Vertragsabschluss bei Internet-Auktion kraft „Zeitablaufklausel“

Gericht

KG


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

15. 08. 2001


Aktenzeichen

29 U 30/01


Leitsatz des Gerichts

Wenn ein Anbieter einer Internet-Auktionsplattform die Klausel „Mit Ablauf der vom Verkäufer bestimmten Zeit kommt zwischen dem Verkäufer und dem Höchstbieter ein Kaufvertrag zu Stande“ verwendet, kommt ein wirksamer Kaufvertrag zustande. Diese Klausel stellt keine unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers wider Treu und Glauben dar.

Tatbestand

Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bekl. betrieb bis Ende 2000 eine Internet-Auktionsplattform, die Verbrauchern und Gewerbetreibenden nach vorangegangener Registrierung ermöglichte, selbstständig Waren gegen Höchstgebot zu kaufen oder verkaufen. Die Plattform wird nunmehr von der e-AG betrieben. Jeder Benutzer musste sich vor seiner Teilnahme per Mausklick den von der Bekl. gestellten AGB unterwerfen. Darin hieß es unter anderem:

Mit Ablauf der vom Verkäufer bestimmten Zeit kommt zwischen dem Verkäufer und dem Höchstbieter ein Kaufvertrag zu Stande.

Der Kl. hält die Klausel für mit dem AGB-Gesetz nicht vereinbar. Das LG hat die Bekl. unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zur Unterlassung verurteilt. Die Berufung hatte Erfolg und führte zur Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

Auszüge aus den Gründen:

Die Verwendung der streitigen Klausel verstößt nicht gegen Bestimmungen des AGB-Gesetzes. Dabei kann unterstellt werden, dass die Klausel - was kontrovers beurteilt werden kann (vgl. dazu OLG Hamm, GRUR 2001, 766 - ricardo.de m.Anm. Grapentin, GRUR 2001, 713; ferner Wiebe, MMR 2000, 323) - zwischen Verkäufer und Käufer (sog. Marktverhältnis) rechtliche Wirkung entfaltet und nicht nur zwischen dem Betreiber der Internet-Plattform und Verkäufer einerseits bzw. Ersterem und Käufer andererseits (sog. Benutzerverhältnis).

Das LG hat einen Verstoß gegen § 9 AGBG mit der Begründung bejaht, die Klausel verletze den Grundsatz des Vorrangs von Individualvereinbarungen vor AGB. Diese Begründung trägt das ausgesprochene Verbot nicht. § 4 AGBG, also der Grundsatz, dass Individualabreden Vorrang vor AGB genießen, ist nach dem Regelungsgegenstand der Klausel nicht einschlägig. Sie hat den Ausschluss von Individualabreden nicht zum Gegenstand. Das LG meint allerdings, die Nutzer des Angebots der Bekl. könnten sich „bei kundenfeindlicher Auslegung“ an die Vorgaben der Klausel hinsichtlich des Vertragsschlusses gebunden fühlen und auf Individualabreden dazu verzichten. Der Gesichtspunkt der kundenfeindlichen Auslegung greift jedoch nur bei Klauseln ein, bei denen mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen. Um einen solchen Fall handelt es sich, worauf die Bekl. zutreffend hinweist, hier jedoch nicht, weil die Klausel eindeutig ist. Das LG meint möglicherweise, die Bekl. bedinge die Geltung von § 4 AGBG ab und verstoße deshalb gegen § 9 II Nr. 1 AGBG. Dem könnte jedoch nicht gefolgt werden. Die Bekl. macht durch Verwendung der Klausel nur einen typischen Gebrauch von AGB, denn jeder Verwender will diese bestimmungsgemäß an Stelle von Individualabreden oder der gesetzlichen Regelung zum Vertragsinhalt machen. Wenn darin stets ein konkludenter Ausschluss von § 4 AGBG zu sehen wäre, könnten AGB ohne Verstoß gegen § 9 AGBG überhaupt nur verwendet werden, wenn die Gegenseite in ihnen auf die Möglichkeit von Individualvereinbarungen hingewiesen wird, so wie das LG es der Bekl. auf deren Einwand, für die Klausel bestehe ein unabdingbares praktisches Bedürfnis, auch ansinnen will. Der Bekl. ist jedoch zuzugeben, dass eine so weit gehende allgemeine Verpflichtung, auf den Vorrang von Individualabreden hinweisen zu müssen, nicht besteht.

Das vom LG ausgesprochene Verbot könnte deshalb nur dann Bestand haben, wenn ein Verstoß gegen § 9 AGBG aus anderen Gründen festzustellen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall; insbesondere sind die weiteren Erwägungen des LG nicht tragfähig. Es bemängelt, dass die Klausel dem Verkäufer die Möglichkeit nimmt, von der Abgabe eines bindenden Angebots Abstand zu nehmen. Dem liegt ersichtlich die Überlegung zu Grunde, die Anbieter müssten davor geschützt werden, verbindliche Verkaufsangebote gegenüber ihnen unbekannten Personen abzugeben, um sie vor der Gefahr zu bewahren, mit jemandem einen Vertrag zu schließen, mit dem sie nicht kontrahiert hätten, wenn sie ihn gekannt hätten. Eines so weit gehenden Schutzes vor den Folgen eigenen privatautonomen Handelns bedarf dieser Personenkreis bei Abwägung der mit Internet-Auktionen verbundenen Nutzen und Risiken für alle Beteiligten nicht. Es ist zwar richtig, dass der das Internetangebot der Bekl. wahrnehmende Verkäufer seinen Vertragspartner nicht bei der Vertragsanbahnung kennen lernt. In diesem Punkt liegt indes keine wesentliche Abweichung von der Versteigerung i.S. von § 156 BGB. Dort ist der Einlieferer typischerweise auch nicht bei der Versteigerung anwesend, um darauf zu achten, ob sich Personen daran beteiligen, die sich ihm gegenüber zuvor als nicht vertragstreu erwiesen haben. Das Angebot solcher Interessenten könnte nur zurückgewiesen werden, wenn der Versteigerer sie zufällig kennt. Insoweit bietet die von der Bekl. eingefügte Missbrauchsvorsorge - zweimalige Verwarnung und anschließende Sperrung von Käufern, die ihre Zahlungsverpflichtung nicht erfüllt haben - einen Schutz, der generell eher als effektiver einzustufen ist, als die Kenntnis individueller Versteigerer von unzuverlässigen Ersteigerern.

