Einwurf politischer Werbung in Briefkasten
Gericht
OLG Bremen
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
18. 06. 1990
Aktenzeichen
6 U 1/90
Die Rechtsprechung des BGH (NJW 1989, 902 ff.) zu den Grundsätzen der Briefkastenwerbung ist nicht nur auf die Konsumwerbung, sondern auch auf die Werbung politischer Parteien anwendbar (gegen Löwisch, NJW 1990, 437 ff.).
Eine politische Partei kann aber dann nicht zur Unterlassung des Einwurfs von Werbung verurteilt werden, wenn es ihr rechtlich und wirtschaftlich unzumutbar ist, den Einwurf von Werbematerial in den Briefkasten zu verhindern.
Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung (vgl. VGH Mannheim, NJW 1990, 2145 (in diesem Heft)) darf sich die Bundespost weigern, dem Wunsch nach Nichteinwurf von Postwurfsendungen nachzukommen.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. hat am Briefkasten seiner Wohnung einen Aufkleber mit der Aufschrift „Werbung einwerfen verboten“ angebracht. Es wurde trotzdem wiederholt Werbematerial der Bekl. einer politischen Partei, eingeworfen, zuletzt bei der Europawahl am 18. 6. 1989. Der Kl. trug vor, es stehe zu befürchten, daß angesichts der bevorstehenden Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft und zum Bundestag weiterhin Werbematerial der Bekl. in seinen Briefkasten eingeworfen werden würde. Er beantragte, die Bekl. zu verurteilen, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes von bis 4500000 DM, ersatzweise Ordnungshaft, zu unterlassen, Werbematerial in seinen Briefkasten einzuwerfen oder durch Dritte einwerfen zu lassen.
Das LG Bremen (NJW 1990, 456) hat der Klage stattgegeben. Das OLG hat sie abgewiesen.
Auszüge aus den Gründen:
I. Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist entgegen der Ansicht der Bekl. gegeben. Es handelt sich weder um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit noch um eine sonstige öffentlichrechtliche Streitigkeit. Verfassungsrechtliche Streitigkeiten sind nur Streitigkeiten zwischen am Verfassungsleben unmittelbar beteiligten Rechtsträgern sowie herkömmlicherweise ausschließlich dem Verfassungsrecht zugeordneten Streitigkeiten (vgl. Kopp, VWGO, 8. Auflage, § 40 Rdnr. 32). Daß ein Rechtsstreit auch Fragen des Verfassungsrechts aufwirft oder daß bei der Entscheidung auch Verfassungsrecht zu beachten ist, macht die Streitfrage noch nicht zu einer verfassungsrechtlichen. Eine sonstige öffentlichrechtliche Streitigkeit liegt nicht vor, weil die vom Kl. begehrte Rechtsfolge nicht aus dem öffentlichen Recht abgeleitet wird. Zwischen den Parteien besteht kein Rechtsverhältnis, das nach dem öffentlichen Recht zu beurteilen ist. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil bei der Entscheidung möglicherweise das Postbenutzungsrecht eine Rolle spielt, zumal die Rechtsbeziehungen zwischen der Post und ihren Benutzern - mit Ausnahme derjenigen nach § 16 PostG - nunmehr privatrechtlicher Natur sind (§ 7 PostG vom 3. 7. 1989).
II. Die Klage ist nicht begründet. Dem Kl. steht entgegen der Ansicht des LG weder aus der Verletzung seines Besitzrechts noch seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Anspruch gegen die Bekl. zu, es zu unterlassen, Werbematerial in seinen Briefkasten einzuwerfen.
1. Der Senat ist allerdings mit dem LG der Auffassung, daß das Einwerfen von Werbematerial der Bekl. in den Briefkasten des Kl. im Hinblick darauf, daß an dem Briefkasten ein Aufkleber mit der Aufschrift „Werbung einwerfen verboten“ angebracht ist, sowohl eine widerrechtliche Störung des Besitzrechts des Kl. als auch eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Er folgt dem LG darin, daß die Rechtsprechung des BGH zur „Briefkastenwerbung“ (BGHZ 60, 296 ff. = NJW 1973, 1119; BGH, NJW 1989, 902 ff.; vgl. OLG München, NJW 1984, 2422; OLG Stuttgart, NJW-RR 1987, 1422 ff.; OLG Frankfurt, NJW 1988, 1854 ff.), der sich der Senat ebenfalls anschließt, nicht nur auf Konsumwerbung, sondern auch auf politische Werbung durch Parteien anzuwenden ist. Auf die zutreffenden Ausführungen des LG wird insoweit Bezug genommen. Die in dem Aufdrängen von unerwünschtem Werbematerial liegende Beeinträchtigung der räumlich-gegenständlichen Sphäre des Haus- oder Wohnungseigentümers bzw. -besitzers ist entgegen der Ansicht von Löwisch (NJW 1990, 437 f.) auch dann rechtlich erheblich, wenn es sich um Werbematerial einer politischen Partei handelt. Ob es sich um eine - zu duldende - „sozialadäquate“ - Beeinträchtigung handelt oder nicht, hängt nicht vom Inhalt der Werbung, sondern von dem erreichten Ausmaß der Briefkastenwerbung nach Quantität und Intensität ab (vgl. BGH, NJW 1989, 902 (903)). Das Recht der Parteien, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken (Art. 21 I GG), rechtfertigt in diesem Zusammenhang keine unterschiedliche Behandlung von Konsumwerbung und politischer Werbung. Dadurch, daß sich der einzelne Empfänger von Werbesendungen gegen das unerwünschte Einwerfen von Werbematerial in seinen Briefkasten wehren darf, wird nämlich weder die Parteienwerbung als solche noch die besondere Methode der Briefkastenwerbung in Frage gestellt.
2. Richtig ist auch, daß sich der Unterlassungsanspruch nicht nur gegen den Verteiler des Werbematerials (Deutsche Bundespost oder private Verteilerfirmen), sondern grundsätzlich auch gegen den Werbenden selbst richtet. Dieser ist mittelbarer Störer, weil er die Verteilung des Werbematerials und damit die Störung veranlaßt hat und in der Regel aufgrund seiner vertraglichen Beziehungen zum Verteiler des Werbematerials über die Rechtsmacht verfügt, gegen weitere Störungen einzuschreiten. Er hat deshalb alle ihm zu Gebote stehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um weitere Beeinträchtigungen des Empfängers des Werbematerials auszuschließen. Gegen den mittelbaren Störer besteht allerdings dann kein Unterlassungsanspruch, wenn die Störung nur durch rechtlich oder wirtschaftlich unzumutbare Maßnahmen - wie etwa die Unterlassung der Briefkastenwerbung überhaupt - verhindert werden könnte (vgl. BGH, NJW 1989, 902 (903 f.)).
Das LG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß es der Bekl. möglich ist, durch rechtlich und wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen den Einwurf von Werbematerial in den Briefkasten des Kl. zu verhindern.
Die Deutsche Bundespost würde weder einer ihr bei Auftragserteilung von der Bekl. erteilten Weisung, Werbematerial der Bekl. zukünftig nicht mehr in den Briefkasten des Kl. einzuwerfen, noch einer Aufforderung, durch Aufkleber an Briefkästen erklärte Annahmeverweigerungen zu beachten, nachkommen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats sowohl aus dem Schreiben der Deutschen Bundespost vom 29. 11. 1989 als auch aus einer telefonischen Auskunft der Oberpostdirektion Bremen, deren Inhalt den Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 12. 2. 1990 mitgeteilt worden ist. Gegenwärtig kann von der Bekl. nicht verlangt werden, daß sie die Beachtung solcher Weisungen durch die Deutsche Bundespost auf gerichtlichem Wege durchsetzt. Der VGH Mannheim (NJW 1990, 2145 (in diesem Heft)) hat das abweichende Urteil des VG Stuttgart (NJW 1989, 1050 ff.) abgeändert und entschieden, die Post sei berechtigt, bis zu durchschnittlich zwei Wurfsendungen im Monat auch bei eindeutig durch Aufschrift oder Aufkleber an Hausbriefkästen erklärten Annahmeverweigerungen zuzustellen. In dieser Situation ist der Bekl. eine Klage gegen die Deutsche Bundespost, deren Erfolgsaussichten angesichts des Urteils des VGH Mannheim zweifelhaft sind, nicht zumutbar. Sie kann vielmehr zunächst den Ausgang jenes Verfahrens, in dem der VGH Mannheim die Revision zum BVerwG zugelassen hat, abwarten.
Um den Einwurf von Werbematerial in den Briefkasten des Kl. zu verhindern, bliebe der Bekl. daher nur die Möglichkeit, mit der Verteilung ihres Werbematerials nicht die Deutsche Bundespost, sondern private Verteilerfirmen zu beauftragen, die ihre Weisungen beachten würden. Denn der Bekl. steht im Gegensatz zu den großen Parteien kein parteiinterner Verteilerdienst zur Verfügung. Ein Ausweichen auf private Verteilerfirmen wäre der Bekl. aber nur zumutbar, wenn die Verteilung durch diese Firmen sowohl hinsichtlich des organisatorischen und finanziellen Aufwands der Bekl. als auch im Hinblick auf die Verteilungsdichte und Zuverlässigkeit der Verteilung mit Wurfsendungen der Deutschen Bundespost in etwa vergleichbar wären. Das ist nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme nicht der Fall.
Der organisatorische Aufwand der Bekl. bei einer Verteilung durch private Verteilerfirmen ist im Vergleich zum Aufwand bei Wurfsendungen der Deutschen Bundespost nur dann noch zumutbar, wenn die Bekl. nicht zahlreiche örtliche Verteilerfirmen, sondern nur ein oder höchstens drei Verteilungsunternehmen zu beauftragen braucht, das (die) sich ihr gegenüber verpflichtet (verpflichten), das Werbematerial flächendeckend im gesamten Bundesgebiet - gegebenenfalls unter Zuziehung von Subunternehmern - zu verteilen.
Der Senat ist aufgrund der Vernehmung der Zeugen J und F davon überzeugt, daß die Bekl. kein Unternehmen finden wird, das die flächendeckende Verteilung von politischem Werbematerial der Bekl. im gesamten Bundesgebiet sowohl zu übernehmen bereit ist als auch in der Lage ist, diese zu gewährleisten. Der Zeuge J hat bekundet, seine Firma würde es im Hinblick auf die Schwierigkeiten, für Verteilaktionen für politische Parteien genügend Subunternehmer zu finden, überhaupt ablehnen, für eine politische Partei bundesweit Werbematerial zu verteilen. Nach Aussage des Zeugen F würde seine Firma jedenfalls keine Aufträge von links- oder rechtsradikalen Parteien annehmen. Darüber hinaus hat dieser Zeuge die Vermutung geäußert, daß sich bei derartigen Parteien zum Teil auch andere Firmen, die als Subunternehmer in Betracht kämen, weigern würden. Die beiden Zeugen haben zwar in erster Linie für ihre Firmen gesprochen. Ihre Einschätzung von der Einstellung ihrer Geschäftspartner zu Verteilaktionen für politische Parteien, insbesondere für links- oder rechtsradikale Parteien läßt jedoch den Schluß zu, daß viele Verteilerfirmen ähnlich denken wie die von den beiden Zeugen vertretenen Firmen. Da die Bekl. in weiten Teilen der Bevölkerung für eine rechtsradikale Partei gehalten wird, ist es bereits zweifelhaft, ob sie überhaupt eine Verteilerfirma finden würde, die sich verpflichten würde, politisches Werbematerial der Bekl. flächendeckend im gesamten Bundesgebiet zu verteilen. Jedenfalls könnte nach der Überzeugung des Senats angesichts der Vorbehalte vieler Verteilerfirmen und der dadurch bedingten Ungewißheit, ob sich genügend Subunternehmer finden lassen, kein Unternehmen den Erfolg gewährleisten.
Hinzu kommt, daß eine flächendeckende Verteilung des Werbematerials der Bekl. im gesamten Bundesgebiet selbst dann ausgeschlossen wäre, wenn eine Verteilerfirma einen entsprechenden Auftrag der Bekl. annehmen würde und ihr auch genügend Subunternehmer zur Verfügung ständen, um den Auftrag durchzuführen. Beide Zeugen haben nämlich glaubhaft bekundet, daß bei einer Verteilung von Werbematerial durch private Verteilerfirmen nicht jeder Haushalt erfaßt wird. Nach Aussage des Zeugen F sind Haushalte außerhalb geschlossener Ortschaften von der Verteilung ausgenommen. Nach den Bekundungen des Zeugen J ergibt sich auch dadurch ein „Schwund“, daß die Verteiler bei Abwesenheit der Empfänger teilweise nicht an die Briefkästen in den Häusern gelangen, während dieses Problem bei Wurfsendungen der Deutschen Bundespost keine Rolle spielt, weil die Sendungen beim Nachbarn abgegeben werden oder die Zustellung am nächsten Tag nachgeholt werden kann. Ist somit eine flächendeckende Verteilung durch private Verteilerfirmen gar nicht möglich, ist es für die Bekl. nicht zumutbar, auf solche Firmen auszuweichen.
Da von der Bekl. nicht verlangt werden kann, auf „Briefkastenwerbung“ insgesamt zu verzichten, und es ihr durch rechtlich und wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen nicht möglich ist, die Deutsche Bundespost - als für sie allein in Betracht kommenden Verteilerdienst - zu veranlassen, kein Werbematerial in den Briefkasten des Kl. zu werfen, besteht gegen sie kein Unterlassungsanspruch.
... Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlaß. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch liegt eine für das Urteil des Senats kausale Abweichung von einer Entscheidung des BGH vor (§ 546 I 2 ZPO). Der Senat folgt vielmehr der Rechtsprechung des BGH zur „Briefkastenwerbung“. Er hält lediglich die für einen Unterlassungsanspruch erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen (Möglichkeit des mittelbaren Störers, die Störung durch zumutbare Maßnahmen zu verhindern) für nicht gegeben.
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