Briefkastenwerbung politischer Parteien

Gericht

BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats)


Art der Entscheidung

Beschluss über Verfassungsbeschwerde


Datum

01. 08. 2002


Aktenzeichen

2 BvR 2135/01


Leitsatz des Gerichts

Die Übertragung der vom BGH (NJW 1989, 902) entwickelten Grundsätze zum Unterlassungsanspruch bei erkennbar unerwünschtem Einwurf von Werbematerial auf Prospekte politischer Parteien (KG, NJW 2002, 379) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bf., die Partei Die Republikaner, wandte sich mit der Verfassungsbeschwerde ohne Erfolg dagegen, dass sie unter Androhung von Ordnungsgeld gerichtlich verurteilt wurde, den Einwurf ihrer Flugblattwerbung in den Hausbriefkasten des Kl. des Ausgangsverfahrens zu unterlassen, solange dort der Aufkleber „keine Werbung einwerfen“ angebracht ist (vgl. KG, NJW 2002, 379).

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

2. Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde gem. § 93a II BVerfGG liegen nicht vor, denn der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 [24ff.] = NJW 1999, 993; BVerfGE 96, 245 [248ff.] = NJW 1998, 443). Die Verfassungsbeschwerde ist ohne Aussicht auf Erfolg. Die Rüge der Bf., das KG habe im Rahmen der vorgenommenen Abwägung die Bedeutung ihrer durch Art. 21 I 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit als politische Partei verkannt, und die damit zusammenhängenden Rügen einer Verletzung der Parteiengleichheit und des Willkürverbots sind unbegründet.

a) Ob die Bf. verpflichtet ist, den Einwurf von Flugblättern in den Hausbriefkasten des Kl. des Ausgangsverfahrens zu unterlassen, ist zunächst eine Frage des einfachen Rechts (vgl. BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats), NJW 1991, 910). Die Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Regelungen unter Würdigung des konkreten Sachverhalts obliegt nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG in erster Linie den dafür zuständigen Fachgerichten. Deren Beurteilung ist vom BVerfG nur daraufhin nachzuprüfen, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (BVerfGE 18, 85 [92f.] = NJW 1964, 1715; st. Rspr., vgl. in neuerer Zeit BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats], NVwZ-RR 1999, 217 [218]).

b) Nach diesem Maßstab ist kein Verfassungsverstoß ersichtlich. Art. 21 I 1 GG garantiert den Parteien das Recht, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. In den Schutzbereich der Parteifreiheit fällt dementsprechend auch die Werbung mit Plakaten und mittels Informationsständen sowie die Verteilung und Zusendung von Flugblättern und anderem Werbematerial (vgl. BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], NJW 1991, 910; ebenso: Morlok, in: Dreier [Hrsg.], GG, 1998, Art. 21 Rdnr. 59). Die Werbung mit Flugblättern dient, auch wenn sie außerhalb von Wahlkampfzeiten stattfindet, der Einflussnahme auf die politische Willensbildung und ist damit von der Betätigungsfreiheit der politischen Parteien umfasst. Insbesondere kleinere Parteien wie die Bf., die in den Medien kaum Gehör finden, bedürfen dieses Mittels, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen und ihre Meinung zu verbreiten. Die angegriffene Entscheidung des KG hat dies nicht verkannt; sie lässt keine grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung und der Tragweite des Rechts der politischen Parteien auf freie Betätigung erkennen. Das Gericht hat das Interesse der Bf. an der Verbreitung und Verteilung von Flugblättern mit ihren politischen Ansichten (Art. 5 I , 21 I 1 GG) und das Interesse des Betroffenen, von unerwünschter politischer Werbung in seinem Hausbriefkasten verschont zu bleiben (Art. 2 I GG), in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen. Dass das KG trotz des geringen Gewichts des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen aus Art. 2 I GG - der Betroffene wird durch den Einwurf der Werbesendung nicht gezwungen, deren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen oder sich gar mit ihm auseinander zu setzen - zu keinem anderen Ergebnis bei seiner Abwägung gelangte, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Entgegen der Ansicht der Bf. führt das angegriffene Urteil nicht zu einem faktischen Verbot der Flugblattwerbung oder zu einer Benachteiligung gegenüber politischen Mitbewerbern. Das KG hat allein entschieden, dass die Bf. es zu unterlassen hat, Wahlwerbung in den Hausbriefkasten des Kl. des Ausgangsverfahrens einzuwerfen oder einwerfen zu lassen, solange dort der Aufkleber „keine Werbung einwerfen“ angebracht ist. Dass dies praktisch darauf hinausliefe, der Bf. eine Flugblattwerbung generell unmöglich zu machen, ist nicht ersichtlich. Die Bf. hat nach dem angegriffenen Urteil allein für die ihrem Einfluss unterliegende unerwünschte und damit rechtswidrige Flugblattverteilung und Versendung von Informationsmaterial durch ihre Mitglieder und mit der Verteilung oder Versendung von Werbematerial beauftragte Dritte einzustehen. Die angegriffene Entscheidung fußt auf der Annahme, dass die Bf. sich das Verhalten der in ihre Werbemaßnahmen eingeschalteten Organisationen und Personen zurechnen lassen muss, sofern sie sich nicht durch die Darlegung entlasten kann, dass sie alles ihr Zumutbare unternommen hat, um Rechtsbeeinträchtigungen des Kl. des Ausgangsverfahrens auszuschließen.

Dass das KG insoweit die bloße nicht näher substanziierte Anweisung der Bf. an ihren Landesverband, Briefkastenaufkleber mit der Aufschrift „keine Werbung einwerfen“ zu beachten, nicht als ausreichend erachtet hat, begegnet angesichts der in Rede stehenden gegenläufigen Rechte der betroffenen Personen aus Art. 2 I und 14 I GG keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

c) Die Frage, ob bei einem wiederholten Einwurf von Werbematerial der Bf. in den Briefkasten des Kl. des Ausgangsverfahrens ein zurechenbarer Verstoß der Bf. gegen ihre Unterlassungspflicht vorliegt, wird in einem etwaigen Vollstreckungsverfahren zu klären sein. Ein Ordnungsgeld kann gegen sie nur dann verhängt werden, wenn sie schuldhaft gegen diese Pflicht verstoßen hat (vgl. BVerfGE 84, 82 [87] = NJW 1991, 3139 m.w. Nachw.).

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht

Normen

GG Art. 2 I , 5 I , 14 I , 21 I 1; BGB §§ 862 , 903 , 823 I , 1004