Im Übrigen ist zu bedenken, dass die Verkäufer gebrauchter Gegenstände auch sonst, etwa nach Aufgabe von Zeitungsannoncen, typischerweise mit Personen Kaufverträge abschließen, ohne über deren Bonität im Bilde zu sein.

Beim erstmaligen Vertragsschluss mit einem unbekannten Käufer über die Auktionsplattform der Bekl. kommen die Überlegungen des LG ohnehin nicht zum Tragen. Der Verkäufer weiß ebenso wenig wie bei anderen Formen des Vertragsschlusses, wie sich dieser Abnehmer bei der Vertragsabwicklung verhalten wird. Hier bietet die vorstehend erwähnte generelle Missbrauchsvorsorge der Bekl. auch eher einen besseren Schutz als den, der sich durch das Klauselverbot oder den dem LG vorschwebenden Hinweis auf die Möglichkeit abweichender Vereinbarungen zum Vertragsschluss ergäbe. Sollte der Fall eintreten, dass sich nochmals ein Vertragsschluss mit einem Käufer angebahnt hat, der seine kaufvertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Verkäufer zuvor schon einmal nicht erfüllt hatte, was nach Art der zur Versteigerung gelangenden Güter und der Verstreutheit der Wohnsitze der teilnehmenden Verbraucher statistisch möglicherweise selten vorkommen wird, so ist zu bedenken, dass die Kaufverträge gemäß den Nutzungsbedingungen der Bekl. nach deutschem Recht geschlossen werden. Das bedeutet, dass die Hauptpflichten beider Kaufvertragsparteien grundsätzlich Zug um Zug zu erfüllen sind (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 60. Aufl., § 433 Rdnr. 26). Auf die zusätzliche Möglichkeit des Verkäufers, sich entgeltpflichtig sogleich auf der Angebotsseite eine Vorleistungspflicht des Käufers auszubedingen, kommt es insoweit nicht an.

Realisieren die vom LG dargelegten Risiken sich also möglicherweise schon statistisch nur in selteneren Fällen und ist der Verkäufer - der sich im Übrigen bewusst ist, mit Personen einen Vertrag zu schließen, ohne zuvor mit ihnen in persönlichen Kontakt getreten zu sein - bei Zahlungsunwillig- oder -fähigkeit des Vertragspartners nicht schutzlos, offenbart eine die beteiligten Interessen berücksichtigende Gesamtschau auch sonst keine unangemessene Benachteiligung der Vertragspartner der Bekl. Die Verkäuferseite erschließt sich damit potenzielle Käuferkreise, die sie in diesem Umfang ohne die Nutzung von Internet-Auktionen nicht ohne weiteres erreichen könnte. Umgekehrt erlangen Kaufinteressenten auf diese Weise von Angeboten Kenntnis, die ihnen ansonsten vorenthalten geblieben wären. Dass die Bekl. die Namen des Vertragspartners erst nach Vertragsschluss preisgibt, rechtfertigt sich durch ihr Provisionsinteresse, das manipulativ beeinträchtigt werden könnte, wenn die Kaufvertragsparteien den Leistungsaustausch gänzlich außerhalb ihrer Einflusssphäre vollziehen könnten.

Die vom LG dargelegten Risiken bestehen demgegenüber weit gehend nur theoretisch und es zeigt auch sonst nicht auf, weshalb die Interessen des Verkäufers gleichwohl nicht hinreichend geschützt sein sollen. Auch der vom Kl. selbst vorgebrachte Einwand, für einen wirksamen Vertragsschluss bedürfe es einer gesonderten Annahmeerklärung des Verkäufers, führt nicht zu dem Ergebnis, dass die Klausel gegen das AGB-Gesetz verstößt. Zwar kommt nach dem gesetzlichen Leitbild des § 156 BGB der Vertrag erst durch den Zuschlag des Versteigerers zu Stande. Diese Regelung, die im Übrigen bei Entstehung des Gesetzes kontrovers erörtert worden war (vgl. dazu Rüfner, JZ 2000, 716), ist jedoch dispositives Recht (BGHZ 138, 338 [343] = NJW 1998, 2350). Es bestehen daher keine Bedenken gegen abweichende Gestaltungen, sofern diese geltendem Recht, insbesondere den Bestimmungen des AGB-Gesetzes, nicht widersprechen. Solche Widersprüche sind weder dargetan noch ersichtlich. Selbst wenn man der Sicht des Kl. folgt und den Vertrag als durch bloßen Zeitablauf zu Stande gekommen ansieht - was auch anders beurteilt werden könnte - so ist doch nicht ersichtlich, warum der Verkäufer dadurch entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt wird. Er hat sich von vornherein auf dieses - für ihn und die übrigen Beteiligten praktikable - Modell eingelassen und er steht nicht wesentlich anders als eine Partei da, die sich mit ihrem Vertragsangebot für einen bestimmten Zeitraum gebunden (§ 148 BGB) und darüber hinaus auf eine Annahmeerklärung verzichtet hat (§ 151 BGB).

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht