Krankheitskostenversicherung - Versicherungsvertragsrecht

Gericht

OLG Frankfurt/M.


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

18. 09. 1996


Aktenzeichen

7 U 249/95


Leitsatz des Gerichts

Der Krankenversicherer ist zur Erstattung der Aufwendungen für die medizinisch notwendige Anschaffung eines Heimbeatmungsgeräts mit Atemmaske auch dann verpflichtet, wenn das Heimbeatmungsgerät nicht in der Aufzählung der Hilfsmittel in den AVB aufgeführt ist. Etwas anderes gilt nur, wenn aus der maßgeblichen Sicht des VN die Aufzählung erkennbar abschließend ist.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Das LG ist mit Recht davon ausgegangen, dass dem Kl. ein Anspruch gegen die Bekl. auf Erstattung der Aufwendungen für das von ihm angeschaffte Heimbeatmungsgerät mit Atemmaske aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Versicherungsvertrag über Krankheitskosten nach dem Tarif KHT 100 zusteht. Nach § 1 VVG i. V. m. § 1 Teil I Nr. 1 a der dem Versicherungsvertrag der Parteien zugrundeliegenden AVB für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung ist die Bekl. zur Erstattung der Kosten deshalb verpflichtet, weil das Beatmungsgerät Bestandteil medizinisch notwendiger Heilbehandlung ist und eine tariflich zu erbringende Leistung darstellt.

Aufgrund der bei dem Kl. vorliegenden chronisch obstruktiven Lungenerkrankung schwersten Ausmaßes, die aufgrund des ständig vorhandenen erhöhten Atemwiderstands bei ihm zu einer Erschöpfung der Atemmuskelpumpe führt, liegt eine bedingungsgemäß versicherte Krankheit vor. Der danach eingetretene Versicherungsfall einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung des Kl. wegen der vorliegenden Krankheit begründet die Pflicht der Bekl. zum Ersatz von Aufwendungen für die Heilbehandlung und die sonstigen vereinbarten Leistungen. Der maßgebliche Tarif KHT gewährte dem Kl. Versicherungsschutz bei ambulanter Heilbehandlung für Hilfsmittel zu 100%, die aufgrund der Verordnung des Hilfsmittels zu erstatten sind (Vgl. § 4 Teil I Nr. 1 in Verbindung mit dem Tarif KHT 100).

Die Erstattungspflicht der Bekl. hinsichtlich der Aufwendungen für die medizinisch notwendige Anschaffung des Heimbeatmungsgeräts ist nicht aufgrund § 4 Teil II Nr. 2 d deshalb ausgeschlossen, weil das Hilfsmittel "Heimbeatmungsgerät" nicht in der dort enthaltenen Aufzählung der Hilfsmittel aufgeführt ist. Der Senat folgt der Auffassung des LG, dass dieser Aufzählung kein enumerativer Charakter zukommt, so dass aufgrund fehlender Anführung des Heimbeatmungsgeräts als Hilfsmittel nicht der Schluss gezogen werden kann, für dieses Hilfsmittel bestehe keine Erstattungspflicht der Bekl. Kein Argument hierfür lässt sich daraus herleiten, dass die Zulässigkeit einer abschließenden Aufzählung der Hilfsmittel in AVB ohne Verstoß gegen das AGBG zu bejahen ist (vgl. BGH VersR 87, 278 [280]; OLG Köln VersR 89, 1142).

Den von der Bekl. verwandten AVB lässt sich eine solche Beschränkung nicht mit der notwendigen Gewissheit entnehmen. Dass nach § 4 Teil II Nr. 2 Hilfsmittel aufgezählt werden, die "als solche gelten" sollen, genügt nicht, um von einer abschließenden Aufzählung auszugehen. Dem LG ist darin beizupflichten, dass aus der maßgeblichen Sicht des Gegners der Verwenderin dieser AVB auch der Eindruck gewonnen werden konnte, es werde aus der Vielzahl medizinischer Hilfsmittel aus Platzgründen lediglich eine beispielhafte Aufzählung vorgenommen. Der Senat weist darauf hin, dass ein VN nach Treu und Glauben davon ausgehen konnte, dass auch die nicht aufgezählten Hilfsmittel wie Augenklappen, Nasenplastiken und Verbandsmaterial erstattungsfähig seien. Dass eine lediglich beispielhafte und keine abschließende Aufzählung der Hilfsmittel in § 4 Teil II Nr. 2 d AVB enthalten ist, durfte der VN auch deshalb annehmen, weil die Tarifbesehreibung der Tarife KHT 100 und 200 als Vollversicherungsschutz für Privatpatienten überschrieben worden ist und die Beschreibung der Versicherungsleistungen für Hilfsmittel eine 100%ige Übernahme der Kosten durch die Bekl. enthält.

Gegen diese Auslegung kann auch nicht mit Aussicht auf Erfolg angeführt werden, dass die im Vergleich zu sonstigen Hilfsmitteln außerordentliche Höhe des Hilfsmittels des Heimbeatmungsgeräts die Prämienkalkulation der Bekl. empfindlich gestört haben mag. Die einseitig gehegte Erwartung der Bekl., die Hilfsmittel abschließend aufgezählt zu haben, erscheint deshalb nicht schutzwürdig, weil aus der maßgeblichen Sicht des VN eine abschließende Aufzählung nicht angenommen werden kann, da es der Bekl. entsprechend dem Hinweis des LG in dem angefochtenen Urteil unbenommen blieb, durch eine einwandfreie sprachliche Fassung den Charakter einer abschließenden Aufzählung deutlich und für den VN nachvollziehbar zu umschreiben. Soweit die Bekl. gegen dieses Auslegungsergebnis angeführt hat, damit erstrecke sich die Erstattungspflicht der Bekl. auch auf die Kosten extrem aufwendiger Geräte, wie z. B. eines Dialysegeräts, einer lnsulinpumpe oder einer Ausstattung mit einer Intensivstation. weist der Senat darauf hin, dass Hilfsmittel für eine Eigenbehandlung außerhalb des Krankenhauses an dem Korrektiv des medizinisch Notwendigen zu messen sind, so dass die von der Bekl. angeführte Gefahr einer fehlenden Kalkulierbarkeit dieses Leistungssegments einer Krankenversicherung nicht gegeben ist. Vielmehr könnte in solchen Fällen der Versicherte auf eine Behandlung im Krankenhaus verwiesen werden. Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht darauf einzugehen, ob bei der Annahme eines abschließenden Charakters der Aufzählung der Hilfsmittel ein Verstoß dieser Klausel gem. § 3 AGBG anzunehmen ist.

Rechtsgebiete

Versicherungsrecht

Normen

§ 1 VVG