Rechtsweg - Franchisenehmer

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Beschluss über weitere Beschwerde


Datum

16. 07. 1997


Aktenzeichen

5 AZB 29/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Ob eine Partei Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Person ist, richtet sich ausschließlich danach, ob sie persönlich abhängig oder zwar rechtlich selbständig, aber wirtschaftlich abhängig und einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig ist.

  2. Daß ein Franchisenehmer den für ein solches Rechtsverhältnis typischen Bindungen unterliegt, schließt die Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht aus (entgegen OLG Schleswig, NJW-RR 1987, 220).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen. Der Kl. war aufgrund schriftlichen Vertrags vom 4. 5. 1993 als „Vertriebspartner“ im Franchise-System der Bekl. tätig. Der Kl. erhielt nach entsprechender Schulung durch die Bekl. das Alleinverkaufsrecht für ein bestimmtes, für ihn geschütztes Gebiet. Er hatte in eigenem Namen und auf eigene Rechnung unter Nutzung der Marke der Bekl. deren Tiefkühlkost unter Inanspruchnahme eines Einkäuferrabatts zu kaufen und im Vertragsgebiet auf der Grundlage der jeweils gültigen Preisliste der Bekl. an Haushalte und Endverbraucher zu vertreiben. Nach der Präambel und nach § 5 II des Vertrags hatte die Zusammenarbeit „auf der Grundlage eines Handbuchs zu erfolgen, das „in seiner jeweils gültigen neuesten Fassung Bestandteil des Vertrags“ war. Dieses Handbuch enthält detaillierte Regelungen über die bereitzuhaltende Ware, die Aufstellung von Tourenplänen, die wöchentlichen Einsatzzeiten (Tages-Touren von Montag bis Freitag, der Sonnabend als Reservetag bzw. als Tag für Büroarbeiten), Staupläne für das Tiefkühlfahrzeug sowie zahlreiche weitere Durchführungshinweise. Für die Einräumung der Nutzungsrechte an Namen und Marke der Bekl., für Schulung und Ausbildung, Know-how-Übermittlung und Erstausstattung hatte der Kl. an die Bekl. einen Kostenbeitrag von 20000 DM zuzüglich Umsatzsteuer zu zahlen (§ 9 des Vertrags). Der Vertrag hatte eine Laufzeit von fünf Jahren (§ 11). § 14 des Vertrags enthält Regelungen über die Rechtsnachfolge des Kl. In § 15 des Vertrags sind Vereinbarungen für den Fall getroffen, daß der Kl. seinerseits Angestellte einstellt. § 16 des Vertrags regelt die Rückabwicklung bei Vertragsbeendigung; darin ist u.a. eine teilweise Erstattung des Kostenbeitrags vorgesehen. Nach § 17 des Vertrags hat der Vertriebspartner bei Vertragsbeendigung Anspruch auf eine Abfindung für seine Aufbauleistung. In § 18 des Vertrags ist ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gegen Zahlung einer Entschädigung von 50 % des Abfindungsbetrags, mindestens jedoch 50 % des in den letzten 12 Monaten vom Vertriebspartner erzielten Gewinns vereinbart. Der Kl. erzielte nach einer Aufstellung der Bekl. von Juni 1993 bis Februar 1995 Umsätze zwischen 17720,37 DM und 39019,63 DM. Im Durchschnitt erhielt der Kl. in den letzten sechs Monaten jeweils 2600,39 DM ausgezahlt. Der Kl. kündigte den Vertrag mit Schreiben vom 4. 2. 1995 zum 28. 2. 1995, die Bekl. kündigte den Vertrag ihrerseits unter dem 16. 3. 1995 fristlos. Der Kl. begehrt die Rückzahlung des Kostenbeitrags, eine Abfindung für die Aufbauleistung und Entschädigung für das nachvertragliche Wettbewerbsverbot.

Das ArbG hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als eröffnet erachtet. Das LAG hat die allgemeinen Zivilgerichte für zuständig angesehen und den Rechtsstreit an das LG verwiesen. Hiergegen wendet sich der Kl. mit seiner weiteren sofortigen Beschwerde. Nach Verkündung des vorliegenden Beschlusses hat der Kl. am 21. (Fax) bzw. am 22. 7. 1997 (Brief) beim BAG einen von ihm unterzeichneten Schriftsatz eingereicht, in dem er erklärt, die weitere sofortige Beschwerde und die Klage insgesamt zurückzunehmen. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.

1. Die Rücknahme der weiteren sofortigen Beschwerde geht ins Leere, weil sie erst erfolgt ist, nachdem die gerichtliche Entscheidung über das Rechtsmittel bereits ergangen war (Zöller/Gummer, ZPO, 20. Aufl., § 567 Rdnr. 15). Die gleichzeitige Erklärung der Rücknahme der Klage beseitigt die ergangene Entscheidung ebenfalls nicht, sondern macht sie nur für den Rechtsstreit folgenlos.

2. Für die Klage ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet, wenn der Kl. im Verhältnis zur Bekl. Arbeitnehmer ist (§ 5 I 1 ArbGG) oder wenn er als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist und deshalb als Arbeitnehmer i.S. des Arbeitsgerichtsgesetzes gilt (§ 5 I 2 ArbGG).

3. Entgegen der Ansicht des Kl. genügt im vorliegenden Fall die bloße Behauptung, er sei Arbeitnehmer der Bekl. gewesen, nicht, um den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen zu eröffnen. Die bloße Behauptung reicht nur dann aus, wenn die Klage nur Erfolg haben kann, falls der Kl. Arbeitnehmer ist, die den Rechtsweg und den materiellen Anspruch begründenden Tatsachen also identisch sind (BAG, NJW 1996, 2948 = NZA 1996, 1005 = AP Nr. 1 zu § 2 ArbGG 1979 - Zuständigkeitsprüfung; BAG, NJW 1997, 542 = NZA 1997, 175 = AP Nr. 2 zu § 2 ArbGG 1979 - Zuständigkeitsprüfung). Dies trifft hier nicht zu. Die mit der Klage verfolgten Ansprüche können auch dann begründet sein, wenn der Kl. nicht Arbeitnehmer der Bekl. war. Als Rechtsgrundlagen kommen insbesondere die Regelungen im Vertragswerk der Parteien i.V. mit den allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts in Betracht.

4. Das LAG hat angenommen, der Kl. sei kein Arbeitnehmer der Bekl. gewesen.

a) Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es fehle an der für die Arbeitnehmereigenschaft vorauszusetzenden hinreichenden persönlichen Abhängigkeit des Kl. Durch die vertraglichen Beziehungen und das zum Vertragsbestandteil gewordene Handbuch werde mit den Vorgaben für die Durchführung des Geschäfts und den geschäftlichen Erfolg zwar für den Kl. eine gewisse psychische Drucksituation hergestellt, es entspreche aber dem Wesen des Franchise-Vertrags, daß der erfahrene Partner dem unter Umständen geschäftlich weniger erfahrenen Partner Ratschläge erteile und Hinweise gebe. Der Vertrag schreibe dem Kl. keine festen Arbeitszeiten vor. Die Berichtspflichten und Kontrollrechte seien dem Franchise-System immanent. Auch die übrigen zwischen den Parteien vereinbarten Regelungen führten nicht zu einer für ein Arbeitsverhältnis hinreichenden persönlichen Abhängigkeit des Kl.

b) Der Senat folgt dem nicht. Aus dem sogenannten Wesen des Franchise-Vertrags läßt sich nicht schließen, daß der Kl. kein Arbeitnehmer war. Es kommt nicht darauf an, wie ein Rechtsverhältnis bezeichnet wird, sondern welches sein Geschäftsinhalt ist (st. Rspr., zuletzt BAG, NZA 1997, 194 = NJW 1997, 1184 , und BAG, NZA 1997, 600 = NJW 1997, 2133 ). Es mag daher zutreffen, daß dem Franchising der Art, wie es hier praktiziert wird, genaue und detaillierte Anleitungen, Berichtspflichten des Franchisenehmers und Kontrollrechte des Franchisegebers immanent sind. Ob aber jemand, der in diesem System tätig wird, Arbeitnehmer oder Selbständiger ist, richtet sich allein danach, ob er weisungsgebunden und abhängig ist oder ob er seine Chancen auf dem Markt selbständig und im wesentlichen weisungsfrei suchen kann. Aus einer bloß verbalen Typisierung der Vertragsart läßt sich für die Frage der Arbeitnehmereigenschaft nichts herleiten. Der gegenteiligen Ansicht, wie sie vom OLG Schleswig (NJW-RR 1987, 220) vertreten wird, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Annahme, ein Franchisevertrag schließe die persönliche Abhängigkeit des Franchisenehmers per definitionem aus, beruht letztlich auf einem Zirkelschluß: Wenn und weil ein Franchise-Verhältnis in mehr oder weniger vielen Punkten eine Einbindung, Eingliederung oder sogar eine gewisse Weisungsgebundenheit des Franchisenehmers voraussetzt, soll dies die Annahme eines Arbeitsverhältnisses ausschließen, weil es sich um ein Franchise-Verhältnis handelt. Dies ist mit dem geltenden Recht nicht zu vereinbaren.

