) enthielten unter Nr. A III 2.4 unter anderem folgende Regelungen:
„Für Schäden, die vor der Verlustanzeige entstanden sind, haftet der Kontoinhaber, wenn sie auf einer schuldhaften Verletzung seiner Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten beruhen. …
Die Sparkasse übernimmt auch die vom Kontoinhaber zu tragenden Schäden, die vor der Verlustanzeige entstanden sind, sofern der Karteninhaber keine Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten … grob fahrlässig verletzt hat.
Grobe Fahrlässigkeit des Karteninhabers liegt insbesondere vor, wenn
die persönliche Geheimzahl auf der ec-Karte vermerkt oder zusammen mit der ec-Karte verwahrt war (z.B. der Originalbrief, in dem der Pin dem Karteninhaber mitgeteilt wurde),
die persönliche Geheimzahl einer anderen Person mitgeteilt und der Missbrauch dadurch verursacht wurde,
der Karteninhaber der Sparkasse oder dem Zentralen Sperrannahmedienst nach Feststellen des Kartenverlustes das Abhandenkommen nicht umgehend meldet, obwohl ihm dies ohne weiteres möglich war und der Schaden durch die Verspätung verursacht wurde. Schäden, die nach der Verlustmeldung entstehen, werden von der Sparkasse erstattet. ...
Eine Übernahme des vom Kontoinhaber zu tragenden Schadens durch die Sparkasse erfolgt nur, wenn der Kontoinhaber die Voraussetzungen der Haftungsentlastung glaubhaft darlegt und Anzeige bei der Polizei erstattet.“
Vom 10. bis 25. 4. 1998 befand sich die Kl. auf einer Auslandsreise. Während ihrer Abwesenheit verwahrte sie die ec-Karten in ihrer Wohnung auf ihrem Schreibtisch in einem unverschlossenen Behältnis zwischen Briefen und Notizen. Die Originalmitteilung der Geheimnummer für das Privatkonto befand sich in einer Plastikhülle zusammen mit zahlreichen anderen Papieren, insbesondere Visitenkarten, in einer unverschlossenen Schublade eines Sekretärs in einem anderen Raum ihrer Fünf-Zimmer-Wohnung. Die Geheimnummer für das Geschäftskonto war, in einer Telefonnummer verschlüsselt, in einem Adressbuch verzeichnet. Nach Rückkehr aus dem Urlaub waren die ec-Karten unauffindbar. Die Geheimnummern befanden sich noch am jeweiligen Ort. Während der Abwesenheit der Kl. waren vom Geschäftskonto 28000 DM und vom Privatkonto 14500 DM an Geldausgabeautomaten abgehoben worden. Von den Abhebungen vom Geschäftskonto erstattete die Bekl. 12000 DM, von denen vom Privatkonto 6000 DM. Die Kl. hat eine Freundin, die sie um Versorgung ihrer Katzen während der ersten Tage ihrer Abwesenheit gebeten hatte, verdächtigt, einem Bekannten Gelegenheit zum Diebstahl der ec-Karten gewährt zu haben. Sie hat behauptet, der Täter habe die Geheimnummern nicht in ihrer Wohnung gefunden, sondern selbst entschlüsselt. Das Sicherungssystem der Bekl. sei unzureichend.
Das LG hat die Bekl. zur vollen Erstattung der Abhebungen vom Geschäftskonto und zur teilweisen Erstattung der Abhebungen vom Privatkonto verurteilt. Das BerGer. hat die Berufung, mit der die Kl. auch die Erstattung der restlichen Abhebungen von ihrem Privatkonto in Höhe von 7750 DM erstrebt hat, zurückgewiesen. Hiergegen richtete sich die - zugelassene - Revision der Kl.
Die Revision hatte Erfolg.
