Annahmeverweigerung bei Postwurfsendungen
Gericht
VGH Mannheim
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
24. 04. 1990
Aktenzeichen
10 S 560/89
Es ist Sache des Empfängers, darüber zu entscheiden, welche Postsendungen er annehmen will und welche nicht. Diese Entscheidung kann vom Empfänger nach § 59 II 1 PostO unter Berücksichtigung der der Deutschen Bundespost obliegenden wirtschaftlichen Gestaltung der Postdienste nur generell - Ablehnung der Zustellung überhaupt - oder individuell - bezogen auf jede einzelne Sendung -, jedoch nicht pauschal für bestimmte Arten von Sendungen getroffen werden.
Die Zustellung von durchschnittlich zwei Postwurfsendungen im Monat greift nicht unverhältnismäßig in das nach Art. 2 I 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Empfängers ein.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. fühlt sich durch ihm von der Bekl. (Deutsche Bundespost) über seinen Hausbriefkasten zugestellte Wurfsendungen (insbesondere Werbung) belästigt. Er verweigert pauschal die Annahme derartiger Sendungen. Dies hatte er den Zustellern der Bekl. durch Anbringen einer Vignette am Hausbriefkasten, die als Symbol einen rot durchkreuzten stilisierten Briefkasten mit dem Schriftzug - Post - und die Aufschrift trägt: - unerwünschte Werbung belastet unsere Umwelt, deshalb !Keine Werbung! AK Recycling Tübingen - kundgetan. Darüber hinaus forderte der Kl. die Bekl. wiederholt und vergeblich unter Androhung einer Unterlassungsklage auf, die Zustellung von ihm nicht gewünschter Werbung zu unterlassen. Dies lehnte die Bekl. letztlich mit dem Hinweis auf ihre Beförderungspflicht, die aus dem öffentlichrechtlichen Benutzungsverhältnis mit dem Absender folge, und unter Berufung darauf ab, daß ein Empfänger nur die Annahme einzelner Sendungen verweigern könne. Der Kl. hat deshalb die vom LG Tübingen an das VG Stuttgart verwiesene Unterlassungsklage erhoben und dort zuletzt auf Anregung des Gerichts mit Zustimmung der Bekl. beantragt festzustellen, daß die Bekl. nicht berechtigt ist, ihm bei eindeutig durch Aufschrift oder Aufkleber am Hausbriefkasten erklärter Annahmeverweigerung Wurfsendungen aller Art zuzustellen. Das VG (NJW 1989, 1050) hat der Klage stattgegeben. Der VGH wies die Klage ab.
Auszüge aus den Gründen:
Das VG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Bekl. ist entgegen der Auffassung des VG berechtigt, dem Kl. auch künftig - bis zu durchschnittlich zwei Wurfsendungen im Monat - zuzustellen. Den durch das Anbringen der Vignette am Hausbriefkasten kundgetanen entgegenstehenden Willen des Kl. braucht sie dabei nicht zu beachten.
I. Entgegen der Auffassung der Bekl. ist die Klage mit dem im Berufungsverfahren aufrechterhaltenen bzw. hilfsweise gestellten Antrag allerdings zulässig. Dem Feststellungsbegehren des Kl., gleichviel, ob es sich auf Wurfsendungen schlechthin oder auf Werbe-Wurfsendungen bezieht, steht der Einwand der Subsidiarität der Feststellungsklage (vgl. § 43 II 1 VwGO) nicht entgegen. Der Feststellungsklage fehlt auch nicht das allgemeine Rechtsschutzinteresse.
1. Nach § 43 II 1 VwGO kann eine Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kl. seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Zweck der Vorschrift ist es, Feststellungsurteile, denen die Vollstreckbarkeit fehlt, zu verhindern, wenn wirksamere Rechtsschutzverfahren zur Verfügung stehen, insbesondere zu besorgen ist, daß sich das Gericht unter Umständen erneut mit dem Streitstoff oder mit zur Unzeit erhobenen Klagen befassen muß (vgl. dazu BVerwGE 37, 243 (247)). Gerade dem letzteren Umstand soll dadurch Rechnung getragen werden, daß Sonderregelungen für eine andere Klageart, insbesondere das Vorverfahren, nicht umgangen werden dürfen. An solchen prozessualen Hindernissen muß das Rechtsschutzbegehren des Kl. nicht scheitern.
a) Freilich wäre ein mit Zwangsmitteln bewehrtes Unterlassungsurteil grundsätzlich eine wirksamere Rechtsschutzgewährung, da der Kl. sein Begehren gegen die Bekl. auch zwangsweise durchzusetzen vermöchte. Es ist jedoch in der Rechtsprechung so gut wie einhellig anerkannt, daß bei öffentlichrechtlichen Körperschaften und sonstigen öffentlichrechtlichen Bindungen unterliegenden Rechtsträgern zu erwarten ist, daß sie einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung auch ohne Vollstreckungsdruck Folge leisten (vgl. dazu BVerwGE 36, 179 (181); BVerwGE 40, 323 (327/328); BVerwG, NVwZ 1988, 430 (431); VGH Mannheim, DÖV 1980, 573). Auch bei der Bekl., die ein Sondervermögen des Bundes (vgl. § 2 I PostVwG vom 24. 7. 1953, BGBl I, 676; nach der Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens vgl. § 2 I PostVfG vom 8. 6. 1989, BGBl I, 1026) darstellt und Gegenstand bundeseigener Verwaltung ist (vgl. Art. 87 I GG), ist davon auszugehen.
b) Sonderregelungen für die zunächst erhobene unbedenklich zulässige Leistungsklage werden auch nicht dadurch umgangen, daß der Kl. seinen ursprünglichen Klagantrag auf Anregung des VG auf eine Feststellung umgestellt hat. Es besteht kein Anlaß, bei Klagen gegen öffentliche Rechtsträger den Grundsatz der Subsidiarität dahin auszuweiten, daß sich eine Feststellungsklage jedenfalls dann als unzulässig erweist, wenn zunächst eine Leistungsklage erhoben war. Ein solches Unterfangen scheitert schon daran, daß der Übergang von einer Leistungsklage zu einer Feststellungsklage bei gleichbleibendem Klagegrund keine Klagänderung darstellt, da in einem Leistungsbegehren stets auch ein Feststellungsbegehren als weniger enthalten ist (vgl. dazu BVerwG, DVBl 1968, 654). Entgegen der Auffassung der Bekl. hat deshalb das VG mit seiner prozessualen Anregung den Streitstoff thematisch auch nicht in Richtung auf eine gegen und für jedermann wirkende Grundsatzentscheidung ausgeweitet. Ein Feststellungsurteil erwächst wie ein Leistungsurteil nur zwischen den Parteien in Rechtskraft. Allein von der Überzeugungskraft seiner Begründung hängt es aber ab, ob es über seine Wirkung zwischen den Parteien hinaus Beachtung findet.
2. Das VG ist entgegen der Auffassung der Bekl. zu Recht davon ausgegangen, daß dem Feststellungsbegehren nicht das allgemeine Rechtsschutzinteresse fehlt. Dabei kann dahinstehen, ob das allgemeine Rechtsschutzinteresse bei der Feststellungsklage in dem von § 43 I VwGO geforderten berechtigten Interesse an einer alsbaldigen Feststellung (Feststellungsinteresse) aufgehen oder neben diesem bestehen könnte. Mit den zuletzt im Berufungsverfahren gestellten Anträgen kann der Kl. den von ihm letztlich verfolgten Zweck jedenfalls erreichen, vor Werbesendungen verschont zu bleiben. Die Bekl. kann dem nicht entgegenhalten, dem Kl. ginge es nur um die Abwehr von Werbesendungen, nicht aber um den Ausschluß anderer Wurfsendungen, z. B. solcher caritativer Organisationen, Bekanntmachungen von kommunalen Organisationen, Wahlsendungen und ähnliches. Zwar könnte das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn die Klage für den Kl. keinerlei Vorteile haben, seine rechtliche und wirtschaftliche Stellung nicht verbessern könnte, es dem Kl. insbesondere im Ergebnis um einen Rechtsmißbrauch oder um eine Schikane der Bekl. ginge (vgl. BVerwG, NJW 1988, 839 = NVwZ 1988, 348 L = BayVBl 1988, 89 (91); BVerwG, NVwZ 1988, 1126 = 343 (345)). Davon kann indes keine Rede sein. Der Senat hat schon Zweifel, ob für den Teil des Klagantrags, der über die Ablehnung von Werbe-Wurfsendungen hinausgeht, das von der Bekl. als fehlend bemängelte Rechtsschutzinteresse erheblich ist; denn immerhin hat sie der Erweiterung der Klage im Verfahren vor dem VG zugestimmt. Freilich ist die Zulässigkeit einer Klage immer von Amts wegen zu prüfen und ist der Dispositionsfreiheit der Parteien entzogen. Daran ändert auch nichts, daß der Kl. mit seinem Klagantrag lediglich eine Anregung des VG aufgegriffen hat. Es kann jedoch nicht ohne Blick auf den gesamten Streitstoff entschieden werden, ob der geänderte Antrag für den Kl. vorteilhaft und nicht rechtsmißbräuchlich ist. Für das Rechtsschutzinteresse gewinnt damit der Umstand Bedeutung, daß die Bekl. gegen den zunächst auf Werbe-Wurfsendungen im Verfahren vor dem VG beschränkten Unterlassungsantrag eingewandt hat, die Aussonderung von Werbe-Wurfsendungen würde sie vor unzumutbare organisatorische Schwierigkeiten stellen. Diesem Bedenken der Bekl. Rechnung zu tragen, hat das VG letztlich den vom Kl. gestellten Feststellungsantrag angeregt. Der Kl. durfte damit aber davon ausgehen, daß er sein eigentliches Anliegen, vor Werbe-Wurfsendungen verschont zu bleiben, erfolgversprechend gegen die Bekl. mit dem gestellten Feststellungsantrag durchzusetzen vermag.
II. Die im Ergebnis auf Feststellung eines Annahmeverweigerungsrechts von Wurfsendungen bzw. Werbe-Wurfsendungen gerichtete Klage erweist sich entgegen der Auffassung des VG jedoch als unbegründet. Dem Kl. steht ein solches allgemeines vorweggenommenes Recht weder aus § 59 II Nr. 1 PostO noch aus dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG zu.
1. Die Vorschrift des § 59 II Nr. 1 PostO ist eine auf § 14 PostVwG vom 24. 7. 1953 i. V. mit § 7 PostG vom 28. 7. 1969 (PostG 1969) gegründete Norm, die auch nach dem Inkrafttreten des Postverfassungsgesetzes vom 8. 6. 1989 und des geänderten Postgesetzes i. d. F. der Bekanntmachung vom 3. 7. 1989 (BGBl I, 1449 - PostG 1989 -) gem. § 65 I PostVfG für eine Übergangszeit von bis zu zwei Jahren fortgilt (vgl. dazu Stollberg, Erl. zum Gesetz über die Unternehmensverfassung der Dt. Bundespost, in: Dt. BundesR, Loseblatt-Samml., Stand: 623. Lfg. (Dezember 1989), § 65 PostVfG Anm. VI H 9). Nach dem Wortlaut der Vorschrift gelten Sendungen unter anderem als unzustellbar, wenn der Empfänger die „Annahme der Sendung“ verweigert. Wie sich aus der amtlichen Überschrift des 5. Titels 4. Abschnitt der Postordnung „Unzustellbarkeit“ ergibt, regeln die Vorschriften der §§ 59-61 PostO, wie die Bekl. mit unzustellbaren Sendungen zu verfahren hat. Dem Senat erscheint es von daher bereits fraglich, ob die Vorschriften überhaupt ein Recht des Kl. zur Annahmeverweigerung bestimmter Sendungen begründen wollen. Vielmehr sprechen eher Gründe dafür, daß dieses Recht des Kl. von der Postordnung vorausgesetzt wird. Denn sowenig wie der Empfänger einen Rechtsanspruch auf Auslieferung einer an ihn gerichteten Sendung hat, sowenig ist er auch grundsätzlich verpflichtet, Sendungen anzunehmen (vgl. dazu Florian-Weigert, PostO, Teil II, § 59 Anm. 2 (1)). Das läßt es naheliegen, das Recht des Empfängers, die Annahme unerwünschter Postsendungen zu verweigern, in dessen freies Belieben zu stellen, das grundsätzlich durch Art. 2 I GG geschützt ist.
2. Geht der Senat davon aus, so folgt daraus des weiteren, daß die Vorschrift des § 59 II Nr. 1 PostO dieses „freie Belieben" im Interesse eines funktionsfähigen und zuverlässigen Postzustellwesens einschränkt. Es ist anerkannt, daß die Postordnung auch im Verhältnis zum Empfänger von Sendungen belastende Regelungen treffen kann und auch getroffen hat. Die Ermächtigungsgrundlage dafür ergibt sich aus § 14 PostVwG i. V. mit § 7 PostG 1969. In der Rechtsprechung ist geklärt, daß die genannten Ermächtigungsgrundlagen den Anforderungen des Art. 80 I GG genügen (vgl. BVerwGE 74, 67 = NJW 1986, 1702 = NVwZ 1986, 654 L). Die vorerwähnte Rechtsfolge beruht im Rahmen der Verordnungspraxis und der historischen Entwicklung insbesondere auf der Erwägung, daß den wirtschaftlichen, politischen, sozialen und sonstigen Gegebenheiten Rechnung zu tragen ist (vgl. BVerwGE 29, 318 = NJW 1968, 1394). Damit steht der Empfänger einer Sendung nicht außerhalb der von § 14 PostVwG umschriebenen „Bedingungen und Gebühren für die Benutzungen der Einrichtungen des Post- und Fernmeldewesens“, wenn er auf die Art der Zustellung Einfluß nehmen kann (vgl. BVerwG, NJW 1968, 1394). Aus dieser Sicht der Rechtslage ergibt die Auslegung der Vorschrift des § 59 II Nr. 1 PostO entgegen der Ansicht des VG, daß eine vorweggenommene Erklärung über die Annahmeverweigerung bestimmter Sendungen oder Sendungsarten, wie sie der Kl. mit der von ihm verwendeten Vignette an seinem Hausbriefkasten zum Ausdruck bringen will, keine wirksame Annahmeverweigerung darstellt.
