Verzugszinsen auf Bruttolohn
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Beschluss über Vorlage des 9. Senats
Datum
07. 03. 2001
Aktenzeichen
GS 1/00
Der Arbeitnehmer kann die Verzugszinsen nach § 288 I 1 BGB aus der in Geld geschuldeten Bruttovergütung verlangen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Im Ausgangsverfahren streiten die Parteien noch über die Zinszahlungspflicht der Bekl. Der Kl. war bei der Bekl. als Reisevertreter angestellt. Mit Schreiben vom 6. 10. 1989 forderte er die Bekl. auf, restliche Provisionen und eine Sonderzuwendung für 1988, insgesamt 45095,92 DM, bis spätestens 15. 10. 1989 zu zahlen. Seine Zahlungsklage über diesen Betrag nebst 4% Zinsen seit dem 16. 10. 1989 war zweitinstanzlich in Höhe von 21967,13 DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 16. 10. 1989 erfolgreich. Mit Beschluss vom 6. 12. 1994 (BAGE 78, 373 = NZA 1995, 445 = NJW 1995, 1573) hat der 9. Senat die Revision für den Kl. zugelassen, soweit das LAG den nach dem Bruttobetrag bemessenen Zinsantrag abgewiesen hat. Im Revisionsverfahren beantragt der Kl., die Bekl. zur Zahlung von 4% Zinsen aus 21967,13 DM seit dem 16. 10. 1989 abzüglich der bereits zuerkannten Zinsen zu verurteilen. Die Bekl. beantragt, die Revision zurückzuweisen. Der 9. Senat möchte der Revision des Kl. stattgeben. Er hat sich hieran durch die Rechtsprechung des 2., 4., 5. und 10. Senats gehindert gesehen und mit Beschluss vom 11. 8. 1998 (NZA 1999, 85 = AP BGB § 288 Nr. 1 = EzA BGB § 288 Nr. 1) bei diesen Senaten angefragt, ob sie an ihrer Rechtsauffassung festhalten. Das haben der 10. Senat ([9. 12. 1998], BB 1999, Heft 6, S. IV) und der 5. Senat (Beschl. v. 16. 6. 1999 - 5 AS 41/98 unveröff.) verneint. Der 4. Senat hat die Auffassung vertreten, seine Rechtsprechung stehe der Rechtsauffassung des 9. Senats nicht entgegen (Beschl. v. 5. 5. 1999 - 4 AS 40/98 unveröff.). Der 2. Senat hat an seiner Rechtsprechung zur Verzinsung von Bruttobeträgen festgehalten (Beschl. v. 17. 6. 1999 - 2 AS 39/98 unveröff.). Daraufhin hat der 9. Senat mit Beschluss vom 18. 1. 2000 (BAGE 93, 168 = NZA 2000, 414) dem Großen Senat gem. § 45 II ArbGG folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
„Stehen dem Arbeitnehmer als Gläubiger einer Entgeltforderung gegen den Arbeitgeber die gesetzlichen Verzugszinsen i.S. von § 288 I 1 BGB aus diesem Betrag oder aus dem Betrag zu, der um die vom Arbeitgeber einzubehaltenden und abzuführenden Steuern und Beiträge gemindert ist?“ Die Auffassung des vorlegenden Senats wurde bestätigt.
Auszüge aus den Gründen:
II. Die Vorlage ist zulässig. Der vorlegende Senat will die gesetzlichen Verzugszinsen aus der so genannten Bruttovergütung des Arbeitnehmers zusprechen. Er würde damit von der Entscheidung des 2. Senats vom 19. 9. 1991 (2 AZR 619/90 unveröff.) abweichen. Der 2. Senat hat hier Zinsen ausdrücklich nur aus dem sich ergebenden Nettobetrag zuerkannt. Er hat auf Anfrage des 9. Senats erklärt, er halte an seiner Rechtsauffassung fest (§ 45 III 1 ArbGG). Inwieweit der 4. Senat seine im Urteil vom 20. 4. 1983 (BAGE 42, 244 [258f.]) vertretene Auffassung, dass der Arbeitnehmer Verzugszinsen nur aus den Nettobeträgen verlangen könne, der Sache nach durch den im Urteil vom 13. 2. 1985 (AP TVG § 1 Tarifverträge: Presse Nr. 3 = EzA BGB § 611 Nettolohn, Lohnsteuer Nr. 5) entwickelten vollstreckungsrechtlichen Ansatz aufgegeben hat, kann demnach dahinstehen.
Die aufgeworfene Rechtsfrage ist klärungsfähig und klärungsbedürftig. Sie war für die zitierte Entscheidung des 2. Senats tragend und wird dies ebenso für die vom 9. Senat beabsichtigte Entscheidung sein (vgl. BAG [GS] [3. 12. 1991], BAGE 69, 134 [138] = NZA 1992, 749 [zu B I 2]). Nach der Geschäftsverteilung des BAG können alle beteiligten Senate weiterhin mit dieser Rechtsfrage befasst werden (§ 45 III 2 ArbGG).
III. Der Arbeitnehmer kann die Verzugszinsen nach § 288 I 1 BGB aus der in Geld geschuldeten Bruttovergütung verlangen.
Nach § 288 I 1 BGB, Art. 229 § 1 I 3 EGBGB ist eine Geldschuld, die vom 1. 5. 2000 an fällig wird, während des Verzugs für das Jahr mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 9. 6. 1998 (BGBl I, 1242) zu verzinsen. Vorher belief sich der Zinssatz auf 4%. Der Verzug des Arbeitgebers setzt nach § 284 BGB einen vollwirksamen und fälligen Anspruch des Arbeitnehmers voraus. Der Zahlungspflicht des Arbeitgebers dürfen weder Einwendungen noch geltend gemachte Einreden entgegenstehen. Durch eine Aufrechnung erlöschen nach § 389 BGB Haupt- und Gegenforderung, soweit sie sich decken, rückwirkend zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich erstmals aufrechenbar gegenüberstanden. Dies führt auch zu einem rückwirkenden Wegfall der Verzugszinsen (BGH [6. 5. 1981], BGHZ 80, 269 [278f.] = NJW 1981, 1729; BGH [23. 1. 1991], NJW-RR 1991, 568 = LM H. 31/1991 § 242 [Cd] BGB Nr. 311 = ZIP 1991, 315 [317]). Nach diesen Regelungen ist die Bruttovergütung einschließlich der gesetzlichen Abzüge einheitlich zu behandeln.
1. Die Verpflichtung zur Zahlung des Bruttoentgelts stellt in vollem Umfang eine Geldschuld des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer dar.
a) Unter Geldschuld ist die Verpflichtung zur Verschaffung des im Geld verkörperten abstrakten Vermögenswertes zu verstehen. Geldschulden sind alle auf Zahlung gerichteten Verbindlichkeiten und nur diese (RG [24. 1. 1921], RGZ 101, 312 [313]; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., §§ 244, 245 Rdnr. 12; Erman/Werner, BGB, 10. Aufl., § 244 Rdnrn. 5ff.; Soergel/Teichmann, BGB, 12. Aufl., § 244 Rdnr. 4; v. Maydell, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 244 Rdnr. 8; Staudinger/K. Schmidt, BGB, 13. Bearb. [1997], Vorb. zu §§ 244ff., A 44ff. u. C 2; Alff, in: RGRK, § 244 Rdnrn. 6ff.; Brüggemeier, in: AK-BGB Vorb. §§ 244, 245 Rdnrn. 11ff.; v. Maydell, Geldschuld und Geldwert, S. 7ff.; K. Schmidt, JuS 1984, 737 [740]).
b) Ist Inhalt der Vergütungsvereinbarung eine Geldleistung, lautet die Verpflichtung des Arbeitgebers auf Zahlung einer bestimmten Summe Geldes, des so genannten Bruttobetrages. Die „vereinbarte Vergütung“ gem. § 611 BGB ist mangels abweichender Regelung der Vertragsparteien ein Bruttoentgelt (vgl. nur BAG [18. 1. 1974], AP BGB § 670 Nr. 19 = EzA BGB § 611 Nettolohn, Lohnsteuer Nr. 2, [zu I 1 u. 2]; ErfK/Preis, 2. Aufl., § 611 BGB Rdnr. 704; Schaub, ArbeitsR-Hdb., 9. Aufl., § 71 I 3 Rdnr. 3 = S. 589 m.w. Nachw.; Hanau, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR; 2. Aufl., § 64 Rdnr. 50 m.w. Nachw.). Dieses unterliegt regelmäßig öffentlich-rechtlichen Abzügen. Die arbeitsrechtliche Vergütungspflicht beinhaltet nicht nur die Nettoauszahlung, sondern umfasst auch die Leistungen, die nicht in einer unmittelbaren Auszahlung an den Arbeitnehmer bestehen. Dementsprechend kann die Lohnzahlungsklage auf den Bruttobetrag gerichtet werden. Bei der Zwangsvollstreckung aus einem solchen Urteil ist der gesamte Betrag beizutreiben. Abzug und Abführung von Lohnbestandteilen betreffen nur die Frage, wie der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer erfüllt (BAG [29. 7. 1980], BAGE 34, 80 [83]; BAG [29. 7. 1980], AP BPersVG § 46 Nr. 1 [zu 1]; BAG [14. 1. 1964], BAGE 15, 220 [228]; BGH [21. 4. 1966], AP BGB § 611 Lohnanspruch Nr. 13 [zu 2]; BFH [6. 12. 1991], BFHE 166, 540 [543]; BFH [29. 6. 1993], BFHE 171, 409 [411]; Schaub, § 71 I 4a, b Rdnrn. 4f. = S. 589f.; Müller-Glöge, in: MünchKomm, § 611 Rdnrn. 293f., 339f.; Hanau, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR, § 62 Rdnr. 1, § 64 Rdnrn. 1, 44ff., 67ff., 72ff., § 72 Rdnr. 9; ErfK/Preis, § 611 BGB Rdnr. 706; Künzl, in: Kasseler Hdb., 2. Aufl., Kap 2.1 Rdnrn. 584ff., 662ff.). Der Arbeitgeber nimmt insoweit eine Aufgabe der Finanzbehörden und der Sozialversicherungsträger wahr. Auf diesem Wege ist sichergestellt, dass der Arbeitnehmer Teile der Arbeitsvergütung in der steuer- und sozialversicherungsrechtlich vorgeschriebenen Weise verwendet.
c) Einer vollständigen Auszahlung der Vergütung an den Arbeitnehmer steht regelmäßig entgegen, dass es sich um Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit handelt, die der Einkommensteuer unterliegen (§ 2 I 1 Nr. 4, § 19 EStG). Die Einkommensteuer wird nach § 38 I EStG durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer). Gleichwohl ist die einbehaltene Lohnsteuer ein dem Arbeitnehmer verschaffter Vermögenswert. Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 II 1 EStG). Der Arbeitgeber behält sie für Rechnung des Arbeitnehmers vom Arbeitslohn ein (§ 38 III 1 EStG). Die Abführung an das Finanzamt nach § 41a EStG erfolgt zu Gunsten des Arbeitnehmers als Vorauszahlung auf dessen zu erwartende Einkommensteuerschuld (BFH [20. 4. 1982], BFHE 135, 416 [418]; BFH [29. 6. 1993], BFHE 171, 409 [411]; Frotscher, EStG, 6. Aufl., § 38 Rdnrn. 3, 12; Stache, in: Bordewin/Brandt, EStG, § 38 Rdnrn. 11ff., 15ff., 26ff., 89ff.; Schmidt/Drenseck, EStG, 19. Aufl., § 38 Rdnr. 1 m.w. Nachw.). Materiell handelt es sich demnach um eine Leistung an den Arbeitnehmer, die nur aus formellen Gründen des Steuerrechts vom Arbeitgeber unmittelbar an das Finanzamt erbracht wird. Es geht um eine Vereinfachung des Verfahrens und vor allem darum, die vom Arbeitnehmer geschuldete Steuerzahlung sicherzustellen. Diese vornehmlich technischen Gesichtspunkte verändern den materiellen Charakter der Zahlung an den Arbeitnehmer nicht. Dementsprechend erhält dieser die abgeführte Lohnsteuer unter Umständen im Wege des Lohnsteuer-Jahresausgleichs durch den Arbeitgeber (§ 42b EStG) oder im Wege der Veranlagung (§ 46 EStG) teilweise oder ganz erstattet. Deshalb wird ihm nicht nur der Nettobetrag vorenthalten, wenn der Arbeitgeber den Lohn nicht zahlt.
Als Abzüge kommen weiter Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer in Betracht. Deren Behandlung folgt gem. § 51a EStG den genannten Vorschriften. Auch ihr Vermögenswert ist deshalb dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zu verschaffen.
d) An die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis knüpft die Sozialversicherung an (§ 2 II Nr. 1, § 7 I SGB IV). Arbeitsentgelt sind hier nach § 14 I SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung. § 14 II SGB IV zeigt, dass Arbeitsentgelt grundsätzlich den Bruttobetrag bezeichnet und der Anspruch hierauf gerichtet ist (vgl. BSG [22. 9. 1988], BSGE 64, 110 [111]; BSG [13. 10. 1993], BSGE 73, 170 [171] = NZS 1994, 137; BSG [29. 6. 2000], NZS 2001, 370 = SozR 3-2000 § 210 Nr. 2 [zu II B 3.2]). Der Arbeitgeber hat den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) an die Einzugsstelle (§§ 28h, 28i SGB IV) zu zahlen. Er hat nach §§ 28e I 1, 28g SGB IV gegen den Beschäftigten einen grundsätzlich nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend zu machenden Anspruch auf den Teil, den der Beschäftigte trägt (sog. Arbeitnehmeranteil). Danach schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch den Betrag des Arbeitnehmeranteils. Anderenfalls könnte er nicht seinen Anspruch gerade durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend machen. Zwar ist er Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gegenüber der Einzugsstelle. § 28e I SGB IV regelt aber nur die Zahlungspflicht, nicht dagegen, wer letztlich finanziell belastet wird, also den Beitrag „zu tragen hat“. Das ist hinsichtlich des Arbeitnehmeranteils der Arbeitnehmer, der seinen Beitragsteil wirtschaftlich aus dem ihm zustehenden Bruttoentgelt trägt. Der einbehaltene Beitragsteil ist demnach ein dem Arbeitnehmer verschaffter Vermögenswert. Durch die Beiträge erwirbt der Arbeitnehmer Rechte in der Sozialversicherung. Dem Arbeitgeber steht der Anspruch nach § 28g SGB IV nur zum Ausgleich seiner Verpflichtung zu, den vollen Sozialversicherungsbeitrag zu zahlen (Hauck/Haines, SGB IV, Stand: 1. 4. 2000, K § 28g Rdnr. 1, § 28e Rdnr. 3; Sabel, SGB IV, Anm. zu § 28g unter Hinweis auf die Amtliche Begründung; Gleitze, in: GK-SGB IV, § 28g Rdnr. 1, § 28e Rdnr. 1ff.; Seewald, in: KassKomm, Stand: August 2000, § 28g SGB IV Rdnr. 1). Können Leistungsrechte auf Grund der Beiträge nicht mehr erlangt werden, ist also der Effekt der Vermögensmehrung ausgeblieben, kommt gem. § 210 SGB VI eine unmittelbare Erstattung an den Arbeitnehmer in Betracht. Der Arbeitnehmer hat den so genannten Arbeitnehmeranteil selbst i.S. von § 210 III 1 SGB VI getragen und damit aus eigenem Vermögen finanziert, wenn der Arbeitgeber das Abzugsrecht tatsächlich ausgeübt hat; anderenfalls erhält der Arbeitnehmer den vollen arbeitsvertraglich geschuldeten Lohn (vgl. BSG, NZS 2001, 370 [zu II A 2 u. II B]).
2. Der Schuldner kommt nach § 284 BGB mit der gesamten Bruttovergütung in Verzug, wenn er nach dem Eintritt der Fälligkeit nicht leistet.
a) Nach § 38 II 2 EStG entsteht die Lohnsteuer in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt. Die Steuerpflicht ist eine Folge der tatsächlichen Zahlung. Zahlt der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer nichts aus, ist einkommensteuerrechtlich nichts einzubehalten und nichts abzuführen. Dies ändert nichts daran, dass der Arbeitgeber arbeitsvertraglich die gesamte Forderung bei Fälligkeit zu erfüllen hat. Er hätte bei rechtzeitiger Auszahlung des Nettolohnes auch die Lohnsteuer einbehalten und abführen müssen. Für den Verzugseintritt kommt es gerade darauf an, was hätte geschehen müssen. Fälligkeit und Verzug im Arbeitsverhältnis sind demnach von der steuerrechtlichen Behandlung der Zahlung zu trennen. Das steuerrechtliche Zuflussprinzip beeinflusst Fälligkeit und Verzug nicht. Der Arbeitgeber, der keine Vergütung zahlt, gerät nicht etwa nur mit dem Nettoanspruch in Verzug; denn die Lohnsteuer ist als Teil des Bruttolohnanspruchs mit diesem zusammen und wie dieser zu erfüllen (BAG [17. 4. 1985], BAGE 48, 229 [234] = NZA 1986, 191 = NJW 1986, 1066; BFH [16. 5. 1975], BFHE 116, 20 [22]).
Nach näherer Maßgabe des § 41a I EStG hat der Arbeitgeber spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums dem Finanzamt die insgesamt einzubehaltende Lohnsteuer anzugeben und die einbehaltene Lohnsteuer abzuführen. Anmeldungszeitraum ist der Kalendermonat, das Kalendervierteljahr, das Kalenderjahr oder ein vom Finanzamt abweichend bestimmter Zeitraum (§ 41a II, III 2 EStG). Hält der Arbeitgeber diese öffentlich-rechtlichen Pflichten ein, kommt er nicht in Verzug. Er handelt vertragsgerecht. Die Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer konkretisiert sich in der Erfüllung der steuerrechtlichen Vorschriften. Der Arbeitgeber erfüllt dadurch, dass er die Lohnsteuer entsprechend dem Steuerrecht fristgerecht abführt. Er muss also nicht schon bei Fälligkeit der Lohnforderung Steuern abführen, um Verzug zu vermeiden (a. A. offenbar J. Griebeling, NZA 2000, 1249 [1255]).
Zahlt der Arbeitgeber bei Fälligkeit zwar den Nettolohn an den Arbeitnehmer, führt er dann aber nicht die Lohnsteuer an das Finanzamt ab, gerät er insoweit ab dem in § 41a EStG bestimmten Zeitpunkt gegenüber dem Arbeitnehmer in Verzug. Ebenso wie das Lohnzuflussprinzip wirkt § 41a EStG nur für den vertragsgerecht handelnden, nicht zu Gunsten des säumigen Arbeitgebers. Zahlt der Arbeitgeber den Lohn nicht aus, kann er sich wegen der Verpflichtung zur Abführung von Lohnsteuer auch nicht auf die durch das Lohnsteuerrecht eingeräumten Fristen berufen. Diese dienen der steuerrechtlichen Vereinfachung und gelten nur für den Fall, dass Lohn an den Arbeitnehmer tatsächlich gezahlt wurde. Deshalb kommt der Arbeitgeber auch mit dem Teil des Lohnes, der als Lohnsteuer abzuführen ist, schon zum Fälligkeitszeitpunkt in Verzug.
b) Zahlt der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die zuständige Einzugsstelle, so erfüllt er seine eigene Beitragspflicht gem. § 28e I 1 SGB IV. Die Einzugsstelle überwacht die Einreichung des Beitragsnachweises und die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Beitragsansprüche, die nicht rechtzeitig erfüllt worden sind, hat die Einzugsstelle geltend zu machen (§ 28h I 2, 3 SGB IV). Hinsichtlich des vom Arbeitgeber zu tragenden Teils kommt ein Verzug gegenüber dem Arbeitnehmer nicht in Betracht. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer hier nichts zu leisten. Der Arbeitnehmeranteil stammt dagegen aus dem Verdienst des Arbeitnehmers und soll dem Arbeitnehmer zugute kommen. Daran ändert die aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen zum Schutze des Versicherten statuierte eigene Zahlungspflicht des Arbeitgebers mit entsprechenden Verrechnungsregeln (§ 28g SGB IV) nichts. Auch hier wählt das Gesetz vornehmlich aus technischen Gründen den direkten Zahlungsweg vom Arbeitgeber an die Einzugsstelle. Der Arbeitnehmeranteil wird dem Arbeitnehmer als Vermögenswert verschafft, obwohl die Wirkung der Sozialversicherung zu Gunsten des Arbeitnehmers weitgehend von der tatsächlichen Beitragsabführung unabhängig ist (hierzu Weber, Anm. zu BAG, AP BGB § 288 Nr. 1 [zu VI 1b] = NZA 1999, 85), vgl. §§ 3ff. SGB III, §§ 11ff. SGB V, §§ 9ff. SGB VI. Die genannten Bestimmungen dienen dem Schutz des versicherten Arbeitnehmers, ohne die Bedeutung des Beitrags als Grundlage der Sozialversicherung in Frage zu stellen.
Die Regelungen über Entstehen und Fälligkeit der Beitragspflicht (§§ 22, 23 SGB IV) konkretisieren ebenso wie die entsprechenden steuerrechtlichen Vorschriften, wann der Arbeitgeber in Verzug gerät. Nach § 23 I SGB IV tritt Fälligkeit regelmäßig spätestens am 15. bzw. am 25. des auf den Beschäftigungsmonat folgenden Monats ein. Der Arbeitnehmer kann arbeitsvertraglich nicht mehr verlangen, als dass der Arbeitgeber diese Pflichten erfüllt. Kommt der Arbeitgeber seiner Nettozahlungspflicht nach und hält er dann die Fälligkeitstermine des § 23 SGB IV ein, ist Verzug ausgeschlossen. Die zeitliche Differenz zu der arbeitsrechtlichen Fälligkeit der Bruttovergütung spielt keine Rolle, weil die Abführung nur nach Maßgabe des SGB IV zu erfolgen hat. Auch hier kann sich der Arbeitgeber, der überhaupt nicht leistet, auf die der Vereinfachung dienende Verfahrensregelung nicht berufen. Verzug tritt dann insgesamt mit Fälligkeit der Arbeitsvergütung ein. Zahlt der Arbeitgeber dagegen den Nettobetrag aus, gerät er erst ab der Versäumung der Fristen des § 23 SGB IV (insoweit) in Verzug. Und erfüllt er korrekt lediglich die Abführungspflicht, so wird hierdurch der zunächst insgesamt eingetretene Verzug teilweise beendet.
3. Der Verzug endet, wenn die zu Grunde liegende Forderung erlischt. Verzugszinsen fallen dann nicht mehr an. Bei einer rückwirkenden Beendigung des Verzugs entfällt auch der Anspruch auf die Verzugszinsen rückwirkend. Hinsichtlich der abzuführenden Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge kommt eine Rückwirkung durch Aufrechnung im Arbeitsverhältnis nicht in Betracht.
a) „Einbehalten“ (§ 38 III 1 EStG) bzw. „Abzug vom Arbeitsentgelt“ (§ 28g SGB IV) liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber die vertragsgemäße Vergütung gekürzt um die Lohnsteuer bzw. den Sozialversicherungsbeitrag auszahlt (vgl. BGH [16. 5. 2000], BGHZ 144, 311 = NJW 2000, 2993 = NZI 2001, 301 = AP H. 12/2000 § 823 BGB Schutzgesetz Nr. 24 = LM H. 11/2000 § 823 [Be] BGB Nr. 49 m. Anm. Eisele = ZIP 2000, 1339 [1341]). Der Arbeitgeber führt kein Lohnabzugsverfahren durch, wenn er den Lohnanspruch leugnet und deshalb keine Vergütung leistet. Das Einbehaltungsrecht dient nicht der Vorenthaltung der geschuldeten Vergütung, sondern der im Steuer- und Sozialversicherungsrecht vorgeschriebenen Verwendung eines Teils des Arbeitsentgelts. Die Lohnabzüge bereiten die Abführung der Lohnsteuer und des Gesamtsozialversicherungsbeitrags vor und können nicht isoliert davon betrachtet werden.
b) Führt der Arbeitgeber nach Ablauf der Fristen des § 41a EStG Lohnsteuer ab, wird hierdurch die Bruttoforderung des Arbeitnehmers teilweise erfüllt und der Verzug insoweit beendet. Die Zahlung wirkt nicht zurück. Der Arbeitgeber leistet verspätet, es liegt keine Aufrechnung gem. § 387 BGB vor. Die Aufrechnung ist ein Erfüllungssurrogat. Ihre Rückwirkung (§ 389 BGB) beruht darauf, dass Haupt- und Gegenforderung sich als gleichartige Forderungen bereits aufrechenbar gegenüberstanden und deshalb keine Seite real leisten musste. Auf Grund der Erklärung der Aufrechnung (§ 388 BGB) stehen beide Seiten so, als hätten sie zu diesem früheren Zeitpunkt erfüllt. Wer aufrechnen kann, braucht sich wirtschaftlich nicht als Schuldner zu fühlen, selbst wenn er die Aufrechnung nicht sogleich erklärt (BGHZ 80, 269 [278] = NJW 1981, 1729; BGH [8. 10. 1987], BGHZ 102, 41 [50] = NJW 1988, 258; Palandt/Heinrichs, § 389 Rdnr. 2). Demgegenüber fehlt es im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer an einer Aufrechnungslage. Dem auf Einbehalt und Abführung gerichteten Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers steht nur das Recht des Arbeitgebers gegenüber, nicht an den Arbeitnehmer auszuzahlen. Dabei dient der Einbehalt für Rechnung des Arbeitnehmers (§ 38 III 1 EStG) der Vorbereitung der Abführung. Erfüllt wird erst durch die Abführung nach § 41a EStG, wobei der Arbeitgeber in einer Art treuhänderischer Stellung für den Steuerfiskus tätig wird. Da der Arbeitgeber für Rechnung des Arbeitnehmers tätig wird, hat er einen Erstattungsanspruch, wenn er die Steuerschuld des Arbeitnehmers erfüllt (st. Rspr., vgl. BAG [20. 3. 1984], BAGE 45, 222 [226f.] = NZA 1985, 121 L m.w. Nachw.). Dieser Anspruch entsteht aber erst mit der Abführung der Lohnsteuer an das Finanzamt. Vorher hat der Arbeitgeber keine zur Aufrechnung geeignete Gegenforderung. Nach § 389 BGB wirkt die Aufrechnung nur bis zum Eintritt der Aufrechnungslage zurück.
c) Zahlt der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag verspätet, so erfüllt er hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile die Vergütungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Sein Verzug endet. Die Verzugsfolgen entfallen nicht rückwirkend. Zwar wird zum Teil angenommen, der Arbeitgeber könne mit seinem Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf den von diesem zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (§ 28g SGB IV) gegen den Bruttolohnanspruch des Arbeitnehmers mit der Folge des § 389 BGB aufrechnen. Der nach § 28g I 2 und S. 3 SGB IV durchgeführte Abzug vom Arbeitsentgelt sei als Aufrechnung anzusehen (BAG, Beschl. v. 17. 6. 1999 - 2 AS 39/98 unveröff.; Staudinger/Löwisch, BGB, 13. Bearb. [1995], § 288 Rdnr. 14; Weber, Anm. zu BAG, AP BGB § 288 Nr. 1 [zu IV 3b] = NZA 1999, 85; J. Griebeling, NZA 2000, 1249 [1254]). Im Urteil vom 25. 10. 1990 (BSGE 67, 290 [292] = NZA 1991, 493) hat auch das BSG die Auffassung vertreten, dass „im Abzug vom Arbeitsentgelt zugleich konkludent die Aufrechnung des Arbeitgebers mit einer eigenen Forderung auf die Arbeitnehmeranteile an den Beiträgen gegen die Lohnforderung des Arbeitnehmers liegt“. Demgegenüber geht das BSG jetzt davon aus, der Arbeitgeber habe gegen den Arbeitnehmer keinen Anspruch, sondern „die auflösend bedingte Rechtsmacht, einen besonderen Erfüllungseinwand gegen den arbeitsrechtlichen Entgeltanspruch des Arbeitnehmers zu erheben, wenn er seine eigene Schuld gegen den Rentenversicherungsträger durch Zahlung der vollen Pflichtbeiträge erfüllt“ (BSG, NZS 2001, 370 [zu II B 2]). In der Tat sprechen Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 28g S. 2 SGB IV eher für eine Regelung eigener Art und gegen eine Aufrechnung (vgl. Mikosch, in: AR-Blattei, Aufrechnung im Arbeitsverhältnis Rdnr. 45 m.w. Nachw). Doch bedarf dies keiner Vertiefung. Einer etwaigen Aufrechnung käme nicht die Wirkung zu, dass auch der Anspruch des Arbeitnehmers auf Abführung zu seinen Gunsten an die Einzugsstelle als erloschen gilt. Im Arbeitsverhältnis stehen sich nicht allein der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung und der Anspruch des Arbeitgebers nach § 28g S. 1 SGB IV gegenüber. Vielmehr hat der Arbeitgeber den Beitrag zu Gunsten des Arbeitnehmers an die Einzugsstelle zu zahlen (§ 28h SGB IV). Der Arbeitgeber kann sich zwar gegenüber einem Auszahlungsanspruch des Arbeitnehmers - auch rückwirkend - auf sein Einbehaltungsrecht berufen; der Pflicht zur Zahlung an die Einzugsstelle wird dadurch aber nicht ersatzweise Genüge getan. Hierfür bietet die bloße Erklärung (§ 388 BGB) kein Surrogat. Eine Rückwirkung der späteren Zahlung lässt sich mit § 389 BGB nicht begründen. § 28g SGB IV trägt dem Umstand Rechnung, dass der sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer nicht Beitragsschuldner der Einzugsstelle ist. Er ist lediglich dem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet, sich seine Beitragsanteile bei der Lohnzahlung vom Lohn abziehen zu lassen (vgl. u.a. Peters, Hdb. der Krankenversicherung, Stand: 1. 10. 1998, § 28g SGB IV Anm. 2 m.w. Nachw.). § 28g SGB IV regelt den Ausgleich der vom Arbeitgeber nicht zu tragenden Beitragsteile. Solange der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag noch nicht abgeführt hat, verschafft ihm der Lohnabzug eine Art Vorschuss zur Ausführung eines gesetzlichen, den Interessen des Arbeitnehmers dienenden Auftrags. Abgesehen von den Ausnahmefällen des § 28g S. 4 SGB IV genügt es für den Ausgleichsanspruch des Arbeitgebers nicht, dass dem Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt zusteht. Der Ausgleichsanspruch des Arbeitgebers entsteht nach § 28g S. 2 und 3 SGB IV erst mit der Auszahlung der Arbeitsvergütung, so dass eine Aufrechnung, ihre Möglichkeit unterstellt, auch nicht weiter zurückreichen kann.
4. § 288 I 1 BGB ist nicht im Hinblick auf die Besonderheiten des Bruttolohnanspruchs einschränkend auszulegen.
a) Gegen die Verzinsung des Bruttolohnanspruchs wird eingewandt, § 288 BGB stelle einen pauschalierten Schadensersatzanspruch dar. Eine Schadensentstehung müsse mindestens denklogisch möglich sein. Hinsichtlich der die Nettovergütung des Arbeitnehmers übersteigenden Bruttobeträge komme ein Schaden aber nicht in Betracht. Der Zinsanspruch habe nur die Nachteile auszugleichen, die dem Arbeitnehmer aus der Vorenthaltung des Lohns wenigstens entstehen könnten. Er dürfe nach dem Sinn und Zweck der Regelung nur an den Geldbetrag anknüpfen, der dem Gläubiger durch Vollstreckung tatsächlich zufließen könne (BAG, Beschl. v. 17. 6. 1999 - 2 AS 39/98 unveröff.; Weber, Anm. zu BAG, AP BGB § 288 Nr. 1 [zu V] = NZA 1999, 85 m.w. Nachw).
b) Diese Auffassung berücksichtigt die Reichweite der gesetzlichen Schadensfiktion des § 288 I 1 BGB nicht hinreichend.
aa) § 286 I und § 288 II BGB stellen auf den im Einzelfall entstandenen, vom Gläubiger nachzuweisenden Verzugsschaden ab. Bei Geldschulden räumt § 288 I 1 BGB dem Gläubiger demgegenüber unabhängig von den konkreten Umständen einen Anspruch auf die in dieser Vorschrift vorgesehene Verzinsung ein. Ihr ist nach dem Wortlaut des § 288 I 1 BGB die gesamte Geldschuld zu Grunde zu legen, mit der sich der Schuldner in Verzug befindet. § 288 I 2 und Abs. 2 BGB behalten lediglich dem Gläubiger die Geltendmachung höherer Zinsen und weiterer Schäden vor. Dem Schuldner wird es dagegen nicht ermöglicht, den Nachweis zu führen, dass dem Gläubiger nur ein geringerer Schaden entstanden sei.
bb) Die Verzugszinsen haben ebenso wie die Prozesszinsen die Funktion, den Nachteil auszugleichen, den der Gläubiger dadurch erleidet, dass er infolge nicht rechtzeitiger Zahlung des Schuldners daran gehindert ist, einen ihm zustehenden Geldbetrag zu nutzen (vgl. BGH [12. 5. 1998], NJW 1998, 2529 = LM H. 10/1998 § 818 Abs. 1 BGB Nr. 14 = BB 1998, 1385; zur Entstehungsgeschichte des § 288 I 1 BGB vgl. J. Griebeling, NZA 2000, 1249 [1250f.]). Daraus hat der BGH im Urteil vom 12. 5. 1998 zutreffend abgeleitet, dass neben dem auf § 818 I BGB gestützten Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen, die in Zinsen von 5% über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank bestehen, kein zusätzlicher Anspruch auf Prozesszinsen geltend gemacht werden kann. Dies ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber in § 288 I 1 BGB von einschränkenden Tatbestandsmerkmalen abgesehen und sich statt dessen für eine umfassende Pauschalierung entschieden hat. § 288 I 1 BGB enthält eine gesetzliche Schadensfiktion (vgl. BGH [14. 1. 1987], NJW-RR 1987, 386 m.w. Nachw.). Sie beruht auf einer typisierenden Betrachtungsweise (BGH [26. 4. 1979], BGHZ 74, 231 [235] = NJW 1979, 1494). Auf die Höhe des tatsächlich entstehenden Zinsschadens kommt es nicht an (BGH [27. 3. 1980], BGHZ 77, 60 [62f.] = NJW 1980, 1955; BFH [29. 9. 1981], BFHE 134, 281 = NJW 1982, 792). Dadurch soll die Durchsetzung von Verzugsschäden vereinfacht und erleichtert werden. Eine Aufspaltung der Vergütung in den Nettoanteil und die gesetzlichen Abzüge widerspräche diesem Ziel. So richtet sich die Lohnsteuer nach dem im Kalenderjahr bezogenen Jahresarbeitslohn (§ 38a I 1 EStG). Die Jahreslohnsteuer wird nach dem Jahresarbeitslohn so bemessen, dass sie der Einkommensteuer entspricht, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt (§ 38a II EStG). Diese Unterstellung verdeutlicht die Vorläufigkeit des Lohnsteuerabzugsverfahrens. In der Lohnsteuerkarte sind auch nicht alle Tatbestände aufgeführt, die zu einer Steuerermäßigung führen. Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen können häufig erst im Wege des Lohnsteuerjahresausgleichs oder im Rahmen einer Einkommensteuererklärung berücksichtigt werden. Das gleiche gilt für die nicht nach § 39a EStG in die Lohnsteuerkarte eingetragenen Pauschbeträge und Steuervergünstigungen. Ob der Arbeitnehmer zu hohe Vorauszahlungen leistet, hängt in nicht unerheblichem Umfang von Zufälligkeiten ab. Der vom Arbeitgeber vorzunehmende Lohnsteuerabzug liefert eine teilkonkretisierte, ergänzungsbedürftige Feststellung der individuellen Steuerbelastung. Eine hierauf fußende Schadensberechnung würde einerseits die in § 288 I 1 BGB vorgesehene Schadenspauschalierung sprengen und andererseits hinter einer konkreten Schadensberechnung nach § 288 II BGB zurückbleiben.
cc) Aus der Vorenthaltung der Vergütung kann dem Arbeitnehmer ein Schaden entstehen. Dem pauschalen Ausgleich dient der Zinsanspruch. Eine Aufteilung des Vergütungsanspruchs danach, ob und welche Schäden bei verspäteter Leistung entstehen können, würde der Pauschalierungsfunktion entgegenstehen. Die Pauschalierung bezieht sich nach der Regelung des Gesetzes auf den gesamten Anspruch, nicht lediglich auf den Nettoanteil der Vergütung. Für den möglichen Schadenseintritt ist auf die Forderung als solche abzustellen. § 288 I 1 BGB dient dem Ausgleich eines unwiderlegbaren Mindestschadens auf Grund des Verzugs (Palandt/Heinrichs, § 288 Rdnr. 2; Erman/Battes, § 288 Rdnr. 2; Soergel/Wiedemann, § 288 Rdnr. 12; Thode, in: MünchKomm, § 288 Rdnrn. 1, 3f.; Alff, in: RGRK, § 288 Rdnr. 1; Staudinger/Löwisch, § 288 Rdnrn. 1, 11, 14; Jauernig/Vollkommer, BGB, 9. Aufl., § 288 Rdnr. 1). Der Verzug betrifft aber die gesamte Forderung, wenn dem Arbeitnehmer der Bruttolohn vorenthalten wird.
Darüber hinaus ist ein Schadenseintritt beim Arbeitnehmer auf Grund verspäteter Leistung des Lohnsteueranteils und der Sozialversicherungsanteile immerhin möglich. Die verspätete Zahlung der Lohnsteuer kann etwa zu Steuerprogressionsschäden führen (vgl. nur BAG [14. 5. 1998], AuA 1999, 34; BAG, Urt. v. 23. 9. 1999 - 8 AZR 791/98 unveröff.), die im Einzelnen schwer darzulegen sind und für die der Zinsanspruch einen pauschalen Ausgleich bieten kann. Schon deshalb ist unerheblich, dass der Arbeitnehmer aus dem Steuerschuldverhältnis des § 37 AO gem. § 233 AO im Regelfall keine Zinsen schuldet. Die Frage, ob dem Arbeitnehmer bei einer Beschränkung des Zinsanspruchs „nach einem ausgleichenden Gerechtigkeitsdenken regelmäßig kein Unrecht geschehen würde“ (so Weber, Anm. zu BAG, AP BGB § 288 Nr. 1 [zu VI 1a] = NZA 1999, 85), stellt sich nicht. Ebenso kann im Sozialversicherungsrecht die verspätete Beitragsentrichtung seitens des Arbeitgebers in Einzelfällen durchaus zu Schäden beim Arbeitnehmer führen. Beispielsweise kann sich die Nichterfüllung von Wartezeiten (§ 50 SGB VI) oder das Fehlen von Beitragszeiten (§ 55 SGB VI) auf den Rentenanspruch auswirken (vgl. nur Hauck/Klattenhoff, SGB VI, K § 50 Rdnrn. 13ff., § 55 Rdnr. 11; Schaub, § 71 II 5, 6 Rdnrn. 40f. = S. 599; Weber, Anm. zu BAG, AP BGB § 288 Nr. 1 [zu VI 1b] = NZA 1999, 85). Dass sich die Nachteile insgesamt in Grenzen halten, resultiert aus dem Steuer- und Sozialversicherungsrecht und beeinflusst den Zinsanspruch nicht. Die Pauschalierungsfunktion des § 288 I S. 1 BGB umfasst dabei nicht nur Zinsschäden. Sie deckt mögliche weitere Schäden ab, die sich aus der zeitweiligen Vorenthaltung der Leistung ergeben. Das folgt aus dem Zusammenhang mit § 288 II BGB und entspricht dem Willen des historischen Gesetzgebers (richtig: BAGE 93, 168 = NZA 2000, 414 [zu III 4a]). Nach den Vorstellungen der Kommission sollte es dem Gläubiger erspart bleiben, „eine Zinseinbuße oder einen sonstigen Schaden beweisen zu müssen“ (vgl. Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. II, 1888, S. 62).
dd) Im Übrigen kann der Arbeitnehmer auf Zahlung des Bruttolohns klagen und den Gesamtbetrag vollstrecken. § 288 BGB bietet keinerlei Anhaltspunkte dafür, die Verzinsung einzuschränken, weil der Arbeitnehmer einen Teil des Geldbetrags nicht endgültig behalten darf, sondern abführen muss. Auf die Verwendung des geschuldeten Geldes durch den Gläubiger kommt es nicht an. Das wird etwa deutlich, wenn Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit versteuert werden. Der maßgebliche Schaden liegt in der Vorenthaltung des Geldwertes. Entscheidend ist, dass beim Verzug des Arbeitgebers nicht nur der Nettobetrag vorenthalten wird. Damit vergleichbar beeinflussen die Lohnabtretung sowie die Lohnpfändung und -überweisung die Zinsforderung nicht. Wird die Zinsforderung von der Abtretung oder Pfändung nicht umfasst, steht sie weiterhin dem Arbeitnehmer zu.
ee) Die Auslegung des § 288 I 1 BGB hängt nicht von der aktuellen gesetzlichen Höhe des Zinssatzes ab. Zwar mag angesichts der bis zum 30. 4. 2000 relativ niedrigen Zinshöhe von 4% die Verzinsung des Bruttobetrags auch im Ergebnis nur geringen Einwendungen ausgesetzt gewesen sein. Doch ändert die nunmehr variable Höhe von derzeit 9,26% (vgl. BAnz v. 2. 9. 2000, S. 17751) nichts an der pauschalen Ausgleichsfunktion der Norm. Ebenso spielt die Höhe der Lohnabzüge im Einzelnen keine maßgebliche Rolle. Richtig ist zwar, dass der historische Gesetzgeber sich mit öffentlich-rechtlichen Abführungspflichten nicht befasst hat. Wenn er jedoch bei Verzug mit einer Geldschuld einen Zinsanspruch regelt, kommt es nicht darauf an, ob der Gläubiger mit dem Geld in mehr oder weniger großem Umfang Vermögensvorteile erzielen kann. Es wäre gegebenenfalls Sache des Gesetzgebers, die Verzinsung des Lohnanspruchs abweichend von § 288 I 1 BGB zu regeln.
ff) Da nicht einmal die Ausgleichsfunktion des § 288 I 1 BGB zu einer einschränkenden Auslegung führt, kommt es nicht darauf an, in welchem Maße diese Vorschrift auch der Prävention dient (vgl. insbesondere Dubischar, in: AK-BGB, § 288 Rdnr. 1: Der Arbeitgeber dürfe durch die Vorenthaltung der Vergütung keinen Anreiz zur Gewinnung eines Zinsvorteils erhalten; der Zweck der Vorschrift bestehe auch darin, dem Schuldner Vorteile aus dem Einbehalt des Kapitals zu entziehen.). In der Tat beruhte der in der früheren Regelung des § 288 I 1 BGB enthaltene Zinssatz von 4% insbesondere auf der Erwägung, dass die Kreditzinsen bei In-Kraft-Treten des BGB höchstens 4% betrugen und es keineswegs immer oder auch nur in der Regel zutreffend war, dass ein Gläubiger wegen des Verzugs zur Kreditaufnahme gezwungen war. Der an der oberen Grenze der damals geforderten Kreditzinsen liegende Zinssatz deutet darauf hin, dass sich der Verzug bei Geldschulden als unattraktiv erweisen sollte. Im Urteil vom 20. 5. 1985 (BGHZ 94, 330 [333] = NJW 1985, 2325) hat der BGH ausgeführt, der Sinn der Regelung der §§ 288 I, 291 BGB liege nicht nur in einer abstrakten Entschädigung des Gläubigers für die entbehrte Kapitalnutzung, sondern auch darin, den Schuldner zur alsbaldigen Erfüllung anzuhalten. Der Schuldner solle aus der Zahlungsverzögerung oder -verweigerung nicht ungerechtfertigten Vorteil ziehen. Die Begründung der Neufassung des § 288 I 1 BGB (BT-Dr 14/1246, S. 5 zu Art. 1 Nr. 1) unterstreicht ebenfalls den Präventionsgedanken.
c) Die steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Sanktionen sind nicht als Spezialvorschriften gegenüber der schuldrechtlichen Verzinsung zu verstehen. Ihre Anwendung verdrängt die Rechtsfolgen des § 288 I BGB nicht.
aa) Die §§ 233ff. AO betreffen ausschließlich das Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) gegenüber dem Finanzamt. Durch die §§ 152, 240 AO wird nur dem Verspätungsinteresse des Fiskus Rechnung getragen. Der Verspätungszuschlag dient dazu, den rechtzeitigen Eingang der Steuererklärung und damit auch die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuer sicherzustellen. Er hat zugleich repressiven und präventiven Charakter und ist ein Druckmittel eigener Art, das auf die besonderen Bedürfnisse des Steuerrechts zugeschnitten ist (BT-Dr 6/1982, S. 129 zu § 97 AO; Trzaskalik, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 152 AO Rdnr. 3 m.w. Nachw.; Tipke/Kruse, AO und FGO, 16. Aufl., § 152 AO Rdnrn. 1ff.; Mösbauer, in: Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 152 Rdnr. 2). Säumniszuschläge sind ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuern, § 240 I 3 AO (Tipke/Kruse, § 240 AO Rdnrn. 1, 34; Ruban, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 240 AO Rdnrn. 11, 91).
In all diesen Fällen geht es zwar auch um eine angemessene Verzinsung der Steuerschuld (BFH [25. 2. 1997], BFHE 182, 480 [485ff.] = NJW 1997, 3048 L). Steuerschuld und Vergütungsschuld sind aber wegen des steuerrechtlichen Zuflussprinzips nicht kongruent. Das Interesse des Gläubigers der Arbeitsvergütung ist auf Zahlung bei Fälligkeit der Vergütung gerichtet, während das Steuerrecht nur die Verletzung steuerrechtlicher Pflichten sanktioniert. Diese Pflichten knüpfen im Wesentlichen gerade an die tatsächliche Auszahlung des Lohnes an. Die Interessenlage ist bei Arbeitnehmer und Steuerfiskus demnach grundlegend verschieden. Der mögliche Verspätungsschaden des Arbeitnehmers wird durch die Nebenleistungen an das Finanzamt keinesfalls ausgeglichen. Dem Verspätungsinteresse des Arbeitnehmers ist nur mit § 288 BGB, nicht mit den völlig andere Zwecke verfolgenden Vorschriften des Steuerrechts gedient.
bb) Der Säumniszuschlag des § 24 I 1 SGB IV ist von den Fällen des § 24 I 2, II SGB IV abgesehen zwingend. Er bezweckt, der Säumnis bei der Erfüllung von Beitragspflichten entgegenzuwirken und den Trägern der Sozialversicherung einen gesetzlich standardisierten Mindestschadensausgleich zu gewähren (BSG [14. 6. 1984], ZIP 1984, 1513 [1514]; BSG [26. 2. 1991], BSGE 68, 158 [160] = NZA 1991, 575; Hauck/Haines, SGB IV, K § 24 Rdnr. 1; Seewald, in: KassKomm, § 24 SGB IV Rdnrn. 1, 5; zur Vorgängerregelung des § 397a RVO BSG [1. 12. 1972], BSGE 35, 78 [81] = NJW 1973, 774). Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war eine Verwaltungsvereinfachung gegenüber der konkreten Verzinsung (BT-Dr 7/4122, S. 34). Durch den Säumniszuschlag wird dem Verspätungsinteresse des Versicherungsträgers im Verhältnis zum Zahlungspflichtigen Genüge getan.
Daraus lässt sich eine abschließende Regelung auch gegenüber dem Gläubiger des Bruttolohnanspruchs nicht herleiten. Durch den an den Versicherungsträger zu zahlenden Säumniszuschlag wird nur das Verspätungsinteresse des Versicherungsträgers ausgeglichen. Als Gläubiger des Anspruchs hat der Arbeitnehmer ein eigenes Zahlungsinteresse. Schäden bei ihm auf Grund unterbliebener Zahlung sind nicht von vornherein ausgeschlossen. Der Säumniszuschlag betrifft allein die eigene öffentlich-rechtliche Beitragsschuld des Arbeitgebers, die gegenüber der privatrechtlichen Bruttolohnzahlungspflicht eigenständig und insbesondere auch hinsichtlich der Fälligkeit nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen verselbständigt ist (vgl. BSG [25. 9. 1981], BSGE 52, 152 [157f.]; BSG [30. 8. 1994], BSGE 75, 61 [67f.] = NZA 1995, 701). Die besondere Funktion des § 288 I 1 BGB bleibt deshalb insgesamt unberührt. Die Einheit der Rechtsordnung wird nicht in Frage gestellt, wenn der private Gläubiger Verzugszinsen und der öffentlich-rechtliche Gläubiger Säumniszuschläge verlangen kann, auch wenn beides letztlich an eine nur einmal zu erbringende Zahlung anknüpft; denn der Arbeitgeber hat seine Zahlungspflicht nach dem Arbeitsrecht gegenüber dem Arbeitnehmer und gemäß dem Sozialversicherungsrecht gegenüber dem Versicherungsträger zu erfüllen, und die Verletzung beider Pflichten ist jeweils selbständig sanktioniert.
Allerdings kann die Kumulation für bestimmte - verhältnismäßig geringe - Teile der Lohnforderung einen Jahreszins von über 20% ergeben. Das vermag aber die Rechtslage ebenso wie etwa eine im Ergebnis als „zu niedrig“ empfundene Verzinsung nicht zu verändern und ist hinzunehmen. Es beruht auf der öffentlich-rechtlichen Inpflichtnahme des Arbeitgebers, der mit § 24 SGB IV bezweckten Druckausübung und der gesetzlichen Höhe der Verzugszinsen.
d) Demnach bietet das Gesetz keine Handhabe, den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers in einen zu verzinsenden und einen nicht zu verzinsenden Teil aufzuspalten, auch wenn dem Arbeitnehmer aus der Vorenthaltung der Teile der Vergütung, die nach steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften vom Arbeitgeber einzubehalten und an öffentliche Kassen abzuführen sind, regelmäßig kein Schaden entsteht. Sinn und Zweck des § 288 BGB treffen auf den arbeitsrechtlichen Vergütungsanspruch in vollem Umfang zu. Auch eine am Vollstreckungsrecht orientierte Lösung, wie sie der 4. Senat im Urteil v. 13. 2. 1985 (AP TVG § 1 Tarifverträge: Presse Nr. 3 = EzA BGB § 611 Nettolohn, Lohnsteuer Nr. 5) vertreten hat, kommt danach nicht mehr in Betracht.
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