I. Das BerGer. hat Ansprüche gem. §§ 675, 677 (richtig: § 667) BGB sowie wegen schuldhafter Verletzung des Bankvertrags verneint und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Kl. habe bei der Aufbewahrung der ec-Karten und der Geheimnummer für ihr Privatkonto ihre in den AGB der Bekl. festgelegte Sorgfaltspflicht grob fahrlässig verletzt, weil sie die Originalmitteilung der Geheimnummer zusammen mit der ec-Karte verwahrt habe. Der räumliche Zusammenhang werde durch die Einheit der Wohnung und die Art der offenen Verwahrung begründet. Der unbekannte Täter habe nicht nur die ec-Karten entwendet, sondern auch die Geheimnummer für das Privatkonto in der Wohnung der Kl. gefunden und für die Abhebungen benutzt. Diese Feststellung beruhe auf den von der Kl. vorgetragenen, unstreitigen Tatsachen und werde nicht durch die Annahme erschüttert, der Täter könne die in einer Telefonnummer verschlüsselte Geheimnummer für das Geschäftskonto nicht in der Wohnung der Kl. gefunden, sondern mit technischen Hilfsmitteln selbst entschlüsselt haben. Deshalb komme es nicht darauf an, ob die Bekl. sich auf die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins berufen könne.
II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Kl. hat gegen die Bekl.gem. §§ 667, 675 I BGB oder gem. §§ 700 I, 607 BGB Anspruch auf Zahlung weiterer 7750 DM. Ein Kunde, auf dessen Girokonto ohne seinen Auftrag oder sonstigen Rechtsgrund Belastungsbuchungen vorgenommen werden, kann die Rückbuchung und Auszahlung des sich nach der Berichtigung ergebenden Guthabens verlangen (BGHZ 121, 98 [106]; Schimansky, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, BankR-Hdb. I, 1997, § 47 Rdnr. 28).
2. Die Bekl. hat das Konto der Kl. zu Unrecht mit den während ihres Urlaubs erfolgten Barabhebungen in Höhe des noch streitigen Betrags von 7750 DM belastet.
a) Sie hat keinen Aufwendungsersatzanspruch gem. §§ 670, 675 I BGB, weil die Abhebungen nicht auf Grund wirksamer Weisungen der Kl. i.S. des § 665 BGB (vgl. BGHZ 130, 87 [91]; Gößmann, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, § 54 Rdnr. 11), sondern unbefugt erfolgt sind.
b) Der Bekl. steht gegen die Kl. auch kein Anspruch wegen positiver Vertragsverletzung in Höhe des noch streitigen Betrags zu, den sie dem Girokonto belasten und in das Kontokorrent einstellen könnte. Die Kl. hat ihre vertraglichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Verwahrung der ec-Karte und der Geheimnummer für ihr Privatkonto nicht grob fahrlässig verletzt und haftet gem.Nr. A III 2.4 der Bedingungen für die Verwendung der ec-Karte nicht für die unberechtigten Abhebungen.
aa) Die Entscheidung, ob ein Verhalten als grob fahrlässig zu bewerten ist, obliegt grundsätzlich dem Tatrichter und ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar (BGHZ 89, 153 [160] = NJW 1984, 789). Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (Senat, NJW 1992, 316 = LM H. 6/1992 Art. 16 WG Nr. 5 = WM 1991, 1946 [1948]). Ersteres ist hier der Fall. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt wurde, wenn ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseite geschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall sich jedem aufgedrängt hätte (Senat WM 1991, 1946 [1948] m.w. Nachw.). Nach diesen Maßstäben hat die Kl. nicht grob fahrlässig gehandelt.
bb) Die Kl. hat - anders als das BerGer. meint - ec-Karte und Geheimnummer i.S. von Nr. A III 2.4 der Bedingungen für die Verwendung der ec-Karte nicht zusammen verwahrt. Die Bewertung einer gemeinsamen Verwahrung von ec-Karte und Geheimnummer als grob fahrlässig trägt dem Umstand Rechnung, dass dadurch der besondere Schutz, den die für Abhebungen neben der ec-Karte zusätzlich benötigte Geheimnummer bietet, aufgehoben wird, weil ein Unbefugter, dem ec-Karte und Geheimnummer gemeinsam in die Hände fallen, ohne weiteres Abhebungen vornehmen kann. Entsprechend diesem Regelungszweck liegt eine gemeinsame Verwahrung nur vor, wenn ein Unbefugter ec-Karte und Geheimnummer in einem Zugriff erlangen kann und nicht nach dem Auffinden der einen Unterlage weiter nach der anderen suchen muss. Hingegen werden ec-Karte und Geheimnummer nicht zusammen verwahrt, wenn sie sich an verschiedenen Stellen der Wohnung des Kontoinhabers befinden und ein Unbefugter, der ec-Karte oder Geheimnummer gefunden hat, die Wohnung weiter nach der anderen Unterlage durchsuchen muss. Die abweichende Beurteilung des BerGer. trägt nicht hinreichend dem Umstand Rechnung, dass die Wohnung für viele Kontoinhaber der einzige Ort ist, an dem sie ec-Karte und Geheimnummer verwahren können.
III. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO).
1. Die Verwahrung von ec-Karte und Geheimnummer kann nicht mit einer anderen als der vom BerGer. angeführten Begründung als grob fahrlässig angesehen werden. Nr. A III 2.4 der Bedingungen für die Verwendung der ec-Karte zählt die Fälle grober Fahrlässigkeit zwar nicht abschließend auf. Ein in dieser Aufzählung nicht erfasster Sorgfaltsverstoß des Karteninhabers kann aber nur dann als grob fahrlässig angesehen werden, wenn er ebenso schwer wiegend wie die Sorgfaltswidrigkeiten in den aufgezählten Fällen ist. Dies trifft hier nicht zu. Die von der Kl. gewählte Art der Verwahrung der Geheimnummer stellt nur eine einfache Fahrlässigkeit dar. Die Kl. hat sorgfaltswidrig gehandelt, weil sie nach dem in der Revisionsinstanz als richtig zu unterstellenden Vortrag der Bekl. die auf der Originalmitteilung der Geheimnummer befindliche Aufforderung, die Originalmitteilung nach Kenntnisnahme der Geheimnummer zu vernichten, missachtet hat. Dieser Sorgfaltsverstoß erleichtert Unbefugten zwar das Auffinden und Erkennen der Geheimnummer. Die hierdurch begründete Gefahr unbefugter Abhebungen ist aber wesentlich geringer als in den in Nr. A III 2.4 der Bedingungen für die Verwendung der ec-Karte ausdrücklich genannten Fällen grober Fahrlässigkeit.
Auch die Verwahrung der Originalmitteilung der Geheimnummer in einer Plastikhülle verborgen unter zahlreichen Visitenkarten und sonstigen ungeordneten Papieren in einer unverschlossenen Schublade eines Sekretärs stellt keine grobe Fahrlässigkeit dar. Dasselbe gilt für die Verwahrung der ec-Karte in einem unverschlossenen Behältnis zwischen Briefen und Notizen. Dass die Kl. während ihrer Urlaubsabwesenheit eine Freundin um Versorgung ihrer Katzen gebeten und ihr zu diesem Zweck den Zugang zu ihrer Wohnung ermöglicht hatte, rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil die Kl. keinen Anlass hatte, ihrer Freundin zu misstrauen.
2. Zu Gunsten der Bekl. spricht auch kein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass entweder die Kl. als rechtmäßige Kontoinhaberin die Abhebungen selbst vorgenommen hat oder dass ein Dritter von der Geheimnummer wegen ihrer unsachgemäßen Verwahrung Kenntnis erlangen konnte. Ob ein solcher Beweis des ersten Anscheins in Fällen anzunehmen ist, in denen an Geldausgabeautomaten mit der ec-Karte unter Verwendung der zutreffenden Geheimnummer Geld abgehoben wird (bejahend LG Darmstadt, WM 2000, 911 [914]; Werner, in: Hellner/Steuer, BankR u. Bankpraxis Rdnr. 6/1510; vgl. auch AG Bremen, WM 2000, 1639 [1640]; verneinend OLG Hamm, WM 1997, 1203 [1206] m.w. Nachw.), braucht nicht entschieden zu werden, weil das BerGer. rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass die Abhebungen nicht von der Kl., sondern von einem Unbefugten vorgenommen worden sind, der die Geheimnummer in der Wohnung der Kl. aufgefunden hat. Die vom BerGer. ebenfalls rechtsfehlerfrei festgestellte Art der Verwahrung von ec-Karte und Geheimnummer ist - wie dargelegt - zwar als unsachgemäß, aber nicht als grob fahrlässig anzusehen.
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