a) Bei diesem Ergebnis geht der Senat davon aus, daß § 59 II PostO von seinem Wortlaut her weder im einen noch im anderen Sinne eine eindeutige Bestimmung ist. Die Vorschrift regelt insbesondere nicht, auf welche Art und Weise die Annahme einer Sendung verweigert werden kann. Der Senat kann damit auch der Auffassung der Bekl., aus der verschiedenen Verwendung der Begriffe „Sendungen“ im Obersatz des § 59 II und „Sendung“ in der Ausgestaltung des Einzelfalles in § 59 II Nr. 1 sei zu schließen, daß eine Annahmeverweigerung nur für jede einzelne Sendung ausgesprochen werden könne, kein durchgreifendes Argument abgewinnen. Der Begriff im Obersatz bezieht sich grammatikalisch offensichtlich auf die Ausgestaltung der Einzelfälle in Nr. 1 bis Nr. 5. Mit diesem Verständnis führt auch die grammatikalische Auslegung nicht weiter. Die Bekl. beruft sich deshalb auch selbst zur Stützung ihrer Ansicht auf eine Interpretation der Vorschrift in ihren Ausführungsbestimmungen zur Postordnung, in denen dargelegt ist, daß die Annahmeverweigerung für jede einzelne Sendung ausgesprochen werden müsse. Eine solche authentische Interpretation der Bekl. führt freilich auch nicht weiter. Für das Gericht ist sie jedenfalls nicht verbindlich. Abgesehen davon ist auch in den Ausführungsbestimmungen mehrfach von der verweigerten „Annahme von Sendungen“ die Rede (vgl. die amtlichen Ausführungsbestimmungen zur PostO, abgedr. in: Florian-Weigert, zu § 59).
b) Allerdings hat die Bekl. zu Recht auf die historische Entwicklung abgehoben. Mit der Neufassung der Postordnung vom 16. 5. 1963 sollte das schon in § 47 II der Postordnung vom 30. 1. 1929 (RGBl I, 33 - PostO 1929 -) geregelte Institut der Annahmeverweigerung unverändert übernommen werden (vgl. die amtl. Begr. zu § 49 PostO, in: ArchPF 1963, 721 (770)). Nach § 47 II PostO 1929 konnte der Empfänger „die Annahme einer für ihn eingegangenen Postsendung verweigern“. Die Vorschrift bestimmte insbesondere, daß die „Annahmeverweigerung in der Regel sogleich bei der Zustellung (§ 38) oder Abholung (§ 44) der Sendung erklärt werden“ müsse und der „Empfänger ... von dem Inhalt der Sendung, deren Annahme er verweigert, keine Kenntnis nehmen (dürfe)". Wortlaut, Sinn und Zweck dieser Regelung, daß die Sendung erst „eingegangen“ sein muß, bevor ihre Annahme verweigert werden kann, sprechen deshalb zunächst einmal unmißverständlich gegen die Möglichkeit einer vorweggenommenen Annahmeverweigerung genereller Art. Im Gegenteil setzt die Regelung mit der Bestimmung, daß der Empfänger „von dem Inhalt der Sendung, deren Annahme er verweigert, keine Kenntnis nehmen“ darf, gerade eine solche Möglichkeit der Kenntnisnahme voraus. Das kann aber letztlich nur bedeuten, daß der Empfänger die Sendung in seinem Herrschaftsbereich entgegenzunehmen hat. In Übereinstimmung mit dieser überkommenen Rechtslage sehen daher die amtlichen Ausführungsbestimmungen zu § 59 II PostO zu Recht auch vor, daß die Annahmeverweigerung für jede einzelne Sendung ausgesprochen werden muß.
c) Eine systematische Interpretation führt zu keinem anderen Ergebnis. Die in § 59 II Nr. 1 PostO genannten Fälle der fingierten Zustellung, der Verweigerung der Bezahlung des Nachnahmebetrags (auch in § 9 II PostO geregelt), der Zustellgebühr des § 50 V PostO und der Nichterteilung der Empfangsbestätigung für Postanweisungen, Sendungen mit Wertangabe und Einschreiben (§§ 27 III , 28 III und 29 III PostO) erfordern einen individuellen Verweigerungsakt des Empfängers. Nichts anderes gilt für die in § 61 II PostO geregelte Annahmeverweigerung des Absenders; denn dieser braucht schon typischerweise nicht damit zu rechnen, daß aufgegebene Sendungen an ihn zurückgehen. Insoweit besteht daher schon für eine generelle Annahmeverweigerung weder ein Bedürfnis noch überhaupt Raum. Aus der Vorschrift des § 50 IV 2 PostO ergibt sich nichts Gegenteiliges. Regelfall der Zustellung i. S. des § 50 I PostO war die „Aushändigung“ einer Sendung, d. h. die Übergabe von Hand zu Hand. Ist ein Hausbriefkasten angebracht, was heute die Regel sein dürfte, erfolgt die Zustellung durch Einlegung der Sendung in den Hausbriefkasten (vgl. § 50 IV 1 PostO). Auf das Anbringen eines Hausbriefkastens hat die Post keinen Anspruch. Wird z. B. der Schlitz des Briefkastens zugeklebt oder das Namensschild entfernt, so gilt dies als Verhinderung der Zustellung über den Briefkasten und damit als Verweigerung der Annahme schlechthin (vgl. BVerwG, NJW 1968, 1394). Gerade dies ist aber noch kein Beleg dafür, daß eine Annahmeverweigerung auch im Hinblick auf bestimmte Sendungsarten von der Postordnung vorgesehen wäre, obwohl damit die Zustellung aller Sendungen verhindert werden kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß § 58 II PostO dem Empfänger die Möglichkeit eröffnet, in einem Nachsendungsantrag alle Sendungen oder bestimmte einzelne in einem amtlichen Formblatt aufgeführte Sendungsgruppen von der Nachsendung auszuschließen. Im Ergebnis kommt dies zwar einer vorweggenommenen Annahmeverweigerung nahe, sie ist aber mit der Annahmeverweigerung nach § 59 II PostO nicht vergleichbar. § 58 PostO regelt keinen Fall der Unzustellbarkeit. Abgesehen davon ist ein Ausschluß anderer als der auf dem amtlichen Vordruck zu § 58 II PostO bezeichneten Sendungen, insbesondere eine Differenzierung nach inhaltlichen Kriterien, unzulässig (vgl. Florian-Weigert, Anl. zu § 58). Für die Unzustellbarkeit von Wurfsendungen bzw. Werbe-Wurfsendungen geben diese Erwägungen aber deswegen nichts her, weil diese Sendungen ohnehin von der Nachsendung ausgeschlossen sind (vgl. die amtlichen Ausführungsbestimmungen zu § 58 II PostO bei Florian-Weigert, aaO). Über das Ergebnis, daß nach der Postordnung eine Annahmeverweigerung von vornherein und generell bezogen auf Wurfsendungen bzw. Werbe-Wurfsendungen nicht ausgesprochen werden kann, hilft letztlich auch der Hinweis des VG auf das Massengeschäft bei Wurfsendungen nicht hinweg, die in keinem individuellen Bezug zum Empfänger stehen.
d) § 59 II PostO stellt sich damit als Ausfluß der der Bekl. nach § 2 II PostG 1969 obliegenden Beförderungspflicht dar, die das Austeilen einer Sendung an den Empfänger mit einschließt. Es ist nicht Sache der Bekl., unter den zuzustellenden Sendungen eine Auswahl zu treffen; sie ist gesetzlich verpflichtet, alle Sendungen, die von der Beförderungspflicht nicht auszuschließen sind, dem Empfänger zuzustellen. Dagegen ist es ausschließlich Sache des Empfängers, darüber zu entscheiden, welche Sendungen er annehmen will und welche nicht. Diese Entscheidung kann unter Berücksichtigung der der Bekl. obliegenden wirtschaftlichen Gestaltung der Postdienste vom Empfänger entweder nur generell - Ablehnung der Zustellung überhaupt - oder individuell - bezogen auf jede einzelne Sendung - getroffen werden. Jede andere nach Art der zuzustellenden Sendungen differenzierte Annahmeverweigerung müßte zur Folge haben, daß im Ergebnis die Bekl. selbst eine gewisse Auswahl zu treffen hätte, die ihr nicht obliegt und die sie, berücksichtigt man ihre gesetzliche Pflicht, alle ihr übergebenen Sendungen zu befördern und dem Empfänger zuzustellen, auch nicht vornehmen darf. Daran ändert nichts, daß es Fallgestaltungen geben kann, bei denen im Einzelfall aus der Entscheidung des Empfängers auch ein eindeutiger Ausschluß typisierter Sendungen herausgelesen werden kann. Bei der gebotenen generellen und typisierten Betrachtungsweise des gesamten Zustellungsdienstes der Bekl. ist dies unerheblich. Ein Empfänger hat es damit auch hinzunehmen, daß die Bekl. im Einzelfall seinen generell und von vornherein erklärten Willen über die Annahmeverweigerung einer bestimmten Sendungsart bei der Zustellung unbeachtet läßt.
3. Mit diesem Auslegungsergebnis schränkt § 59 II Nr. 1 PostO das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kl. nicht in unzulässiger Weise ein. Dieses umfaßt das Recht, von Eingriffen jeder Art unbehelligt zu bleiben, soweit sie nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet sind (vgl. BVerfGE 27, 1 (6) = NJW 1969, 1707; BVerfGE 9, 83 (88) = NJW 1959, 523). Sein Schutzbereich dürfte dadurch, daß die Bekl. im Einzelfall sich über den Willen eines Empfängers hinwegsetzen kann, auch betroffen sein (vgl. OVG Lüneburg, NJW 1988, 1867 (1868) = NVwZ 1988, 753 L; zweifelnd BVerwGE 82, 29 = NJW 1989, 2409 (2410) = NVwZ 1989, 958 L). So hat zum Beispiel der BGH in mehreren Entscheidungen bekräftigt, daß die Zusendung von Werbematerial trotz entgegenstehenden Willens des Empfängers in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht eingreifen kann (vgl. BGHZ 60, 296 (300) = NJW 1973, 1119 = LM § 823 (Ah) BGB Nr. 48; BGHZ 106, 229 (233) = NJW 1989, 902 = LM § 1004 BGB Nr. 184 sowie dazu auch Allgeier, ArchPF 1989, 417). Es könnte freilich und allenfalls fraglich sein, was in den angeführten Entscheidungen des BGH auch erörtert wird, ob es sich bei der geringfügigen Beeinträchtigung im Einzelfall unter den heutigen Bedingungen des Wirtschaftslebens um einen sozialtypischen Vorgang handelt, dem der einzelne als Mitglied der Gemeinschaft sich nicht unter Berufung auf sein Persönlichkeitsrecht entziehen kann. Diese Frage braucht der Senat indes nicht weiter zu vertiefen. § 59 II Nr. 1 PostO stellt sich mit dem dargelegten Auslegungsergebnis jedenfalls als ein Teil der verfassungsmäßigen Ordnung i. S. des Art. 2 I GG dar (vgl. BVerfGE 6, 32 (38) = NJW 1957, 297). Ein möglicher Eingriff ist daher vom Kl. jedenfalls hinzunehmen, wenn er sich als verhältnismäßig erweist (vgl. BVerfGE 17, 306 (314) = NJW 1964, 1219; BVerfGE 27, 344 (352) = NJW 1970, 555; BVerfGE 38, 312 (321) = NJW 1975, 588) und insbesondere nicht in einen letzten absolut geschützten Bereich privater Lebensgestaltung eingreift (vgl. BVerfGE 34, 238 (245) = NJW 1973, 891 und BVerfGE 38, 312 (320) = NJW 1975, 588). Das ist nicht der Fall.
4. Der Senat stellt nicht in Frage, daß die Bekl. den postverfassungsrechtlich zulässigen Zweck verfolgen darf, die Zustellung von Post- und auch von Werbe-Wurfsendungen so unkompliziert und zuverlässig wie möglich zu gestalten. Zu diesem Zweck schränkt § 59 II PostO aber gerade generelle Annahmeverweigerungen ein, die zu einem erhöhten wirtschaftlichen Aufwand führen müßten. Soweit das zu einer Mißachtung des entgegenstehenden Willens des Kl. führt, ist die Entscheidung bei lediglich bis zu zwei Werbe-Wurfsendungen im Monat, die dem Kl. nach den unwidersprochenen Erklärungen der Bekl. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zugestellt werden, nicht unverhältnismäßig (vgl. auch BVerwG, NJW 1989, 2409 = NVwZ 1989, 958 L). Für dieses Ergebnis streitet eine Güter- und Interessenabwägung.
a) Bei durchschnittlich bis zu zwei Wurfsendungen bzw. Werbe-Wurfsendungen im Monat ist eine Überfüllung des Hausbriefkastens des Kl. nicht zu befürchten, selbst wenn er ihn nicht täglich leeren kann. Das Interesse des Kl., einer Konfrontation mit der Suggestivwirkung der Werbung zu entgehen - seinen Lebensbereich von jedem Zwang zu Auseinandersetzungen mit Werbung freizuhalten - dem der BGH einen hohen Stellenwert zumißt (vgl. BGHZ 106, 229 (233 ff.) = NJW 1989, 902 = LM § 1004 BGB Nr. 184), muß zwar als Gesichtspunkt auch berücksichtigt werden. Allerdings erfährt dieses Interesse in seiner Wertigkeit eine Einschränkung. Art. 2 I GG wehrt außerhalb des Intimbereichs der Lebensführung, die beim Kl. nicht betroffen ist, nur unverhältnismäßige - unzumutbare - Eingriffe ab. Einen solchen muß der Kl. mit der Zustellung von durchschnittlich zwei Wurfsendungen bzw. Werbe-Wurfsendungen im Monat nicht hinnehmen und braucht ihn auch nicht zu befürchten. Es steht ihm weiterhin die Möglichkeit offen, durch die für jeden Einzelfall erklärte Annahmeverweigerung, die auch noch am Tage nach der Zustellung erfolgen kann, sich der Lästigkeit von Werbung zu entziehen und er kann damit auch vermeiden, sich mit dem Inhalt der Werbung auseinandersetzen zu müssen. Darüber hinaus bleibt es dem Kl. unbenommen, mit der aufzuwendenden geringfügigen Mühe bis zu zweimal im Monat die unerwünschten Wurfsendungen bzw. Werbe-Wurfsendungen aus seiner Tagespost auszusortieren und mit einer Handbewegung in den Papierkorb oder „in die grüne Tonne“ zu werfen (vgl. BVerwG, NJW 1989, 2409 = NVwZ 1989, 958 L). Soweit das Verhalten des Kl. allerdings darauf gerichtet ist, daß überhaupt weniger Papier für Wurfsendungen bzw. Werbe-Wurfsendungen gedruckt und verbraucht wird, macht er mit seinem Klagebegehren keine eigenen, sondern Interessen der Allgemeinheit geltend. Insoweit fehlt ihm bereits die Klagebefugnis. Nichts anderes gilt im Ergebnis, soweit er auch darauf hinweist, daß durch eine „Besserstellung“ der Bekl. gegenüber privaten Werbevertriebsfirmen, deren Ausschluß ein Empfänger nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHZ 106, 229 = NJW 1989, 902 = LM § 1004 BGB Nr. 184) leichter, vor allem generell erzwingen kann, ein Werbevertriebsmonopol bei der Post für Wurfsendungen entstehen könnte. Auch insoweit führt er keine eigenen Interessen ins Feld, zumal da er mit der Bekl. nicht in einem Wettbewerb steht. Abgesehen davon spricht nichts dafür, daß alle Haushalte generell auf Werbe-Wurfsendungen verzichten wollen. Nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Bekl. in der mündlichen Verhandlung des Senats gibt es in Tübingen bezogen auf das Jahr 1989 ca. 11200 Vignetten auf Briefkästen von der Art, wie sie auch der Kl. angebracht hat (Ausschluß von Wurfsendungen, Ausschluß von Werbe-Wurfsendungen, Ausschluß von beidem). Dies bedeutet, daß sich in einer Stadt mit etwa 76000 Einwohnern und 33823 Haushalten etwa 2/3 der Betroffenen durch Werbe-Wurfsendungen der Bekl. nicht in dem gleichen Maße wie der Kl. belästigt fühlen. Damit bleibt im übrigen auch genügend Raum für privatwirtschaftlich organisierte, vom Postregal ausgenommene (vgl. § 2 I PostG 1989) Beförderungen von unbeschrifteten Wurfsendungen.
b) Gegenüber diesen Interessen des Kl. haben die postalischen Belange der Bekl. höheres Gewicht. Von durchschlagender Bedeutung ist dabei die der Bekl. von Gesetzes wegen auferlegte Verpflichtung zur Wirtschaftlichkeit (vgl. § 15 I PostVerwG i. V. mit den §§ 7 , 113 BHO), auf die bei der Neuordnung des Post- und Fernmeldewesens (vgl. § 4 I PostVfG: Beteiligung am Wettbewerb, Führung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen und dazu Schatzschneider, NJW 1989, 2371) verstärkt Bedacht genommen ist. Die Bekl. erzielt wegen des bei Wurfsendungen erheblich unter dem Durchschnitt liegenden Verwaltungsaufwands von der Einlieferung bis zur Zustellung - unter anderem bewirkt durch die Rationalisierung in diesem Postbereich, weil sie nur noch Wurfsendungen an alle Haushaltungen annimmt (vgl. § 23 I PostO; zur Entwicklung bei den Wurfsendungen auch Florian-Weigert, PostO, Teil I, 9. Ergänzungslieferung, Stand: Oktober 1987, § 23 Anm. 1) -, bei dieser Sendungsart Gewinne, die zur Kostendeckung in den übrigen Bereichen erheblich beitragen. So hat die Bekl. nach ihren unwidersprochenen Darlegungen in der mündlichen Verhandlung des Senats im Jahre 1989 bei rund 957 Millionen Sendungen - das sind ca. 8,4% des Gesamtaufkommens im inländischen Briefzustelldienst - Einnahmen von rund 122347 Millionen DM, d. h. 1,1% des Gebührenaufkommens bei den Inlandsbriefsendungen erwirtschaftet. Die Benutzung ihrer Einrichtungen für derartige fiskalisch-wirtschaftliche Betätigungen, die im Zusammenhang mit den hoheitlich zugewiesenen Aufgaben der Post stehen, ist gerechtfertigt und wird in der Literatur und Rechtsprechung allgemein gebilligt (vgl. BVerwG, NJW 1989, 2409 = NVwZ 1989, 958 L; OVG Lüneburg, NJW 1988, 1867 = NVwZ 1988, 753 L; Ossenbühl, Bestand und Erweiterung des Wirkungskreises der Dt. Bundespost, 1980, S. 99 f. (137)).
c) Der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, daß die Beförderung von Wurfsendungen bzw. Werbe-Wurfsendungen die Erfüllung der der Bekl. nach den §§ 2 , 3 PostG 1989 obliegenden Aufgaben beeinträchtigen könnte. Demgegenüber ist aber zu besorgen, daß generelle und vorweggenommene Annahmeverweigerungen durch an Briefkästen angebrachte Vignetten zu Störungen im postbetrieblichen Ablauf führen müßten. Die Wirtschaftlichkeit der Beförderung von Wurfsendungen bzw. Werbe-Wurfsendungen beruht gerade darauf, daß sie vom Absender anschriftslos nur an alle Haushalte in einem von ihm zu bestimmenden Zustellbezirk gerichtet werden können. Der Senat hält es schon für fraglich, ob eine Einschränkung des Empfängerkreises mit der Vorschrift des § 23 I PostO über die Postwurfsendungen vereinbar wäre. Das kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls müßte eine solche zur Folge haben, daß die Bekl. regelmäßig alle Haushaltungen darauf zu kontrollieren hätte, ob sie weiterhin Postwurfsendungen zugestellt erhalten wollen, um in der Lage zu sein, über den möglichen Empfängerkreis den Absendern zuverlässige Angaben machen zu können, worauf diese einen Anspruch haben (vgl. die amtl. Ausführungsbestimmungen zu § 23 II PostO bei Florian-Weigert, aaO). Die Zahl der Haushaltungen müßte von der Bekl. damit ständig überwacht und insbesondere auch deswegen aktualisiert werden, weil sie auch Grundlage für die Gebührenberechnung ist. Die Bekl. müßte deshalb nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung der Situation auf dem Wohnungsmarkt vermehrt und in kürzeren Abständen Nachzählungen durchführen, um Abrechnungsschwierigkeiten mit den Absendern zu vermeiden. Es steht für den Senat außer Frage, daß die mit dem dadurch verursachten Verwaltungsaufwand verbundenen Kosten auf die Wirtschaftlichkeit der Postdienste durchschlagen müßten und sich in höheren Gebühren zu Lasten der Allgemeinheit auswirken würden.
d) Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob das vorstehend dargelegte Ergebnis der Güter- und Interessenabwägung auch für die anstehende Neuordnung des Postwesens zu gelten hätte. Freilich hat die Bekl. auch künftig einen Auftrag zur Daseinsvorsorge zu erfüllen (vgl. § 4 I 3 PostVerfG). Sie darf daher einerseits den Versorgungsauftrag ihrer Unternehmen nicht durch einen Ressourcenverbrauch in Wettbewerbsbereichen gefährden. Andererseits müssen ihr zur Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben die erforderlichen Mittel, wozu auch Einnahmen aus Postwurfsendungen gehören, erhalten bleiben (vgl. Stollberg, zu § 4 PostVfG). Damit sind zugleich der Bekl. auch Grenzen gezogen, die sie zu Lasten ihres öffentlichen Auftrags bei einer Betätigung im Bereich der Werbung nicht überschreiten darf.
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