Werbezettel im Briefkasten

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

12. 04. 1989


Aktenzeichen

6 U 198/88


Leitsatz des Gerichts

Zu den zumutbaren Vorkehrungen, die ein werbendes Unternehmen gegenüber einem Werbezettelverteilerunternehmen ergreifen muß, um die Wiederholungsgefahr für den Unterlassungsanspruch auszuräumen, den ein umworbener Privatmann geltend macht, weil gegen seinen erklärten Willen, Werbezettel in den Briefkasten eingeworfen wurden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist ein Verbraucherschutzverband. Die Bekl. betreibt SB-Warenhäuser. Als Werbemittel für die von ihr angebotenen und vertriebenen Waren läßt die Bekl. u. a. ihre einmal wöchentlich erscheinende „Werbe-Zeitschrift“ durch beauftragte Verteilerunternehmen als sog. Wurfsendungen in die Hausbriefkästen der privaten Verbraucher werfen. Die Zeugen A und B haben an ihren Hausbriefkästen jeweils ein 3 x 7 cm großes Schild angebracht mit der Aufschrift: „Bitte keine Reklame“ sowie „Bitte keine Werbung“. Ferner enthalten diese Briefkästen den Hinweis: „Reklame nicht, portopflichtig zurück." Nach Vorfinden von Werbematerial auch der Bekl. in seinem Briefkasten hat der Zeuge A mit Brief vom 2. 2. 1987 an die Bekl. diese um Respektierung des Hinweises auf seinem Briefkasten gebeten. Die Bekl. hat mit Schreiben vom 5. 2. 1987 zugesagt, dafür Sorge tragen zu wollen, daß weitere Werbeprospekte in den Briefkasten des Zeugen nicht eingeworfen würden. Von der Beschwerde des Zeugen unterrichtete die Bekl. die zuständige Verteilerfirma. Mit Schreiben vom 7. 2. 1987 teilte der Zeuge der Bekl. erneut mit, daß sein Briefkasten wieder „voll war mit Reklame“. Der Kl. hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs an Personen Wurfsendungen zu übermitteln (Einwurf in Briefkästen), die zuvor durch Hinweis am Briefkasten kundgetan haben, daß der Einwurf von Werbematerial nicht erwünscht ist.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Der von den Parteien zur Entscheidung unterbreitete Sachverhalt rechtfertigt die Annahme eines wettbewerbswidrigen Verhaltens der Bekl. Der Einwurf von Werbesendungen in private Hausbriefkästen, auf denen sich deutlich sichtbar der Hinweis befindet, daß Werbung ausdrücklich nicht gewünscht werde, kann wegen Mißachtung des ausdrücklich erklärten Willens eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Werbeadressaten sein und stellt vorliegend eine Eigentums- oder Besitzstörung dar (BGH, NJW 1989, 902 = LM § 1004 BGB Nr. 184 = GRUR 1989, 225 (226) - Handzettel-Wurfsendung), in der nach den Umständen ein Verstoß gegen § 1 UWG liegt (OLG Stuttgart, NJW-RR 1987, 1422 unter Hinweis auf BGH, NJW 1973, 1119 = LM § 823 (Ah) BGB Nr. 48 = GRUR 1973, 552 - Briefwerbung). Unter diesen Voraussetzungen ist die Fortsetzung der beanstandeten Werbung gegen den Widersprechenden nicht mehr zulässig.

Eine andere Beurteilung wäre nur dann angezeigt, wenn die Beachtung des privaten Werbeverbots an den Briefkästen nach Art der Werbeaktion mit einem Organisationsaufwand und Kosten für den Werbenden verbunden ist, die in keinem angemessenen Verhältnis zu der Verärgerung und Belästigung des Umworbenen stehen, der sich eine solche Werbung ausdrücklich verbeten hat (BGH, NJW 1973, 1119 = LM § 823 (Ah) BGB Nr. 48 = GRUR 1973, 552). Denn kennzeichnend für die rechtliche Situation, die eine Güterabwägung gebietet, ist, daß diese Form der Werbung durch Wurfsendungen als Bestandteil der wettbewerbs- und wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des werbenden Unternehmens einerseits zulässig ist und andererseits es grundsätzlich der Dispositionsfreiheit des einzelnen Werbeadressaten überlassen bleiben muß, ob er die mit der betreffenden Werbung verbundenen Belästigungen hinnehmen will oder nicht, zumal durch die ständig steigende Flut an Werbematerial der einzelnen Unternehmen ernsthafte Beseitigungsprobleme entstehen können. Das werbende Unternehmen hat daher einen ausdrücklich erklärten Willen des umworbenen Verbrauchers gegen den Erhalt der Werbung im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren zu respektieren. Das werbende Unternehmen hat daher ggf. darzutun, welche ihm möglichen und zumutbaren Vorkehrungen es getroffen hat, damit die beanstandete Werbung gegenüber dem ausdrücklich widersprechenden Verbraucher künftig unterbleibt.

Nur wenn es infolge der Unterlassung derartiger Vorkehrungen zu einer Fortsetzung der Werbung dem widersprechenden Verbraucher gegenüber kommt, kann daher der Werbende wegen dieses Sachverhaltes einem Unterlassungsanspruch ausgesetzt sein, auch wenn dieser verschuldensunabhängig ist. Von einer solchen Sachlage muß aber vorliegend ausgegangen werden.

Es sind zwar keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Bekl. vor dem Schreiben des Zeugen vom 2. 2. 1987 an sie Kenntnis von dem sog. Sperrvermerk an seinem Briefkasten ... erlangt hat. Die Bekl. hat auch unwidersprochen mit Schreiben vom 5. 2. 1987 die mit der Verteilung ihrer Werbeschrift beauftragte Firma X-Werbung über die Beschwerde unterrichtet und auf Beachtung hingewiesen. Es liegt auch in der Natur der Sache, daß alle Organisationsmaßnahmen zur Bewältigung des anstehenden Problems, welches Anfang 1987 den Verteilern noch nicht geläufig war und zu dem sich nur vereinzelt Gerichte geäußert hatten, eine gewisse Anlaufzeit bedurften und das Sammeln von Erfahrungen voraussetzten, um wirksam sein zu können. Diese Gesichtspunkte ändern aber nichts an der Tatsache, daß der Einwurf der Werbesendung der Bekl. vor dem 2. 2. 1987 und danach vor dem 7. 2. 1987 und schließlich der nicht ernsthaft bestrittene am 10. 5. 1987 in den mit einem Sperrvermerk versehenen Hausbriefkasten des Zeugen eine Eigentums- oder Besitzstörung darstellen. Diese Eigentums- oder Besitzstörung durch die Bekl. stellt auch einen Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG dar. Durch diesen Rechtsverstoß verschaffte sich die Bekl. gegenüber rechtstreuen Mitbewerbern einen Wettbewerbsvorsprung, weil sie im Gegensatz zu diesen zumindest in der Vergangenheit die erforderlichen Überwachungs- und Kontrollkosten sparte.

Die Bekl. ist auch als mittelbare Störerin Adressatin des Unterlassungsanspruchs nach § 1 UWG. Sie hat durch die Beauftragung der X-Werbung mit der Durchführung der Werbeaktion die Störungen veranlaßt und verfügt aus ihrer vertraglichen Beziehung zu diesem Unternehmen über die Rechtsmacht, gegen weitere Störungen des Selbstbestimmungsrechts des Zeugen und anderer einzuschreiten.

Die Bekl. hat auch nicht die aufgrund der dargelegten Verstöße vermutete Wiederholungsgefahr für den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch ausgeräumt. Die Bekl. hat zwar ihre Verteiler-Unternehmen, insbesondere auch die X-Werbung, angewiesen, den Sperrvermerk auf den jeweiligen Hausbriefkästen strikt zu beachten. Sie hat Sanktionen in Form von Inanspruchnahme auf Schadensersatz für den Fall der Nichtbeachtung und ihr hierdurch entstehender Nachteile angedroht. Sie hat die Verteiler-Unternehmen darauf hingewiesen, daß die Beachtung dieser Anweisung durch die örtlichen Verteiler durch Stichproben der Verteiler-Unternehmen überwacht werden müsse und eigene Stichproben zur Überwachung angekündigt. Sie hat die Verteilerunternehmer zur Anfertigung von Listen mit denjenigen Haushalten, deren Briefkästen einen entsprechenden Vermerk tragen, angewiesen und die Überlassung dieser Listen verlangt. Die Bekl. hat insbesondere auch die X-Werbung aufgefordert, über die getroffenen organisatorischen Maßnahmen, die die Beachtung des Sperrvermerks sicherstellen sollen, zu berichten. Weitergehende Maßnahmen der Bekl. gegenüber ihren Verteiler-Unternehmen, etwa die Vereinbarung einer Vertragsstrafe (vgl. BGH, NJW 1989, 902 = LM § 1004 BGB Nr. 184 = GRUR 1989, 225 (226)), hätten keinen größeren Erfolg garantieren und sog. Ausreißer nicht verhindern können. Denn die X-Werbung hat sich zur strikten Einhaltung der Anweisung gegenüber der Bekl. verpflichtet. Sie hat ihrerseits ihren Verteilern gegenüber alle ihr möglichen Maßnahmen getroffen, um die Beachtung des Sperrvermerkes sicherzustellen. Eine entsprechende Verpflichtung findet unmittelbar oder als Nebenpflicht Eingang in die mit den Ortsverteilern oder den Subunternehmern geschlossenen Verträge. In den wöchentlich ausgegebenen Terminplänen bestätigen die Subunternehmer durch Unterschrift die Einhaltung dieser Verpflichtung. Ortsverteiler werden ständig schriftlich in den Lieferscheinen auf die Beachtung des Sperrvermerkes hingewiesen. Das betreffende Thema ist auch Gegenstand der regelmäßigen Schulung der Subunternehmer, und sie werden bei der täglichen Warenabholung auf die Beachtung hingewiesen. Die X-Werbung hat ihrerseits ihren Verteilern angedroht, sie auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, wenn sie die betreffenden Sperrvermerke nicht beachteten. In Rundschreiben, z. B. vom Juni 1987, deren Empfang und Kenntnisnahme die Verteiler schriftlich zu bestätigen hatten, werden sie auf die Einhaltung dieser Verpflichtung hingewiesen. Die X-Werbung stellt ihren Verteilern ständig auf den neuesten Stand gebrachte Listen mit Haushalten, die keine Werbung wünschen, zu Verfügung. Bei Verbrauchern, die durch einen Beschwerdebrief oder in sonstiger Weise der Bekl. gegenüber zum Ausdruck gebracht haben, daß sie keine Werbung wünschten, hat diese unwidersprochen zusätzliche Vorkehrung getroffen, damit an diese keine Werbung verteilt wird.

Durch diese Maßnahmen ist an sich gewährleistet, daß die Zeugen künftig nicht mehr durch Werbung der Bekl. belästigt werden, wie auch der Umstand belegt, daß weitere Fälle nicht dargetan sind. Gelegentliche „Ausreißer“ lassen sich auch durch das sicherste Abwehrsystem nicht vermeiden; diese müssen als zumutbare Belästigung hingenommen werden, anderenfalls die Bekl. diese an sich zulässige Form der Werbung ganz aufgeben müßte, wozu sie nicht verpflichtet werden kann.

Diese Vorkehrungen der Bekl. vermögen aber die durch die dargestellten Verstöße begründete Wiederholungsgefahr für den vorliegend geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht auszuräumen. Die Bekl. war bereits vor dem 2. 2. 1987 gehalten, alle erforderlichen und ihr zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um Einwürfe ihrer Werbeschrift in Hausbriefkästen mit entsprechenden Sperrvermerken zu verhindern. Das ist unstreitig nicht geschehen. Selbst nach dem Beschwerdebrief vom 2. 2. 1987 aufgrund der erfolgten Eigentums- oder Besitzstörung hat sie keine ausreichenden Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Störung getroffen. Der bloße schriftliche Hinweis mit Schreiben vom 5. 2. 1987 an die Verteilerfirma, die entsprechenden Sperrvermerke auf den Hausbriefkästen zu beachten, reicht hierzu nicht aus; der BGH (NJW 1989, 902 = LM § 1004 BGB Nr. 184 = GRUR 1989, 225 (226)) verlangt insoweit grundsätzlich eine Vertragsstrafenvereinbarung. In der Folgezeit bis etwa Juni 1987 hat die Bekl. zur Vermeidung weiterer Störungen praktisch nichts unternommen. Die vorerwähnten Vorkehrungen hat die Bekl. im wesentlichen erst ab Juni 1987 eingeleitet. Sie vermögen jedenfalls nicht die aufgrund der vorgekommenen Verstöße vermutete Wiederholungsgefahr auszuräumen. Diese kann grundsätzlich nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung beseitigt werden, zumal die Bekl. die getroffenen Maßnahmen jederzeit unterlassen könnte. Durch die Abgabe der entsprechenden Unterlassungserklärung würden der Bekl. auch keine unkalkulierbaren Risiken aufgebürdet werden, da von ihr nur die Eingehung einer Verpflichtung verlangt werden kann, deren Einhaltung in ihrem Einflußbereich liegt.

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht

Normen

BGB §§ 823, 1004 ; UWG § 1