5. Ob dem LAG darin zu folgen ist, der Kl. sei tatsächlich kein Arbeitnehmer gewesen, braucht nicht abschließend entschieden zu werden. Es spricht viel dafür, daß der Kl. Arbeitnehmer der Bekl. war. Hierauf kommt es aber letztlich nicht an. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist vorliegend schon deshalb eröffnet, weil der Kl. im Verhältnis zur Bekl. wegen seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit und seiner einem Arbeitnehmer vergleichbaren sozialen Schutzbedürftigkeit jedenfalls als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist und er deshalb als Arbeitnehmer i.S. des Arbeitsgerichtsgesetzes gilt (§ 5 I 2 ArbGG). Eine nähere Klärung ist für die Rechtswegbestimmung nicht erforderlich (BAG, NJW 1997, 1724 = NZA 1997, 399).

a) Das LAG hat angenommen, der Kl. sei nicht arbeitnehmerähnliche Person i.S. des § 5 I 2 ArbGG gewesen, weil die Parteien in einem Franchise-Verhältnis gestanden hätten und die „franchisetypischen Abhängigkeiten“ der Annahme der Arbeitnehmerähnlichkeit entgegenstünden. Dem ist aus den oben (II 4b) dargestellten Gründen zu widersprechen. Die Stellung einer Einzelperson als Franchisenehmer schließt es nach geltendem Recht gerade nicht aus, daß es sich hierbei um eine arbeitnehmerähnliche Person handeln kann.

b) Nach § 5 I 2 ArbGG gelten als Arbeitnehmer i.S. des Arbeitsgerichtsgesetzes „sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind“. Das Arbeitsgerichtsgesetz bestimmt selbst nicht, wer arbeitnehmerähnliche Person ist, sondern setzt den Begriffsinhalt voraus. Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige, sie unterscheiden sich von Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmerähnliche Personen sind - in der Regel wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation - in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit bzw. wirtschaftlichen Unselbständigkeit. Außerdem muß der wirtschaftlich Abhängige seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sein (BAG, NJW 1997, 2404; BAG, NJW 1997, 1724 = NZA 1997, 399; BAG, NJW 1996, 3293 = NZA 1997, 62 = AP Nr. 28 zu § 5 ArbGG 1979 m.w. Nachw.). Dafür sind die gesamten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung maßgeblich (BAG, NJW 1997, 2404; vgl. auch Hromadka, NZA 1997, 569).

c) Hieran gemessen war der Kl., wenn nicht Arbeitnehmer, so doch eine arbeitnehmerähnliche Person. Er war aufgrund seiner vertraglichen Bindung wirtschaftlich von der Bekl. abhängig. Die Gestaltung des Vertragsverhältnisses beanspruchte den Kl. derart, daß er daneben keine nennenswerte weitere Erwerbstätigkeit mehr ausüben konnte. Die „Auszahlungen“, die der Kl. von der Bekl. erhielt, lassen seine wirtschaftliche Abhängigkeit deutlich erkennen. Der Kl. war exklusiv an das Warensortiment der Bekl. gebunden. Die Reglementierung seiner Tätigkeit und seine zeitliche Beanspruchung ließen es nicht zu, sich weitere Erwerbschancen auf dem Markt zu suchen. Seine Einkünfte lagen im Bereich eines Zu-Verdienstes im eher unteren Bereich. Der Kl. war auch gleich einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig. Er hatte sich gegenüber der Bekl. persönlich verpflichtet, als Franchise- bzw. Vertriebspartner im Vertriebsgebiet tätig zu sein. Er unterhielt keine eigene Unternehmens- oder Betriebsorganisation außer dem Lieferwagen, den er wiederum von der Bekl. gemietet hatte, und er beschäftigte seinerseits jedenfalls im Verkauf keine eigenen Arbeitnehmer. Er war wie ein angestellter Verkaufsfahrer tätig.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

ArbGG §§ 5 I 1, 2 I Nr. 3