Produkthaftung eines Limonadenherstellers

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

16. 03. 1993


Aktenzeichen

VI ZR 139/92 (Frankfurt)


Leitsatz des Gerichts

Eine Beweislastumkehr wegen Verletzung der Befundsicherungspflicht kann auch dann eintreten, wenn die technisch möglichen und dem Hersteller zumutbaren Maßnahmen der Befundsicherung Schadensfälle durch das Produkt nicht völlig ausschließen können. Es genügt, daß dadurch eine signifikante Verringerung des Produktrisikos erfolgt.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bekl. stellt kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke her, die sie in Einheits-Mehrwegglasflaschen abfüllt und unter der Bezeichnung „X“ in den Handel bringt. Die Eltern des damals drei Jahre alten Kl. bezogen am 5. 9. 1981 bei dem Getränkehändler Z einen aus der Produktion der Bekl. stammenden Kasten Limonade. Als der Kl. zwei Tage später, am 7. 9. 1981, im Keller des Wohnhauses der Eltern eine Flasche Limonade aus dem Getränkekasten nahm, zerbarst diese. Der Kl. verlor durch die Glassplitter sein rechtes Auge und büßte einen Teil der Sehkraft des linken Auges ein. Die Glasreste wurden nach dem Unfall nicht sichergestellt. Der Kl. nimmt die Bekl. auf Zahlung eines Teilschmerzensgeldes in Höhe von 6000 DM in Anspruch. Er behauptet, die Flasche sei in seiner Hand explodiert und macht geltend: Als Herstellerin habe die Bekl. für Gesundheitsschäden einzustehen, die bei der bestimmungsgemäßen Verwendung ihrer Produkte entständen. Der Nachweis, daß der den Schaden verursachende Fehler nicht erst nach der Inverkehrgabe der Flaschen entstanden sei, könne ihm - weil ihm praktisch unmöglich - nicht auferlegt werden. Die Vielzahl vergleichbarer Vorfälle, bei denen Flaschen mit Erzeugnissen der Kl. oder anderer Hersteller von Mineralwasserprodukten explodiert seien, zeige, daß es sich bei dem Unfall nicht lediglich um einen „Ausreißer“ gehandelt habe. Sie belege vielmehr, daß technisch mögliche Vorkehrungen in den Abfüllbetrieben nicht getroffen würden, obwohl die Gefahren dort bekannt seien. Die Bekl. begehrt widerklagend die Feststellung, daß dem Kl. aus dem Unfall vom 7. 9. 1981 keine weiteren Ansprüche gegen die Bekl. zustehen. Der BGH hatte die Sache an das OLG zurückverwiesen (BGHZ 104, 323 = NJW 1988, 2611 = LM § 823 (E) BGB Nr. 16). Auf Grund der neuen Verhandlung hat das OLG unter Abweisung der Widerklage dem Kl. das begehrte Schmerzensgeld zuerkannt. Der BGH hat die Revision der Bekl. nicht angenommen.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

Bedenken bestehen zwar gegen die Ansicht des BerGer., die Bekl. sei verpflichtet gewesen, ein Einvernehmen mit allen übrigen Mineralbrunnen herzustellen, welche die Einheitsflaschen benutzen, damit in die Flaschen deren Herstellungsdatum eingeprägt und so die über vier Jahre alten Flaschen von der Wiederbefüllung ausgeschlossen werden konnten, und dagegen, daß das Gericht aus der Verletzung dieser Pflicht Beweiserleichterungen für den Kl. ableitet.

Die Revision rügt auch mit Recht, daß der Schadensersatzanspruch des Kl. nicht aus einer Verletzung der Instruktionspflicht durch die Bekl. hergeleitet werden kann. Wie der Senat bereits in dem Urteil in dieser Sache vom 7. 6. 1988 (BGHZ 104, 323 (328 f.) = NJW 1988, 2611 = LM § 823 (E) BGB Nr. 16) ausgeführt hat, war nicht zu erwarten, daß sich die Verbraucher durch einen Hinweis auf die Gefahr des explosionsartigen Zerberstens der Flasche durch vorsichtiges Hantieren vor dieser Gefahr schützen konnten.

Das Berufungsurteil wird jedoch von der Erwägung getragen, daß die Bekl. ihre Befundsicherungspflicht auch dadurch verletzt hat, daß sie nur Flaschen mit Gewindeschäden, Dichtlippenschäden, Flaschenbodenschäden und Glassprüngen ausgesondert hat, nicht aber auch solche, die äußerlich stark zerkratzt waren. Rechtsfehlerfrei stellt das BerGer. dazu fest, daß alte, häufig benutzte Flaschen ein weit höheres Berstrisiko in sich bergen als neue Flaschen, und daß äußerlich erkennbar zerkratzte Flaschen ersichtlich stärker beansprucht sind als andere Flaschen.

Entgegen der Auffassung der Revision ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, daß das BerGer. im Hinblick darauf der Bekl. die Beweislast dafür auferlegt, daß die Ursache für das Zerbersten der Flasche, durch die der Kl. verletzt wurde, nicht ihrem Herstellerbereich zuzurechnen ist. Voraussetzung für eine solche Beweislastumkehr ist nicht, wie die Revision meint, daß die Maßnahmen der Befundsicherung die Explosion von Getränkeflaschen in Verbraucherhand ausschließen konnten. Der Senat hat in den Urteilen vom 7. 6. 1988 (BGHZ 104, 323 (336) = NJW 1988, 2611 = LM § 823 (E) BGB Nr. 16) und vom 8. 12. 1992 (NJW-RR 1993, 369 = BB 1993, 248) die Pflicht zur Befundsicherung, aus deren Verletzung die Beweislastumkehr folgt, nur in dem Sinne verstanden, daß sie ein Kontrollverfahren verlangt, durch das, „soweit technisch möglich und dem Hersteller zumutbar", die nicht einwandfreien Flaschen von der Wiederbefüllung ausgeschlossen werden. Damit hat er, wie es auch dem Verständnis des BerGer. entspricht, zum Ausdruck gebracht, daß derartige Kontrollen nicht zu einem völligen Risikoausschluß führen müssen, sondern daß dadurch nur eine signifikante Verringerung des Berstrisikos erfolgen muß.

Das BerGer. hat im Streitfall rechtsfehlerfrei diese Voraussetzungen für erfüllt angesehen. Es mußte dann auch nicht mehr besonders feststellen, daß die Flasche, durch deren Zerbersten der Kl. verletzt wurde, bei Durchführung des von ihm für notwendig gehaltenen Kontrollverfahrens tatsächlich ausgesondert worden wäre.

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht